HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Seele [7] HIS-Data
5028-36-1051-4-07
Titel: Seele [7]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 36 Sp. 1108
Jahr: 1743
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 36 S. 567
Vorheriger Artikel: Seele [6]
Folgender Artikel: Seele [8]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden

vorhergehender Text  Teil 6 Artikelübersicht Teil 8  Fortsetzung

Übersicht
Vereinigung der Seele mit dem Cörper (Forts.)
  Drei Systeme (Forts.)
 
  System der vorher bestimmten Übereinstimmung

  Text   Quellenangaben
  Das dritte ist das SYSTEMA HARMONIAE PRAESTABILITAE, oder das Systema der vorher bestimmten Übereinstimmung, (Harmonie,) deren gantzer Titel eigentlich ist: HARMONIA ANIMI ET CORPORIS HUMANI PRAESTABILITA, die vorausgesetzte, vorher eingerichtete Harmonie zwischen Seele und Leib. Dieses nennt man das Systema des berühmten Herrn von Leibnitz. Denn da  
  {Sp. 1109|S. 568}  
  sich bey den beyden vorgenannten Systematibus viele Schwierigkeiten fanden, so war er auf ein anders, dadurch man am besten aus der Sache kommen könnte, bedacht, und das ist eben das Systema harmoniae praestabilitae, daß GOtt in die Materie und in den Cörper eine Bewegungs-Krafft geleget, und die Ordnung voraus gesetzet, daß auf die Bewegung in der Seele die Bewegung des Leibes erfolgen solte, so, daß alle Veränderungen des Leibes in seinem Wesen gegründet, und weder die Seele in den Leib, noch der Leib in die Seele würcke, auch nicht GOtt durch seine unmittelbare Würckung solches verrichte, wie wohl zu mercken, daß viele Grund-Sätze dieser Philosophie schon bey den Alten angetroffen werden.  
  Er eröffnete davon erst seine Gedancken in dem Journal des Scavans 1695 p. 444. und 455. und belegte dieses Systema mit dem Nahmen harmoniae praestabilitae, dawider andere ihm Einwürffe gemacht, die er zu beantworten, und diß Systema zu retten gesuchet.  
  Der erste darunter ist Foucher in dem Journal des Scavans 1695. p. 639. sqq. gewesen, dem Leibnitz in eben diesen Journal in dem folgenden Jahr 1696 pag. 255.259. geantwortet, worauf gefolget Bayle in Diction. historiqu. et crit. unter dem Artickel Rorarius, dem die Antwort nicht nur in der histoire de Ouvrages des Scavans 1698. p. 329. sondern auch, indem er in der neuen Auflage seines Dictionaire 1702 von neuem was erinnerte, in seinem Schediasmate geschehen, welches sich tom. 2. pag. 389. recueil des diverse pieces befindet, auch in deutscher Sprache den 1700 heraus gekommenen Lehr-Sätzen über die Monadologie p. 47. beygefüget worden.  
  Ferner gehöret hieher Frantz Lamy de la connoissance de Systeme Tr. 2. p. 225. sqq. worauf Leibnitzens Antwort in dem Journal des Scavans 1709. p. 593. stehet; wie nicht weniger  
 
  • Tournemine in memoire de Trevoux 1703. p. 866.
  • Isaac Newton in epistola ad abatem Contium, t. 2. p. 18. recueil de diverses pieces;
  • Samuel Clarck in dem Send-Schreiben an die Cron-Prinzeßin von Wallis,
 
  denen Leibnitz andere entgegen gesetzet, welche gewechselte Schrifften Englisch und Frantzösisch auch Deutsch heraus gekommen.  
  Es haben Newton und Clarck die vorher bestimmte Harmonie vor ein Wunder ausgegeben, dawider 1725 zu Wittenberg Joh. Samuel Billeb zwey Dissertationen: an harmonia inter animam et corpus praestabilita sit miraculum? geschrieben. Ausser diesen ist auch noch Georg Ernst Stahl in enodation. p. 115. u.ff. anzuführen.  
  Unter denen, die das Leibnitzische Systema angenommen, weiter ausgeführet und verteidiget haben, ist sonderlich der Herr Wolff in seinen vernünfftigen Gedancken von GOtt, der Welt und der Seele des Menschen. Er widerlegt vorher Cap. 5. §. 761. u.ff. die beyden andern Systemata. Was er dabey vor Gründe angeführet, ist schon oben unter beyden Systematen und unter jedem besonders angemercket worden.  
  Hierauf fängt er §. 765. an, das Systema der vorher bestimmten Harmonie zu erklären und zu beweisen. Damit man sich aber diese Sache deutlich vorstelle, so muß man vorher wissen, was er sich vor einen Begriff vom Cörper, von der Seele, und von der Bewegung mache, und muß daher insonderheit das  
  {Sp. 1110}  
  vorhergehende 4 Capitel von der Welt gelesen werden. Er stellet sich die Welt als eine Machine für, die wie eine Machine ein zusammengesetztes Ding, dessen Veränderungen in der Art der Zusammensetzung gegründet, daß sie sich nicht anders, als wie ein Uhrwerck verhalte. Was man aber von der Welt sage, das gelte auch von allen zusammengesetzten Dingen, daß sie auch Machinen wären. Auf solche Weise wären die Begebenheiten in der Welt nothwendig, aber nur in soweit, als das vorhergehende gewesen, und also nicht schlechterdings.  
  Er schlüsset aber §. 582. weiter, weil eine Welt ein zusammengesetztes Ding, so müsten auch einfache Dinge seyn, daraus ihre Theile zusammengesetzt würden. Solche einfache Dinge nennt er die Elementen, von denen man aber alles dasjenige sagen könnte, was er vorher von den einfachen Dingen überhaupt ausgeführet. Sie hätten eine Krafft, wodurch sie ohn Unterlaß ihren innern Zustand veränderten, und wären etwas vor sich bestehendes, und würden durch die Art der Einschränckung von einander unterschieden. Aus den einfachen kämen zusammengesetzte Dinge, oder die Cörper, §. 603. es erfordert aber der Herr Wolff §. 626. 3 Stücke zu einem Cörper, als eine Materie, ein Wesen, und eine bewegende Krafft, daß man demnach einen Cörper erklären könne: er sey ein aus Materie zusammengesetztes Ding, das eine bewegende Krafft in sich habe. Solche bewegende Krafft bestehe in einer steten Bemühung, die Materie zu bewegen. Dieses ist also der erste Begriff bey dieser Sache, daß der Cörper eine bewegende Krafft habe.  
  Von der Seele führet er §. 742. u.ff. an, daß sie ein einfaches vor sich bestehendes Ding sey, in der nur eine einige Krafft, von der alle ihre Veränderungen herkämen, ob man zwar wegen der verschiedenen Veränderungen ihr verschiedenen Nahmen beyzulegen pflegte, welche Krafft sich überhaupt darinnen äussere, daß sie sich die Welt vorstelle. Auf solche Weise wird voraus gesetzt, daß der Grund der Veränderungen des Leibes und der Seele in ihrem beyderseitigen Wesen liege, und wie keine Veränderung ohne Bewegung geschehen könte; also dependire die folgende Bewegung von der vorhergehenden, nicht daß die Bewegungen der Seele und des Leibes mit einander übereinstimmten, habe GOtt voraus gesetzet, und verordnet. Von dieser Harmonie schreibt nun §. 765. der Herr Wolff also:  
  Da nun die Seele ihre eigene Krafft hat, wodurch sie sich die Welt vorstellet, hingegen auch alle Veränderungen des Leibes in seinem Wesen und seiner Natur gegründet sind, so siehet man leicht, daß die Seele daß ihre vor sich thue, und der Cörper gleichfalls seine Veränderung vor sich habe, ohne daß entweder die Seele in den Leib, und der Leib in die Seele würcke, oder auch GOtt durch seine unmittelbare Würckung solches verrichte, nur stimmten die Empfindungen und Begierden der Seele mit den Veränderungen und Bewegungen des Leibes überein.  
  §. 766. räumt er ein, daß man durch die Erfahrung weiter nichts, als eine bloße Übereinstimmung, oder Harmonie wahrnehme, folglich, wenn man den Grund davon zeigen solte, so sey nicht genug, daß man sage, GOtt habe die Harmonie zwischen der Seele und dem Cörper aufgerichtet, in dem man sonst auf des Car-  
  {Sp. 1111|S. 569}  
  tesius unmittelbaren Willen Gottes  verfiel, mithin müste man zeigen, wie solche Harmonie möglich sey. Es sey demnach zu mercken, daß die Veränderungen in der Welt alle in einer unverrückten Ordnung auf einander erfolgten, und weil gleichfalls in der Seele der vorhergehende Zustand den Grund von dem folgenden in sich enthalten müsse, die Empfindungen in der Seele gleichfalls in einer unverrückten Ordnung auf einander erfolgten. Da nun die Empfindungen die Veränderungen in der Welt vorstellten; so sey nur nöthig, daß sie im Anfange einmahl mit einander in eine Harmonie gebracht worden, und es könne nach dieser dieselbe beständig fortdauren.  
  Er schließt dahero §. 775. u.ff. insonderheit daraus, daß die Empfindungen der Seele iederzeit mit den Veränderungen in den Gliedmassen der Sinnen übereintreffen, und sey nicht möglich, daß die Empfindung zu frühe, oder zu spät komme, gleichwie auch die Bewegung in den Gliedmassen des Leibes gleichfalls in dem Augenblick erfolgte, wenn die Seele diese Bewegung wolte.  
  Er gehet §. 777. noch weiter, weil der Leib zu den Empfindungen in der Seele gar nichts beytrage, so würden alle eben so erfolgen, wenn gleich gar keine Welt vorhanden wäre; gleichwie hingegen alle Bewegungen in dem Leibe auf eben die Art sich äussern würden, wie ietzo geschehe, wenn gleich keine Seele zugegen wäre, indem die Seele durch ihre Krafft nichts dabey trage, und bald darauf sagt er auch, daß der Mund könne vernünftig reden, wenn gleich keine Seele vorhanden, und sich selbige nicht darein mische.  
  Nachdem der Herr Wolff diese Leibnitzische Lehre angenommen, so haben sich bisher einige andere ihm darinnen zu folgen, gefallen lassen. Denn 1722 ist zu Königsberg von M. Conrad Theophilus Marquardt eine Disputation de harmonia praestabilita inter animam et corpus heraus gegeben worden, und 1723 hat George Bernhard Bülffinger zu Tübingen einen besondern Tractat de harmonia animi et corporis humani maxime praestabilita ex mente illustris Leibnizii in 8 ediret. In der Vorrede erzehlet er kürtzlich, was bisher unter den Gelehrten dieser Lehre wegen vorgegangen; das Werckgen aber selbst bestehet aus sieben Sectionen.  
 
  • In der ersten untersucht er die Beschaffenheit gegenwärtiger Frage;
  • in der andern handelt er von der Anzahl dieser Systematum;
  • in der dritten und vierten prüfet er die Systemata influxus physici und assistentiae;
  • in der fünften sucht er das Systema der vorher bestimmten Harmonie zu erklären und zu beweisen;
  • in der sechsten aber dasselbige wieder die Einwürffe zu retten. Denn er gehet die oben angeführten durch, als den Foucher, Bayle, Lamy, Tournemine, Newton, Clarck, Stahl, und bemühet sich ihrer Einwürffe zu beantworten;
  • in dem siebenden endlich sucht er den Nutzen dieses Systematis darzutun.
 
  Ferner gehören hieher epistolae amoebaeae Bulffingeri et Hollmanni de harmonia praestabilita, die 1728 heraus gekommen, worinnen Hollmann sich geändert, nachdem er vorher wieder die Harmonie geschrieben hatte, wie hernach wird angemercket werden.  
  Doch haben sich viele andere bey den bisherigen Streitigkeiten wegen der Wolffischen  
  {Sp. 1112}  
  Philosophie dagegen gesetzet, deren Schrifften hier nach einander durchzugehen, die Sache erfodert.  
 
1) D. Buddeus hat in seinem Bedencken über die Wolffische Philosophie erinnert, daß das Systema harmoniae praestabilitae von dem Herrn Wolffen so vorgetragen worden, daß der Mensch dadurch aller seiner Freyheit beraubet werde, und gleichwohl sey dieses einer von seinen vornehmsten Lehr-Sätzen, worauf das Gebäude seiner Philosophie gegründet.
 
 
  In der bescheidenen Antwort auf Herrn Wolffs Anmerckungen pag. 91. u.ff. ist dafür gehalten worden, daß man dieses Systema, wenn man es in einem unanstößigen Sinn annehme, vor eine Möglichkeit könnte gelten lassen; wie es aber auf solche Art einzurichten, ist in dem bescheidenen Beweis, daß das Buddeische Bedencken noch fest stehe, gewiesen. Denn pag. 190. u.ff. heist es also:
 
 
  Auf eine vernünfftige Art könte das Systema harmoniae praestabilitae so eingerichtet werden. Setzt man aus der Erfahrung vorher, daß auf gewisse Bewegungen des Leibes gewisse Bewegungen der Seele, und auf gewisse Bewegungen der Seele gewisse Bewegungen des Leibes erfolgen, und will den Grund solcher Übereinstimmung zeigen, so muß man auf den Leib, auf die Seele, und auf die Übereinstimmung selbst der beyderseitigen Bewegungen sehen. Um deswegen kan man sagen:
 
 
 
a) der Leib bewege sich selber, nicht aus einer eigenen Bewegungs-Krafft, die ihm wesentlich zukomme; sondern daß GOtt solche Krafft als was zufälliges demselbigen mitgetheilet. Denn die Materie bleibt an sich und ihrem Wesen nach ein leidendes Wesen. Wie nun dieses auf Seiten der göttlichen Allmacht keine Schwierigkeit hat; also steht auch hier der Weisheit GOttes nichts im Wege:
 
 
 
b) die Seele hat Empfindungen und Gedancken auf Seiten des Verstandes, und Begierden auf Seiten des Willens. Die Empfindungen geschehen nothwendig, und der Verstand verhält sich dabey leidend. Die Gedancken sind Würckungen des Verstandes, die der Sache nach in den Ideen bestehen, die alle von der Empfindung herrühren, daß uns deren keine angebohren. Bey den Vorstellungen hat die Seele die Krafft, sich eine Sache bald auf diese, bald auf jene Art vorzustellen, und dadurch bey dem Guten und Bösen den Willen bald auf diese, bald auf jene Seite zu lencken, welches die Freyheit der Seele:
 
 
 
c) indem die Seele freywillig in sich gewisse Bewegungen und Begierden erreget, darauf eine Bewegung des Leibes erfolget, so bewegt sich der Leib selber. Er dependiret aber in der Bewegung dergestalt von dem Wesen der Seele, daß sie durch ihren Willen determiniret, ob und wie die Bewegung geschehen soll, folglich die Direction darüber behält. Auf solche Weise erhält der Mensch seine Freyheit, und man kan mit der Imputation der äusserlichen Handlungen auskommen.
 
 
 
  Es ist auch zwischen dem Systema influxus physici et harmoniae praestabilitae auf diese Art kein anderer Unterscheid, als daß dorten die physische Bewegung des Leibes von der Seele selbst; hier aber durch eine Krafft, die dem Leibe mitgetheilet worden, zuwege gebracht
 
  {Sp. 1113|S. 570}  
 
 
  werde:
 
 
 
d) folgen die beyderseitige Bewegungen auf einander, und geschehe nicht zugleich, daß, wenn ich jetzo so kommt die Bewegung der Hand später, als die Gedancken und der Wille zu schreiben, gleichwie auch die Empfindung der Seele noch etwas später geschiehet, als die Bewegungen in den Gliedmassen der Sinnen.
 
 
  Wird auf diese Art das Systema harmoniae praestabilitae eingerichtet, so kan man es als eine Möglichkeit annehmen; man wird aber damit nicht viel wider das Systema influxus physici gewinnen. Denn wenn es richtig ist, daß ein Geist in eine Materie und Cörper würcken, und denselbigen bewegen kan, welches wir nicht leugnen können, wofern wir nicht auch GOtt solches Vermögen absprechen wollen; so ist der Grund dieses influxus physici da. Daß man einwenden wolte, man könte nicht begreiffen, wie die Seele ohne einer Extension in den Cörper würcken möge, solches hebt die Sache nicht auf, indem man sonst gar viele Dinge nicht annehmen dürffte, wenn es in der Erkenntniß allezeit darauf ankäme, daß man die Art und Weise begreiffen müste.
 
 
  So weit geht die Vorstellung der Sache, die sich daselbst befindet. Hierauf wird pag. 194. u.ff. gezeiget, wie das Systema harmoniae praestabilitae nach der Wolffischen Erklärung beschaffen, und dadurch die Freyheit der Menschen aufgehoben werde. Denn auf Seiten des Leibes hielt man dafür, daß alle Veränderungen und Bewegungen des Leibes aus seinem Wesen, oder aus seiner mechanischen Structur erfolgten. Man glaubt, daß der Leib alles thun würde, was er jetzo thäte, wenn gleich keine Seele vorhanden wäre.
 
 
  Auf Seiten der Seele hieß es gleichfalls, der Leib trage zu den Erfindungen in der Seele nichts bey. Es würden solche alle eben so erfolgen, wenn gleich gar keine Welt vorhanden wäre. Ja wir würden alles ausser uns sehen, riechen, hören, schmecken, fühlen, wenn gleich von Cörperlichen Dingen ausser uns nichts da wäre. Auf Seiten der Harmonie selbst folgten die Empfindungen der Seele und die Bewegungen des Leibes nicht auf einander, sondern giengen zu gleicher Zeit und in einem Augenblick vor.
 
 
  Der Grund, warum er dieses Systema den andern vorziehe, sey ein falsches Suppositum, als könnte kein Geist in eine Materie würcken, und sie in eine Bewegung bringen; weil nun bey dem Systemate influxus physici die Seele, und bey dem Systemate causarum occasionalium GOtt die Bewegungen des Leibes hervorbringen soll, so sey kein Wunder, wenn ihm keines von beyden anstünde.
 
 
  Noch weiter ist p. 204. u.ff. angemercket worden, das nach des Herrn Wolffs Lehre von dem nothwendigen Zusammenhang aller Dinge das Systema harmoniae praestabilitae keine Neben-Sache sey, indem der Mensch einen Theil der Welt ausmache:
 
 
2) gehöret hieher Herr D. Joachim Lange, welcher sonderlich in der Entdeckung der falschen und schädlichen Philosophie in dem Wolffianischen Systemate metyphysico weitläufftige Erinnerungen dawider gemacht, so auch schon in der modesta disquisitione geschehen. In der angeführten Entdeckung p. 199. u.ff. ziehet er folgende Schlüsse heraus:
 
 
 
  • es sey dieses Systema

    {Sp. 1114}

    Spinosianisch;
  • es sey einer Haupt-Lehre der Wolffianischen Philosophie;
  • es gebe in seiner Application alle Moralität auf, und stehe der natürlichen und geoffenbarten Religion entgegen;
  • es verkehre die gantze Geschicht vom Sünden-Fall der ersten Menschen, auch alle übrige biblische Historien;
  • es könne mit der Oeconomia gratiae und dem Reiche GOttes keinesweges bestehen;
  • es führe einen auf lauter gantz unbegreiffliche, ja wider alle Vernunft und Erfahrung streitende Natur-Geheimnisse, und unzählige, ja unendliche Wunderwercke:
 
 
3) sind zu Jena von dem Herrn Professor Wucherer zwey Disputationen unter dem Titel: Harmonia mentis et corporis humani praestabilita stabilimento orbata 1724 herausgekommen. In der ersten untersuchet er sonderlich die Gründe, darauf dieses Systema gebauet wird, daß nemlich in der Welt immer einerley bewegende Krafft müsse erhalten werden, und daß keine Bewegung entstehen könnte, ohne von einer andern vorhergegangenen. In der andern leget er diejenigen Gründe dar, dadurch es sich selbst destruire. Er suchet zu erweisen, daß es wieder das Principium der Contradiction impossibile est, idem simul esse et non esse, wie nicht weniger wieder das principium rationis sufficientis anstosse, und man eben das daran aussetzen könnte, was man an dem Cartesianischen tadele, auch GOtt zum eintzigen Urheber aller Sünden, Schanden und Laster in der gantzen Welt gemacht werde. Es hebe weiter alle Freyheit auf, führe einen rechten groben Scepticismum ein, und stehe der allgemeinen und beständigen Erfahrung entgegen:
 
 
4) ist 1724 zu Wittenberg herausgekommen Sam. Christ. Hollmanns commentatio philosophica de harmonia inter animam et corpus praestabilita. Er geht erstlich die Hypotheses durch, die man zu diesen Systemate angenommen, und weiset, daß die Leibnitzische Monadologie ein pur lauteres Gedicht sey, und führet darauf die Gründe an, die diesem Systemati entgegen stehen.
 
 
  Er zeiget von der Seele, daß die Empfindungen derselben nicht in einander gegründet sind, welches er weiset aus den allzuvielerley Arten der Empfindungen, ingleichen daher, daß man keine Ursach geben könne, woher es komme, daß die Seele sich nach allen, auch den geringsten Veränderungen des Leibes, sonderlich des Gehirns, aufs genaueste richte, wie man zumahl in hitzigen Kranckheiten und in delirio melancholico sehe. Er berufft sich auch auf die unzehlige freye Gedancken, wodurch die Series der Empfindungen fast alle Augenblicke in der Seele unterbrochen würde. Von dem Leibe merckt er dergleichen an, daß die Bewegungen desselbigen nicht in einander gegründet:
 
 
5) sind auch Johann Gottfried Walthers eröffnete Eleatische Gräber, oder gründliche Untersuchung der Leibnitzischen und Wolffischen Gründe der Weltweisheit anzuführen. In den dritten Capitel p. 12. u.ff. zeiget er, was die Leibnitzische Philosophie vor eine Verwandtschafft mit der Eleatischen Secte habe. In dem 5 Cap. p. 32. untersuchet er das Haupt-Principium von diesem Systemate, daß zwischen Leib und Seele keine gegenseitige Würckung statt habe. Wenn er im 6 Cap. p. 50. u.ff. insonderheit auf die harmoniam praestabi-
 
  {Sp. 1115|S. 571}  
 
  litam kommt, so führt er folgende Gründe dawider aus:
 
 
 
  • daß sie ein falsches Principium zum Grunde habe;
  • daß Herr Wolff solche durch seine anderweitige Lehren aufhebe;
  • daß man die vornehmsten Würckungen zwischen Seel und Leib dadurch nicht erklären könne;
  • daß er die Harmonie selbst verstimme, und eine Disharmonie daraus mache;
  • daß er keinen Künstler aufzuweisen wisse, der das vorgegebene Kunst-Stück zuwege bringen könne, und daraus viele schlimmere Folgerungen entstehen:
 
 
6) Die mit ihr selbst streitende Harmonia der neuen Weltweisen zu Erläuterung der unter ihnen über die so genannte harmoniam praestabilitam waltenden Streitigkeiten entworfen. 1724. Der Autor zeiget in verschiedenen Capiteln den Ursprung, den Vortrag, die Verwandtschafft, die Edentheuern, den Ungrund, das Labyrinth und die Schwierigkeiten dieser neuen Lehre:
 
 
7) Erwiesene Unmöglichkeit der für möglich gehaltenen und sogenannten harmoniae praestabilitae zwischen dem Leib und der Seele des Menschen, 1724. Der Verfasser weiset, der Grund, warum man das gemeine Systema verwerffe, daß dadurch die in der Natur zu erhaltende einerley bewegende Krafft nicht erhalten, sondern bald vermehret, bald vermindert werde, sey falsch. Daß das neue Systema unmöglich sey, will er aus der Gefährlichkeit, der Schädlichkeit, und den Absurdis, die daher flössen, zeigen:
 
 
8) Disputatio privata inter amicos de harmonia praestabilita, oder curieuse und gründliche Raisonnemens über die harmoniam praestabilitam einiger neuen Philosophen, deren Autor sonderlich sucht, die ungereimte Folgerungen, die daher entstehen, zu zeigen:
 
 
9) Ruardi Andalo disp. philos. de unione mentis et corporis physica, neutiquam metaphysica, Franecker 1724. die auch zu Halle wieder nachgedruckt worden. Mit dieser Disputation hat es folgende Bewandtniß. Es hatte Herr Wolff in seiner commentat. luculenta p. 78 auch in dem monito ad comment. und in den Anmerckungen über das Bedencken der theologischen Fakultät zu Halle, pag. 35. sich auf den Andala beruffen, daß er in Holland die vornehmsten Hypotheses seines Systematis ruhig und mit vielem Beyfall mündlich und schrifftlich lehre. Als dieses dem Andala zu Gesichte kam, und er zugleich des Herrn D. Langens caussam Dei und die modestam disquisitionem las, so schrieb er gedachte Disputation, worinnen er nicht nur wider die Imputation des Beyfalls protestiret; sondern auch gedachte Hypotheses als Spinozianische und Atheistische Irrthümer ansiehet und widerlegt. Er hat auch gern gesehen, daß seine Disputation in Halle nachgedruckt worden:
 
 
10) hat Rüdiger in dem 1727 edierten Tractat: Wolffens Meynung von dem Wesen der Seele und eines Geistes überhaupt, und Rüdigers Gegen-Meynung p. 47. 87. 235. u.ff. angemercket, daß diese Hypothesis von der harmonia praestabilita die Freyheit des menschlichen Willens aufhebe, folglich auch den Grund der Theologie, Moral und Politick. Denn es könne dabey kein Wille; folglich auch keine Freyheit des Willens concipiret werden:
 
 
11) hat Johann Peter de Crosa 1726 de mente humana substantia a corpore distincta et immortali dissertationem philoso-
 
  {Sp. 1116}  
 
  phico-theologicam ediret, darinnen er die harmoniam praestabilitam und die Erwehlung der besten Welt verwirfft, indem jene mit des Menschen; diese aber mit GOttes Freyheit stritte:
 
 
12) edirte Chr. Martin Burchard meditationes de mente hum. 1736. darinnen er auch, sonderlich Cap. 7. mit dieser Harmonie nicht zufrieden ist.
Die Historie von dem Systemate der vorher bestimmten Harmonie hat Carl Günther Ludovici in seiner Historie der Leibnitzischen Philosophie II Th. §. 488 u.ff. ausführlich erzehlet, und kan auch dabey seine Historie der Wolffischen Philosophie gelesen werden.
    Es können übrigens noch verschiedene Schrifften von der Vereinigung der Seele mit dem Leibe nachgelesen werden.
   
  • Denn des Benjamin a Brockhuysens cogitationes succinctae de mente, corpore et utriusque conjunctione sind 1672, und wieder vermehrter 1683 herausgekommen.
  • Samuel Christian Hollmann hat in der Dissertation de stupendo naturae mysterio anima humana sibi ipsi ignota Sect. 2. die zu Wittenberg 1723 herausgekommen, auch ein und das andere von dem Systemate caussarum occasionalium erinnert.
  • Von dem Herrn Klausing ist zu Wittenberg 1713 eine Dissertation de animae et coropis vinculo, und von Christian Friedrich Lentz zu Leipzig 1717 de vinculo animam et corpus conjungente herausgekommen.
    Nicht weniger gehören hieher diejenigen, welche bisher von der harmonia praestabilita geschrieben, die zum Theil auch die andern beyden Systemata berühret, welches insonderheit Bülffinger in der commentatione hypothetica de harmonia animi et corporis humani maxime praestabilita gethan hat, der auch in der Vorrede einige andere erzehlt, welche zu dieser Materie dienen.
    Der Herr Gottsched hat in einigen Disputationen vindicias Systematis influxus Physici herausgegeben; in deren ersten er die Historie dieser Sache vorträget; hierauf aber auch das Systema caussarum occasionalium und harmoniae praestabilitae untersuchet.
    Des P. Tournemine conjectures sur l'union de l'ame et du corps sind in den memoires de Trevoux 1704 Mart. p. 231. Mai. p. 352 zu lesen, allwo auch die darüber gemachte Reflexionen, nebst der Antwort darauf zu finden, als 1704 Sept. p. 205. und Novemb. p. 321. ingl. 1708. Mart. p. 488. da des Herrn Leibnitz Remarquen vorkommen.
  Die Untersuchung dieser Materie hat ihren Nutzen, daß man weiß, was die Bewegungen der Seele und des Leibes vor einen Grund haben, und worauf ihre Übereinstimmung beruhe. Denn sie ist genau mit der Lehre von der Freyheit des Menschen verknüpffet, und muß insonderheit den Grund von der Imputation der äusserlichen Handlungen zeigen. Dasjenige, was man hiervon aus der Erfahrung weiß, ist deutlich und ausgemacht, daß nemlich auf gewisse Bewegungen der Seele gewisse Bewegungen des Leibes erfolgen. Wenn man aber mit der Vernunft den Grund davon untersuchen soll, so bleibt es eine schwere Sache, die gröstentheils unter die Geheimnisse der Natur zu rechnen.  
  Man hat zweyerley dabey zu erwägen: den Grund sowohl der Bewegungen an sich selbst; als der Harmonie, die unter ihnen ist. Bey dem  
  {Sp. 1117|S. 572}  
  Systemate influxus physici findet sich keine andere Schwierigkeit, als daß man nicht begreiffen kan, wie die Seele in den Leib würcken, und wiederum der Leib in die Seele einen Einfluß haben möge; wobey aber einige sagen, dieses sey noch nicht hinlänglich, die Sache selbst zu leugnen: Es sey genug, daß ein Geist in eine Materie würcken kan; man möge nun die Art und Weise davon begreiffen oder nicht. Denn was man wegen der Gesetze der Bewegung einwende, daß allezeit einerley bewegende Krafft müsse erhalten werden, könne auf die Seele nicht gezogen werden.  
  So sagen auch einige, welche dem Systemati influxus physici zugethan sind, es schiene, daß sich die Gegner dieses Systematis sonderlich an das Wort influxus physicus gestossen, und daß es gewisser massen besser gewesen, wenn man sich dessen enthalten, und nur gesagt hätte, daß die Seele die Bewegungen des Leibes hervor bringe, ohne zu determiniren, wie dieses geschehe, welches man gleichwohl zu thun scheinet, wenn man von einem physischen Einfluß rede. Auf Seiten des Leibes geschehe auch in der That kein solcher physischer Einfluß in die Seele, wie von der Seele in den Leib; sondern wenn in der Seele Empfindungen von äusserlichen Dingen entstehen, so gebe der Cörper nur darzu Anlaß. Wolte man aber sagen, der Leib bewege sich selber, nicht aus einer eigenen Bewegungs-Krafft, die wesentlich zukomme; sondern daß GOtt solche Krafft, als was zufälliges, demselbigen mitgetheilet; und die Seele errege in sich durch ihre wesentliche Bewegungs-Krafft freywillig die Bewegungen, und determinire durch ihren Willen, ob und wie die Bewegung des Leibes geschehen soll, daß sie daher die Direction darüber behalte, so gehe dieses auch an. Auf beyden Seiten habe die Sache nichts bedenckliches in sich; es lasse sich aber nichts gewisses davon sagen.  
     

vorhergehender Text  Teil 6 Artikelübersicht Teil 8  Fortsetzung

HIS-Data 5028-36-1051-4-07: Zedler: Seele [7] HIS-Data Home
Stand: 7. April 2013 © Hans-Walter Pries