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Seckendorff: Teutscher Fürsten-Staat HIS-Data
5226-4-2
Vierter Theil > N. II
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Bestallung eines Cantzlars und Hof-Raths
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S. 683 (Forts.) N. II.
  Bestallung eines cantzlers, als ferne derselbe in einer fürstlichen oder gräflichen cantzley in ordentlichen justitien- und policey-sachen dirigiret, und also selbst ein Hof- und Justitien-Rath ist. Scan 703
  1. Nachdem wir unsere Hof- und Justitien-Räthe zur administration der heilsamen justitz, auch erhaltung löblicher guter policey und ordnung, fürnemlich bestellet, welches beyderley wir gewissens und rechtswegen schuldig sind, nach allem fleiß in acht nehmen, und also unsern land-ständen und unterthanen ins gemein gleich und recht unpartheyisch und unverzüglich wiederfahren zu lassen, das gute zu fördern, und das böse zu straffen, als soll unser cantzler seine gantze amts-verrichtung nach diesem zweck und vorsatz bey sich selbst fassen, und sein vornehmstes absehen, seiner uns bekanten und berichteten geschickligkeit und wissenschafft nach, darauf einrichten.
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  2. Auf daß aber unser Cantzler, Hof-Rath, zu seinem amt und dienst die behörige special-erkundigung haben, und also mit gutem grunde in allen sachen verfahren könne: So soll er sich mit fleiß ersehen, in unsers fürstenthums general und aller ämter, herrschafften und gerichte special-beschreibung, und sich daraus sonderlich bekant machen, wie weit, und über welche personen sich unsere oberste Landes-Fürstliche hoheit und botmäßigkeit, wie auch unserer cantzley und ämter unmittelbare gerichtbarkeit, erstrecken, so dann auch, welche von unsern land-ständen und unterthanen sonderbare cantzleyen, hohe oder niedere gerichtbarkeiten haben, was ihnen darüber für concessiones, privilegia und abschiede ertheilet, oder was dem herkommen gemäß sey, damit also uns, dem Landes-Herrn, unser hohes regal der obersten Landes-Fürstlichen jurisdiction in schwang bleibe, und dennoch auch unsern ständen und untersassen ihre befügte gerichtbarkeit nicht gekräncket werde: Und soll er zu diesem ende ein ausführlich namentlich verzeichniß aller unserer beamten, auch aller unserer stände, die unter uns und unserer cantzley ohne mittel gesessen, bevorab aber derer, die gerichte haben, und ihrer räthe und gerichts-verwalter, in der cantzley bey handen halten lassen.
  3. Ingleichen sollen ihm auch bekant seyn alle unsere käyserliche lehen-briefe und privilegia, auch alle verträge und abschiede, die wir mit unsern freunden und nachbarn, auch mit unsern land-ständen ingesamt, oder insonderheit haben, so fern darinnen
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  von landes-fürstlicher hoheit, gerichtbarkeit, policey-sachen, gräntze, und dergleichen, einige verordnung geschiehet, wie denn solche urkunden entweder gantz oder in denen puncten, welche jetztgedachter massen in unserer cantzley zu wissen nöthig, in eigene copial-bücher gebracht, und in der rathstuben seyn sollen.
  4. Soll ihme auch angelegen seyn, alle unsere sachen, die im stand-rechtens, entweder vor des H. Reichs Austrägen, oder dem Kayserlichen oder Hof-Cammer-Gericht anhängig sind, entweder selbst aus den acten zu erlernen, darüber kurtze auszüge und relationes zu verfassen, oder, daß es von andern unsern ihme zugeordneten hof-räthen geschehe, austheilung und anordnung thun: wie denn auch solche sachen in ein besonder memorial gebracht, und in welchem stande oder puncte des processes eine jede beruhe, nach und nach darzu gezeichnet seyn solle, damit man jedesmal die nothdurfft zu rechter zeit bedencken könne.
  5. Alle unsere allgemeine landes- und policey- oder von einem und andern darzu gehörigen stück ausgelassene, auch unsere kirchen-ordnung, general-mandata und ausschreiben, darinnen von rechts- oder policey-sachen einige versehung gethan, oder darüber zwischen unsern unterthanen maasse und verfügung gegeben wird: Absonderlich aber unsere cantzley-ordnung, dann die bestallungen unserer cantzley-verwandten, auch deren zu justitz-sachen bestellten beamten, auf dem lande, endlich auch die bekräfftigte oder in unstreitigem herkom-
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  men befundene statuten und willkühren unserer städte und ämter, auch die innungen oder ordnungen der handwercker unserer lande, sollen gleicher gestalt unserm Cantzler und Hoff-Rath entweder nach unterscheid der wichtigkeit allerdings oder doch also bekannt seyn, daß er sich leichtlich daraus weiters informiren könne: da denn abermahls von nöthen, daß alle jetzt-erzehlte und dergleichen stücke entweder im druck, oder geschrieben, in ordentlichen büchern bey den rathstuben in bereitschafft, auch darüber ordentliche register und auszüge verfertiget seyn.
  6. Und nachdem unsere lehenschafften, welche von uns andere stände, oder prälaten, grafen, herren, adels-personen und geringern standes leute, auch städte und gemeinden zu empfahen und zu tragen schuldig, in unsers Hof-Raths, und bevoraus des Cantzlars (oder Lehen-Probstes) aufsicht gehören, soll er sich deren gelegenheit und unterschied nach und nach wohl erkundigen, und die darüber verfaßte Lehen- oder Saal-bücher und registraturen in guter ordnung bey handen halten lassen.
  7. Diesem nach, und dieweil ihme, unserm Cantzlar und Hof- Rath, die wissenschafft des gemeinen rechtens, auch des H. Römischen Reichs satzungen und abschiede, ohne das beywohnet, wollen wir ihn in gemein dahin gewiesen haben, daß er zum grunde aller seiner rathschläge und gutachtens, zuförderst zwar die furcht Gottes, und die anweisung der göttlichen und natürlichen rechte legen, in
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  allen vorkommenden sachen aber auf verträge, abschiede, testamenta, und andere kräfftige, zwischen denen partheyen gemachte, oder dieselben bindende verordnungen, auf privilegia, investituren oder lehen-brieffe, begnadigungen und concessionen, statuta und willkühren: In mangel aber solcher special urkunden und maßgebungen, auf unsere landes-ordnungen, land-rechte und constitutiones, auch die gemeine, zuläßige, erbare und unstreitige gewohnheiten, aus des Reichs-satzungen und abschiede, und auf die gemeine kayserliche, auch so weit sie in unsern landen üblich sind, päbstliche oder canonische rechte, sein absehen haben, und daraus, nach unterscheid der fälle, auch eines jeden suchen und vorbringen, die ursach seiner meynung und entschuldigung nehmen und anzeigen soll.
  8. Demnach wir denn eine besondere cantzley-ordnung verfassen lassen, darinnen klärlich vermeldet, wie und zu welcher zeit unsere hof-räthe, secretarien und cantzley-verwandten, sich in der rath-stuben und cantzley täglich versammlen, wie es bey den räthen mit der proposition und umfragen, votiren, referiren, registriren, aufsetzung der concepten, deroselben revision, unterschrifften, siegel und ausfertigung, so dann mit vorbeschieden und verhör der partheyen, gehalten werden solle, als hat sich unser Cantzlar und Hof-Rath darnach eigentlich nicht nur für sich zu achten, sondern auch, als der director des collegii, für andern ein wachsames aufsehen auf solche ordnung
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  zu führen, damit weder von unsern ihme zugeordneten räthen, noch denen cantzley-verwandten, darwider gehandelt werde, massen ihm auf vermerckte unordnung gebühren soll, seine collegen, auch die secretarien, und andere personen der cantzley, nach gelegenheit mit glimpff und bescheidenheit, auch alles ernstes dißfalls vermahnen, oder da es nichts verfangen, oder ihme der handel zu schwer fallen wolte, uns darvon unterthänige anzeigung zu thun.
  9. Damit er denn diese aufsicht und direction, auch sonst sein amt und beruff, und darzu gehörigen respect, desto besser behaupten könne, so wollen wir das gnädige vertrauen schöpffen, auch hiermit ihme eingebunden haben, daß er selbst seine vota und meynungen, wie vorhero n. 7. gedacht, mit gutem grunde, auch deutlich, kürtzlich und mit bescheidenheit ablegen, seine collegen auch darmit gerne hören und vernehmen, keinem darinnen zur ungebühr ins wort fallen, oder sein vorbringen gehäßig aufnehmen oder durchziehen, sondern was er zu erinnern hat, mit glimpff und höfflichkeit anzuführen, auch der ordnung gemäß, dem referenten das erste votum lassen, seine stimme zuletzt geben, nach den meisten votis, wenn man auf die erste umfrage nicht einmüthig würde, beschliessen, nach gelegenheit der fälle, uns im collegio, oder mit zuziehung eines oder andern daraus, treulich referiren, seine und seiner freunde und anverwandten sache nicht zugleich führen, noch in rathschlägen darbey sitzen, sondern, wie rechtens und ordnung
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  gemäß ist, von der consultation abtreten, und sich auch sonst in gemein aller partheylichkeit, oder eiferiger zuneigung zu dieser oder jener sache, die etwa recommendiret oder angenehm wären, gäntzlich enthalten, und also in allen expeditionen die gleichheit und ordnung in acht nehmen werde und solle.
  10. Bey unsern secretarien und registratoren, auch andern cantzley-verwandten, hat er dahin zu sehen, daß die rath-schlüsse oder decreta mit fleiß und deutlich in die registratur gebracht, die darinnen anbefohlene bescheide, citationes, resolutiones, befehle und weisungen, in reiner teutscher sprache, nach üblichem cantzley-stylo und hergebrachter titulatur, abgefasset, auch zur revision, und wenn sie reiniglich und wohl mundiret, zur unterschrifft und siegelung vorgetragen und ausgefertiget, hernachmals die concepta zu ihren Acten gehöriger orten ordentlich geleget werden, zu dem ende er öffters in der cantzley, nach eines jeden secretarii, registratoris und cantzelisten, repositur sehen, auch daran seyn soll, daß unser archiv jährlich visitiret, und in seiner gebührenden ordnung erhalten werden möge.
  11. Was denn ferner die vornehmsten stücke seiner verrichtung an sich selbst belanget, ob wir wohl diejenige sachen, so zu erhaltunq unsers fürstlichen staats eigentlich gehören, unsern geheimen räthen zur expedition absonderlich aufgetragen (oder derer deliberation von justitz-sachen abgesondert) so soll doch unser Cantzlar und Hof-Rath schuldig
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  seyn, wenn in denen parthey-sachen, oder andern, die für unsere hof-räthe[1] gehören, etwas vorkömmet, daraus unserm staat' und landes-fürstlichen respect und hoheit nachtheil zu gewarten stünde, solches mit unsern geheimen räthen zu communiciren, oder uns selbst, wenn wir in die rath-stube kommen, zu eröffnen, damit wir uns darauf resolviren mögen. Wie nun unser cantzlar ohne das zu gleich und ordentlich seine stelle in unserm geheimen rath auch hat, also werden wir, in berathschlagung wichtiger dinge, ihn oder andere aus dem collegio unserer hof-räthe, wenn die sachen zumal mit reichs-fragen vermischet sind, oder die policey und ordnung im lande antreffen, darzu zu ziehen wissen: Als wir denn auch ingemein unserm cantzlar und hof-rath einen freyen zutritt zu uns, zu aller bequemen zeit, verstatten, und nicht allein gnädig aufnehmen, sondern auch, seinen pflichten nach, von ihme hiermit erheischen wollen, daß er nichts, so er zu unser wohlfahrt, ehre und aufnehmen, oder abwendung schimpffs und schadens, gewissens und ehre halben, zu gedencken, für nöthig bey sich erachtete, verschweigen, sondern solches bey uns, wie gedacht, freymüthig eröffnen möge. ⇩ [1]
  12. Da wir ihme in denen am kayserlichen hof- oder cammer-gerichte, oder für austrägen oder commißionen schwebenden unsern rechtfertigungen, auftragen würden, unsere nothdurfft nach gelegenheit des processes, selbst schrifftlich zu verfassen oder denen von uns bestellten agenten, advocaten und procuratoren, deswegen nachrichtsame instruction
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  fürzuschreiben, soll er darzu unverdrossen, und solche mit allem fleiß und guten grund zu begreiffen, beflissen seyn.
  13. Wenn auch über unsere anstalten und verfügungen aus unserm geheimen rath, oder der renth-cammer, ein und ander unterthan oder auch ein fremder, sich bey uns beschwerte, und wir, löblichem gebrauch nach, unsere hof- und justitien-räthe darüber vernehmen, und ihre bedencken, wie weit wir ob ein- und anderer solcher anordnung zu halten befugt wären, erfordern würden, soll er uns ohne scheu und befürchtende ungnade seine meynung, wie er solche denen rechten und seinem gewissen gemäß befindet, darüber entdecken, und ihn daran seine leistende pflicht nicht hindern, sondern vielmehr zu aufrichtigen unpartheyischen voto antreiben lassen, wo es auch die Reichs-satzungen und landes-brauch zuließen, und erforderten, daß wegen unserer cammer-güter, und anderer eigenen angelegenheiten, auf eines oder andern klage und beschwerung, wir die sache vor unsern räthen ventiliren, oder auch unsere cammer-und fiscal-advocaten klägers stelle nehmen würden, soll unser Cantzler und Hof-Rath schuldig seyn, wie oben gedacht, ohne particular-absehen, auf unsern nutzen und gefallen, in der sache mit votiren, anordnen und bescheid geben und verfahren, wie wir ihm denn in solchen fällen der pflicht, damit er uns absonderlich zugethan, erlassen haben, auch solches jedesmahl durch absonderliche schrifftliche scheine bezeugen wollen und werden.
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  14. Uber unsern und unserer vorfahren gemeinen und durchgängigen landes- und policey-ordnungen, auch sonderbaren, solche puncte betreffenden satzungen, ausschreiben und mandaten, soll unser Cantzler und Hof-Rath mit allem ernst und fleiß halten, und was für fälle und umstände darinnen entweder den buchstaben oder klarer consequenz nach decidiren, anderst nicht, als nach denselben unsern ordnungen, sprechen und anordnen, vielweniger durch unsere land-stände, und dero gerichte, solche in zweiffel ziehen, oder darwider dispensiren, oder gar übergehen lassen, ihre zu der obersten erkänntniß der hof-räthe gebrachte bescheide und anstalten darnach reformiren und einrichten: Da aber zweiffel vorfiele, ob und wie ein oder anderer fall darinnen entschieden sey, oder nicht, oder ob dargegen ein- oder anderer person eine dispensation oder nachlassung zu vergönnen, uns selbst davon unterthänige relation, neben gesamten gutachten des collegii, erstatten, und unserer verordnung darauf gewarten: Vor sich aber keine neue im buchstaben, und dessen gesundem verstande nicht selbst begriffene auslegung, vielweniger eine dispensation vornehmen, oder von andern zu thun nachlassen: So soll uns auch zu gnädigem gefallen gereichen, wenn unser Cantzler und Hof-Rath, durch veranlassung vorlauffender händel und mißbräuche, unterthänig an die hand geben wird, weitere nützliche ordnung zu bedencken, und aufzurichten.
  15. In unserer hohen jurisdiction und erthei-
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  lung des rechtens soll sich unser Cantzler und Hof-Rath nach der oben beym 7. punct bedeuteten norm und richtschnur allerdings achten, und insonderheit, nach äuserstem vermögen, und bestem wissen und verstand dahin sehen, daß die heilsame justitz, sonder alle partheyligkeit, administriret werde, zu welchem ende er nicht allein sich in sachen, die ihn oder seine nahe angehörige freunde betreffen, des rath-sitzes und aller anordnung enthalten sondern auch in allen andern fällen weder haß noch freundschafft ansehen, vielweniger durch verheissung, geschencke und gaben, sich verblenden und beugen lassen soll, wie wir ihn denn hiermit absonderlich dahin ermahnet haben wollen, sich aller geschencke in streitigen rechthängigen parthey-sachen zu äussern, und diejenige, die ihm dergleichen mit einigem absehen auf ihre angelegenheit anbieten, mit ernst von sich zu weisen, auch, damit aller böser schein und andere daher fließende consequentz, vermieden bleibe, wollen wir, daß er in seiner behausung denen partheyen, die im recht hangen, und ihn anzusprechen gedencken, entweder solchen absonderlichen zutritt gar abschneide, und sie, da sie etwas zu erinnern und vorzubringen hätten, auf die cantzley weise, daselbst er, nach gelegenheit, ihr anbringen hören mag, oder, da er ja höfligkeit halben solche privat-ansprache nicht vermeiden könte, er doch nur bey gemeinem erbieten, zu förderung recht-billichmäßiger verfügung verharre, oder sie mit wenigem dahin weise, daß, wo sie zu klagen hätten, sie solches gehöriger orten ordentlich thun möchten. Er soll
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  auch in denen dingen, darüber sich solche leute bey ihm beschweren, die schuld nicht auf seine collegen, oder andere legen, und dadurch ihnen nachrede und schimpff zuziehen, sondern wo er auch gleich bey anordnung einer sachen nicht gewesen, den respect des collegii behaupten, biß ein anders durch die partheyen ausgeführet worden, keinesweges auch, als welches ohne das zu rechte verboten und hochsträfflich ist, so er in einiger sache, die schon in unserer cantzley anhängig wäre, oder dahin gelangen könte, rathschläge rechtliches bedencken, oder andern vorschub, denen partheyen ertheilen, oder ihre schrifften und supplicationes stellen und verbessern: Wo aber unser rath seine und der seinigen sache, als kläger und antworter, für unsern gerichten führen, oder jemand ausserhalb unsers fürstenthums mit rath und rechtlichen bedencken (doch ohne ordentliche advocatur und bestellung) an die hand gehen wolte, das soll ihm ungewehret seyn.
  16. In der ordnung und beförderung der parthey-sachen soll er sich unser cantzley-ordnung, auch den gemeinen rechten nach, verhalten, und jede in dem stand, wie es der proceß erfordert, fürnehmen und erledigen lassen, es wäre denn, daß armer wittwen, pupillen und wäisen, händel, welche zumahl ihre alimentation und hohe nothdurfft angiengen, vorfielen, oder wo grosse verbitterung und thätligkeit zwischen den partheyen obhanden oder zu befahren wäre: Item, in peinlichen fällen, und dergleichen. Ausser dem aber soll er, die am längsten gewähret haben, und die auf bescheid stehen, zu för-
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  dern nicht unterlassen, keinesweges aber auf blosse recommendation und ungestürmten anlauff des interessenten diejenigen, die sonst wohl warten können, zu stopffung und hinderniß der andern, herfür ziehen.
  17. In allen streitigen rechts-sachen soll er unverdrossen seyn, ehe es zum proceß kömmet, die gütliche handlung nicht nur obenhin, sondern mit allem ernst und fleiß vorzunehmen, zu welchem ende er die beschaffenheit und umstände der sachen, so weit sie aus der partheyen vorbringen abzunehmen, beyden theilen mit guter dexterität vorstellen, und so weit ohne abschreckung von ihren rechten, und unzeitiger vermeidung des bescheids geschehen kan, keine dienliche motiva zu einem billich-mäßigen vergleich unterlassen, da es aber nicht zu erhalten stünde, keinem deswegen das recht oder gebührliche weisung versagen, oder da auch gleich eine sache in ordentlichen proceß fortgeführet würde, oder schon auf dem urtheil oder auf der execution stünde, und es gebe eine parthey anlaß darzu, oder würde sonst, etlicher umstände halben, und der sachen wichtigkeit nach, für gut befunden, soll er sich, neben seinen collegen, wo es ohne sonderen kosten und auffenthalt des andern theils geschehen mag, der anderweit gütlichen handlung abzuwarten, nicht verdrießen lassen.
  18.[2] Wir wollen auch keinesweges geschehen lassen, daß in absehen auf unsern staat und hoheit, oder auf die vornehmen personen der partheyen, eine für unsern justitien-rath gehörige sache, in ihrem ordent- ⇩ [2]
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  lichen lauff gehemmet, oder auf andere weise, als sich, nach gemeinen land-recht und ordnung, gebühret, darinnen verfahren oder bescheid gegeben werde, jedoch wird unser Cantzlar und Hof-Rath daran seyn, daß wofern darbey eintziges unser regal und interesse mit unterlieffe, solches zu seiner absonderlichen gehörigen betrachtung uns und in unserm geheimen rath, wir oben n. 11. gedacht, vermeldet, auch insgemein in den wichtigen fällen, deren berathschlagung und entscheidung wir selbst unserer cantzley-ordnung nach, beyzuwohnen, und die endliche resolution zu fassen haben, uns gebührende relation gethan, und ohne unsern vorbewust nicht verfahren werde.
  19. Uber unserer hohen jurisdiction ingemein soll unser Cantzlar und Hof-Rath alles ernstes halten, und darvon keinem aus unsern land-ständen und unterthanen einige dem herkommen nicht gemässe exemption nachsehen, vielweniger zugeben, daß sie für fremde gerichte ausser landes, unsern privilegien und den reichs-rechten zuwider gezogen werden, sondern wo er dergleichen etwas innen wird, soll er uns davon unterthänige anzeige zu fernerm gebührendem einsehen erstatten. Hingegen soll er auch unsern mit gerichten belehnten, oder sonst solche in herbringen habenden land-ständen, oder denen von uns selbst verordneten gerichten, ihre erste instantien durch frühzeitiges anlauffen der partheyen nicht abstricken, oder solche für ihnen rechthängige sachen zur unzeit und ausser denen fällen, die im recht und denen landes-ordnungen verse-
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  hen, von ihnen ab- und für unsere cantzley ziehen: Vielweniger soll er fremden gerichten, zur ungebühr und verbitterung zwischen uns und ihnen eingriff thun, sondern wo etwas von unsern ständen und unterthanen an fremden örtern zu klagen wäre, welches sie durch unzeitige arreste, oder in andere unzuläßige weise, vor unsere cantzley ziehen wolten, sie deswegen zur ruhe weisen, und allen falls, auf ihr begehren, mit vorschriften, compaß- und promotorial-briefen, versehen lassen.
  20. Uber dem proceß, wie er bey unserer cantzley, den rechten und landes-brauch nach, herkömmlich ist, soll er mit allem fleiß, daß er in seinem gleichmäßigen stande bleibe, obsicht führen, und ihn niemands zu lieb oder zu leid ändern, kürtzen oder verlängern lassen, auch zu diesem ende unsere hof-advocaten, und keine fremde, ob die gleich sonst den partheyen rathen, und mit ihnen für unsere cantzley erscheinen mögen, die vorträge und anbringen bey der cantzley thun lassen, sie auch auf die ordnung, und ihnen insonderheit zugeschriebene puncten, so offt es nöthig, anweisen, auch ihre verbrechen und überfahrungen, der gebühr nach, abstraffen.
  21. Nachdem auch bey denen fürstl. cantzleyen gebräuchlich, und bey den unserigen gleicher gestalt herkommens, daß die partheyen, wegen der gerichtlichen anordnungen, als zum exempel, citationes, bescheiden, recessen, zeugen-verhör, attestaten, consensen, und dergleichen, etwas zur gebühr reichen, welches hernach gewöhnlicher massen unter unsere bey der rathstuben und cantzley bediente
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  vertheilet wird, so soll unser Cantzler und Hof-Rath keinen mißbrauch deßwegen einreissen, oder mehr, als in unserer cantzley-ordnung und tax versehen ist, von jemands abfordern, auch arme unvermögende leute damit, der ordnung gemäß, nach gelegenheit, gar verschonen, oder milder tractiren lassen: Offter auch bey der cantzley, dieses puncts halber, nachfrage halten, damit niemand über gebühr beschweret werde.
  22. In criminal- oder peinlichen sachen, darbey unserer unterthanen oder anderer armen menschen, leib, ehr und gut, in gefahr stehet, soll unser Cantzler und Hof-Rath gewissenhafft, und mit grossem bedacht für sich selbst verfahren, auch seine collegen und cantzley verwandten zu gleichmäßiger behutsamkeit anmahnen, die acten mit grossem fleiß überlegen, die beamten, denen die führung des processes in solchen sachen oblieget, deutlich und ordentlich befehligen, solche sachen, wo zumahl gefangene sind, nach müglichkeit beschleunigen, gleichwohl auch keinen an seiner verantwortung verkürtzen, sondern darzu, mit verstattung zeit und gelegenheit, befördern, in zweiffelhafften schweren fällen aber allezeit den gelindesten, als schärffsten weg gehen, die acten zu endlichem urtheil, auf unsere verordnete, oder sonst gelehrte und berühmte collegia der rechts-gelehrten, völlig und ordentlich verschicken, das erlangte urtheil darnach mit allem fleiß gegen solche acten weitere betrachten, und deren keines ohn unsern vorbewust und befehl, zumahl da es das endliche, oder auf einen wichtigen punct des proces-
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  ses, gesprochen wäre, zur execution kommen, da aber solche einmahl angeordnet, und darwider kein rechtliches mittel wäre, ohne unsern special-befehl dieselbe nicht verzögern lassen.
  23. Auf unserer land-stände gerichte, auch unsere eigene ämter soll er auch gute inspection haben, daß dieselben mit tauglichen, redlichen, und der rechte verständigen personen, versehen und bestellet seyen, oder, da dißfalls gröblicher mangel erschiene, wir deßwegen erinnert werden, damit änderung fürgenommen werden möge. So soll er auch in fällen, wo die unter-gerichte den proceß aus den augen setzen, oder partheyisch und ungestalt verfahren, aus der partheyen beschwerung geziemende monitoria und unterweisungs-befehle aus unserer cantzley an dieselbe abgehen, oder, nach befindung der umstände und rechtmäßigen ursachen, commisiones und adjunctiones, oder endlich die gäntzliche advocation fürgehen lassen.
  24. In denen an uns von denen unter-gerichten gelangenden appellationen und supplicationen (woferne wir nicht einen besondern appellation-rath bestellet) soll unser Cantzler und Hof-Rath vor allen dingen dahin sehen, ob die zu recht gesetzte zeit darbey in acht genommen, wo dasselbe kundbarlich nicht geschehen, die vergebliche supplicanten bald abweisen, in andern rechtmäßig interponirten, oder doch auf anführung der formalien stehenden appellationen, soll er dasjenige, was dem land-recht und der cantzley, auch appellation-ordnung gemäß ist, zu befördern wissen, auch inson-
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  derheit darauf sehen, daß in denen unter-gerichten das beneficium appellationis und supplicationis zu beschwerung der partheyen, und unterbrechung unserer hohen regalien, nicht gehindert oder schwer gemacht werde. Wie er denn auch bey unser cantzley selbst die remedia wider die cantzley-bescheide und urtheile, welche die partheyen zuläßiger weise und unbeschadet unserer privilegien, fürnehmen wollen, nicht hindern, oder sie deswegen übel anlassen, sondern wie sichs zu recht gebühret, darinnen gern und willig verfahren lassen soll.
  25. Weil denn ohne gebührende handhabung und execution die gerichtbarkeit vergeblich, und aller deswegen aufgewandter kosten umsonst ist, so wollen wir, daß unser Cantzlar und Hof-Rath auch diesen punct unsers regiments fleißig beobachte, und nicht allein auf die bey unser cantzley gesprochene und publicirte rechts-kräfftige urtheile, bescheide und decreta, die nothdürfftige commissiones und befehle ad exequendum an unsere beamte oder die unter-richter zu rechter zeit, auf der partheyen suchen, in entstehung gütlicher accommodation anordnen, und solche durch vergebliche ausflüchte nicht aufschieben und umdrehen, sondern auch in die unter-gerichte, da sich jemands über die verzögerte hülffe beschwerete, gebührende anregungs-befehle ergehen lasse. Doch wollen wir, zumal in grossen wichtigen fällen, in weitläufftigen zusammen-rechnungen, und zwischen nahen anverwandten gern geschehen lassen, daß wohl durch besondere vorbescheide, und commißionen der gütli-
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  che vergleich, wie oben gedacht, noch mit fleiß versuchet, auch ingemein in denen executions-terminen selbst, durch den zur execution verordneten, dergleichen zu geschehen, verordnet werden soll, doch daß damit kein mißbrauch oder umtrieb des klägers, dem andern theil zu gefallen veranlasset werde.
  26. Zu erhaltung unsers Landes-Fürstlichen respects auch guter zucht und ordnung, soll unser Cantzler die klar-verordnete oder willkührliche straffen, aus unzeitiger erbarmung oder nachsehung, nicht unterlassen, sondern damit der gebühr und ordnung nach, ausser unserer sonderbaren dispensation, so wohl bey der cantzley verfahren, als auch, daß bey den ämtern und unter-gerichten dergleichen geschehe, mit gebührendem fleiß aufsicht haben, darbey aber keine gehäßigkeit, oder rachgier, sondern sein absehen auf die execution der gesetze und besserung[3] entweder des verbrechers oder anderer leute führen, da auch beweißliche umstände zur linderung sich ereigneten, oder von den delinquenten angebracht würden, solche wohl erwegen, und uns darvon unterthänige eröffnung thun, auf blosses gnade bitten und lamentation aber, welches leichtlich keiner, wie sehr er auch sich verschuldet hat, zu sparen pfleget, soll er die satzungen und rechte nicht durchlöchern, und vergeblich seyn lassen, in hohen peinlichen fällen aber dasjenige in acht nehmen, was oben der 22. punct mit sich bringet. ⇩ [3]
  27. Was wir auch in dieser bestallung und unserer cantzley-ordnung ihm so eigentlich nicht vorschreiben können, sondern nur[4] etliche haupt-pun-
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  cte,[5] zu mehrer seiner aufmunterung in seinem amt und beruff, berühret, damit wollen wir ihn auf dasjenige, was dem göttlichen wort, seinem christlichen gewissen, und der erbarkeit gemäß ist, gewiesen haben, und uns zu ihm gäntzlich versehen, er werde bey diesem angetragenen[6] wichtigen amt, als ein rechts-erfahrner und ehren-liebender mann, sich also erweisen, die privat-affecten dergestalt auf die seite setzen, und in seinem thun reden, und richten, GOtt, den obersten richter, dessen stelle wir dißfalls in solchen irdischen dingen vertreten, und ihn, unsern rath, darzu zu dienst und hülffe gebrauchen müssen, jederzeit dermassen vor augen haben, daß er, so viel in menschlicher unvollkommenheit geschehen mag, uns jedesmal, und einsten Göttlicher Majestät, verantwortung und rechenschafft geben könne. ⇩ [5]


⇩ [6]
  28. Wiewohl auch unser consistorium und cammer mit absonderlichen räthen und assessoren bestellet, so soll doch unser Cantzler und Hof-Rath, krafft dieser bestallung, schuldig seyn, auf unser sonderbares begehren, uns auch in derselben sachen mit rath und expedition aufwärtig zu seyn, ingleichen auf unsere kosten sich zu ehrlichen gewerb und handlungen in und ausser landes instruiren, verschicken und gebrauchen zulassen, und in dem allen sich treulich, fleißig und geschickt, auch bey seiner gantzen amts-verrichtung verschwiegen und geheim erweisen, und nichts offenbahren, oder kund werden lassen, daraus uns unsern angehörigen, auch land und leuten, schimpff und nachrede
S. 703 und Hof-Raths.
  entstehen, oder die befügnisse und heimlichkeiten der partheyen, die für unserer cantzley recht-hängig sind, zur ungebühr ausgebreitet und verderbet werden.
  29. Auf diese bestallung etc. wie Num. 31. in der gemeinen raths-bestallung.
  Nota: Wenn bey einem fürstenthum, wie vieler orten gebräuchlich keine besondere geheime räthe verordnet, sondern die staats- oder geheime- und die justitz-sachen von dem Cantzler und Hof-Räthen ingemein berathschlaget werden, nur daß etwan gewisse tage zu jedweder expedition bestimmet, oder auch öftters etliche personen aus ihrem mittel zu dieser oder jener staats-sache gezogen, etliche aber bey den justitz-händeln gelassen werden, so wird eines Cantzlars und Hof-Raths verrichtung aus der vorhergehenden und dieser bestallung zugleich verfasset, auch, da dieser nicht auf den Cantzler, Präsidenten oder directoren des collegii, sondern einen hof-rath einzurichten wäre, dasjenige, was eine direction nach sich ziehet, ausgelassen oder geändert: Ingleichen wo der cantzler und hof-rath zugleich ein ordentlicher assessor in geheimen rath, consistorio, oder cammer-rath-stuben ist, an statt des 27. puncts, wie leichtlich zu ermessen, auf dieselbe besondere bestallungen anweisung gethan.

  Anmerkungen HIS-Data  
  [1] korrigiert aus: rähe
  [2] korrigiert aus: 11
  [3] korrigiert aus: besserund
  [4] korrigiert aus: nnr
  [5] korrigiert aus: te
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HIS-Data 5226-4-2: Teutscher Fürsten-Staat: Vierter Theil: N. II HIS-Data Home
Stand: 19. Juli 2017 © Hans-Walter Pries