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Zedler: Obrigkeit (Gewalt der-) HIS-Data
5028-25-250-2
Titel: Obrigkeit (Gewalt der-)
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 25 Sp. 250
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 25 S. 138
Vorheriger Artikel: Obrigkeit (Geleitliche)
Folgender Artikel: Obrigkeit (Halsgerichtliche)
Siehe auch: Zedler: Obrigkeit
Hinweise:

Stichworte Text Quellenangabe
  Obrigkeit (Gewalt der-) Obrigkeitliche Gewalt. Die Freyheit zu befehlen, oder überhaupt etwas zu thun, nennen wir Gewalt. Da nun die Obrigkeit Freyheit hat zu befehlen, was die Unterthanen thun und lassen sollen, und alles zu thun, was zur Beförderung der gemeinen Wohlfarth und Sicherheit dienlich befunden wird, (siehe den Artickel Obrigkeit); so hat sie auch Gewalt. Und demnach sind die Unterthanen unter der Gewalt der Obrigkeit, und wird solcher gestalt dadurch ihre natürliche Freyheit eingeschräncket.  
  Es ist auch diese Gewalt der Grund des Gehorsams, den man der Obrigkeit schuldig ist. Man soll demnach der Obrigkeit unterthan seyn, die Gewalt über uns hat, und eben deswegen weil sei Gewalt über uns hat. Die Kinder sind gleichergestalt unter der Gewalt ihrer Eltern und demnach dienet die väterliche Gewalt der Obrigkeit zu erläutern, auch sind Obrigkeiten in diesen Stücke Vätern ähnlich und Unterthanen sind wie ihre Kinder.  
unumschränkte Gewalt Diese Gewalt nun ist entweder gantz uneingeschräncket, oder aber auf gewisse Weise eingeschräncket. Obrigkeit besitzet eine unumschränckte Gewalt, wenn sie ohne jemandes Einwilligung bloß vor sich befehlen darf, was ihr gut deucht, und alles nach ihren Gefallen einrichten kan, ohne Einwilligung anderer. Hingegen ist ihre Gewalt eingeschräncket, wenn sie etwas ohne Einwilligung anderer nicht befehlen, noch thun darf. Man siehe aber leicht, daß sie viel oder wenig eingeschräncket ist, nachdem die Einwilligung anderer in vielen oder wenigen Stücken erfordert wird.  
  Da nun bloß in der Monarchie einer ohne besondere Einwilligung anderer thun oder befehlen kan, was er will, und in der Aristocratie dieses einigen frey stehet, so ist bloß in der Monarchie oder Aristocratie eine unumschränckte Gewalt. Vielleicht werden einige meynen, es könne ja auch in der Monarchie und Aristocratie eine eingeschränckte Gewalt statt finden: Denn es könne wohl einer gantz allein, oder auch etliche zusammen können allein herrschen, und doch in gewissen Stücken gebunden seyn, daß sie nicht befehlen dürffen, was sie wollen.  
  Allein diese nehmen die Wörter: Monarchie und Aristocratie, in einem weitläufftigern Verstande als diesen Wörtern zukommt. Nemlich ihnen ist eine jede Regierungs-Forme eine Monarchie, wo einer allein zu herrschen scheinet, und eine Aristocratie, wo einige allein zu herschen scheinen. Hingegen da der Schein von dem Wesen allezeit zu unterscheiden ist; so heisset bloß eine Monarchie, wenn einer würcklich allein herrschet, und eine Aristocratie, wenn einige zusammen würcklich allein herrschen.  
  Soll aber einer würcklich allein herrschen, so muß er ohne Einwilligung anderer thun  
  {Sp. 251|S. 139}  
  können was er will. Denn in diesen Stücken, darein andere erst willigen müssen, herrschet er nicht allein, sondern diejenigen, so darein willigen müssen herrschen mit. Und solcher gestalt ist es keine Monarchie, sonder eine vermischte Regierungs Forme, z.E. aus einer Monarchie und Aristocratie. Gleichergestalt wenn einige zusammen allein herrschen sollen, so müssen sie ohne Einwilligung anderer thun können, was sie wollen. Denn in denen Stücken, darein andere ausser ihnen erst willigen müssen, herrschen sie abermal nicht allein, sondern diejenigen herrschen mit, so darein willigen müssen. Und solchergestalt ist es abermal keine Aristocratie, sondern eine vermischte Regierungs-Forme, z.E. aus einer Aristocratie und Politie. So viel von der uneingeschränckten Gewalt.  
eingeschränkte Gewalt Wo aber eine Obrigkeit eine eingeschränckte Gewalt hat, da darff sie nicht alles thun, was sie vor gut hält, ohne Einwilligung anderer, und zwar entweder überhaupt, oder in einigen Stücken. Derowegen sind hier einige Regeln nöthig, darnach sie sich zu achten hat. Weil sie nun weiter keine Gewalt hat, als die sie durch den Vertrag mit den Unterthanen erhalten, und diesen zu halten verbunden ist; so ist sie auch verbunden, sich nach derselben Regeln zu achten. Und solchergestalt sind ihr die Regeln ein Gesetze, und werden dannenhero auch die Grund-Gesetze oder Fundamental-Gesetze eines Staates genennet. Es ist nun zwar die Obrigkeit von Natur verbunden, die Grund-Gesetze eines Staats zu halten, wie aus dem erhellet, was bereits angeführet worden: allein, da die Obrigkeit so leicht, als die Unterthanen der natürlichen Verbindlichkeit nicht jederzeit Raum geben, und gleichwol nöthig, ist, daß die Grund-Gesetze eines Staats nicht gebrochen werden, woferne die Regierungs-Forme bestehen soll; so ist ausser der natürlichen Verbindlichkeit, noch eine andere nöthig, wo man dergleichen haben kan.  
Grundgesetze eines Staates Und demnach entstehet die Frage, ob es möglich sey die Obrigkeit zu verbinden, die Grund-Gesetze eines Staates zu halten, oder nicht. Denn wenn es möglich ist, so ist schon erwiesen, daß es auch nöthig sey, und folgends recht. Weil man durch einen Eyd Gott zum Zeugen anruffet, daß man gesonnen sey zu halten, was man verspricht, und verlanget, daß er es rächen solle, woferne man nicht halten werde, was man versprochen; so wird auch einer, der da glaubet, daß ein Gott sey der alles wisse und sehe, auch ihn bestraffen werde, wenn er entweder nicht den Sinn hat zu halten, was er verspricht, oder doch ins künfftige mit Wissen und Willen seinem Versprechen zu wider handelt, sich den Eyd abhalten lassen, seinem Versprechen zuwider handeln.  
Eid Und demnach ist der Eyd ein Mittel, wodurch man Obrigkeiten verbinden kan, über die Grund-Gesetze eines Staats zu halten. Derowegen, da es möglich ist, sie auf solche Weise dazu zu verbinden; so muß man in einem Staate, wo Grund-Gesetze vorhanden sind, dieselben von der Obrigkeit beschwören lassen, wenn sie ihre Regierung antritt.  
Gottesfurcht Und hieraus siehet man, wie viel alsdenn daran gelegen, daß die Obrigkeit sich vor Gott fürchtet. Da nun aber die Furcht Gottes ohne seine Erkennt-  
  {Sp. 252}  
  nis nicht bestehen mag; so muß auch in diesem Falle die Obrigkeit Gott erkennen, und ihn stets vor Augen haben. Und demnach lieget denen öffentlichen Lehrern ob, die Erkänntniß Gottes und was daher rühret, in den öffentlichen Versammlungen fleißig zu treiben, und Obrigkeiten sind verbunden diesen Versammlungen beyzuwohnen. Und weil die Christliche Religion versichert, daß nach diesen Leben ein anderes Leben ist, da ein jeder wird Rechenschafft geben müssen von dem, was er in diesem Leben gethan hat, und darnach empfahen, was seine Thaten werth sind, auch die höchste Obrigkeit davon nicht ausgenommen wird; so erkennet man die Vortrefflichkeit der Christlichen Religion, und ist sonderlich in diesem Falle dienlich, wenn auch Obrigkeiten für sie ein Eiffer und Ernst beygebracht wird. Es erhellet zugleich hieraus überhaupt die Nothwendigkeit der Religion in solchen Reichen, wo die Obrigkeiten eine unumschränckte Gewalt hat.  
Hof-Prediger Weil nun aber der Unterricht von der Religion und die Ermahnung sich derselben gemäß zu bezeigen, von den öffentlichen Lehrern die Prediger, und in so weit sie die hohe Landes-Obrigkeit, zu unterrichten und zu ermahnen gesetzet sind, Hof-Prediger genennet werden, geschehen muß; so erkennet man ferner hieraus, wie nöthig es sey, daß Prediger und sonderlich Hof-Prediger in guten Ansehen bey der hohen Landes-Obrigkeit sind, und sie dannenhero sich in allen so aufzuführen haben, damit sie ihr Ansehen nicht selbst schwächen oder auf eine Art und Weise verletzen.  
  Sollte es aber auch gleich geschehen, daß eine Obrigkeit sich nicht für Gott fürchten sollte, so wird doch dadurch der Eyd, damit sie die Grund-Gesetze des Staates beschworen hat, deswegen noch nicht krafftloß sondern er behält dennoch eine Krafft zu verbinden. Nehmlich da aus der Erfahrung bekannt ist, auch nach diesem weiter ausgeführet werden soll, daß kein Staat ohne Bündniß mit andern benachbarten bestehen kan, ja auch überhaupt einem Staate verträglich ist, wenn er mit dem Benachbarten in guten Vernehmen stehet, und sie sich zu ihm nichts Widriges versehen; so schadet sich die Landes-Obrigkeit gar sehr wenn sie den Eyd nicht hält, den sie bey Antretung ihrer Regierung geschworen, und wieder die Grund-Gesetze des Staates handelt. Denn Auswertige erkennen, daß ihr nicht zu trauen ist, wenn sie gleich etwas versprochen, und werden daher sich nicht gerne mit ihr in Bündnisse einlassen, noch auch auf die mit ihnen getroffenen Bündnisse verlassen: vielweniger werden sie vermeynen, für ihnen sicher zu seyn. Hieraus aber entspinnen sich nach und nach allerhand Feindseligkeiten zu Schaden dessen, der dergleichen Mißtrauen wider sich erreget.  
  Zugeschweigen, daß selbst die Unterthanen der Obrigkeit im Hertzen nicht gut sind, ob sie es zwar äusserlich aus Furcht nicht dürffen mercken lassen, und daher leicht zu innerlicher Unruhe und Empörung wider die Landes-Obrigkeit zu bringen sind, wenn sie nur einen Anführer bekommen; auch sich ohne vieles Bedencken zu dem Feinde schlagen, wenn er ins Land kommet. Wer diese gefährliche Folgerung einsiehet, wird auch dadurch sich ab-  
  {Sp. 253|S. 140}  
  schrecken lassen, wenn er gleich für GOtt sich nicht fürchten sollte. Allein weil hierzu Vernunfft erfordert wird, nicht aber jederzeit Landes-Obrigkeiten in einem solchem Grade dieselbe besitzen, als dazu nöthig ist, oder auch sich durch wiedrige Affecten hinreissen lassen, wieder die Grund-Gesetze zu handeln, und der Vernunfft nicht Gehör zu geben; so kan man in demselben Falle, wo keine innerliche Vorstellung etwas fruchten, keine andere Verbindlichkeit als äusserlichen Zwang gebrauchen: welches nicht anders als durch Einschränckung der Macht geschehen kan.  
  Weil ferner die Grund-Gesetze eines Staats dahin gehen, daß die Landes-Obrigkeit nicht schlechterdings befehlen darff, noch thun, was ihr gefället, so wird dadurch auch ihre Gewalt eingeschräncket, und hat daher bloß Recht zu thun und zu befehlen was ihnen gemäß ist. Es können aber diese Gesetze entweder determiniren, was in diesen oder jenen Falle geschehen soll, oder die Landes-Obrigkeit kan dadurch bloß an andere, (welche man die Stände zu nennen pfleget,) gewiesen werden, denenselben vorzutragen, was sie in diesem oder jenem Falle vor nöthig befindet, und nach diesem zu vollführen, was sie für gut befinden werden. Damit nun aber die Stände wissen, wenn sie zusammen kommen sollen, auch zusammen kommen, wenn es geschehen soll; so muß die Landes-Obrigkeit die Gewalt haben, einen Land-Tag auszuschreiben.  
  Es können über dieses die Grund-Gesetze eines Staates einige Sachen gar ausnehmen, darinnen die Landes-Obrigkeit keine Gewalt haben soll zu befehlen, und, wenn darinnen was zu veranstalten ist, es den Ständen vorbehalten, oder auch anderen Personen, denen aus besonderen Ursachen dieses zu besorgen aufgetragen wird, als wenn man z.E. das Kirchen-Regiment, einer besonderen geistlichen Obrigkeit übergiebet und von dem weltlichen absonderet. Weil man aber nicht vor die lange Weile die Gewalt der Obrigkeit einschräncken soll, indem alles, was man im gemeinen Wesen vornimmet, in der gemeinen Wohlfarth und Sicherheit gegründet seyn muß, so muß solches bloß in solchen Fällen geschehen, wo man vermuthet, daß sie ihre Gewalt leicht mißbrauchen könnte, das ist, befehlen, was der gemeinen Wohlfarth und Sicherheit zuwider ist, und absonderlich in denen Fällen, wo durch den Mißbrauch der Gewalt viel Schade geschiehet.  
Souveränität Eine gantz uneingeschränckte Gewalt, wird die höchste Gewalt, oder Souvraineté genennet und, wer diese besitzet, ein Souvrainer Herr, oder ein Herr über den niemand als GOtt zu gebieten hat. Derowegen da in der Monarchie ein Monarche eine unumschränckte Gewalt hat, so hat ein Monarche die höchste Gewalt und ist Souvrain. Ingleichen weil in der Aristocratie diejenigen, welche herrschen, gleichfalls eine unumschränckte Gewalt besitzen, so haben auch sie die höchste Gewalt und sind Souvrain.  
  Unterdessen da im gemeinen Wesen doch nichts darff befohlen werden, als was die gemeine Wohlfarth befördert, und die gemeine Sicherheit erhält, so bleibet doch auch die höchste Gewalt von der Natur, folgends von GOtt eingeschräncket. Und also haben alle Obrigkeiten auch die Allerhöchsten, das ist, diejenigen, welche die höchste Gewalt haben, doch  
  {Sp. 254}  
  noch GOtt über sich, nachdem sie sich richten müssen. Derowegen, obgleich kein Mensch sie zur Rede setzen kan, was sie thun und ihr Wille gelten muß, so dürffen sie doch nicht schlechterdings thun was sie gelüstet, sondern sie haben sowohl als diejenigen, welche eine eingeschränckte Gewalt besitzen, allezeit auf die gemeine Wohlfarth und Sicherheit zu sehen, wo sie nicht Tyrannen werden wollen. Ihr Wille ist nicht die Regel ihrer Handlungen, sondern er hat eine Regel, darnach er determiniret werden muß, wenn es recht hergehen soll.  
  Weil man im gemeinen Wesen die Unterthanen mit Straffen verbindet, dasjenige zu thun, was man befiehlet, so muß auch die Obrigkeit, welche Gewalt hat zu befehlen, auch Gewalt haben Straffen zu setzen, und da in einigen Fällen auch selbst Lebens-Straffen gesetzet werden müssen, so hat die Obrigkeit, welche Gewalt hat, dergleichen Straffen zu setzen auch zugleich Gewalt über Leben und Todt der Unterthanen.  Unterdessen siehet man, daß diese Gewalt nicht weiter gehet, als in so weit es die gemeine Wohlfarth und Sicherheit erfordert, einem wegen seines Verbrechen am Leben zu straffen. Keinesweges aber hat die Obrigkeit, wenn sie auch gleich die höchste Gewalt hat, Gewalt, einen nach ihren Gefallen umbringen zu lassen, aus was für Absichten es auch immer geschehen mag.  
  Aus dieser Einschränckung der Gewalt, sowohl als der Macht (von welcher im XIX Bande p. 90 der Artickel: Macht der Obrigkeit, nachzusehen) erwächset der hohen Landes-Obrigkeit kein Nachtheil und kan es ihr Ansehen keinesweges verringern. Denn wenn sie vernünfftig ist, schräncket sie ihre Macht und Gewalt selbst auf eine solche Weise ein, daß dadurch nicht nachtheiliges für die gemeine Wohlfarth und Sicherheit erfolgen kan, und also ist ihr diese Verfassung in keinen Stück zuwider.  
Gott höchster Monarch GOTT der höchste Monarche, der die allerhöchste Macht und Gewalt hat, handelt nicht bloß nach seiner Allmacht, sondern auch nach seiner Weißheit, und die Weißheit setzet seiner Allmacht freywillig Schrancken, daß er nicht thun will, was er nicht für gut befindet, ob er es gleich thun könnte. Wie nun ihm dieses nicht zum Nachtheile, sondern vielmehr zu seinem grossen Ruhme gereichet, daß er nicht thut was er kan, sondern was seiner Weißheit gemäß ist; also kan auch dies keiner hohen Obrigkeit zum Nachtheil gereichen, daß ihre Macht und Gewalt durch die Weißheit eingeschräncket wird, damit die gemeine Wohlfarth, die sie eintzig und allein für Augen hat, am wenigsten Gefahr lauffet.  
Mitverantwortung der Stände Vielmehr ist dieses ein Mittel, ihr Ansehen bey den Unterthanen zu erhalten, indem sie in widrigen Fällen, da sie nicht können geschonet werden, die Schuld nicht auf sich haben, sondern vielmehr auf denen ruhen lassen, die mit einwilligen müssen. Z.E. wenn ausserordentliche Auflagen gemacht werden, sind insgemein die Unterthanen sehr empfindlich darüber. Thut es die Landes-Obrigkeit allein vor sich, so meinet jedermann, es geschehe ihm zu viel. Hingegen wenn es auch die Stände gut befunden; so halten es zugleich die Unterthanen insgesammt für gut, oder, woferne sie es als eine Be-  
  {Sp. 255|S. 141}  
  schwerde ansehen, werffen sie die Schuld mehr auf die Stände, als auf dem Landes-Herrn, wo die Stände etwas zu sprechen haben, und nicht bloß zum Scheine gefraget werden.  
Ansehen Bey Auswärtigen dependiret das Ansehen der Landes-Obrigkeit nicht davon, ob ihre Macht und Gewalt uneingeschräncket ist, oder nicht; sondern vielmehr von der Grösse der Macht. Wer viel Geld und Gold zusammen bringen kan, wenn es die Noth erfordert, der hat das gröste Ansehen. Nemlich bey Auswärtigen stehen der Landes-Herr und das Land zusammen für eines, und ist demnach gleich viel ob jener alle Macht und Gewalt allein hat, oder ob davon etwas dem Lande zugehöre. Es stimmet auch die Erfahrung mit überein. Wer darauf acht hat, wird es finden, und ist keinesweges nöthig, daß man Exempel anführe.  
Notwendigkeit der Einschränkung Damit aber dasjenige, was von der Einschränckung der Macht und Gewalt der hohen Obrigkeit beygebracht, nicht unrecht ausgeleget werde; so ist folgendes zu erinnern nöthig. Es ist hier bloß erwiesen worden, auf wie vielerley Art und Weise sich die Macht und Gewalt einer hohen Landes-Obrigkeit einschräncken lässet, und aus was Ursachen solches geschehe; keinesweges aber wird behauptet, daß solches überall geschehen müsse. Denn es ist ja zur Gnüge klar, daß solches in der Monarchie und Aristocratie nicht angehe. Und die Erfahrung stimmet auch mit überein, daß dergleichen Mittel, die hier vorgeschlagen, würcklich beliebet werden, ob man nicht zwar nicht alles beyeinander in einem Staate, sondern einige hier, die anderen dort antreffen. Gleichwie man nun aber in dieser allgemeinen Betrachtung keine Absicht auf einen gewissen Staat hat, sondern bloß überhaupt zu beschreiben hat, was zur vernünfftigen Beurtheilung aller Staaten erfordert wird; so hat man auch in diesem Stück solches nicht übergehen können.  
  Ungeachtet aber in einem gemeinen Wesen die Macht und Gewalt der hohen Obrigkeit eingeschräncket wird; so ist doch diese Macht und Gewalt in Ansehung des gantzen gemeinen Wesens unumschräncket. Denn was in einem gemeinen Wesen von der hohen Obrigkeit, mit Einwilligung derer, welche vermöge der Regierungs-Form darein zu willigen haben, und mit ihr zusammen das gantze gemeine Wesen vorstellen, beschlossen wird, darwider hat niemand auf Erden Recht etwas zu sagen und niemand hat Recht zu verhindern, daß es nicht geschehe, wenn er es nicht als eine Beleidigung seiner anzusehen hat.  
  Nemlich jedes gemeines Wesen hat seine Macht und Gewalt vor sich, und kein auswärtiger hat etwas darein zu sagen, wenn ihm nicht durch dessen Gebrauch zu nahe getreten wird. Denn ein gantzes gemeines Wesen wird wie eine Person angesehen, und viele verhalten sich gegen einander wie verschiedene einzelne Personen. Gleichwie nun ein jeder Mensch eine unumschränckte Gewalt und Macht hat, sein Bestes zu befördern, und ihm niemand sich zu widersetzen Recht hat, als wenn er seine Macht, ihm zu schaden mißbrauchen will: eben so hat ein jedes gemeines Wesen seine Macht und Gewalt, das gemeine Beste zu befördern, gantz unumschränckt, und kan  
  {Sp. 256}  
  niemand anders mit Recht sich dagen auflegen, so lange er nicht Schaden abzuwenden verbunden ist. Wolff von dem Gesellschafftlichen Leben der Menschen § 443 u.ff.
     

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Stand: 24. August 2016 © Hans-Walter Pries