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Zedler: Rede, in der Philosophie [1] HIS-Data
5028-30-1589-1-01
Titel: Rede, in der Philosophie [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 30 Sp. 1589
Jahr: 1741
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 30 S. 804
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Hinweise:
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Übersicht
theoretische Betrachtung
  natürliche Beschaffenheit
 
  1. Wie die Rede geschieht?
  2. Wem die Rede zukomme?
 
  Ursprung der Rede
  3. Gottes Absicht?
  künstliche Beschaffenheit

Stichworte Text   Quellenangaben
  Rede, Sermo, Oratio, Parler.  
  Von der Rede wird in verschiedenen Theilen der Philosophie gehandelt; damit wir aber alles ordentlich zusammen fassen, wollen wir eine theoretische und practische Betrachtung anstellen.  
theoretische Betrachtung Nach der theoretischen haben wir die Natur und Beschaffenheit der Rede zu untersuchen, welche entweder eine natürliche oder künstliche.  
natürliche Beschaffenheit Nach der natürlichen ist sie ein abgetheilter Klang, dadurch ein Mensch dem andern seine Gedancken und Begierden zu verstehen giebt. Sie ist von der Stimme und Ton unterschieden. Denn die Stimme ist ein Ton, den alle lebendigen Geschöpffe von sich geben; der Ton aber alles, was durch die Ohren empfunden wird.  
  Ins besondere haben wir drey Fragen zu erwegen:  
 
  • wie die Rede geschicht?
  • wem sie zukomme?
  • und was Gott dabey vor eine Absicht gehabt?
 
1. Wie die Rede geschieht? Erstlich ist die Frage: wie die Rede geschicht? Sie geschicht durch die Bewegung der Lufft, zwischen der Zunge, dem Gaumen und den Lippen, wodurch eine Stimme formiret wird, die durch gewisse Masse in vernehmliche Sylben und Worte gefasset, etwas gewisses bedeuten. Es sind dazu besondere Werckzeuge nöthig, die von den Anatomicis beschrieben werden, und nach dem unterschiedenen Maaß der Bewegung, wie die Lufft ausgelassen wird, geschichts, daß man entweder laut oder leise redet.  
  Ein Frantzos, Namens Cordemoy, hat einen besondern physischen Tractat de loquela 1668 in Frantzösischer Sprache geschrieben, der nachgehends in das Lateinische übersetzet worden, wobey man auch Grischow in introd. in philol. general. cap. 3. nebst den andern Scribenten, die wir hernach anführen wollen, lesen kan, in welchen Büchern umständlicher gezeiget worden, wie die Rede bey einem Menschen geschiehet. Man kan auch Werenfelsii Dissertation de loquela lesen, welche sich tom. 2. dissertationum varii argumenti p. 111. befindet.  
2. Wem die Rede zukomme? Vors andere fragt sichs: wem die Rede zu komme? Das Reden ist dem Menschen allein eigen, wie Cicero lib. 1. de oratore saget: Dieses haben wir fast allein vor den unvernünfftigen Thieren, daß wir mit einander sprechen und unsere Gedancken ausdrücken können. Aristoteles aber polit. lib. 1. cap. 2. Die Natur macht nichts vergebens. Der Mensch allein hat unter allen Thieren die Krafft zu reden.  
  Es bezeuget dieses nicht nur die Erfahrung; sondern wir können auch dieses aus der Beschaffenheit der unvernünfftigen Thiere und Creaturen sehen. Wer reden will, muß vorher vernünfftige Gedancken haben und reflectiren können, daß er weiß, was er reden soll. Aus welchem Grund die unvernünfftigen Thiere keine Reden haben können, bey denen auch die Absicht nicht statt findet, warum Gott dem Menschen das Vermögen zu reden gegeben, daß derselbige gesellschaftlich leben könne.  
  Unter den Alten haben zwar Plutarchus, Empedocles,  
  {Sp. 1590}  
  Sextus Empiricus, Porphyrius, und von den Neuern Isaac Voßius, Hier. Rorarius den Bestien eine Rede zugeschrieben, siehe Morhof in polyhist. litterar. lib. 1. cap. 1. §. 3. und Paschium de inventis nov-antiquis p. 811.
  Denn ob gleich ein Rabe, ein Papagoy etliche Worte aussprechen lernet, so ist doch solches nicht ein Reden, sondern ein Nachahmen menschlicher Stimme, und sie wissen viel, was die Worte bedeuten sollen. Was wir in der Schrifft von der Eselin des Bileams lesen, muß als ein göttliches Wunderwerck angesehen werden. Die heydnischen Scribenten erzehlen auch Exempel von Thieren, daß sie geredet, die man aber entweder aus Betrug oder aus Mißverstand dafür angenommen. Sie haben wohl eine Stimme, dadurch auch manche Arten einander locken können; Solche Stimme aber ist noch keine Rede.  
  Ob die Engel unter einander reden; ob die Seligen im Himmel reden, und was für eine Sprache sie brauchen werden? sind unnütze und vergebliche Fragen, darüber ehemahls sonderlich die Scholastici ihre Zeit verderbet haben. Daß die Engel einander ihre Gedancken zu erkennen geben, ist ausser allem Zweiffel, weil sie in einer Gesellschafft stehen; daß aber dieses durch Stimmen und Worte geschehe, kan daher nicht behauptet werden, weil sie als Geister die hierzu nöthigen Werckzeuge nicht haben.  
  Ob man die Tauben und Stummen redend machen könne? solches haben verschiedene versuchet, und wie sie versichert, Proben davon gemacht, unter denen sich Johann Wallis in dem Tractatu grammatico-physico de loquela sine sonorum formatione, der 1683 zuerst heraus kommen, und nachgehends dem 1699 zu Oxfort edirten dritten Theil der operum mathematicorum einverleibet worden, und Johann Conrad Amman in surdo loquente (Amsterdam 1692 und 1700 vermehrter unter dem Titel: Dissertatio de loquela) viele Mühe gegeben, anderer nicht zu gedencken, von denen Morhof de paradoxis sensuum cap. 3. p. 316. Dissertat. academ. und Eckard in den monatlichen Auszügen 1700. p. 269. zu lesen sind.  
Ursprung der Rede Die Natur theilt dem Menschen das Vermögen zu reden mit; die Fertigkeit aber erlangt man durch die Übung vermittelst der Nachahmung, daß er nach und nach diese, oder jene Sprache zu reden fähig wird. Eben auf den Unterscheid zwischen der Rede und Sprache hat man zu sehen, wenn man bey den Dispüten vom Ursprung der Rede die Sache ordentlich aus einander setzen und vortragen will.  
  Nimmt man hier zuerst die historischen Nachrichten davon zur Hand, so ist das, was die Heyden davon sagen, ein fabelhaftes Vorgeben, deren Stellen Pufendorf in jure nat. et gentium lib. 4. cap. 1. §. 3. angeführet, warum man sich nicht zu verwundern hat. Denn da sie so wohl überhaupt vom Ursprung aller Dinge; als insonderheit des menschlichen Geschlechts nicht wusten, so war kein Wunder, wenn sie auch vom Ursprung der Rede nichts sagen konnten.  
  Aus der Schrifft sehen wir, daß Gott dem ersten Menschen eine Fertigkeit eine Sprache zu reden angeschaffen, wie er nachgehends den Aposteln die Gabe mancherley Sprachen zu reden, mitgetheilet. Es ist auch höchst wahrscheinlich,  
  {Sp. 1591|S. 805}  
  daß die Sprache, die unsere ersten Eltern geredet, keine andere, als die Hebräische gewesen, ob wohl viele sind, die gantz andere Gedancken davon haben. Man lese  
 
  • August Pfeiffers exercitat. de lingua protoplast. in fascicul. Dissertat. p. 121. ff. und in dubiis vexatis p. 84. ff.
  • Buxtorf in dissert. philol. theolog. n. 1.
  • Clerc in sentim. des quelques theologiens de Hollande sur l‘ hist. crit. ep. 19. p. 122.
  • Buddeum in histor. eccles. Vet. Test. tom. 1. p. 94. 212. 234.
 
  wiewohl dieser Punct eigentlich hieher nicht, sondern in den Artickel: Sprache, gehöret.  
  Wir haben auch nicht zu untersuchen, ob die Wörter dieser ersten Sprache eine natürliche Krafft etwas zu bedeuten haben, und ob sich diese Krafft auf die Übereinstimmung mit der Sache selbst gründe; oder ob solche Bedeutungs-Krafft von der Anordnung und Willkühr unserer ersten Eltern herrühre? Das erste haben dafür gehalten Helmontius, Zierold, Caspar Neumann, wie dessen genesis linguae sanctae und Lexicon, so sich auf diese Meynung gründet, ausweisen. Wenigstens gehöret eine grosse Einbildungskrafft dazu, wenn man sich solche Dinge einbilden soll.  
  Es ist auch damit die Frage verknüpffet: Ob Adam den Thieren solche Nahmen beygeleget, welche mit der Beschaffenheit und Natur derselben überein kommen? wovon Lilienthal in Select. histor. litterar. tom. 1. obs. 9. p. 258. zu lesen.
  Die Nachkommen unserer ersten Eltern haben von Natur keine Fertigkeit; sondern nur eine Krafft zu reden bekommen, aus welcher nach und nach durch die Nachahmung, vermittelst des Gehörs, eine Fertigkeit erwachsen. Sie haben einerley Sprache geredet, bis der Bau des Babylonischen Thurms Anlaß zu dem Unterscheid der Sprachen gegeben, wovon uns Moses im 1 seiner Bücher Cap. XI. unterrichtet. Es finden sich zwar einige, welche diese Geschicht nicht so wohl von einer Verwirrung der Sprachen, als vielmehr der Gemüther auslegen, daß die Bauleute unter sich uneins und dadurch bewogen worden aus einander zu gehen, und den Bau liegen zu lassen, als Clerc in dem Comment. über die angezogene Stelle. Hermann von der Hardt in den ephemer. philolog. disc. 3. denen man Vitringam in Observ. Sacris lib. I. Diss. I. beyfügen kan.  
  Solche Zerstreuung soll nach ihrer Meynung die Ursach von dem Unterscheid der Sprachen gewesen seyn. Es haben aber andere angemercket, daß aus dem 7, 8 und 9ten Vers des angeführten Capitels gantz deutlich zu ersehen, daß vielmehr die Verwirrung der Sprachen Ursach der Zerstreuung, und nicht die Zerstreuung die Ursach vom Unterscheid der Sprachen gewesen. So viel erkennen wir aus der Heiligen Schrifft von dieser Sache.  
  Sehen wir sie nach der Vernunfft an, so weiß man, daß man von Natur das Vermögen zu reden habe, und daß die Fertigkeit eine Sprache zu reden durch die Nachahmung erlangt werde. Die Wörter selbst und ihre Bedeutungen dependiren von dem menschlichen Willkühr, daß wenn man z.E. eine Person, die über einen Strich Landes zu gebieten hat, Fürst nennet, so ist dieses was willkührliches, und man hät-  
  {Sp. 1592}  
  te ihr auch einen andern Namen geben können. Denn ein mahl ist bekannt, daß ein Wort mehr als eine Bedeutung hat, und gantz unterschiedene Dinge anzeiget; Gleichwie eine Sache vielmahls mit verschiedenen Wörtern beleget wird. Man weiß von den meisten Sprachen, daß sie im Anfang sehr arm und mager gewesen, nach der Zeit aber von den Menschen vermehret worden. Aus diesen Umständen läst sich schlüssen, es müsse in den Wörtern keine solche innerliche Bedeutungs-Krafft stecken, die mit der Natur einer Sache übereinkomme. Wenn aber die Wörter und deren Bedeutungen auf den Willkühr der Menschen ankommen, so ist deswegen kein besonderer und ausdrücklicher Vergleich getroffen worden; sondern der Grund davon ist die langwierige Gewohnheit, nach dem vorher von ohngefehr diese, oder jene Wörter angenommen und mit einer besondern Bedeutung beleget worden. Solche Gewohnheit und Gebrauch ist entweder ein allgemeiner unter einem gantzen Volck; oder ein besonderer unter Künstlern und Gelehrten von Dingen, die dem gemeinen Mann nicht angehen, und nicht allenthalben im Gebrauch sind. Man lese Pufendorf de jure nat. et gentium. lib. 4. cap. 1. §. 5. 6. und Thomasium in jurisprudentia divina lib. 2. cap. 8. §. 12. ff.
  Aus diesem kan man sehen, daß viele Scribenten des natürlichen Rechts ohne Grund die Rede unter die menschlichen Verordnungen zählen.  
3. Gottes Absicht? Nun ist noch die dritte Frage übrig: was Gott bey der Rede vor eine Absicht gehabt? Weil die Rede dazu dienet, daß man dadurch dem andern seine Gedancken an Tag leget, so schlüsset man daraus, daß dahin auch die göttliche Absicht gegangen, und nimmt daher ein Argument vom gesellschaftlichen Leben der Menschen, Gott wolle haben, die Menschen solten in einer Gesellschafft unter sich leben, weil er ihnen das Vermögen zu reden mitgetheilet. Wie überhaupt aus der Beschaffenheit der Menschen die göttliche Existentz zu erkennen, also läst sich diese auch insonderheit aus der Rede beweisen. Man lese Jac. Wilh. Feuerleins Dissertationem philosophicam ex loquela hominis argumentum existentiae et providentiae divinae deducentem, Altd. 1719, nebst des Murray Tractat: demonstratio Dei ex voce animalium.
künstliche Beschaffenheit Bishero haben wir die Rede nach ihrer natürlichen Beschaffenheit betrachtet, sofern sie als ein abgetheilter Klang angesehen wird; nun aber müssen wir sie auch nach der künstlichen Beschaffenheit erwegen, sofern sie nach einer gewissen Art in gehöriger Ordnung zusammen gesetzet und eingerichtet wird. In dieser Absicht gibts unterschiedene Arten der Rede. Die Peripatetici theilen in ihrer Logick dieselbe in eine unvollkommene welche keinen völligen Begriff von etwas entdecke, oder ausdrücke; z.E. wer fromm und gelehret ist; und in die vollkommene, welche einen völligen Begriff von etwas an Tag gebe, die wieder getheilet wird in enunciativam orationem, in die aussprechende Rede, wovon man in der Lehre von der Enunciation handelt; und in non enunciativam, die keinen gewissen Ausspruch thäte, und weder etwas bejahete, noch verneinete, dergleichen die Frag- Befehl- Wunsch- und Bitt-Sätze wären, siehe
  {Sp. 1593|S. 806}  
   
  • Bechmanns instit. logic. lib. 2. cap. 2.
  • Chauvins Lexic. philosoph. p. 462. edit. 2.
  Wenn man die unterschiedene Reden schlechterdings nach der Logic untersuchet, so bestehet sie bisweilen in einem blossen Termino, bisweilen nur in einer Enunciation, da man etwas bejahet oder verneinet; bisweilen in einem Vernunfft-Schlusse, der aus einer Enunciation gefolgert worden, woraus hernach ein völliger Discours entstehet, der gleichsam aus solchen kleinen Reden zusammen gesetzet ist, der aber auch eine Rede genennet, und von uns in dem folgenden vornemlich verstanden wird.  
  Aber wir finden noch unterschiedene Umstände, darinnen die Reden von einander unterschieden sind. Sie sind unterschieden in Ansehung der Materien, die sie fürtragen: bald lobet man, bald macht man einen herunter; bald fragt man, bald unterrichtet man, bald bittet man, bald befiehlt man; bald ist die Rede von geistlichen, bald weltlichen, bald gelehrten, bald von ungelehrten und häuslichen Sachen, u.s.w.  
  Sie sind aber auch unterschieden in Ansehung der Art, wie dieselbigen in Absicht der unterschiedenen Kräffte des Verstandes, daher die Gedancken kommen, und welche durch die Rede ausgedruckt und an Tag gegeben werden, eingerichtet sind. Denn man wird befinden, daß bey einigen Reden das meiste auf das Gedächtniß ankommt, z.E. wenn man etwas schlechterdings erzählet, so man entweder selbst gesehen, oder gehöret, oder gelesen, und wie die Geschicklichkeit des Gedächtniß darinnen bestehet, daß man eine Sache ordentlich fasset, und behält, welcher Geschicklichkeit die Unordnung und Verwirrung entgegen stehet, so wird man auch in Ansehung dessen zwey Arten der redenden antreffen.  
  Einige, wenn sie etwas erzählen, wissen ihren Vortrag ordentlich einzurichten; einige aber vermischen alles unter einander, das letzte setzen sie voran, daß erste hinten hin, und die Umstände einer Sache hängen nicht zusammen, daß man kaum weiß, obs gehauen, oder gestochen seyn soll. In etlichen Reden leuchtet sonderlich die Zusammenreimungs-Krafft, oder das Ingenium herfür, wohin die kurtze, und artige empfindliche Reden gehören, die in einer segensreichen Kürtze solche Neben-Ideen, ingleichen solche Folgerungen in sich halten, die nach der Absicht des redenden die Affecten der hörenden auf eine empfindliche Art erregen sollen.  
  Gracian führet in seinem Oracul Max. 37. dreyerley Sorten derselben an, deren man sich mit Nachdruck bedienen könne, um die Gemüther anderer rege zu machen und in eine Bewegung zu bringen. Man läst sich mit dergleichen heraus, entweder die Affecten und Gedancken, so die Leute in Ansehung einer Sachen, oder Person hegen, dadurch auszuforschen, oder ihnen gewisse Gedancken und Affecten beyzubringen; und dieses letztere hinwiederum entweder in der Absicht, eine Person oder Sache herunterzumachen, oder in der Absicht eine Sache, oder Person mit Nachdruck zu erheben.  
  Erstlich braucht man zuweilen dergleichen Reden, um die Gemüther anderer auszulocken. Denn ein wohl angebrachtes nachdenckliches Wort, dadurch man mit einem sinnreichen acumine auf etwas zielet, ist fähig, vermittelst der lebhaften Vor-  
  {Sp. 1594}  
  stellungen, welche ein Gemüth sich zu machen dadurch gereitzet wird, selbiges in ausserordentliche Beschäfftigung und Bewegung zu setzen. Sind die Leute gegen eine Person oder Sache wohl, oder nicht zum besten geneigt, und kommet man in ihrer Gesellschafft mit einer solchen nachdrücklichen Rede, welche selbige Person, oder Sache betrifft, so werden ihre geneigten oder widrigen Affecten dermassen schleunig und lebhafft dadurch gerührt, daß ein Gemüth in der Verstellungs-Kunst es auf einen ziemlichen Grad der Vollkommenheiten gebracht haben muß, daß er nicht die Unordnung und Hefftigkeit seines gereitzten Affects einiger massen äusserlich solte blicken lassen; es sey nun, daß solches durch eine verdrüßliche, oder freudige Widerrede, oder nur wenigstens durch dergleichen Mine geschehe. Solcher gestalt sind dergleichen Reden gar dienliche Mittel ein Gemüth auszuforschen, wie es gegen eine Person oder Sache gesinnet sey, da man sonst auf eine plumpe Nachfrage mehrentheils schlechten Bescheid bekommt. Der Affect muß in dergleichen Begebenheiten der Verräther seyn, welchen man zwingen muß, so, wie gedacht, durch dergleichen Reden aufs nachdrücklichste geschehen kan.  
  Hernach bedienet man sich solcher Reden in dergleichen Absicht, eine Sache, oder Person herunter zu machen, welches viele nicht schlechterdings mißbilligen. Denn es könnten Fälle seyn, da dem gemeinen Besten daran gelegen, daß ein Irrthum, eine Gottlosigkeit, eine Eitelkeit zu einem Gelächter werden möge, wenn man nemlich anderer gestalt denselben nicht kräfftig gnug steuren könne: und weil dergleichen Thorheiten durch die Personen, denen sie anhangen, öffters unterstützet und in Flor erhalten würden; so sey es nicht wider die Vernunfft, wenn man bey Durchhechelung einer groben Narrheit auch zuweilen den groben Narren ein wenig mit treffe, und die gar natürliche Folgerung, welche man von der Narrheit auf den Narren machen könne, eben nicht gar sorgfältig abzulehnen und zu verhüten suche.  
  Die dritte Art solcher Reden ist, dadurch die Reputation dessen, von dem man redet, bekräfftiget wird. Denn es ist gewiß, daß eine in einer kurtzen nachdencklichen Rede verdeckte Lobes-Erhebung von weit grösserer Würckung ist, als ein zu Hause mühsam ausstudirter Panegyricus, den ohne dem jedermann vor paßionirt zu halten pfleget, siehe Müllers Anmerckungen über Gracians Oracul c.l. p. 254.
  Wer solche Rede mit Geschick fürbringen will, muß eine gute Lebhafftigkeit des Ingenii haben, daher diejenigen, welche entweder damit gar nicht versehen, oder die Masse der Artigkeit sinnreicher Gedancken überschreiten, bey vernünfftigen Leuten gar unglücklich seyn werden.  
  Endlich läst sich bisweilen in den Reden sonderlich die Urtheils-Krafft oder das Judicium sehen, da man nach Beschaffenheit der vorkommenden Materien Wahrheiten zeiget, solche beurtheilet, seine Gedancken über diese und jene Sache scharffsinnig entdecket, und seine Gedancken bald mit einer Gewißheit; bald mit einer Wahrscheinlichkeit zu bekräfftigen weiß. Kommen z.E. judicieuse und ingenieuse Köpffe zusammen, und reden von einer Absicht und Ausführung  
  {Sp. 1595|S. 807}  
  einer gewissen Sache, so wird der ingenieuse allerhand Rath- und Anschläge aufs Tapet bringen, wie die Sache anzugreiffen und auszuführen sey; der judicieuse aber wird solche Rathschläge reiff überlegen, das ist, mit den sich ereignenden Umständen der Sache conferiren und urtheilen, ob sie practicabel, oder nicht. Aus solchen Reden nun kan einer gar leicht die Fähigkeit des Verstandes eines andern erkennen, wenn er aufmercksam ist, und vermöge der Scharffsinnigkeit urtheilen, wozu man sich seiner Dienste am besten bedienen könne.  
  Überdies findet sich noch ein Unterscheid der Reden, in Ansehung ihrer moralischen Natur, indem einige von den Regeln der Billigkeit; einige von den Regeln der Klugheit dependiren: jene könnte man Pflichts-Reden, wovon in der Philosophie das natürliche Recht handelt; diese aber politische Reden und Discourse, deren man sich in der Conversation bedienet, und davon die Lehre von der Klugheit zu leben, Unterricht giebet, nennen.  
     

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Stand: 7. Februar 2024 © Hans-Walter Pries