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Allgemeine Encyclopädie HIS-Data
5139-1-07-134-1-5
Erste Section > Siebter Theil
Werk Bearb. ⇧ 7. Theil
Artikel: BAIERN Recht
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Inhalt: Übersicht
 
  • Baierisches Recht
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BAIERN II. I. ⇨

⇧ S. 160 Sp. 2    
Forts. S. 160 Sp. 2 Zur Ergänzung des im Eingange Gesagten folgt hier ein besonderer Artikel über Baierisches Recht 1).♦  
  Das älteste Rechtsbuch der Baiern ist die lex Baiuwariorum, welche nach dem später erst hinzugekommenen und nichts beweisenden Prologe von dem Frankenkönige Theodorich angefangen seyn soll, was unrichtig ist, da zu Theodorichs Zeiten (511 — 34) die baierischen Provinzen nicht unter fränkischer Herrschaft standen. Auf der zu Aschheim 754 gehaltenen Synode wird dieses Gesetzes schon als eines lange bekannten gedacht. Da man nachweisen kann, daß die Verfasser (Samler) des Rechtsbuchs, Chadoindus, Agilulf, Claudius, Magnus in den Jahren 606 — 636 lebten, so gehört auch die Abfassung desselben in das 7te Jahrhundert.♦  
  Das Rechtsbuch ist in lateinischer Sprache verfaßt, enthält XXIII Titel, von welchen die meisten in Kapitel abgetheilt sind, liefert in Einschaltungen mit den Worten: quod vocant, häufig die in der damaligen Volkssprache gewöhnlichen Ausdrücke, stimmt oft mit der westgothischen und alemannischen Rechtssamlung zusammen, und enthält manche Stellen, die die Bekanntschaft mit dem römischen Rechte verrathen 2).♦  
  Es trägt den Charakter der Gewohnheitssamlungen der damaligen Zeit an sich, zeigt, daß Geistliche großen Einfluß auf die Abfassung hatten, beweiset aber auch durch die Bestimmungen über Contractsverhältnisse den damaligen bedeutenden Culturzustand der Nation 3).♦  
  Zusätze zum Rechtsbuche liefern 1) die unter Thassilo II. gehaltenen Landtage zu Aschheim, Dingolfing, Neuching in den Jahren 763, 772, 774 4). 2) Die von Karl dem Großen gegebenen Capitularia; von diesen Jahren an bis zum Rechtsbuche Ludwigs findet man zwar in Baiern keine eigenen neuen Gesetzsamlungen, der Rechtszustand aber blieb deswegen stets geordnet; denn a) immer blieben noch, wenn auch in Baiern die von Savigny 5) geschilderte Umwandlung der persönlichen Rechte vorging, die alten bajuwarischen Gesetze im Ansehen 6). b) Für an-
 
 
  • 1) Über Geschichte des baier. R. s. Senkenberg de legibus gent. bavar. Giessen 1742. Lory Comment. de orig. et progr. iur. boic. Ingolst. 1748. Klem's Versuch einer Geschichte der baier. Gesetzgebung. München 1807. Lipowski's Geschichte des baier. Criminalrechts. München 1803.
  • 2) v. Savigny Geschichte des röm. Rechts im Mittelalter. II. Thl. S. 80 — 88.
  • 3) s. darüber Mederer Beitr. zur Geschichte von Baiern, oder ältestes Gesetzbuch der Bajuwarier. Ingolstadt 1793. Winter's Vorarbeiten zur Beleuchtung der baier. u. österr. Kirchengeschichte. II. Bd. 1. Abhdl. München 1809. v. Pallhausen Garibald I. (München 1810) im Urkundenbuche S. 25. Die Ausgaben in den bekannten Samlungen von Sichard, Herold, Lindenbrog, Georgisch corp. iur. german. antiq. p. 249. Canciani barbar. leges ant. vol. II. p. 236. und im obigen Werke Mederer's.
  • 4) s. A. Winter in den histor. Abhandlungen der baier. Akademie. München 1807. Westenrieder's Beiträge zur vaterländischen Historie, Geographie etc. I. Bd. Nr. I.
  • 5) Geschichte des röm. R. I. Thl. S. 151.
  • 6) Adlzreiter annal. P. I. L, XI. p.10. {1} Meichelbek Hist. Frising. tom. I. P. II. p. 247. 324. Petz anecd. T. I. P. III. p. 49. Ludewig reliq. Ms. t. III. p. 194. 207. Monum. boic. tom. XVI. p. 283. 305. 307. 425. 434. 440. 446.
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  dere Fälle entschied man nach Volksgewohnheiten, deren Daseyn am besten aus den Urkunden der damaligen Zeit erkannt werden kann7). c) In den Städten bildeten sich auf die nämliche Weise, wie im übrigen Teutschland, die von den Regenten bestätigten nach dem Rechte der Autonomie entstandenen Stadtrechte 8). d) Auch von der Giltigkeit des römischen Rechts in Baiern finden sich unverkennbare Spuren 9). e) Ein vorzügliches Rechtsbuch, welchem man in Baiern folgte, war die unter dem Namen: Schwabenspiegel bekannte Samlung, für deren Giltigkeit in Baiern sichere Beweise zeugen 10).  
  Eine in Baiern selbst entstandene, aus dem Sachsen- und Schwabenspiegel entlehnte, von einem Advokaten zu Freisingen, Ruprecht, 1296 oder nach andern Mscpt. 1332 verfertigte, ist die unter dem Namen Rechtsbuch Ruprechts v. Freisingen bekannte Samlung von Gewohnheitsrechten 11). Es ist merkwürdig , da es manche in den übrigen teutschen Rechtsbüchern nicht vorkommende Bestimmungen enthält, und zur Erläuterung des Ludwig'schen Rechtsbuches viel beiträgt.  
  Das wichtigste baierische Rechtsbuch ist das unter der Regirung des Kaisers Ludwig entstandene Rechtsbuch. Sowol in Ansehung des Alters als der Art der Abfassung besteht noch mancher Zweifel. In den gewöhnlichen Mscpt. ist das Rechtsbuch erst 1346 unter den Söhnen Ludwigs, welche in dem Prologe sagen: daß sie sein zu rat worden, mit ihrem lieben Herrn und Väterlein Kaiser Ludwig von Rom, verfaßt worden. Da aber schon frühere Urkunden und zwar von 1340 12), 1342 13), 1343 14), 1344 15) vorhanden sind, nach welchen auf des Herrn des K. Ludwigen Buch, als auf die geltende Rechtsquelle hingewiesen wird, da nach einigen zwar unverbürgten Nachrichten 16) schon früher ein Rechtsbuch gegolten
 
 
  • 7) D. Linger's Betrachtungen über die bürgerl. Rechtsverfassung Baierns nach dem Aussterben der Karolinger. Landshut 1815.
  • 8) Ältere Urkunden dieser Art, bes. Freiheitsbrief für Landshut von 1279 in v. Krenner's Anleitung zur nähern Kentniß der baier. Landtage des Mittelalters. München 1804. S. 107. Eine Samlung Ingolstädtischer Freiheitsbriefe in Hübner's Merkwürdigk. v. Ingolstadt aus Urkunden. Ingolstadt 1803. I. II. Heft. Eine Landshuter Urkunde von 1423 mit Erklärungen von Mittermaier in v. Savigny's Zeitschrift für geschichtl. Rechtswissensch. II. Bd. III. H. Nr. 14.
  • 9) Meichelbek hist. frising. tom. II. P. I. p. 32. 42. 65. P. II. p. 24. 35. Hund Metrop, Salisburg. t. I. p. 158. 178. 259. t. II. p. 42. 237. Monum. boic. vol. V. p. 161. VII. 347. IX. 370. Lori de orig. iur. p. 33. Lori Geschichte des Lechrains. Nr. 127.
  • 10) Mon. boic. vol. VI. p. 519. X. p. 22. Krenner über den churpfälz. Reichsvicariatssprengel §. 32. 33. Krenner über gemischte u. folgende Weibsritterlehen. §. 21. Pfeffel über den ehemaligen Gebrauch des Schwabenspiegels in Baiern. München 1764.
  • 11) Abgedruckt in Westenrieder's Beiträgen zur vaterländ. Historie, Geographie etc. VII. Bd. und Westenrieder's akad. Rede über das Rechtsbuch Ruprechts. München 1802.
  • 12) Mon. boic. vol. I. p. 437.
  • 13) Hübner's Merkwürdigk. von Ingolstadt. II. Heft. S. 113.
  • 14) Mon. boic, vol. XXI. p. 7.
  • 15) Mon. boic. vol. I. p. 444. XVIII. p. 658. 659.
  • 16) B. Schmid Com. ad stat. prov. t. II. p. 3.
 
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  haben soll, da selbst das Rechtsbuch von 1346 auf ein älteres Rechtsbuch zurückweiset (im Eingang, auch Rubrik Cap. 18. und Art. 15. Cap. 15); so ist es sehr wahrscheinlich , daß schon 1340 ein Rechtsbuch existirt habe 17), welches erst von den Söhnen Ludwigs 1346 verbessert worden ist 18).♦  
  Einen unmittelbaren Einfluß der leges Baiuvar. auf dies Rechtsbuch kann man nicht nachweisen; dagegen sind viele Stellen des Schwabenspiegels 19), ebenso wie Stellen aus dem Rechtsbuche Ruprechts v. Freisingen 20), wörtlich in das Ludwig'sche Rechtsbuch aufgenommen, welches sonst noch als eine Samlung der in Baiern geltenden Gewohnheitsrechte merkwürdig ist, daher nur als Rechtsbuch, nicht als Gesetzbuch im neueren Sinne betrachtet werden darf.  
  Ein Einfluß des römischen Rechts auf das Rechtsbuch, welches nur für Oberbaiern galt, läßt sich (wenn man nicht Tit. 17. Art. 1. 2. u. Tit. 13. Art. 19 hieher rechnen will) nicht nachweisen.♦  
  Von dem nämlichen Kaiser Ludwig erhielt Niederbaiern auch eine Gerichtsordnung vom J. 1340 21). Ihm verdanken auch die meistern baierischen Städte entweder besondere nach dem Münchner Stadtbuche 22) gegebene Stadtrechte 23), oder wenigstens wichtige Freiheitsbriefe, welche von den nachfolgenden Regenten theils bestätiget, theils erweitert worden sind 24.♦  
  Von jetzt an bemerkt man schon den besondern Einfluß der Landstände auf die Gesetzgebung. Bereits im J. 1471 auf dem Landshuter Landtage brachten die Stände ihre Beschwerden wegen der in die Gesetzgebung eingerissenen Mißbräuche vor, und gaben Rathschläge wegen einer verbesserten Gerichts- und Landesordnung 25), worüber die Verhandlungen auf dem Landtage zu Ingolstadt 1472 26) und zu Landshut 1474 27) fortgesetzt, aber nicht beendigt wurden.♦  
  Im J. 1487 verfügten hierauf die Herzoge von München und Landshut eine Zusammenkunft ihrer Räthe zu Erding, um über die Reformation des Ludwig'schen Rechtsbuches von 1346 zu berathschlagen, worüber noch das in jeder Rücksicht merkwürdige Protocoll existirt 28), in dem es den Übergang der baierischen Gesetzgebung
 
 
  • 17) R. Zirngibl Preisschrift über Ludwig den Baier in d. histor. Abhdlgen der Akademie. München 1814. III. Bd. S. 437.
  • 18) Abgedruckt ist es v. 1346 J. Heumann opusc. quib. var. iur. germ. arg. expl. (Norimb. 1747) p. 24 –164. es finden sich aber viele von dem gedruckten sehr abweichende Mscpt. in Baiern.
  • 19) z. B. Schwabenspiegel (Lahr. Ausg.) 313. Ludw. Rechtb. Tit. 11. Art. 9. Schwbsp. Kap. 314. Ludw. Rb. Tit. 16. Art. 16.
  • 20) Rechtb. Rupr. §. 164. Ludw. Rb. Tit. 11. Art. 22. Rb. R. §. 95. Rb. Ludw. Tit. 2. Art. 4. Rb. R. §. 107. Rb. Ludw. Tit. 6. Art. 4.
  • 21) Abgedruckt in Fischer's Geschichte des Despotismus im Anhang S. 134. und Lipowski's Geschichte des baier. Criminalrechts S. 143. Nr. V.
  • 22) Abgedruckt in Bergmann's beurkundeter Geschichte von München. Urkundenb. Nr. CXII. s. darüber in d. Versuche über den Ursprung und Umfang der landständischen Rechte in Baiern. II. Bd. S. 116.
  • 23.) z. B. Wasserburg, Neustadt, Weilheim, Ingolstadt, Rain, Aichach. Lori's Geschichte des Lechrains S. 49, 59,; die Mscpte dieser Stadtrechte stimmen nicht zusammen.
  • 24) Solche Stadtrechte. z. B. von Traunstein s. in Westenrieder's glossar. germ. latin. nr. III. p. XXIII.
  • 25) Die Verhandlungen in Krenner's baier. Landtagshandlungen. VII. Bd. S. 260.
  • 26) baier. Landtagsh. VII. S. 372.
  • 27) l. c. S. 400.
  • 28) baier. Landtaghsdlgen. VIII. Bd. S. 505, Abgedruckt in d. Landthdlgen. XII. Bd. S. 58 – 184.
 
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  von 1346 – 1548, und zugleich ein schöner Beweis der Sorgfalt ist, mit welchem die Redactoren jeden Artikel emsig prüften.♦  
  Die Geschichte weiset zugleich eine von Herzog Georg herstammende Landesordnung von 1491 Landshut auf, deren Entstehung jedoch nicht hinreichend aufgehellt ist 29). Fortgesetzt findet man die Verhandlungen über die Landesordnung im J. 1501 auf dem Landtage zu Landshut 30) und wahrscheinlich 1507 31) wieder aufgenommen.♦  
  Das Resultat aller dieser Berathschlagungen war das unter dem Titel: das Buch der gemeinen Landpot Landsordnung, Satzung und Gebräuch des Fürstenthums Ober- und Nieder-Baiern im J. 1516 publicirte Gesetzbuch , bestehend aus 4 Theilen, wovon der erste den Landfrieden von K. Maximilian mit einigen Zusätzen enthält. Die Grundlage ist das Rechtsbuch von 1346; diese Landesordnung enthält Criminal-, Civil- und Polizeigesetze. Im J. 1520 erschien davon eine neue Auflage, weil gegen einige Artikel der früheren die Landstände protestirten.♦  
  An diese Ordnung reiht sich die Reformation der baierischen Landrechte von 1518, 50 Titel enthaltend. Die Herzoge ersuchen in der Vorrede die Landsassen das Gesetzbuch auch in ihren Gerichten gelten zu lassen; die ersten Titel enthalten meist die Gerichtsordnung, Tit. XIVXX Criminalgesetze, Tit. XXIL privatrechtliche Bestimmungen, unter welchen jedoch auch Lehenrecht und polizeiliche Normen vorkommen. Die Reformation beweiset, das damals das römische Recht in Baiern schon allgemeinen Einfluß hatte.♦  
  Ein Ganzes mit den zwei vorgenannten Gesetzbüchern bildet die Gerichtsordnung von 1520, welche auf Befehl des Herzogs Wilhelm 1588 nur mit einigen Abänderungen wieder abgedruckt worden ist. Schon im J. 1550 hatte Herzog Albrecht wieder darauf angetragen, daß die Landschaft einige verständige Männer delegiren und den fürstlichen Räthen beiordnen möchte, um eine Reformation der Landrechte vorzunehmen. Das Mscpt. eines Landtags zu Ingolstadt nennt als Abgeordnete den Kammerrath Pongratz von Freiberg, und den Küchenmeister Kholmann Münich.♦  
  Erst 1553 am 3 Königstage vereinigte man sich, worauf die baierische Landsordnung von Herzog Albrecht erschien, die landständische Einwirkung dabei wird in der Vorrede anerkannt. Dieser Landsordnung ist besonders der Landpot von 1516 zum Grunde gelegt; sie enthält viele polizeiliche Anordnungen und manche Bestimmungen, welche zeigen, daß das röm. Recht in den baierischen Gerichtshöfen schon allgemeiner gegolten habe. —♦  
  Als Zusätze zu dieser Landsordnung erschien die durch den nachfolgenden Landtag veranlaßte Deklaration und Erläuterung etlicher in jüngst baierischer aufgerichteten Polizeiordnung begriffenen Artik. von 1557, und der fürstlich baier. Landsordnung weitere Erklärung samt etlichen neuen abgehängten, aufgericht 1578; enthaltend Bestimmungen über Siegelmäßigkeit, Kirchengut, Vormundschaft, Gesindeordnung, Kleiderordnung und Gantprozeß. Von dem
 
 
  • 29) Abgedruckt in Westenrieder's glossar. germ. lat. nr. {1} p. XXXIV.
  • 30) baier. Landtagshdlgen. XIII. Bd. S. 156.
  • 31) baier. Landtagshdlgen. XVI. Bd. S. 357.
{1} Zahl unleserlich
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  J. 1520 an beginnen auch in Baiern die neben den größeren Rechtssamlungen fortlaufenden einzelen Verordnungen, gewöhnlich Generalien genannt. Die Art ihrer Bekantmachung, da man blos in Briefform den einzelen Pfleggerichten und Ständen die Exemplare zusendete, erschwert eine zuverläßige und vollständige Angabe dieser Verordnungen, von welchen die geltenden in den Samlungen von Kreitmair und von Mayr später zusammengestellt sind.♦  
  Über den Gang der Gesetzgebung enthalten aber die baierischen Landtagshandlungen nur wenig, bis im J. 1605 auf dem Landtage die Klagen der Stände über Besetzung der Gerichte mit jungen unerfahrnen Leuten, über die Entscheidungen nach gemeinem Rechte, und die vielen Controversen laut werden, und den Beschluß zur Folge haben, nach welchem einem Ausschusse aufgetragen wird, ein Project zu einem Gesetzbuche zu entwerfen. Am 12. März 1610 wurde auch das vorgelegte Project an die damaligen Regirungen Landshut, Straubing, Burghausen zur Prüfung und zum Gutachten gesendet. Diese Gutachten finden sich noch im Mscpt. unter dem Namen: Concordantien des Landrechts vor, und sind merkwürdig für die Geschichte der Gesetzgebung und des Studiums.♦  
  Auf dem Landtage von 1612 wurde das revidirte Project den Ständen wiederholt vorgelegt, und (27. Sept.) 1616 unter dem Namen: Landrecht, Polizei-, Gerichts-, Malefiz- und andere Ordnungen, zu München publizirt. Das Gesetzbuch ist nicht mehr, wie die frühern es waren, eine Samlung von blos einheimischen Gesetzen, das römische Recht wird darin schon aufgenommen, und der Versuch gemacht, durch eine Mischung des gemeinen und des einheimischen Rechts eine Art von Vollständigkeit zu gewinnen. Das Gesetzbuch enthält I. den summarischen Prozeß, II. den Gantprozeß , III. Gerichtsordnung, IV. das Landrecht, V. Erklärung der Landesfreiheit, VI. die Lands- und Polizeiordnung, VII. Forstordnung, VIII. Gejaids(Jagd)-Ordnung, IX. Malefizprozeßordnung. Auch von 1616 laufen in ununterbrochener Reihe allgemeine Verordnungen (Generalien).  
  Erst unter der Regirung des Kurfürsten Maximilian III. erhielt Baiern umfassende Gesetzsamlungen. Zur Ausführung des Werkes wurde A. V. Freiherr von Kreitmair (geboren 1705) gebraucht 32). Unterstützt durch ausgezeichnete Talente, umfassende Kentnisse des gemeinen Rechts, vertraut mit der Reichspraxis, ausgerüstet mit einem seltenen praktischen Sinne, arbeitete er 19 Jahre an dem Gesetzgebungswerke, von welchem zuerst 1751 der Codex juris bavarici criminalis, 1753 der Codex judiciarius, und 1756 der Codex Maximil. bav. civilis (aus 4 Theilen bestehend) erschien. Von dem nämlichen Fr. v. Kreitmair besitzt Baiern auch die Stelle einer authentischen Auslegung vertretende Anmerkungen zu allen diesen Gesetzbüchern.♦  
  Der Zweck des Verf. bei seinen Gesetzbüchern war bloß die große vorliegende Masse von Rechten zu sammeln, das römische Recht in Verbindung mit dem einheimischen Rechte systematisch darzustellen, und be-
 
 
  • 32) Seine Biographie (freilich nur kurz) in Steingruber Abhandlungen über dunkle Gesetzesstellen. Landshut 1814. nr. 1
 
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  sonders die Controversen des gemeinen Rechts abzuschneiden, und von den verschiedenen Meinungen eine der damals geachteten, oft dem reinen römischen Rechte ganz unbekannte, durchaus unrichtige, als künftig geltende zu sanctioniren, daher auch das Publikationspatent selbst sagt: daß nicht viel Neues im Gesetzbuche enthalten sey. Diese Gesetzbücher mit Ausnahme des Codex criminalis gelten noch jetzt in Baiern, erläutert und vermehrt durch einzelne nachgefolgte Verordnungen 33).♦  
  Ein neuer Geist belebte aber die Gesetzgebung Baierns seit dem Regirungsantritte des jetzigen Königs. Überall äußerte sich das wohlthätige Streben, die Hindernisse der Landeskultur zu entfernen, alte Mißbräuche wurden abgeschaft, der Übergewalt der Grundherren wurde durch Gesetze entgegengewirkt, die Cultur des Bodens sollte, wenn freilich auch oft durch unzweckmäßige Mittel, z. B. unbedingtes Gebot der Vertheilung der Gemeindegründe, befördert werden; manche Beschränkungen des Eigenthums wurden aufgehoben, z. B. Bannrechte; der Übergang zu einer, gerechte Gleichheit vor dem Gesetze begründenden Gesetzgebung wurde vorbereitet.♦  
  Im J. 1808 1. Mai erhielt das Reich eine allgemeine Constitution, in welcher (Tit. I. § 3.) die Leibeigenschaft aufgehoben, Gleichheit der Unterthanen vor dem Gesetze gesichert, und die große Zahl der Vorrechte des Adels, die zum Nachtheile der übrigen Bürger waren, beschränkt. Die nachfolgenden Edicte 31) sollten die neue Verfassung ins Leben überführen, wohin vorzüglich die Edicte über den Adel, die Majorate, gutsherrlichen Rechte, Patrimonialgerichtsbarkeit etc. gehörten; die Ablösung der Renten und die Verwandlung des beschränkten Eigenthums wurde versucht. Vieles wurde versucht, vieles zu früh, was nicht ausgeführt werden konnte, weil es an der Vorbereitung dazu fehlte.♦  
  Mit der Veränderung des politischen Systems Baierns änderten sich auch manche Ansichten der Gesetzgebung, mancher Schritt mußte rückwärts gemacht werden, die Patrimonialjurisdiction wurde durch das Edict von 1812 ausgedehnter, und die Macht der höhern Stände wuchs wieder, jeweniger die Regirung ihre frühern Edicte ausführen konnte. Die Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 gab eine neue gewiß dauernde Grundlage der Gesetzgebung, da die Verfassung auf gerechten Grundsätzen beruht, die gleichweit entfernt vom unbedingten Zurückschreiten zum Alten, wie von dem revolutionären Vertilgen aller alten heiligen Institute, mit Mäßigung und Klugheit durchdacht, festgesetzt sind; die früher aufgehobenen Beschränkungen des Privateigenthums und
 
 
  • 33) Die ältere Samlung dieser Generalien von Kreitmair Samlung der neuesten und merkwürd. churbaierisch. Generalien. München 1771, G. K. Mayr Samlung der churpfalzbaier. Landesordnungen. Münch. Bd. I. II. 1784, III. IV. 1788, V. 1795. Samlung der Generalien und Verordnungen seit der Regirung Maximil. Joseph von 1799 (v. Mayr) Münch. III. Bd. 1802. und zweifache Register darüber.
  • 34) Die Gesetze der jetzigen Regirung sind erschienen in den Regirungsblättern, und gesammelt in dem Handbuche der Statsverfassung und Statsverwaltung des Königreichs Baiern. München 1809— 13. VII Bde. und Döllinger Repertorium der Statsverwaltung des Königr. Baiern. Münch. 1815 — 17. VII Bde.
 
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  der persönlichen Freiheit bleiben auch jetzt noch aufgehoben, dem Adel, den höhern Beamten und den Priestern sind Vorrechte garantirt, deren Genuß nicht die übrigen Bürgern drückt, und doch die nothwendige höhere Standesehre fodert. Dem Adel ist unter Bedingungen, wodurch Mißbrauch verhindert wird, das Mittel, den Glanz der Familie durch Familienfideicommisse zu gründen, eröfnet, die Patrimonialgerichtsbarkeit ist auf gerechte Grundsätze zurückgebracht. National- und Privatcredit ist durch Hypothekenbücher gesichert, die freie Rede jedem gewährt, und durch eine weise organisirte Landstandschaft das Verhältniß des Herrschers zum Volke vermittelt 35).♦  
  Auch an größern legislativen Arbeiten fehlt es in Baiern seit dem Regirungsantritte des jetzigen Königs nicht. Schon 1800 erhielt Prof. Kleinschrod den Auftrag, ein Strafgesetzbuch zu entwerfen; der Entwurf wurde im In- und Auslande geprüft, aber nicht genehmigt; dagegen bekam Feuerbach (damals in Kiel), der die beste Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs geliefert hatte, den Auftrag, einen neuen Entwurf zu verfertigen, der auch 1810 vollendet, und 1813 unter dem Titel: Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern, München 1813, genehmigt wurde 36). Schon 1816 wurde das Kapitel über den Diebstahl verändert, so wie eine große Zahl von abändernden und erläuternden Rescripten 37) existiren.♦  
  Bei den von 1806 — 1813 bestehenden Verhältnissen Baierns zu Frankreich, sollte Baiern auch französische Gesetzgebung adoptiren 38); obwol auch als Übersetzung und Umarbeitung des Code Napoleon drei Hefte Entwurf: allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für Baiern (München 1808) zu Stande kamen, so wußte man doch mit Klugheit der Annahme des französischen Gesetzbuchs zu entgehen. Entwürfe zu Civil- und Civilproceß-Gesetzbüchern, liegen bearbeitet von Feuerbach, Gönner, Aretin zwar zur Berathung vor, haben aber noch keine Genehmigung erhalten.
 
  • 35) Die Verfassungsurkunde mit den Edicten gesammelt in Döllinger's Verfassung des Königr. Baiern. I Bd. Münch. 1818.
  • 36) Die Geschichte der Abfassung dieses Gesetzbuchs erzählen die Anmerkungen zum Strafgesetzbuche. Einleitung. I Thl. S. 10 — 19.
  • 37) Gesammelt in d. Jahrbüchern der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königr. Baiern, von Gönner und Schmidtlein I Bd. Erlang. 1818, und zu v. Aretin's Jahrbüchern der Gerechtigkeitspflege in Baiern etc. Neuburg 1818. II Bd.
  • 38) Den über Einführung des Code Napoleon in Baiern im Statsrathe gehaltenen Vortrag s. in Feuerbachs Themis oder Beiträge zur Gesetzgebung (Landsh. 1812). nr. I.
 
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Stand: 11. Dezember 2017 © Hans-Walter Pries