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Zedler: Recht eines Fürsten in Kirchen-Sachen HIS-Data
5028-30-1391-4
Titel: Recht eines Fürsten in Kirchen-Sachen
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 30 Sp. 1391
Jahr: 1741
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 30 S. 705-710
Vorheriger Artikel: Rechtfüchse
Folgender Artikel: Recht derer Fürsten und Stände ihre Gesandten zu halten
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel

  Text Quellenangaben
  Recht eines Fürsten in Kirchen-Sachen, oder die Gewalt des Fürsten in der Christlichen Kirche, Jus Sacrorum oder Jus circa Sacra.  
  Es ist das Recht eines Fürstens, in Kirchen-Sachen, eine der allerwichtigsten Materien, indem man leicht in eine Caesareo Papiam, oder Papo Caesariam, verfallen kan. Damit wir aber dieses beydes vermeiden, müssen wir vor allen Dingen zum voraus setzen, daß es nicht wohl gethan sey, wenn etliche dieses Recht der Fürsten von denen Königen der Israelitischen Republick herleiten wollen. Dann in derselben war die Religion nicht nur auf das genaueste mit der Republick verbunden, also, daß keine ohne die andere seyn konnte, sondern es war auch eine Theocratie, und konnte, ohne besondere und ausdrückliche Verwilligung GOttes, gar nichts, was die Republick anbetraff, vorgenommen werden. Schickard. de jur. reg. Hebraeor. und Spener. de theocratia judaica.
  Denn GOtt war selbsten in der Jüdischen-Republick König. Derowegen gab er alle Gesetze, so wohl in geistlichen, als weltlichen Sachen,nicht so wohl als GOtt, sondern vielmehr als Landes-Herr, der sich die höchste Gewalt vorbehalten hatte. Und ob er ihnen gleich nachgehends Könige gab; so konnten doch diese weder Gesetze geben, noch sonsten etwas anord-  
  {Sp. 1392}  
  nen und verändern; sondern sie waren blosse Statthalter, die sich nach denen von GOtt vorgeschriebenen Gesetzen richten musten. Ist also gar kein Zweiffel, daß unsern Fürsten vielmehr Rechte zukommen, als denen Israelitischen Königen.  
  Ebenso ungereimt ist es, wenn andere dieses Recht von den Zeiten der ersten Christlichen Käyser herführen wollen; indem aus der Kirchen- Historie bekannt ist, daß schon der Kayser Constantin der Grosse, u. dessen Nachfolger sich ihres Rechts gar schlecht zu bedienen wusten; sondern vielmehr der Clerisey alles dasjenige einräumten, wodurch sie es endlich, zu der unumschräncktesten Herrschafft von der Welt bringen konnten. Wenn also unsere Fürsten kein grösser Recht hätten, als dessen sich die ersten Kayser bedienet; so würde es nicht nur mit den meisten ihrer Regalien, absonderlich aber mit dem Recht in Kirchen-Sachen, ein sehr schlechtes Ansehen haben.  
  Nun haben zwar andere der Sachen näher zu treten vermeynet, wenn man defendirte, daß demjenigen das Recht in Kirchen-Sachen zukäme, dem das Land gehörete, (Cujus est regio, illius quoque est religio.) Es hat aber die Erfahrung gezeiget, wie sehr diese Meynung denen Protestanten selbst geschadet, und wie nützlich sich dessen die Widriggesinnten, zu Unterdrückung und Ausjagung anderer, zu bedienen gewust haben.  
  Wir setzen also zum voraus, daß wir in dem N. T. nichts finden können, worinnen denen Fürsten wäre vorgeschrieben worden, wie sie sich in Exercirung ihrer Realien verhalten sollen, wie wir dergleichen von denen Israelitischen-Königen in dem A.T. sehen. Siehe 5 B. Mose XVII, 18. 19.
  Daraus folget, daß alle Regalien aus dem Recht der Natur müssen hergeleitet werden. Denn ein Fürst ist ausser der Schrifft und dem Rechte der Natur, keinen andern Gesetzen unterworffen. Es wird also von nöthen seyn, daß wir die Sache etwas genauer untersuchen.  
  Es hat GOtt den Menschen zu einer glückseligen Creatur erschaffen, und in einen solchen Zustand gesetzet, daß, wenn er gewolt, er sich vollkommen in diesem glückseligen Zustande hätte erhallen können. Daß aber diesem ohngeachtet der Mensch in einen unglücklichen und Elends-vollen Zustand gerathen ist, kan dem allergütigsten Schöpffer nicht im geringsten beygemessen werden. Sondern wir handelten wider unsere gesunde Vernunfft, wenn wir uns zu dergleichen Gedancken wolten verleiten lassen.  
  Da nun also der Mensch durch seine eigene Schuld sich zu einer elenden Creatur gemacht; hätte GOtt wohl Ursache gehabt, ihn darinnen stecken zu lassen. Aber seine väterliche Liebe gegen das menschliche Geschlecht liesse dieses nicht zu; sondern er zeigte ihm vielmehr solche Mittel, durch welche der Mensch zu der verlohrnen Glückseligkeit wieder gelangen konnte. Es lieget derowegen bloß an dem Menschen, ob er sich derselben bedienen will.  
  Diese Mittel aber selbsten bestehen in dem Lichte der Natur, und in dem Lichte der Gnaden; welche beyde so genau mit einander verknüpffet seyn, daß wir ohne beyde ohnmöglich zu einem glückseligen Leben gelangen können. Daß wir aber den meisten Theil der Menschen in einem unglücklichen und Erbar-  
  {Sp. 1393|S. 706}  
  mungs-würdigen Zustande antreffen, ist die Ursache, weil die meisten entweder derselben sich gar nicht bedienen, oder doch wenigstens nicht auf die Art und Weise, wie es seyn solte; indem viele in den falschen Gedancken stehen, alswenn diese beyde Lichter einander zuwider wären, und daß es also gnug sey, wenn man (wie etliche z. E. die Qväcker meynen) nur das Licht der Gnaden brauchte, oder (wie andere davor halten, z. E. die Socinianer) wenn man nur nach dem Lichte der Natur lebte. Siehe Thomasius in der Vorrede bey dem ins Deutsche übersetzten Grotius de J. B. et P.
  Weil nun die Menschen in einer solchen Verderbniß stecken, daß sie nicht nur ihr Unglücke nicht erkennen, sondern auch an ihrem Elende selbsten ihre Vergnügung und Glückseligkeit suchen; so müssen deswegen andere Menschen seyn, die sich derselben annehmen, ihnen die Thorheiten und das Elend der menschlichen Natur zeigen, und die Mittel und Wege lehren, wie man sich aus diesen heraus reissen kan. Damit aber diese etwas ausrichten können, müssen sie solche Mittel gebrauchen, die sich vor die verderbte Natur der Menschen schicken, und ihrer Kranckheit gemäß seyn.  
  Es sind aber der Thoren in der Welt hauptsächlich zweyerley: Etliche, die sich durch die Vernunfft gewinnen lassen, und welche die Vorschläge anderer annehmen; Etliche aber, die bloß ihrem verderbten Willen folgen, und die Vermahnung kluger und vernünfftiger Leute verachten. Jene aus ihrem Elende zu einem glückseligen Leben zu führen, ist keines äusserlichen Zwanges von nöthen, sondern bey diesen sind vernünfftige Rathschläge schon genung. Die andern aber können durch nichts anders, als durch Gewalt und äusserliche Straffen, zu rechte und zum Gehorsam gebracht werden. Daraus folget, daß man in einer jeden Republick Gewalt und Rathschläge von nöthen hat, als die zwey eintzigen Mittel, wodurch die Menschen können dahin gebracht werden, daß sie glückselig zu leben anfangen.  
  Es ist aber die Glückseligkeit der Menschen zweyerley; Eine zeitliche und eine ewige Glückseligkeit. Jene ist wiederum entweder innerlich oder äusserlich. Die innerliche Glückseligkeit bestehet in einer wahren Gemüths-Ruhe; die äusserliche aber ist, daß wir nicht alleine von niemand in denen uns zukommenden Rechten gekränckt werden, sondern daß uns auch andere Menschen helffen und beystehen. So lange wir nun diese beyde Glückseligkeiten nicht besitzen, so lange leben wir auch nicht als glückselige Creaturen.  
  Damit wir nun durch gedachte zwey Mittel zur Glückseligkeit gelangen mögen, müssen auch zweyerley Menschen seyn, die uns dieselbe appliciren, nemlich der Fürst und der Doctor; und zwar dergestalt, daß beyde in einer Person zusammen nicht seyn können, sondern so bald dieses geschiehet, wird die Republick nicht in geringe Zerrüttung gesetzet, wovon uns die Kirchen-Geschichte viele Exempel darreichen kan. Doch müssen sie auch nicht einander entgegen gesetzet werden. Denn da sie einerley Endzweck haben, müssen sie auch einander beystehen.  
  Und 
  {Sp. 1394}  
  zwar machet der Doctor den Anfang und bemühet sich, ob er die Menschen zu einem vernünfftigen Leben bringen könne, ohne daß es der äusserlichcn Gewalt benöthiget sey. Siehet er aber, daß alle Mühe vergebens ist, und daß er durch seine Mittel nichts ausrichten könne; so kommt die Obrigkeit, und bedienet sich desjengen Zwanges, so ihr, als Obrigkeit, zukommet.  
  Der Lehrer selbsten hat gar keine äusserliche Gewalt, sondern sein gantzes Amt bestehet in Liebe und Sanfftmuth. Er muß also andern mit guten Exempeln vorgehen, sie vermahnen, bitten, flehen, ihnen ihr Elend vorstellen, und handgreiflich zeigen, in was vor Unglück sie sich stürtzen werden, wenn sie seinen Vermahnungen nicht Gehör geben. Was derowegen nur auf einige Weise einer Straffe und äusserlichen Gewalt nahe kommet, muß von einem Lehrer weit entfernet seyn. Wann er sich also einiger Gewalt bedienet; so giebet er dadurch zu erkennen, daß es ihm nicht um die Seligkeit der Menschen, sondern um seinen eigenen Ehrgeitz und Rachgierde zu thun sey.  
  Dieser, und sonst keiner andern Mittel, muß er sich auch gegen den Fürsten bedienen; also, daß wenn auch dieser einen Fehltritt begehet, er durch nichts anders, als durch bitten, flehen, und vermahnen, ihm wiederum aufzuhelffen suchen muß. Wollen nun die Vermahnungen nicht zulänglich seyn, sondern die Menschen turbiren die äusserliche Ruhe der Republick, so ist der Fürst da, welchem die Gewalt gegeben ist, durch Straffen und äusserlichen Zwang der Republick vor dergleichen Leuten Sicherheit zu verschaffen.  
  Und dieser äusserlichen Gewalt muß sich auch der Fürst wider den Lehrer selbsten, wenn er in Thorheit verfället, bedienen. Denn es ist kein Unterscheid unter denen Personen, sondern wer die äusserliche Ruhe stöhret, und wider die Gesetze der Fürsten sündiget, muß sich der äusserlichen Straffe unterwerffen, er sey Priester, oder Laye.  
  Es hat aber der Fürst, als Fürst, mit der innerlichen Glückseligkeit gar nichts zu thun, sondern es kan derselbe auf dreyerley Art betrachtet werden, als ein Mensch, als ein Christ, und als ein Fürst. So ferne er ein Mensch und Christ ist, ist er zwar, wie andere Menschen verbunden, mit einem guten Exempel vorzugehen, und diejenigen Liebes-Dienste, so zur Besserung anderer dienen, ihnen zu erzeigen. So fern er aber als ein Fürst betrachtet wird, lieget ihm die innerlichen Glückseligkeit seiner Unterthanen gar nicht ob. Er ist auch nicht dazu gesetzt, dieselbe fromm und gottsfürchtig zu machen; es langen auch die Mittel, die er als Fürst hat, nicht zu. Denn durch äusserlichen Zwang und Straffen wird kein Mensch fromm und tugendhafft gemacht. Es ist derowegen der Fürst zu keinem andern Ende, als seine Unterthanen bey der äusserlichen Ruhe zu erhalten, damit ein jedweder in dem Seinigen sicher wohnen könne.  
  Alle diejenigen Rechte also, ohne welche dieser Endzweck nicht erhalten werden kan, müssen dem Fürsten zukommen, und überlassen seyn. Und zwar, daß er dieselbe gebrauchen kan, wie er will, und mey-  
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  net, daß die äusserliche Ruhe dadurch hergebracht werden könne. Nun ist aber kein Zweiffel, daß zu allen diesen Rechten hauptsächlich die Inspection und Direction aller Collegien, die in seinem Lande seyn, mit gehöre, und daß er also auch das Recht in geistlichen Sachen (Jus circa sacra) als Fürst haben müsse.  
  Es erfordert also das Amt eines Fürsten, daß er vor allen Dingen dahin sehen muß, damit diejenigen Laster, als Ehr- Geld-Geitz und Wollust, wodurch die äusserliche Ruhe der Republick leichtlich turbiret werden kann, nicht zum Schaden derselben ausbrechen können, und wenn es ja geschehen, daß er verhindere, damit nicht noch ein grösserer Schade daraus entstehen möchte.  
  Sehen wir nun die Religion an; so ist gewiß, daß Gott dieselbe zu keinem andern Ende von uns Menschen verlanget, als zu unserer eigenen Glückseligkeit. Denn durch die innerliche Religion sollen wir suchen, uns aus der natürlichen Verderbniß herauszureissen; durch die äusserliche aber sollen wir einander aufzumuntern uns bemühen, Gott mit rechtschaffenem Hertzen zu dienen und zu preisen. Betrachten wir aber fast alle Zeiten; so werden wir finden, daß die meisten Menschen, dieselbe bloß zu einem Deck-Mantel, alle Schand und Laster zu begehen, ja die äusserliche Ruhe zu stöhren.und gantze Republicken über einen Hauffen zu werffen, gebrauchet haben.  
  Derowegen muß allerdings ein Fürst diesem Ubel vorzubauen, und dergleichen Menschen, auf alle Art und Weise zu bestraffen suchen. Denn es bleibet eine unstreitige Wahrheit, daß alles dasjenige, was die Republick turbiret, und Streit und Zanck anrichtet, der wahren Christlichen Religion zuwider sey. Und warum solle ein Fürst dergleichen Menschen nicht bestraffen, da ein solcher sich aller derer Privilegien, die ihm wegen der Religion zukommen, verlustig machet? Ja, da ein Fürst geringe Laster bestraffen kann; warum solte denn ein solcher der Straffe befreyet seyn, welcher der Religion zum Schaden der Republick mißbrauchet? Ist also auch diese eigene Ursache gnung, warum dem Fürsten die Inspection über die Kirche zukommen muß. Und wäre zu wünschen, daß sich die Obrikeit dieses Rechts, so wie es seyn solte, bisweilen besser bedienet hätte, vielleicht würden die Republicken glückseliger seyn, als sie sind.  
  Es kommet aber dieses Recht allen Fürsten zu, sie mögen einer Religion zugethan seyn, welcher sie wollen. Denn die Religion verändert den Staat nicht, sie giebet auch dem Fürsten weder mehr, noch weniger Rechte, sondern das Imperium und Subjectio sind Correlata, also, daß keines ohne dem andern seyn kan. Derowegen ist es auch ohnstreitig, daß dieses Recht in geistlichen Sachen, denen Fürsten des Deutschen Reichs in ihren Ländern zukommet. Denn da dieses Recht ein Theil der höchsten Majestät ist; so muß es auch ein Theil der Landes-Fürstlichen Hoheit seyn.  
  Und zwar kommet denenselben dieses Recht ebenfalls aus dem Rechte der Natur zu, und haben sie dasselbe gehabt, ehe an das Westphälische Friedens- Instrument gedacht worden; ob sie sich gleich dessen  
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  sonderlich vor den Zeiten der Reformation nicht, wie es hätte seyn sollen, bedienet haben. Ob sie nun also gleich durch gedachtes Friedens-Instrument kein neues Recht erhalten; so sehen wir doch aus diesem, daß denen Fürsten des Reichs desto weniger dieses Recht in Kirchen-Sachen könne in Zweiffel gezogen werden. Es ist zwar in demselben enthalten, daß ein Fürst dem Gewissen seiner Unterthanen, so einer andern Religion zugethan seyn, keine Gewalt thun solte. Es ist aber dieses ein Satz, der an und vor sich selbsten seine Richtigkeit hat, indem auch das Recht der Natur dergleichen keinem verstattet.  
  Wenn wir aber fragen, worinnen dieses Recht in geistlichen Sachen (Jus circa Sacra) bestehet; so ist es von nöthen, daß wir die Sache etwas genauer betrachten. Was die Religion selbsten anbetrifft, so ferne dieselbe im Glauben an Christum bestehet; so gehöret sie zur innerlichen Glückseligkeit des Menschen. Es hat derowegen der Fürst in so weit mit derselben nichts zu thun. Und wolte man gleich sagen, daß die Sorge für die öffentlichen Schulen einem Fürsten zukomme; so ist doch dieses also zu verstehen, damit nicht die Atheisterey und ander unartiges Leben unter jungen Leuten einreissen, oder solche Dinge, die den weltlichen Staat turbiren, möchten gelehret werden. So ferne aber in denen Schulen die Gemüther in der wahren Religion unterrichtet werden, überschreitet solches die Gräntzen eines Fürstens, als Fürsten.  
  Noch weniger lässet sich das Gegentheil aus dem 5 B. Mose XVII, 18. 19. beweisen. Denn zu geschweigen, daß von denen Israelitischen Königen gar nicht auf unsere Fürsten geschlossen werden kan; so siehet man aus dem angeführten Spruche, daß derselbe weder von dem Rechte des Fürstens in Religions-Sachen handelt, noch befiehlt, daß die Obrigkeit für die Unterthanen Sorge trage. Es erweiset auch nichts 1. Timoth. II, v. 2. worinnen Paulus vermahnet, man solle für die Obrigkeit bitten, daß man unter ihr ein geruhiges und stilles Leben führen möge. Denn Paulus will damit nichts anders sagen, als daß man vor die Obrigkeit bitten solle, daß sie ihr Regiment also führen möge, damit aller Unruhe im Lande gesteuert, und ein jeder Unterthan in Ruhe und Friede leben könne.  
  Anders kan es nicht verstanden werden, indem die Obrigkeit dazumal heydnisch war, welcher Paulus ohnmöglich die Sorge für die Seligkeit der Christen auftragen können. Derowegen hat auch Tertullianus in der Schutz-Schrifft vor die Christen c. 30. unter andern dieses zu ihrer Vertheidigung angeführet, daß die Christen in ihren Versammlungen Gott vor den Kayser anrufften und beteten, daß er demselben ein langes Leben, eine ruhige und stille Regierung, ein tapfferes Krieges-Heer, getreue Räthe, fromme und getreue Unterthanen, geben möchte.  
  Es erweiset gleicher massen nichts der Spruch Esaiä XLIX, v. 9. indem die Glieder der wahren Kirche ihre eintzige Pflege nur von Christo haben, und also keiner weltlichen Könige bedürffen. Wann also die Unterthanen einer falschen Religion zugethan  
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  seyn, erfordern die Pflichten eines Fürsten, als Fürsten, nicht dieselben zu der wahren seligmachenden Religion zu bringen, denn die Religion bestehet im Verstande; dieser aber lässet sich keine Gesetze vorschreiben, noch zwingen, sondern da müssen blosse Vernunfft-Schlüsse und überzeugende Bewegungs-Gründe vorgekehret werden. Und warum solte man einen mit Gewalt zur Religion zwingen, da dieselbe uns zur Seligkeit bringen soll? Lässet man doch einem jedweden die Freyheit, daß er eine Handthierung erwählen kan, welche er will; da doch dieses nur zur zeitlichen Glückseligkeit gehöret. Es muß also ein jedweder die Freyheit haben, diejenigen Mittel zu suchen, wodurch er die Glückseligkeit des andern Lebens erlangen möge. Und eben deswegen will Gott keinen mit Gewalt zur Religion gezwungen wissen. Er hat einem jedweden die gesunde Vernunfft und die Schrifft gegeben, daß er in derselben die Mittel und Wege lernen solle, sich der ewigen Glückseligkeit theilhafftig zu machen.  
  Es muß auch dermahleinst ein jedweder von seinem eigenen Leben Red und Antwort geben. Man siehet derowegen, wie ungereimt diejenigen urtheilen, welche der Obrigkeit eine Gewalt über die Gewissen der Menschen zueignen, wie solches vornemlich der sonst berühmte Hadrian Houtuyn in Polit. general. §. 70. p. 198. zu behaupten sich nicht scheuet; massen, wenn man dieses einer Obrigkeit einräumet, nicht zu ersehen, wie. man die heydnischen Kayser einer Ungerechtigkeit, wegen Verfolgung der Christen, beschuldigen will, daß man also billig, dergleichen zu vertheidigen, einen Abscheu zu tragen hat.  
  Ebenfalls kommt dem Fürsten nicht zu, Theologische Controversien durch einen Rechts - Spruch auszumachen. Denn Gott hat die Schrifft einem jedweden gegeben, darinnen zu forschen, also daß alle Menschen Schrifftgelehrte ( Theologi) seyn müssen. Es haben auch die Unterthanen in Glaubens-Sachen ihren Willen niemals dem Fürsten unterworffen. Seckendorff im Christen- Staat I. 2. c. 9. § 6.
  Und ist deswegen zu bewundern, daß Grotius in seinem Tr. de Jur. Summar. potest. circa sacracap. V. §. 3.u.ff. das Gegentheil behauptet, und sich selbst in dem Tr. de J. B. et P. Lib. II. c. 20. §. 48. widerspricht. Denn er verstehet durch das Judicium imperativum nichts anders, als eine Fürstliche Sententz, wodurch die Unterthanen gezwungen werden, die Meynung des Fürsten anzunehmen, welches doch ein offenbarer Zwang ist.  
  Gleicher gestalt kommt ihm nicht zu, die Decisiones deren Theologen, sie mögen gleich von allgemeinen Conciliis oder Theologischen Facultäten abgefasset seyn, seinen Unterthanen mit Gewalt aufzudringen. Denn so wenig, als ein Fürst selbsten, dergleichen Decisiones machen kan, eben so wenig kommt es denen Theologen und Conciliis zu. Seckend. Christen-Staat ll. IX. 6.
  Sondern ein Fürst muß vielmehr durch gebührende Zwangs-Mittel zu verhindern suchen, damit Theologische Streitigkeiten den äusserlichen Frieden nicht turbiren. Denn es zeiget die Erfah-  
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  rung, was hitzige Köpffe vor Unheil in einem Lande anrichten können. Es ist aber die Gewohnheit dererjenigen, so eine unrechtmäßige Sache behaupten wollen, daß, wenn sie durch vernünfftige Vorstellungen ihren Endzweck nicht erhalten können, sie entweder die Vornehmen, oder die Geringen des Landes, auf ihre Seite zu bringen suchen. Eine Probe davon ist in denen Apost. Gesch. XIX, 23. u. ff. und in des Thomasius Diss. de jure princip. circa adiaph. aus den Consiliis Witteberg.
  Es hat auch ein Fürst nicht die Macht, einen, wegen irriger Meynung, aus der Gemeinde stossen zu lassen: indem die Kirchen-Zucht, wie sie an denen meisten Orten gebrauchet wird, würcklich als eine weltliche Straffe angesehen werden muß; weil dadurch einem an seinem ehrlichen Namen nicht ein geringer Schade zugefüget wird; sondern ein Fürst ist vielmehr schuldig, einen jeden bey seiner Gewissens- Freyheit zu schützen. Man wird auch nirgends lesen, daß in der ersten Christlichen Kirche, eine andere Art zu verfahren wäre vorgenommen worden. Jedoch aber kan er befehlen, und mit Bedrohung der Absetzung verbieten, daß man die Streit-Fragen nicht auf die Cantzel bringen, oder doch wenigstens dieselben mit aller Moderation und Bescheidenheit tractiren solle.  
  Es kan ein Fürst auch keinen wegen Ketzerey mit weltlicher Straffe belegen; indem die Ketzerey den Staat nicht turbiret. Es meynet zwar Carpzov in Crimin. Quaest. 44. n. 33. daß, wenn ein Ketzer, nach genungsamer Warnung, von seiner Ketzerey nicht abstehen wolle, er mit Landes-Verweisung zu bestraffen sey. Aber unstreitig ist auch dieses eine weltliche Straffe. So wenig also als man einem Ketzer, als Ketzer, das Leben nehmen kan, so wenig kan man ihn auch mit dieser Straffe belegen. Es lassen sich auch Irrthümer mit Gewalt nicht benehmen; sondern es ist vielmehr wider alle Vernunfft, jemand mit Gewalt zur Erkänntniß der Wahrheit zu bringen.  
  Man muß aber mit der Landes-Verweisung nicht vermengen, wenn der Fürst dem Ketzer befiehlet, daß er aus dem Lande gehen, und seine Wohnung an einem andern Orte aufschlagen solle. Denn dieses bemercket an und vor sich selbst keine Straffe; es schadet auch dem andern an seinem ehrlichen Namen nicht. Ja, da einem Bürger, aus natürlicher Freyheit, vergönnet ist, in einer andern Republick sich nieder zu lassen; warum solte nicht auch der Fürst ihm das Bürger-Recht aufsagen können?  
  Aus eben diesem Grunde, ist in dem W. F. I. Art . V. §. 36. 37. versehen, daß, wenn einige, z.E. protestirende Unterthanen, unter einem Catholischen Fürsten leben, und dieselben im Jahre 1624 die Religions-Übung nicht gehabt hätten, ein Fürst berechtiget seyn solte, ihnen die Emigration anzubefehlen; und, damit sie desto besser ihre Sachen darnach einrichten können, ist, nach Unterscheid der Zeit, ein gewisser Termin gesetzet,nemlich, wenn sie zur Zeit der Publicirung gedachten Friedens-Schlusses die Religions-Ubung gehabt, solte in 5 Jahren vorhero die Emigration angesaget; so sie aber dieselbe nicht gehabt,  
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  nur 3 Jahr gelassen werden. Nun sind zwar die Publicisten in dieser Sache nicht einerley Meynung, indem etliche dieses von Seiten derer Unterthanen vor eine freywillige Emigration erklären; also daß, so lange sie stille sässen, und keinen Aufruhr anfiengen, der Fürst sie dazu nicht zwingen könne, und führen deswegen an den Art. V. §. 34. Andere aber meynen, daß es eine nothwendige Emigration sey, und daß ein Fürst sie zwingen könne, zu weichen, wenn sie gleich ruhig lebten.  
  Es ist gewiß, daß die erste Erklärung dem Rechte der Natur näher kommet. Nimmt man aber die historischen Umstände derselben Zeit zu Hülffe; so scheinet die letzte wahrscheinlicher zu seyn. Denn was wäre es sonsten von nöthen gewesen, dergleichen Termine zu setzen, da man ja nur hätte ordnen können, daß sie durchgehends solten geduldet werden. Puffendorffs Schwedische Historie das XX Buch §. 89.
  Aus diesem allen aber folget nicht, daß ein Fürst unrecht thue, wenn er einen Prediger, der anders lehret, als die Confeßion seiner Unterthanen mit sich bringet, und dessen überzeuget ist, seines Dienstes erlässet. Denn er hat das Amt zu lehren mit dieser Bedingung angenommen. Es ist zwar bekannt, daß man insgemein wider alle diese vorausgesetzte Lehren einzuwenden pfleget, daß es gleichwohl der Ruhe und dem Frieden des gemeinen Wesens zuwider sey, wenn die Unterthanen nicht einerley Religion zugethan wären. Aber es ist auch nicht zu läugnen, daß dieses Vorhaben der Vernunfft und Erfahrung zuwider ist. Denn jene zeiget, daß die unterschiedenen Meynungen gar nicht hindern, daß nicht Leute mit einander friedlich leben könnten.  
  Die Erfahrung aber lehret uns täglich, daß Privat-Personen, von unterschiedlichen Meynungen, friedlich zusammen leben. Ja, es zeiget es der Staat von Holland,da man gar deutlich siehet, daß der Unterscheid der Secten die Republick nicht beunruhiget; und die Wiedertäuffer selbsten, die sonsten bey uns in einem so übeln Credite seyn, leben daselbst gantz ruhig. Und will man sagen, daß das Gegentheil doch in andem Ländern beobachtet würde; so dienet zur Antwort, daß daran nicht die Religion, sondern Ehr-Geitz, Geld-Geitz, Zorn, Rachgier, und andere dergleichen böse Affecten schuld seyn, welche auch unter einerley Religions-Verwandten die wahre Freundschafft hindern, wie solches die Erfahrung zur Gnüge lehret. Derowegen siehet man, daß ein Fürst wohl thut, wenn er Leute, so anderer Meynung seyn, dultet.  
  Man verstehet aber durch die Tolerantz nichts anders, als daß man suchet äusserlich im gemeinen Leben friedlich mit einander umzugehen, einander die Pflichten des Rechts der Natur nicht versaget, und auf den Cantzeln und in denen Schrifften die vorgegebene irrige Meynung mit aller Sanfftmuth widerleget. Woraus zugleich erhellet, daß ein grosser Unterscheid unter der Tolerantz, und dem Syncretismo sey, welche sonsten insgemein pflegen vermischt zu werden. Seckendorff in seinem Christen-Staat 3. 13. 9.
  Weil wir aber oben gesaget haben, daß ein Fürst über alles das-  
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  jenige gebieten könne, was in dem Recht der Natur nicht ausgemachet ist; so folget daraus, daß dem Fürsten das Recht zukomme, von allen denjenigen Dingen, so, insgemein nur Mittel- Dinge (Adiaphora) genennet werden, Verfügung zu thun, wie er es damit gehalten wissen wolle. Es wird aber das Wort adiaphoron in zweyerley, nemlich in weitem, ober in engem Verstande, genommen. Jener begreiffet alles dasjenige in sich, was weder gut noch böse, oder was in den göttlichen Gesetzen nicht bestimmet und ausgedrucket ist. Im engen Verstande aber werden alle diejenigen Gebräuche und Ceremonien darunter verstanden, welche in denen Versammlungen der Christen pflegen beobachtet zu werden, ohne daß sie von Gott befohlen seyn. Also war in dem vorigen Jahrhunderte die Frage: Ob ein Protestantischer Fürst in seinem Lande den Gregorianischen Calender annehmen? Ob er die in denen Kirchen gebräuchliche Music abschaffen? Ob er die Kleidung der Priester verändern? Ob er die Altäre, Bilder und andern Zierrath in denen Kirchen aufheben? Ob er die Beichte, Exorcismum. und andere Kirchen-Gebräuche verbieten könne? u.d.m. Worauf aber allerdings mit Ja geantwortet werden muß, indem alle diese Dinge zu denen Adiaphoris gehören, welche in der Schrifft und in dem Rechte der Natur nicht geboten seyn.  
  Bey diesem allen aber muß dennoch ein Fürst behutsam verfahren, und allezeit das Recht eines Fürsten von demjenigen, was sich thun lässet, und was der Nutzen des gemeinen Wesens erfordert, unterscheiden. Denn viele Dinge kan man wohl thun; aber sie sind nicht allezeit gut und nützlich, wenn man sie thut. Also hat ein Fürst öffters das gröste Recht, einen andern mit Krieg zu überzühen; aber es ist eine andere Frage, ob er wohl thut, ob es seine Umstände, die Beschaffenheit seines Landes, und andere dergleichen Dinge zulassen, den Krieg anzufangen.  
  Welches ein Fürst desto mehr in Religions-Sachen in Obacht zunehmen hat; indem die meisten Menschen an dem äusserlichen hangen, und meynen, daß die gantze Religion in äusserlichen Ceremonien bestünde. Und zeiget die Historie aller Zeiten, was dergleichen abergläubischer und unvernünfftiger Eiffer des gemeinen Pöbels vor Unglück über ein und andere Länder gezogen hat. Denn wenn man die Sache etwas genauer betrachtet; so wird man finden, daß die Religion bey unvernünfftigen Menschen von der Einbildung abhanget. Geschiehet also darinnen nur die geringste Veränderung; so meynen sie gleich, es wäre wider ihr Gewissen. Und wird davon des Gottfried Arnolds Kirchen- und Ketzer-Historie, die Historia Gothana, der Hospinianus in Concordia discorde und Spanhemius in Historia Imaginum, gnug Exempel geben.
  Damit sich also ein Fürst zum Schaden seiner Republick darinnen nicht vergehe; ist vor allen Dingen von nöthen, daß er selbsten wisse, was Adiaphora seyn, und wie weit sich, nach dem Rechte der Natur, seine Macht erstrecke. Und dieses kan er gar leichte lernen. Das allerbeste Mittel aber ist, daß man die Geistlichen dazu an-  
  {Sp. 1401|S. 710}  
  hält, damit sie selbsten auf denen Cantzeln lehren müssen, was Adiaphora seyn, und wie ferne dieselben zur wahren Religion gehören. Denn es ist kein Zweiffel, daß, wenn die meisten Geistlichen dieses so, wie es seyn solte, in Obacht nähmen, und ihrem Ehr- und Geld-Geitze öffters nicht so sehr den Zaum liessen, daß in vielen Stücken die Christliche Religion ein gantz ander Ansehen haben würde. Carpzov in diss. de Jure decidendi Controversias Theologicas, mit denen Noten des Geheimden Rath Thomasius.
  Aus denen bishero gezeigten Sätzen erhellet, daß es falsch sey, wenn man lehret, daß ein Protestirender Fürst ist Deutschland bey seiner Regierung zwey Personen vorstelle, nemlich eine Bischöffliche und eine Fürstliche. Diese in weltlichen, jene in Religions-Sachen. Denn hätte man betrachtet, daß das Recht in Religions-Sachen ein Stück der höchsten Majestät sey; so würde man dem Fürsten in Ausübung desselben eben so wenig eine andere Person beygeleget haben, als wenn er seine übrige Regalien ausübet.  
  Und dieses bekräfftiget auch der Zustand voriger Zeiten. Denn weder in der Schrifft, noch in der ersten Kirche, haben die Bischöffe eine äusserliche Gewalt gehabt; sondern es haben auch in denen folgenden Zeiten die Kayser und die Fürsten des Deutschen Reichs das Recht in geistlichen oder Kirchen-Sachen (Jus circa Sacra) ausgeübet, bis endlich die Bischöffe sich dieses Rechtes gröstentheils angemasset, daß derowegen dieselbe bey der Reformation mit allem Rechte die ihnen deshalber gebührenden Rechte wiederum vindiciret haben. Und.ist es ja auch nicht etwan eine Sache, die nur auf blossen Grillen beruhet, sondern woran insonderheit denen Protestantischen Fürsten viel gelegen ist.  
  Eben daraus flüsset auch, daß die andere Eintheilung in das Bischöffliche Recht (Jus Episcopale) und das Recht in Kirchen-Sachen (Jus Sacrorum) nichts nützet. Denn wenn man gleich sagen will, daß das Jus circa Sacra dem Fürsten,das Jus Episcopale aber dem Consistorio zukomme; so ist doch bekannt, daß das Consistorium ein Collegium ist, so von dem Fürsten dependiret, und alles in dessen Namen nicht anders, als wie andere Fürstliche Collegia, verrichtet.  
  Ferner folget daraus, daß der von einigen gemachte Unterschied zwischen der innerlichen und äusserlichen Gewalt (inter potestatem internam et externam) ebenfalls gäntzlich verworffen werden muß, weil dieselbe dunckel, und zu vielen falschen Meynungen Anlaß giebet. Thomasius in Diss. de Jure princ. circa Adiaphora, desgleichen in Tr. de Historia contentionis inter Imperium et Sacerdotium.
  Dieweil aber in Deutschland in Beurtheilung des Rechts eines Fürsten in geistlichen Sachen, und Rechts, die Religion zu reformiren, nicht bloß alleine auf das Recht der Natur, sondern vornemlich auf das W.F.I. zu sehen; also findet sich auch in demselben, daß denen Ständen des Reichs ausdrücklich das Recht eingestanden wird, zu verordnen, welche Religion in ihren Ländern öffentlich gedultet werden soll, jedoch nur in so weit ihnen das Reformations-Recht zukom- 
  {Sp. 1402}  
  met. Wovon unter einem besondern Artickel ein mehrers nachgesehen werden kann.  

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Stand: 10. September 2016 © Hans-Walter Pries