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Zedler: Pflichten der Ärtzte [4] HIS-Data
5028-27-1598-7-04
Titel: Pflichten der Ärtzte [4]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 27 Sp. 1617
Jahr: 1741
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 27 S. 822
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Stichworte Text   Quellenangaben
Rechtsmediziner Nachdem wir also die nöthigsten Pflichten und Eigenschafften angeführet haben, welche ein Medicus clinicus beobachten soll, wenn er seinen Patienten glücklich helffen, und sich selbst mit gutem Gewissen in Ehre und Ansehen bringen will: so sollen nunmehro auch die Pflichten eines Medicus forensis in möglichster Kürtze beschrieben werden.  
  Gleichwie aber nach Cicerons Ausspruche alle Menschen zur Gerechtigkeit gebohren sind, ja auch, nach dem Aristoteles, in den Gesetzen die Wohlfahrt einer Republick bestehet, dergestalt, daß, nach der angenommenen und festgestellten juristischen Regel, die Gesetze das alleredelste, ja heiligste sind, welche alle Menschen wissen, und auf das genaueste beobachten sollen, L. leges sacratiss. 9. C. de Legibus,
  und zu dem Ende allen, besonders aber denen, so für das gemeine Wohl zu sorgen und zu wachen haben, zum Besten niedergeschrieben sind, L. 24. ff. quae in fraudem creditorum.
  Also soll man sich in allem Dienste des Nächsten bestmöglichst dahin bestreben, daß die Gerechtigkeit bey ieder Gelegenheit und in jedem Stande beobachtet und befördert, wie nicht weniger das Ansehen und der Nachdruck der Gesetze vertheidiget, befestiget und erhalten werden.  
  Diese Beobachtung und Nachahmung der Gerechtigkeit kan nun vornemlich in derjenigen Rechts-Gelahrheit statt finden, welche auch den Ärtzten zu wissen nöthig ist, und  
  {Sp. 1618}  
  deswegen Medicina forensis seu legalis genennet wird, die denn nichts anders ist, als eine vernünfftige und gewissenhaffte Entscheidung verschiedener, in dem gemeinen Leben vorkommender und vor Gericht gebrachter Fälle, welche auf die wahren Grund-Stützen der Artzney-Kunst, nemlich auf die Vernunfft und medicinische Erfahrung, gegründet, und daraus erörtert, und besonders zur Unterstützung des öffentlichen Rechtes, Erleichterung der politischen Bürgerlichen Gerechtigkeit, und zur Vertheidigung der Wahrheit, hauptsächlich aber zur Ehre GOttes und Nutzen des Nächsten abgefasset und eingerichtet seyn muß.  
  Da nun zwar in dieser medicinischen Rechts-Gelehrsamkeit, der medicinische Richter und Schiedsmann keinesweges an gewisse Bürgerliche Gesetze gebunden ist, die eigentlich und wesentlich zu medicinischen Rechts-Sachen gehören; So bestehet doch der Grund, nach welchem ein tüchtiges und wahres medicinisches Urtheil gefället werden soll, nicht nur in einer wahren, gut ausgesonnenen, einsichtigen und gewissen Wissenschafft, sondern auch in einer gesetzten, gegründeten und deutlichen Erfahrung, dergestalt, daß so nach ein Medicus forensis sowol in seiner Kunst erfahren, als auch in seiner Wissenschafft gewiß und gesetzet seyn muß, indem ihm viele Fälle vorkommen können, die in irgend einen Theil seiner Wissenschafft lauffen, und vernünfftig untersuchet werden müssen.  
  Bey so gestalten Sachen bezeuget die tägliche Erfahrung, daß die Herren Rechts-Gelehrten und Richter in ihrem Amte offtermals der Ärtzte Gutachten, Rath und Hülffe unentbehrlich nöthig haben, so, daß sie ohne diese in vielen, sowol zum bürgerlichen als geistlichen Rechte gehörigen Fällen, nichts bestimmen, beurtheilen und ausrichten können, Rejes. Camp. Elys.
  Die Ärtzte hingegen brauchen die Rechts-Gelehrten zu ihren Verrichtungen und Curen gar nicht, sondern können selbige dabey gar wohl missen. Ob nun aber wohl zwischen der eigentlich sogenannten Artzney-Wissenschafft oder Medicina clinica und der Medicina forensis gemeiniglich ein Unterscheid gemachet wird; So sind dennoch beyde noch ziemlich genau mit einander verbunden, und zwar in so ferne, daß sich diese in verschiedenen Fällen auf jene gründet, indem sie  
 
  • in Beurtheilung, Anzeigung und Vertheidigung mancherley Kranckheiten;
  • in der Forschung, Vergleichung und Benennung verschiedener Ansteckungen;
  • in Untersuchung und Beurtheilung der von andern Ärtzten oder Wund-Ärtzten verrichteten Curen;
  • in Erforschung und Beförderung der menschlichen Gesundheit;
  • in Beurtheilung und Anzeigung des Wahnwitzes;
  • in Untersuchung und Erklärung der Vergifftungen und dererselben Graden;
  • in Erläuterung einer wahren und verstellten Kranckheit;
  • in Untersuchung und Beurtheilung der heilbaren und unheilbaren, erblichen, Gemüthes- und andern Schwachheiten;
  • in Erforschung und Beurtheilung der Artzneyen;
  • in Untersuchung und Angebung gesunder und ungesunder Örter und Völcker etc.
 
  vieles Licht aus der Praxis clinica erhält.  
  Diese Gerichts-Medicin (Medicina judicialis) ist über dieses mit vielen andern Wissenschafften verbunden; angesehen die  
  {Sp. 1619|S. 823}  
  Gerichts-Fälle unterschiedene Sätze und Sachen in sich enthalten. Daher es nöthig ist, daß dergleichen Medicus forensis ein guter Philosoph, und zwar besonders in der Logick sehr wohl geübet sey, damit er richtig zusammen fügen, vergleichen, schlüssen und beurtheilen möge; hernachmals soll er sich auch in der Sitten-Lehre geübt haben, die Gemüther, Sitten, Neigungen, Leidenschafften und verschiedene andere Eigenschafften der menschlichen Seele zu erkennen; ferner muß er die Natur-Lehre wohl verstehen, damit er die Eigenschafften, Kräffte, Gegeneinanderverhaltungen verschiedener Dinge, die zur Natur des gantzen Welt-Gebäudes gehören, wohl inne habe; Endlich soll er auch in dem Rechte der Natur nicht unwissend seyn, damit er aus der menschlichen Gesellschafft und den Pflichten der Menschen in verschiedenen Fällen richtig schlüssen und einsehen könne, was billig oder unbillig, was wahr oder falsch, und was gut, nützlich und heilsam oder undienlich sey.  
  Daraus erhellet also, daß die medicinische Rechts-Gelehrsamkeit auf zween wahren Grund-Stützen ruhet, auf welche man sich in verschiedenen Fällen steiffen muß: Denn gleichwie sich diejenigen medicinischen Entscheidungen, welche richtig und in öffentlichen bürgerlichen Gerichten nützlich seyn, und daselbst Beyfall finden sollen, nicht auf ungewisse Muthmassungen, zweiffelhaffte Meynungen und unbeständige Aussprüche gründen dürffen; Also können sonder Zweiffel die nur kürtzlich angerathenen Stützen den ersten, festesten und sichersten Grund der Gerichts-Medicin abgeben, indem selbiger aus der Wahrheit der menschlichen Verrichtungen und den Eigenschafften, so den Menschen in ihren Geschäfften gemein sind, hergenommen, und auf gegenwärtigen Fall, davon die Frage ist, aufs genaueste angewendet wird: Denn alle Gründe, die nicht aus der Erfahrung genommen, sondern nur verblümter- und Gleichniß-weise angebracht werden, sind in der Gerichts-Medicin betrüglich und unvollkommen, und müssen daher vermieden werden.  
  Es erfordert demnach die nur ietzt benannte Medicin einen geübten, verständigen und bewährten Artzt, an dessen Erfahrenheit und gewissenhaften Wandel man nicht zweifeln darff, noch viel weniger etwas daran auszusetzen hat: denn solte ihm eine von diesen guten Eigenschafften mangeln, so würden die Gerichte dadurch hintergangen und verführet, daß sie hernachmals ebenfalls keinen wahren, gegründeten und billigen Entscheid oder Urtheil sprechen könten: Daher kommen so viele Betrügereyen und Aufenthalte, an welchen aber der Richter nicht allemal so gar viel Schuld hat, dieweil sich dieser auf den Entscheid des Artztes gründet, sondern die Haupt-Schuld fällt alsdenn auf den Artzt selbst, wenn derjenige, welchen er unrechtmäßiger Weise verdammet hat, an höhere Gerichte appelliret.  
  Derjenige Artzt demnach, welcher die medicinische Rechts-Gelehrsamkeit treiben und ausüben will, muß einen guten und einsichtigen Verstand haben, und damit das Wesen und den Zusammenhang aller Umstände auf das genaueste untersuchen, geringe Sachen nicht groß machen und erheben, Sachen von Wichtigkeit aber nicht übersehen,  
  {Sp. 1620}  
  sondern reifflich überlegen und wohl beurtheilen: hernachmals auch nichts übereilt und unbedachtsam vornehmen, sondern bey Untersuchung aller Sachen die nöthige Behutsamkeit und Aufmercksamkeit gebrauchen: ferner auf kein zweifelhafftes und noch nicht sattsam bewährtes Ansehen und Vertrauen weder seiner selbst noch anderer sich gründen, vielmehr aber einen verständigen und klugen Richter abgeben, damit er seinem ehrlichen Namen und guten Ruffe keinen Schandfleck noch Mißtrauen anhänge, welches einem Artzte um so viel schändlicher und schädlicher ist, wenn man von ihm saget, daß er keinen practischen Verstand habe.  
  So vernünfftig demnach die Ärtzte in der Gerichts-Medicin seyn sollen; eben so behutsam und vernünfftig sollen sich auch die Richter dabey aufführen: sintemal das allzu frühzeitige und unüberlegte Vertrauen auf die medicinischen Urtheile leichtlich auch andere Richter verblenden und verführen kan; daher sie bey den Beweis-Gründen und Grund-Sätzen der Ärtzte wohl zu überlegen haben, ob solche aus der Natur der Sache, oder aus einer vorgefaßten Meynung und verwegenen Muthmassung hergenommen sind: Und obwohl dem Richter nicht allerdings erlaubet ist, des Artztes Urtheil aus Privat-Absichten und andern Vorurtheilen durchzustänckern, und darinne zu grübeln, und solches zweifelhafftig zu machen; So erfordert doch die Klugheit, daß er in nöthigen Fällen bessere, einsichtigere und gegründetere Meynungen einhole.  
  Gleichwie aber die medicinischen Collegia und Facultäten, nach dem Unterscheid der menschlichen Sachen, sowol in Ansehung ihrer Meynungen, als ihrer Urtheile, verschiedentlich von einander unterschieden sind; Also wird besonders in den gefällten Entscheidungen dergleichen vor den Gerichten beobachtet, daher in solchen Fällen die Richter offtmals genöthiget werden, sich in dreyen medicinischen Facultäten Raths zu erholen, und die beyden einstimmigen zu erwehlen. Was sonst noch von dem Officio Medici forensis zu mercken, solches erhellet aus Michael Alberti Jurisprudentia medica
     

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Stand: 17. Februar 2013 © Hans-Walter Pries