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Zedler: Streit [2] HIS-Data
5028-40-834-1-02
Titel: Streit [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 40 Sp. 834
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 40 S. 437
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  Text Quellenangaben
  Mit der Schrifft muste man vorsichtiger umgehen. Einige schnitten den Knoten ohne vieles Wesen durch, und bekümmerten sich wenig darum, wie sie ihn geschickt lösen möchten. Es hieß die Vernunfft und die Weltweisheit wäre die einige Auslegerin der Schrifft; diese müste sich also nach der Richtschnur der ersten bequemen; und man dürffte sich nicht viele Mühe machen, eine geschickte Erklärung der Sprüche zu finden, die den bösen Geistern etwas einzuräumen schienen.  
  Andre suchten die Worte derselben zu verdrehen, und die Welt zu bereden, daß man bisher die Sprache derselben nur halb verstanden.  
  Viele liessen sich verlauten, es sey unnöthig, alle Nebendinge in der Schrifft so eigentlich und genau zu untersuchen; das Hauptwerck, das in derselben getrieben werde, sey Busse und Glauben; wer dieses recht gefasset, der könne die übrigen derselben so auslegen, wie es ihm gefiele: Andre suchten noch andere Umschweiffe, der Klarheit und Deutlichkeit der Göttlichen Bücher zu entgehen.  
  Durch diese unvorsichtigen Arbeiten und einige andere Ursachen ward der Verachtung der heiligen Schrifft dem Unglauben und der Religions- Spötterey, die in unsern Tagen so gemein worden ist, eine ebene Strasse zu den Hertzen vieler Menschen gebähnet. Und diese bösen Eigenschafften be-  
  {Sp. 849|S. 438}  
  mühten sich hernach auf das hefftigste, da sie erst einen festen Sitz erhalten hatten, durch eben die Meynungen ihr Reich zu erweitern, wodurch sie zum Theil erzeuget worden.  
  Man glaubte nicht ohne Ursache, daß man ein grosses gegen die Religion gewonnen haben würde, wenn man nur zuerst den Menschen dieses beybringen würde, daß alles falsch wäre, was die Religion aus der Schrifft von den bösen Geistern lehrete. Wer nur ein Stück einer Lehre, das klar und deutlich geoffenbahret ist, verdächtig machet, oder umstösset, der hat den Grund zur völligen Verachtung und Verläugnung derselben geleget. Und wer dargethan hat, daß in einem Buche, so für Göttlich gehalten wird, nur einige unrichtige Lehr- Sätze oder irrige und nichts bedeutende Sprüche stehen, der kan sich versichern, daß das Ansehen desselben in kurtzen gantz fallen werden.  
  Man ergriff also das begierig, was selbst von vielen, die doch Christen bleiben wolten, zugestanden wurde, daß die gemeine Lehre vom Satan so gewiß und richtig nicht sey, als man insgemein dafür hielte. Man leitete listig und behutsam die Folge daraus her: Was werden wir den aus der Schrifft und der gantzen Religion machen, da man doch noch uneinig ist, wie viel einige Theile derselben gelten können?  
  Man streuete diese Zweiffel mit Kunst und Beredsamkeit aus, ohne sich mercken zu lassen, daß man der gantzen Religion den Fortgang hemmen wolte; und man fand aus der Erfahrung, daß man keinen üblen Weg gewehlet, und dem Glauben durch diese Kriegs List mehr Freunde abspenstig gemacht, als durch offenbahre Feindseeligkeiten.  
  Daher kommt es, daß die, so die Ehre GOttes und der Religion gerne verkleinern wollen, mehr über den Teufel und seine Macht als über die Hauptwahrheiten des Glaubens zu spotten pflegen, und mehr Kräffte verschwenden den Satan als GOtt und unsern Heyland zu bestreiten.  
  Das letztere ist gefährlich, und wird selten auch von rohen und unartigen Gemüthern ohne eine Art der Bestürtzung und verdrießlichen Empfindung angehöret. Das erste befremdet niemand und kan ohne Furcht und Sorge geschehen. Was heißt es denn, über den Teufel und Aberglauben der Welt, die den Teufel über die Gebühr erhebet, lachen? Und sagen nicht viele, die doch gottseelig heissen wollen, selber, es stehe um die Sache desselben so gut und sicher nicht?  
  Indeß erfolget aus beyden einerley Würckung. Wer an dem erst zweifelt, was die Schrifft vom Satan saget, der wird bald weiter gehen, und nicht unbillig werden, wenn mehr Stücke des Glaubens angegriffen werden.  
  Man setze zu diesen Ursachen die so gemeine Kranckheit unserer Zeiten, die viele, neue und verwegene Meynungen gezeuget, nehmlich die Verachtung aller der Dinge und Lehren, die in der alten Welt vorgegangen und geglaubt worden sind. Die Zeiten der Wissenschafft und des Lichts haben unsrer Meynung nach so gar lange noch nicht gedauert. Unsre Väter sind in lauter Blindheit und Unverstande gebohren, erzogen und gestorben.  
  Es braucht also nichts mehr, eine Lehre der Falschheit zu überführen, als zu beweisen, daß das gottseelige oder vielmehr einfältige Alterthum an derselben nicht ge-  
  {Sp. 850}  
  zweifelt. Ein jeder siehet leicht, was dieser schädliche Wahn der Lehre, von der wir jetzt reden, für Nachtheil zuwege gebracht habe. Daher scheuet sich der Hauffe derer nicht, die allein scharff zu sehen vermeynen, öffentlich zu sagen, es sey ein Gedichte des Alterthums, daß die Nachkommen frey verwerffen könnten. Die blosse Erzehlung der Ursache, welche die Lehre der Schrifft von dem bösen Geistern in den Augen der heutigen Welt verächtlich macht, ist so gut, als eine Wiederlegung der Gründe, womit man seinen Eckel für derselben zu vertheidigen vermeynet.  
  Wir wollen nun aber näher zu der Haupt-Sache kommen. Wir haben hier nur mit einem Stücke dieser Lehre zu thun. Wir sehen den Satan als eine von den Ursachen an, wodurch die Menschen von der Bekehrung abgehalten und in der Wiedergeburt gestöhret werden. Und zu diesem Zwecke ist es genung, aus der Schrifft zu beweisen, daß er eine Gewalt über die Gemüther der Menschen habe, und sich dieser Gewalt bediene, sie theils in dem Dienste der Sünden zu erhalten, theils sie wieder darein zu stürtzen, wenn sie aus demselben erlöset worden sind, damit sie dereinst Mit-Erben der Quaal werden mögen, die ihm und seinen Engeln bereitet ist.  
  Was bisher von dem alten und neuen Zustande der Lehre, von dem Satan und seiner Macht vorgetragen worden ist, kan statt einer allgemeinen Vorbereitung und Einleitung zu diesem Beweise dienen. Wir wollen das, was uns die Schrifft von der benannten Sache deutlich meldet, von dem, was sie entweder nur dunckel zu erkennen giebt, oder gar mit Stillschweigen übergehet, mit Fleisse unterscheiden.  
  Wir können in solchen Dingen, die der Vernunfft verborgen sind, nicht weiter gehen, als uns das Licht der göttlichen Bücher leitet. Wo dieses Licht stille stehet, da ist es der Klugheit gemäß, sich seiner Unwissenheit zu rühmen. Worzu nützet es, uns mit weithergehohlten Muthmassungen zu plagen, die wir durch nichts als durch Einbildung bestärcken können?  
  Was die Schrifft uns klar geoffenbahret hat, kömmt auf folgende Dinge an. Sie lehret uns  
  I. überhaupt, daß der Satan entweder selbst oder durch seine Engel und Beystände das Hertze der unbekehrten Menschen gantz einnehmen, und zu seinem Dienste bereiten könne.  
  Sie lehret uns  
  II. insonderheit, daß er den ohnedem blöden und finstern Verstand derselben noch mehr verdunckeln und verblenden könne.  
  Sie lehret uns
  III. daß er den von Natur zum Bösen geneigten Willen zur würcklichen Sünde reitzen und bewegen könne.  
  Sie lehret uns endlich,  
  IV. daß die deren Seelen der Satan eingenommen, und besessen, alle Freyheit und Stärcke verlohren, und nicht so wohl selbst in den Dingen würcken, die gegen das Gesetz des HErren lauffen, als den HErrn, unter dessen Joch sie gerathen sind, würcken lassen.  
  Mehr hat der HErr uns nicht dürffen kund thun lassen, damit wir auf unsrer Huth seyn möchten. Hätte der Geist des HErrn uns mehr offenbahret, so wären wir gelehrter, aber nicht weiser zur Seeligkeit gewesen. Und wozu hätte diese Wissenschafft genutzet? Zu nichts, als unsern Vorwitz zu befriedi-  
  {Sp. 851|S. 439}  
  gen. Doch vielleicht wäre derselbe nur mehr dadurch erwecket und erreget worden.  
  Die Schrifft lehret uns  
  I. überhaupt, daß der Satan das Hertz der unbekehrten Menschen gantz einnehmen, und zu seinem Dienste bereiten könne  
  Man darff sich, dieses zu beweisen, nur auf die Worte unsers Erlösers zu den Juden beziehen: Ihr seyd von dem Vater dem Teufel, und nach eures Vaters Lüsten wolt ihr thun Joh. VIII, 44.
  Es wäre überflüßig zu zeigen, daß der böse Geist, der von GOtt abgefallen ist, in diesen Worten gemeynet werde. Die so die böse Lust des Hertzens oder sonst etwas unter dem Worte Teufel verstehen wollen, haben noch nichts zum Vorschein gebracht, wodurch man nur gerühret, geschweige bewogen werden könnte, den natürlichen und ersten Verstand der Worte fahren zu lassen.  
  JEsus will ohne Zweifel dieses sagen: Ihr Juden habt eure Seelen dem Satan zur Wohnung übergeben. Dieser hat euch neue Kräffte zu einen gottlosen und bösen Wandel geschencket. Und daher sucht ihr nicht so wohl eure eigene als desjenigen Geistes Begierden und Neigungen zu vollziehen, der über euch herrschet.  
  Die Redens-Art: Von dem Vater dem Teufel seyn; ist eben so viel, als: Von dem Satan gebohren und gezeuget seyn. Daran wird niemand zweifeln können. Und wer demnach die Krafft dieser Redens-Art recht begreiffen will, muß auf die Bedeutung derjenigen sehen, die derselben in der Schrifft entgegen gesetzet wird: Von GOtt gebohren seyn.  
  Johannes stellet diese beyden Redens-Arten ausdrücklich gegen einander: Wer Sünde thut der ist vom Teufel: (Die das Griechische verstehen, und in der Sprache der H. Schrifft geübet sind, werden wissen, daß das Wort, gebohren, hier ausser Streit in unserer Sprache hinzugefüget werden müsse, um die Redens-Art vollkommen zu machen; und der Gegen-Satz zeiget dieses so klar, als es seyn kan.) Denn der Teufel sündiget vom Anfang. Wer aus GOtt gebohren ist, der thut nicht Sünde. 1 Joh. III, 8. 9.
  Aus GOtt gebohren seyn, heisset in der Schrifft, durch die Gnade GOttes verändert seyn, und von ihm neue Kräffte zum geistlichen Leben erlanget haben. Aus dem Satan gebohren seyn, vom Teufel seyn, den Teufel zum Vater haben, heißt demnach nichts anders, als: Von dem Satan inwendig ein neues Leben zur Sünde und zur Bosheit empfangen haben, oder zu einem gottlosen und lasterhafften Leben von ihm selbst bereitet seyn.  
  Die also dieses deutliche Zeugniß JESU ihren angenommenen Meynungen zugefallen nicht verkehren wollen, werden einräumen, daß der Satan eine Gewalt habe, das von Natur böse Hertz der Menschen noch mehr zu verderben, und mit neuen Begierden und Neigungen zur Sünde auszurüsten.  
  II. Die Schrifft lehret insonderheit, daß derSatan dem ohnedem schwachen und duncklenVerstand der Menschen noch mehr blenden undverdunkeln könne.  
  Dieses geschah zu den Zeiten JESU und der Apostel an den Heyden und Juden, die der überzeugenden Wahrheit des Evangelii sich entgegen setzten, und durch alle Zeichen und  
  {Sp. 852}  
  Wunder, die vor ihren Augen geschahen, fast mehr in der Bosheit erhärtet, als erweichet wurden.  
  Natürlicher Weise muß eine Menge solcher Thaten, die alle Kräffte der Menschen übertreffen, die Gemüther zum Beyfall und zur Hochachtung gegen die Lehre lencken, der sie zum Beweise dienen sollen, sie mögen so übel gesinnet seyn, als sie wollen. Und sieht man darzu in der Lehre, die dadurch befestiget wird, eine offenbare Heiligkeit und Klarheit, und in dem Wandel der Wunderthäter eine verehrenswürdige Unschuld und Frömmigkeit, so muß der stärckste Eigensinn weichen und der Wahrheit nachgeben.  
  JESUS demnach und seine Zeugen hätten durch die ausserordentlichen Thaten, die sie allenthalben in Gegenwart so vieler tausenden verrichteten, das gröste Theil der Welt zum Gehorsam bringen müssen, wenn die Natur in den Menschen allein gewürcket hätte, und sich selbst überlassen gewesen wäre. Und sie konnten doch nicht mehr als eine mäßige Anzahl zum Glauben bewegen.  
  Was verursachte diesen Wiederstand? Die List des Satans, der das Licht der Vernunfft, welches den Menschen noch übrig geblieben ist, mit einer übernatürlichen Finsterniß überzog, und die Krafft JEsu und seiner Apostel die Göttlich und in sich erstaunend war, dadurch in den Augen der Zuschauer verkleinerte.  
  Paulus sagt uns dieses ausdrücklich. Und wäre dieses Zeugniß nicht vorhanden, so würden wir bey nahe durch unsre eigene Überlegung auf die Gedancken fallen, daß der Beweiß des Geistes und der Krafft 1 Corinth. II, 4.
  durch eine mehr als menschliche Gewalt aufgehalten worden.  
  Ist nun, sagte Apostel, unser Evangelium verdecket, so ist es in denen, die verlohren werden, verdecket, bey welchen der GOtt dieser Welt der Ungläubigen Sinn verblendet hat, daß sie nicht sehen das helle Licht des Evangelii von der Klarheit Christi. 2 Corinth. IV, 4.
  Es ist bewiesen, daß der Gott dieser Welt in dieser Stelle der Satan sey. Der war im eigentlichen Verstande der Gott der Heyden. Er wurde in den Götzen-Bildern verehret und angebetet. Ihm wurde geopffert und gedienet, indem man solchen Göttern, Dienst und Opffer brachte, die durch Laster und Übelthaten ihr Gedächtniß verewiget, und durch die Wercke, die dem Satan gefallen, berühmt und groß geworden.  
  Das helle Licht des Evangelii ist alles das, was das Evangelium JESU in den Augen der Welt groß, herrlich und bewundernswerth machte; die Krafft des HErrn, die so wohl mit dem Worte selbst verbunden war, als die Predigt desselben äusserlich begleitete.  
  Der Satan wird als ein listiger Feind vorgestellet, der dieses Licht und die hellen Strahlen womit die Wahrheit umgeben war, aufzuhalten suchte, da er sie nicht dämpffen konnte, und durch eine Scheide-Wand oder Vorhang zu hindern trachtete, daß sie nicht in die duncklen Örter fallen konnten, die sie erleuchten solten.  
  Es steckt also in den Worten  
  {Sp. 853|S. 440}  
  des heiligen Apostels dieser Unterricht. Das Licht und der Glantz der Lehre, die ich und die übrigen Apostel verkündigen, ist so groß und durchdringend; die Göttliche Krafft die unsern Vortrag belebet, und die Wunder womit wir denselbigen bestätigen können, sind so überzeugend, daß alle Hertzen durch dieselbe umgekehret und gewonnen werden müßten, wenn sie nicht durch eine fremde Gewalt verhindert würden, dieselben recht zu erkennen  
  Was kan dem HErrn und seiner Stärcke widerstehen? Allein die List des Satans ziehet einen dicken und finstern Nebel um den Verstand der meisten Menschen, wodurch die reinen Strahlen der Wahrheit gebrochen, und aufgehalten werden, daß sie entweder gar nicht, oder nur vom weiten und mit einem sehr verfälschten und gedämpfften Schein das Gemüthe derselben erreichen können. Dieses ist die Ursache, warum uns so wenige zufallen.  
  Das Auge unsers Verstandes gleichet dem Auge des Leibes. Das Auge des Leibes mag vor sich noch so rein und wohl beschaffen seyn, so sieht es doch nichts, wo kein Licht vorhanden, wodurch die Dinge erleuchtet werden, die es betrachten soll. Und das Auge unsers Verstandes sey vor sich noch so scharff und helle, als man will; es erkennet doch nichts wo es nicht durch ein Göttliches Licht aufgekläret und gestärcket wird.  
  Dieses Göttliche Licht kam in die Welt und wolte die Blindengemüter der Menschen erleuchten. Es war starck genung, dieses auszurichten, und konnte den Gemüths-Augen der Welt eben so viel Krafft und Hülffe verleihen, die Wahrheit zu sehen, als die Sonne den natürlichen Augen giebt, die um uns herliegenden Cörper genau zu betrachten und kennen zu lernen.  
  Der Widersacher der Menschen konnte dem Lichte selber seine Krafft nicht nehmen. Er machte sich also an den Verstand der Menschen, und that das an dem Auge der Seele, was man an den Auge des Leibes zu thun pfleget, wenn man will, daß es nicht in die Ferne sehen, oder die eigentliche Beschaffenheit gewisser Dinge erkennen soll.  
  III. Die Schrifft lehret uns, daß der Satan den von Natur zur Sünde geneigten Willen zu aller Bosheit und würcklichen Unart noch mehr reitzen und bewegen könne, als er sonst durch seine eigene böse Lust dazu würde getrieben werden.  
  Wir werden alle mit einer unruhigen Neigung zur Sünde gebohren. Und so bald sich unsern Sinnen oder unserm Verstande etwas vorstellet, das diese Lust erhitzen und erwecken kan sind wir fertig, dieselbe zu vergnügen. Indeß sind doch tausend Dinge in der Welt, die uns zurücke halten, allezeit das zu thun, was uns gefällt.  
  Das Gesetz, die Ermahnungen der Diener des HErren, die Vorstellungen kluger und verständiger Leute, die Furcht der Schmach und Unehre, die Liebe zu den unsrigen, die Erinnerung der Unlust, die man sich aus einem eingebildeten Vergnügen zugezogen, die Gefahr in Armuth zu gerathen, das herannahende Alter, die Sorge für unser Leben und Gesundheit und viele andre Dinge mehr, machen uns offt behutsam und vorsichtig, und legen den unreinen Begierden unsers Willens auf eine gewis-  
  {Sp. 854}  
  se Weise einen Zügel an. Der Satan ist vermögend, wo er einmahl Platz gewonnen, alle diese Seile zu zerreissen, und den Menschen aus einer Sünde in die andere zu stürtzen, ohne ihm Raum zur Überlegung und Bedachtsamkeit zu lassen.  
  Die Schrifft giebt uns mehr denn ein Zeugniß an die Hand, dieses zu bestätigen Wir wollen daraus nur einen Ort und ein Exempel wehlen. Der Ort ist des Apostel Paulus Eph. II, 2. 3. der von denen Heyden saget, daß sie vor der Ankunfft unsers Heylandes unter der Bothmäßigkeit des Satans gelegen, und von ihm genöthiget worden, alle Begierden des Fleisches zu vollziehen: Ihr habt weiland in Sünden gewandelt nach dem Lauffe dieser Welt und nach den Fürsten der in der Lufft herrschet, der zu dieser Zeit sein Werck hat in den Kindern des Unglaubens.  
  Bis hieher redet er allein von den Heyden. Die folgenden Worte betreffen die Juden: Unter welchen wir auch weiland unsern Wandel gehabt haben, in den Lüsten unsers Fleisches, und thaten den Willen des Fleisches und der Vernunfft.  
  Wir wollen diese Stelle nur in soweit betrachten, als sie zu unsern Vorhaben dienet. Es ist sehr merckwürdig, daß der Apostel anders von dem Wandel der unbekehrten Heyden redet, und anders von dem Wandel der Juden, zu denen er sich selbst rechnet. Juden und Heyden sind einander gleich in Ansehung ihrer Natur. Er giebt beyde Völcker für Kinder des Zorns oder Leute aus, die von Natur straffwürdig und böse wären. Wir waren von Natur Kinder des Zorns gleich auch wie die andern.  
  Ein Volck hat also für dem andern keinen Vorzug, wenn auf die natürliche Fähigkeit zum Reiche GOttes und auf den Zustand gesehen wird, indem sie gebohren werden. Sie sind weiter einander in Ansehung des Wandels selber ähnlich. Der Jude so wohl als der Heyde lebte nicht nach dem Gesetze des HErrn, sondern nach einer fremden und unheiligen Vorschrifft und Ordnung, beyde machten sich durch ihre sündlichen Thaten der Verdammniß werth.  
  Und wodurch werden sie denn von einander unterschieden? Durch zwey Dinge. Durch die Ursache, welche sie zu einen sündlichen Wandel trieb und reitzete, und durch die Regel, wornach sie denselben einrichteten. Der Heyde wurde theils durch seine natürliche Unart, theils durch den Fürsten, der in der Lufft herrschet, durch den Geist der in den Kindern des Unglaubens sein Werck hat, zur Schande und Bosheit angespornet.  
  Es ist bekannt, daß mit diesen Beschreibungen der Geist gemeynet werde, den die Schrifft sonst den Satan oder den Teufel zu nennen pfleget Paulus lehret hier demnach, daß dieser Geist über den Willen der Ungläubigen würcken könne, und ein Vermögen besitze, die vor sich unmäßigen Begierden der Natur in eine völlige Unordnung zu bringen.  
  Die Bosheit der Juden schreibt der Apostel nur einer Ursache zu. Er sagt nicht, daß sie nach den Fürsten dieser Welt gewandelt; er sagt nur, daß sie nach den Lüsten des Fleisches ihr Leben angestellet. Wer wird sich einbilden, daß der H. Geist ohne Ursache so verschiedentlich von den Heyden und von den Juden gesprochen habe?  
  Wir wollen hieraus nicht schliessen, als  
  {Sp. 855|S. 441}  
  wenn dem Satan gar keine Macht über die Gemüther der Juden von GOtt eingeräumet worden. Wir wollen auch nicht sagen, daß er seine Herrschafft in den Seelen aller und jeder Heyden aufgerichtet habe.  
  Die Verständigen wissen, daß dergleichen allgemeine Sätze ihrer Einschränckungen und Ausnahmen leiden. Sie werden für wahr und richtig allenthalben gehalten, wenn sie nur bey den grösten Hauffen gelten können. Und wir können den Unterscheid, den der Apostel in diesem Stücke zwischen den Juden und Heyden machet, füglich so auslegen, daß der Satan mehr Gewalt über die Leute gehabt, die gar zu den sichtbaren Reiche GOttes nicht gehöret, als über die Juden, die mehr Licht und Erkänntniß als jene hatten, und das Volck waren, so der HErr erwehlet hatte; oder daß er die meisten Heyden geistlich besessen, und hingegen das größte Theil der Juden nicht unter seine Knechtschafft ziehen können.  
  Das andere, wodurch der Apostel die Juden von den Heyden unterscheidet, ist die Regel des Wandels. Die Heyden beschuldiget er, daß sie nach den Lauf der Welt gewandelt, daß heißt, alle unartige, gottlose und abscheuliche Sitten ohne Scheu beobachtet und angenommen, die in der Griechischen Welt im Schwange giengen. Wie groß diese Beschuldigung sey, werden die am besten beurtheilen können, die das rohe und ungöttliche Wesen der alten Griechen aus ihren Büchern, die noch vorhanden sind, kennen lernen.  
  Von den Juden redet er gelinder. Er wirfft ihnen nicht vor, daß sie in allen Stücken nach der Welt und ihren Weisen sich gerichtet; er meldet nur überhaupt, daß sie den Willen des Fleisches und der Vernunfft oder vielmehr ihrer sündlichen Gedancken gethan.  
  Diese unterschiedene Art zu reden bedeutet mehr, als sich diejenigen vielleicht einbilden, welche die Schrifft mit einer mäßigen Achtsamkeit lesen. Die Juden lebten böse und sündlich. Die so unter den Heydnischen Völckern wohneten, waren insonderheit gantz verfallen, und in die Gemeinschafft vieler Greuel gerathen, die beyden Götzendienern zuläßige Wollüste hiessen.  
  Was thun die bösen Exempel nicht? Doch so weit giengen sie nicht in der Gottlosigkeit, daß sie sich nach dem Lauffe der unbändigen Welt in allen Dingen hätten bequemen sollen. Das Gesetz, welches sie stets in ihren Schulen höreten, machte allezeit zwischen ihnen und den Heyden eine Scheidemauer, die nie völlig eingerissen worden. Und der Jude, der sich erkühnet haben würde, allen Lastern der Heyden nachzuahmen, würde gewiß aus der Gemeine gestossen worden seyn. Aus der Ursache sagt der Apostel nichts mehr, als daß sie meistentheils nach den Lüsten des Fleisches wandelten, und das thäten, was ihnen die Begierde eingäbe; ohne sie zu beschuldigen, daß sie sich nach dem Lauffe der Heydnischen Welt richteten.  
  Wir übergeben es dem Urtheile der verständigen Schrifftforscher ob diese Anmerckungen in der That so gegründet sind, als sie scheinen Man mag gegen dieselben oder zu ihren Vortheile sprechen, so entgeht doch der Krafft des Beweises nichts, den man aus die-  
  {Sp. 856}  
  sem Orte zum Besten der Lehre von der Macht des Satans herleitet.  
  Das Exempel, darauf man sich beruffen kan, ist das Exempel des unglücklichen Judas. Dieser Apostel des HErrn war von Natur zum Geitze geneigt. Und diese böse Lust erwachte offt, und hieß ihn unterschiedene Dinge begehen, die man von keinem Jünger des Heylandes der Welt vermuthet hätte. Sie wurde indessen durch allerhand Ursachen verhindert, bald durch die Ermahnungen JEsu, bald durch die Scham, bald durch den Wiederstand des Gewissens, bald durch Beyspiele der übrigen Jünger, zur völligen Herrschafft zu gelangen.  
  Ausser Streit wäre sie mit der Zeit gantz durch die Gnade besiegt worden, wenn die Nachläßigkeit dieses Elenden dem Satan nicht den Eingang zu seiner Seelen geöffnet hätte. Die Schrifft sagt deutlich, daß der Satan in ihm gefahren.
  • Luc. XXII, 3.
  • Joh. XIII, 2. 27.
  Und kaum war dieses geschehen, so fand sich der böse Wille so gestärcket, daß er ohne Widerspruch und Anstand den Schluß machen konnte, die allerentsetzlichste That zu begehen, um eine Hand voll Silberlinge zu erhaschen.  
  Erschreckliches Exempel, welches denen, die nachsinnen wollen, einen reichen Vorrath zu allerhand Betrachtungen anbiethet! Judas hatte das Geld in den Händen, von dem JEsus mit seinen Jüngern lebte, und wer forderte Rechnung von ihm? Das wenige, das ihm die Verrätherey einbrachte, hätte durch kleinere Sünden ohne Mühe erworben, und von dem Allmosen, die er zu verwalten hatte, erübriget werden können. Und kaum hat der Satan sich seines Geistes bemächtiget, so eilet er, eine Sünde zu verrichten, die allezeit eine der größten Bosheiten heissen würde, wenn sein Meister nichts mehr als ein Mensch gewesen wäre.  
  IV. Die Schrifft lehret uns endlich, daß die, so unter das Joch des Satans gerathen, alle Freyheit und Gewalt über sich selbst verliehren, und nicht so wohl selbst würcken, als den HErren, dem sie sich übergeben würcken lassen.  
  Die die angeführten drey Sätze zugeben, die vorher aus der Schrifft bewiesen worden sind, die sind genöthiget, diesen letzten ohne Beweiß anzunehmen, der nichts als eine unstreitige und klare Folge aus den vorhergehenden ist. Ein Geist, der bey der Hauptkräffte vergiften, der den Verstand mehr verfinstern, der dem Willen eine geschwindere und stärckere Bewegung zu sündigen mittheilen kan, muß völlig Herr und Meister über diejenigen seyn, die ihm so viel Macht über ihre Seelen gelassen haben.  
  Wir wollen uns also nur darum bey dieser Lehre aufhalten, damit wir einige Stellen der Schrifft ein wenig erläutern mögen, die hieher gehören, und das, was gesagt ist, auf eine anderer Art bekräfftigen.  
  Dasjenige, was bisher ausgeführet worden ist, setzet das schon ausser allen Zweiffel, was nun dargethan werden soll; Und das, was jetzt vorgestellet werden soll, giebt denen Wahrheiten, die bereits ausgeführet sind, eben so viel Licht und Klarheit wieder, als es von ihnen empfangen hat.  
  Die Schrifft sagt uns das, was hier ausgemacht  
  {Sp. 857|S. 442}  
  werden soll, auf zweyerley Art: Einmahl gantz klar und deutlich; hernach etwas dunckler und verdeckter, jedoch so, daß auch der Einfältige ihre Meynung ohne Kunst und Mühe entdecken kan. Das letzte geschiehet an so vielen Stellen, in welchen gewisse Thaten und Wercke dem Satan beygeleget werden, die doch von gottlosen und bösen Menschen verrichtet werden.  
  Wer kan aus diesen Stellen etwas anders schliessen, als dieses, daß der unreine Geist den gantzen Menschen regiere, der ihm sein Hertze zur Wohnung übergeben hat? Wer für den Urheber der Thaten angegeben wird, die jemand begehet, der muß in denselben alles nach seinen Willen lencken können, und der Ursprung aller Bewegungen seyn, die zur Vollziehung seiner Wercke vonnöthen sind.  
  Die nachdrücklichste Stelle von denen, welche diese Sache ohne alle Dunckelheit vorstellen, stehet in dem 2 Brieffe des Apostels Paulus an den Timotheus: Ein Knecht des HErrn soll die Bösen mit Sanfftmuth tragen, ob ihnen GOTT dermahleins Busse gebe, die Wahrheit zu erkennen, und wieder nüchtern würden aus des Teuffels Stricken, von dem sie gefangen sind, zu seinen Willen. 2 Tim. II, 24. 25. 26.
  Die Ausleger sollen sich noch mit einander vergleichen, ob die letzten Worte dieser Stelle auf GOTT oder auf den Satan gehen? Die Griechischen Worte sind so beschaffen, daß man beyde Meynungen nicht ohne Wahrscheinlichkeit behaupten kan. Es liegt jetzo nichts daran, welche von beyden man wehlen will. Daher kan man diesen Streit hier bey Seite setzen, und nichts mehr als diese Worte in Erwegung ziehen: Der Gottlose kan wieder nüchtern werden aus des Teuffels Stricke. Man erkläre die letzten Worte, wie man will. Man wird doch hierinnen mit den andern überein kommen, daß dieser Satz in dieser Stelle enthalten sey.  
  Es schliessen diese Worte ein zweyfaches Bild in sich. Eines ist dem Geiste des HErrn nicht zulänglich geschienen, die gantze Sache völlig aufzuklären, und vorzustellen.  
  Das erste Bild ist von einem Menschen genommen, der durch ein starckes Geträncke den Gebrauch der Sinnen und der Vernunfft verlohren. Dieses liegt in der Redensart: Wieder nüchtern werden.  
  Das andere ist eben ein solcher Mensch, der in einem solchen Sinn- und Vernunfft-losen Zustande von einen andern gefesselt worden, und in diesen Stricken, so von seinem Feinde gezogen und geleitet wird, wie es demselben gefällig ist. Dieses Bild liegt in den Worten: Der Strick des Teuffels.  
  Der Apostel will dieses sagen: Die Menschen, deren Seele der Satan eingenommen, sind nicht anders, als trunckene Leute anzusehen, die weder Verstand noch Willen haben; und von denen sich leiten und regieren lassen, die Lust haben, sich ihrer Schwachheit zur Ausübung ihres Muthwillens zu bedienen.  
  Werden die Bilder weggenommen, und die Wahrheit, so durch diese Farben der Einbildung gleichsam abgeschattet worden, vor sich betrachtet; so kömmt diese Lehre daraus: Der Satan hat das Vermögen, dem Menschen alle Krafft des Verstandes zu benehmen, die er noch zur Beförderung seiner geistlichen Wohlfarth anwenden könnte, und brauchet die, welche ihm erlaubet haben, dieses Vermögen  
  {Sp. 858}  
  an ihnen zu beweisen, zu Werckzeugen seiner unreinen und bösen Absichten. Hat Paulus gewußt, was er geschrieben, (und wird auch der Unglaube selber dieses läugnen können?) so wird seinen Worten keine andere Meynung als diese können gegeben werden.  
  Der Stellen, in welchen die Wercke der Bösen und Ungläubigen dem Satan selber zugeschrieben werden, finden sich viele in den Büchern des Neuen Testaments. Wir wollen einige aus denenselben auslesen.  
  JEsus sagt in dem Gleichnisse, worinnen er sein Reich als einen Acker vorstellet, auf dem Weitzen und Unkraut zugleich wachsen, daß sein Feind dieses Unkraut unter den Weitzen, den er gesäet, mengen würde. Matth. XIII, 25.
  Er ist selbst der Ausleger dieser Bilder, und unterrichtet uns, daß der Feind den Teufel, der Weitzen die heilige und reine Lehre, die er der Welt kund gemacht, und das Unkraut irrige und gottlose Meynungen bedeute. Ist es denn der Satan selber, der solche gefährliche und häßliche Lehren der Welt kund machet? Wir wissen, daß dieses insgemein durch arge und boshaffte Menschen geschehen.  
  JEsus nennet also den Satan, und verstehet eigentlich diejenigen, die er sonst falsche Propheten zu nennen pfleget. Können wir hieraus etwas anders, als dieses schliessen, daß der Geist der Finsterniß in den Seelen derer würcke, die ihr ungöttliches Geschwätze mit der heiligen Lehre des Erlösers vermengen, und die Welt durch Irthümer in Sünde und Gottlosigkeit stürtzen wollen?  
  Zu der Zeit, da die Juden sich bereiteten, JEsum gefangen zu nehmen, und denen Heyden zu überliefern, lässet er unter andern diese Worte in der Rede an seine Jünger von sich hören: Der Fürst dieser Welt, oder der Satan, kömmt, und hat nichts an mir. Joh. XIV, 30.
  Judas war mit denen Abgeordneten der Priester und den Soldaten der Römer in der Nähe, ihn zu greiffen, und wie einen Übelthäter dem Gerichte seiner Feinde darzustellen. Auf diese Schaar gehen ausser Streit diese Worte. Und warum nennet JEsus den Fürsten der Welt an statt seiner Feinde und Verkläger? Darum, weil diese durch den Satan getrieben wurden, dieses ungerechte Werck zu vollziehen.  
  Es ist in allen Sprachen erlaubet, den Stiffter einer Sache an der Stelle dererjenigen zu nennen, deren er sich zur Ausführung seiner Anschläge bedienet. Paulus wünschet unter andern am Schlusse des Brieffes an die Römer dieser neu- gepflantzten Gemeine: Der GOtt des Friedens zutrete den Satan unter eure Füsse in kurtzen. Röm. XVI, 20.
  Was diese Worte sagen wollen, zeiget uns der Nahme, den der Apostel GOtt hier beygeleget. Er heisset ihn einen GOtt des Friedens, einen GOtt der Frieden, und die, so Frieden suchen, liebet. Und diese Benennung ist Ursache genug zu glauben, daß Paulus hier wünsche, GOtt möge die in der Römischen Kirche entstandenen Uneinigkeiten und Streitigkeiten bald dämpffen und unterdrücken.  
  Dieser Unfriede bekam ausser Streit von unruhigen Leuten her, die allem Ansehen nach das Gesetz der Mosaischen Gebräuche nicht abgeschaffet haben wolten, oder andere Dinge nach ihrem Eigensinne eingerichtet wissen wolten; und doch wird der Satan für den Urheber dessel-  
  {Sp. 859|S. 443}  
  ben angegeben, weil er die Seelen dieser Zäncker im Besitze hatte.  
  Der Verstand dieser Worte ist also ohne Zweifel dieser: Der HErr, der ein Feind alles Gezänckes, und den Frieden unter den Menschen gerne will gebauet und erhalten haben, schaffe, daß diejenigen, die unter euch durch den Satan angereitzet werden, Zanck und Wiederwillen zu stifften, in kurtzer Zeit wahrhafftig bekehret, und aus der Gewalt dieses listigen Wiedersachers zu eurer Beruhigung gerissen werden mögen.  
  Man kan die Worte des Apostels an die Epheser nicht anders verstehen: Ziehet an den Harnisch GOttes, daß ihr bestehen könnet gegen die listigen Anläuffe des Teufels. Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpffen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, mit den bösen Geistern unter den Himmel. Eph. VI, 12.
  Alle Umstände dieses berühmten Ortes versichern, daß hier von den äusserlichen Leiden und Versuchungen geredet werde, welche damahls über die neu-bekehrten Christen ergiengen. Sie wurden von den Ungläubigen bald mit Gewalt, bald mit List und Schalckheit versuchet, das Kleinod, daß sie ergriffen, wieder fahren zu lassen.  
  In diesen Versuchungen kämpfften die Christen, dem Ansehen nach, nur mit Fleisch und Blut, mit schwachen und ungläubigen Menschen, die aus Fleisch und Blut bestehen, und durch einen geringen Zufall in den Staub zerfallen können, aus dem sie zusammen gesetzet sind.  
  Und vielleicht achteten deswegen einige unter ihnen die Gefahr nicht sonderlich, die ihnen zu drohen schiene, und glaubten, daß sie mit Menschen, die selten alles Mitleiden fahren lassen, leichte auskommen würden. Was thun wir, hieß es, daß des Zorns und der Verfolgung werth wäre? Ist unser Wandel nicht unsträfflich? unsere Liebe nicht brünstig? unsere Demuth und Gelassenheit nicht offenbahr? Gesetzt, der Feind stehet gegen uns einmahl auf, und stöhret unsere Ruhre. Wird diese Hitze lange dauren können? Haben wir nicht mit Menschen zu thun, die ihres Unglaubens ungeachtet, doch Fleisch und Blut bleiben, und keine Lust an der Quaal ihrer Brüder haben können? Werden wir diese durch unsere Unschuld und Gottseligkeit nicht bald wieder besänfftigen können?  
  Der Apostel benimmt ihnen diesen Wahn, und giebt die Nachricht, daß sie nicht mit Fleisch und Blut, sondern mit dem Satan selbst zu kämpffen hätten, der in den Ungläubigen wohnete, die natürlichen weichen Hertzen erhärtete, und zum Eifer und Grimm gegen die Bekenner des Nahmens JEsu triebe.  
  Es wird so leicht niemand zweifeln können, daß zu dieser Art Stellen, in welchen die Übelthaten der Ungläubigen und der gottlosen Welt dem Satan selber zugeleget werden, den bekannten Spruch des Apostels Petrus zählen müsse: Seyd nüchtern und wachet, denn euer Wiedersacher der Teufel gehet umher, wie ein brüllender Löwe, und suchet, welchen er verschlinge. 1 Petr. V, v. 8.
  Die meisten nehmen das Griechische Wort, welches durch Teufel hier übersetzt ist, in dem Verstande, den es in der Schrifft insgemein hat, und erklären den Ort von den Versuchungen des Satans, die Frommen zu berücken, und zum Abfall oder zur Sünde zu verführen.  
  Ei-  
  {Sp. 860}  
  nige sind mit dieser Auslegung nicht zu frieden, und meynen, es schicke sich besser an statt des Wortes Teufel zu setzen: Der Lästerer, der Verläumder. Nach dieser Erklärung sind die Worte des Apostels eine Warnung an die Christen, sich für den Nachstellungen der Heyden und Juden zu hüten, welche die Gläubigen, die sie durch Ursache und Gründe nicht überwinden konten, durch Verleumdungen und Lästerungen unterdrucken wolten. Und niemand läugnet, daß das Griechische Wort, welches der Nahme des Satans in den Büchern des neuen Bundes ist, eigentlich einen Verleumder bedeute.  
  Jene beruffen sich, zur Behauptung ihrer Meynung, auf den Gebrauch dieses Wortes in der Schrifft. Es ist gewiß, daß dasselbe allezeit den unsichtbaren Feind des menschlichen Geschlechts anzeige, wenn es ohne einem Beyworte oder Zusatz; so, wie an diesem Orte gesetzet wird.  
  Diese beziehen sich auf die folgenden Worte: Wisst, daß eben diese Leiden über eure Brüder in der Welt gehen. Die sind, wie sie gläuben, ein starckes Zeugniß, das hie von den Trübsalen gehandelt werde, die durch ruchlose und böse Menschen dazumahl den Christen in der gantzen Welt zugefüget wurden.  
  Die Haupt-Ursache dieser Leiden waren die Lästerungen, womit man die Christen verhaßt machte. Der Feind also, der hier genennet wird, kan keiner als ein Lästerer und Verläumder unter den Menschen seyn.  
  Wer das Mittel zwischen diesen beyden Auslegungen wehlet, der lässet denen Gründen beyder Theile ihre völlige Krafft, die sie haben, und trifft dabey den rechten Verstand der Apostolischen Worte. Man kan denen nicht wohl wiedersprechen, die den beständigen Gebrauch des Griechischen Worts für sich anführen: und man kan auch nichts finden, welches den Grund der andern völlig umstossen könnte, der von den folgenden Worten hergenommen wird.  
  Beydes bleibet in seinem Werthe, wenn der Apostel so verstanden wird: Eure Wiederwärtigen werden durch die Macht des Satans, der über sie herrschet, gereitzet, daß sie wie wilde und reissende Thiere herumgehen, den Ort auszuforschen, an dem sie euch am bequemsten angreiffen mögen. Ihr sehet nichts als Menschen, die auf euch und euer Verhalten lauern. Allein hinter diesen steckt ein anderer Feind, der mehr zu fürchten ist. Der Satan wütet, tobet, wachet, streitet in den Menschen, und machet sie verschlagener und ergrimmter, als sie sonst seyn würden.  
  So viel saget uns die Schrifft von der Macht des Satans über die Gemüther der Menschen. Es ist dieses wenig in Ansehung der Dinge, von welchen sie schweiget. Wie viel fragen kan ausser diesem der Vorwitz der Menschen nicht auf die Bahn bringen, die wir weder durch klare Stellen der heiligen Bücher, noch durch richtige Folgen aus denen klaren Stellen, die zu dieser Lehre gehören, entscheiden können?  
  Je mehr wir der Sache nachsinnen, je hefftiger wir uns bemühen, daß, was wir hier und da davon finden, zusammen zu setzen und zu vereinigen; ie begieriger wir werden die Beschaffenheit der Dinge, die uns eröffnet sind, zu begreiffen: Je mehr Tieffen entdecken wir, die kein Witz ausfüllen kan.  
  Was ist es, das den HErrn beweget, dem Satan soviel Freyheit und Gewalt einzuräumen? Sind  
  {Sp. 861|S. 444}  
  wir nicht von Natur geplagt und verdorben genug? und hätte seine Liebe daher nicht wohl für uns gesorget, wenn der Feind unsrer Seelen gleich nach dem Falle in das ewige Gefängniß verwiesen wäre, welches seine Gerechtigkeit ihm bestimmet hat, und alles Vermögen verlohren hätte, die von ihm schon verführten Menschen noch unglückseliger zu machen?  
  Liegen alle Menschen, die GOtt nicht kennen, unter dieser Tyranney des bösen Geistes, oder nur einige? Was sind das für Kennzeichen, wodurch man die Handlungen, die durch den Trieb des Satans verrichtet werden, von denen unterscheiden kan, die das blosse Verderben der Natur würcket?  
  Auf was Art verblendet der Satan den Verstand? Bedienet er sich unsrer Lebens-Säffte, unsers Blutes, unsrer Geister, die Krafft desselben zu hemmen? Lässet er etwan gewisse Dünste in unserm Leibe aufsteigen, die, man weiß nicht wie, das Licht des Verstandes benebeln, wie der Staub die Schärffe der Augen des Leibes aufhält?  
  Erfüllet er unsre Einbildung mit falschen Bildern? Stellet er uns die äusserlichen Dinge in einer fremden Gestallt vor? Bezaubert er etwan unsre Augen und Ohren, daß wir mehr zu sehen und zu hören glauben, als wir würcklich sehen und hören?  
  Wie macht er es, wenn er den Willen zur Sünde reitzet? Geschicht es durch scheinbare Bewegungs- Gründe, die er dem Verstande beybringt; oder weiß er eine Kunst, unsere Lebens-Geister in eine stärckere Bewegung zu setzen? Sind gewisse Leiber von Natur fähiger und geschickter zu seinen Würckungen als andere?  
  Hat er die Krafft, die Menschen zu solchen Lastern und Sünden zu bewegen, wozu sie keine natürliche Neigung haben? Erstreckt sich sein Vermögen z.E. so weit, daß er einen von Natur Mitleidigen unbarmhertzig, einen Freygebigen geitzig, einen Mäßigen unmäßig, einen Sanfftmüthigen hitzig und zornig machen kan? Oder kan er nur die natürlichen Neigungen und Regungen der Menschen stärcken und anfeuren?  
  Versucht der Fürst der verdammten Geister selbst seine Macht an einigen Menschen? Oder treibt er sein Werck allein durch die Geister, die ihm unterworffen sind? Sind alle Geister, die in seinem Reiche leben, gleich starck, den Seelen der Menschen zu schaden? Oder sind einige geschickter darzu als andere?  
  Die diese und viele andere Fragen von dieser Art aufwerffen, werden vergeblich auf eine ungezweifelte Antwort warten. Der HErr hat uns durch seine Offenbahrung nicht gelehrt, sondern weise zur Seeligkeit machen wollen. Zu diesem Zwecke ist das genung, was uns von der Macht des Satans entdecket ist.  
  Die das, was bisher aus der Schrifft bewiesen worden ist, für falsch und irrig erklären, können nur einen einigen Weg gehen, die Verständigen, so anders dencken, zum Beyfall zu bewegen. Sie sind schuldig, darzuthun, daß die vorgetragenen Lehren in sich unmöglich, und mit den ersten Gründen aller menschlichen Wissenschafft streiten.  
  Niemand hat eher Recht, den klaren und hellen Buchstaben eines Buches, das er selbst für göttlich erkennet, zu verlassen, als bis er bewiesen, daß der Buchstabe auf ungereimte und aller Vernunfft entgegen lauffende Sätze führe. Ist dieses aber geschehen, so hat auch niemand Ursache uns zu verklagen, wenn wir sagen, der natürliche und erste Verstand gewisser Schrifft-Stellen müsse zurücke gesetzt werden.  
  {Sp. 862}  
  Noch hat sich kein Mensch gefunden, der sich getrauet hätte, zu zeigen, der hebe alle Grund- Lehren der Wahrheit und der Vernunfft auf, der da saget, daß ein starcker Geist einem andern Geiste, der schwächer oder verdorben und mit einem Leibe umgeben ist, einnehmen, und nach seinem Willen stimmen könne. Ruhmräthige Spötter, die alles für falsch ausschreyen und verlachen, was sie selbst nicht fassen wollen oder können, giebt es an allen Orten.  
  Allein soll das gelten, was von solchen Leuten mit einer unverschämten Dreustigkeit behauptet und vorgegeben wird: So ist es am besten, daß wir alles aufheben, was man bishero Wissenschafft genennet hat, und so leben, als wenn wir noch auf einer Offenbahrung warteten.  
  Die Gründe, die vor kurtzer Zeit so gangbar in der Welt waren, sind diese: Ich begreiffe die Art dieser oder jener Sache nicht: daher ist sie falsch. Die ersten Sätze der Weltweisheit, der ich mich ergeben, erlauben es nicht, dieses oder jenes zu glauben: daher kan ich es verwerffen.  
  Diese und einige andere Gründe sind ietzt selbst unter denen verächtlich worden, die sonst viel damit auszurichten vermeynten. Und wenn diese Beweise weggenommen werden: so weiß man nicht, auf was Weise man darthun könne, daß die Lehre der Schrifft von dem Satan unmöglich sey, oder aus solchen Dingen bestehe, die einander bestreiten und aufheben.  
  Die, so sich getrauen, zu beweisen, daß zwo Naturen in keiner Gemeinschafft mit einander stehen können, müssen beyde nach allen ihren Eigenschafften und Kräfften kennen. Und die also das, was gesagt worden ist, unternehmen wollen, müssen zum voraus setzen, daß ihnen die Natur und das Wesen unsrer Seele so wohl als der bösen Geister, die von GOtt abgefallen sind, gantz bekannt sey, und daß sie alle ihre Eigenschafften, die Grentzen ihrer Kräffte, alles was sie thun, oder nicht thun können, ohne alle Dunckelheit einsehen.  
  Es muß ihnen nichts von allen diesen Dingen verborgen seyn. Gestehen sie nur ihre Unwissenheit in einem einigen Stücke, so haben sie alles, was sie sagen könnten, selbst geschwächet und verdächtig gemacht. Und ist iemand in der Welt, der sich dieser Wissenschafft nur mit dem geringsten Scheine der Wahrheit rühmen könnte?  
  Die scharffsinnigsten Leute klagen, daß ihr Geist gleichsam stumpf werde, wenn er sich selbst beschauet, und fast nirgends mehr Schwierigkeit antreffe, als bey der Untersuchung seiner eigenen Kräffte. Und was ist es, das wir von den übrigen Geistern wissen, wenn das zurücke geleget wird, was uns die Schrifft davon meldet? Wer wird sich demnach erkühnen, wo er den Nahmen eines Weisen behalten will, uns auf einen klaren Beweiß von der Unmöglichkeit der Lehre von der Krafft des Satans Hoffnung zu machen?  
  Es hat das Ansehen, daß diejenigen selbst, die den Satan gerne unter den Christen abgeschaffet wissen möchten, daran verzagen, daß sie einen solchen Beweiß der Welt jemahls darlegen werden. Spinosa, der den schädlichen Ruhm erlanget, daß er die Sache des Unglaubens am scharffsinnigsten vertheidiget, hat alles in der Kürtze zusammen gefasset, was gegen die Lehre von der Macht des Satans über die Menschen erinnert werden kan. Allein dieses ist so schlecht, daß die es gewiß zurücke lassen werden,  
  {Sp. 863|S. 445}  
  die Proben von dem grossen Witze dieses Mannes aus seinen vorhandenen Schrifften geben wollen. Und wäre es weit besser beschaffen, als es ist, so wäre es doch nichts als ein Einfall, der denen etwa gefallen könnte, die nur auf die äusserliche Gestalt der Dinge zu sehen pflegen.  
  Dieser berühmte Verfechter des Unglaubens sagt: Es ist ungereimt sich einzubilden, daß Gottes Feind gegen seinen Willen die meisten Menschen verführe und betrüge, und daß GOtt diese Verführte hernach dem Satan zur ewigen Straffe übergebe. Wie stimmt dieses mit der göttlichen Gerechtigkeit? Der Teufel betrügt die Menschen ungestrafft und ungehindert, und GOtt läßt die Menschen, die von dem Satan jämmerlich betrogen worden sind, nicht ungestrafft. Epist. LXXIV ad Alb. Burgh. …
  Das heisset, Stricke aus Sand flechten, und eine recht kindische Unwissenheit in der Christlichen Lehre verrathen Der Beweiß ist theils von der Macht, theils von der Gerechtigkeit GOttes hergenommen. Der ungläubige Jude berufft sich zuerst auf die Macht GOttes. Es ist ungereimt, zu glauben, daß GOtt, der doch allmächtig, einen Feind habe, der gegen seinen Willen die meisten Menschen verführet.  
  Man kan diesen Satz auf zweyerley Weise verstehen. Er kan einmahl so viel bedeuten: Die Christen lehren, daß GOtt, so mächtig als er auch sey, könne es dem Satan nicht wehren, die Menschen zu verführen.  
  Er kan hernach auch so erkläret werden: Die Christen lehren, GOtt sehe es nicht gerne, daß der Satan an den meisten Menschen seinen bösen Zweck erreichet.  
  Die Lateinischen Worte: Invito Deo, sind so zweydeutig, daß sie diesen Verstand so gut als jenen dulten können. Es scheinet allerdings, der Jude habe das erste sagen wollen. Und ist dem so, so antworten wir ihm, daß er in der Lehre der Christen unwissend sey.  
  Wir lehren alle, daß unser GOtt, der mit einer unendlichen Macht versehen ist, den Satan völlig fesseln, und wenn es ihm beliebte, ausser aller Macht setzen könne, der Welt zu schaden. Steht dieses nicht an so vielen Orten der Schrifft gantz deutlich? Und hat jemahls ein wohl unterrichteter Christ etwas anders als dieses gesagt, daß GOtt aus gerechten und heiligen aber uns unbekannten Ursachen dem Satan erlaubet, dem Menschen nachzustellen?  
  Soll der andere Verstand gelten, so haben wir nichts dargegen einzuwenden. Es ist wahr, daß der HErr, der unsre Glückseeligkeit liebet, niemand gerne in den Stricken des Satans siehet. Allein so fällt der gantze Beweiß auseinander. Wird ein Verständiger so schliessen können: GOtt sähe es lieber, wenn kein Mensch den Satan, dem er aus gerechten Ursachen vergönnet, dem Menschen Netze zu legen, Gehör gäbe: daher ist er nicht allmächtig.  
  Die sich nur in der Welt umsehen wollen, werden sich leichte in die Lehre der Christen finden können, die diesem Juden so unglaublich und wunderlich vorkömmt. Ein Fürst, der Gerechtigkeit u. Gottseligkeit liebet, siehet in seinem Lande eine Menge voll ruchloser Spötter, die alle Mühe anwendet, Jünger zu ziehen, und ihren Gifft fortzupflantzen. Er hat Macht genung, diese Bande auszurotten, und an ihren unseeligen Unternehmen zu hindern. Und er thut es doch nicht.  
  Er hat nach einer reiffen Überlegung gefunden, es sey rahsamer der Gottlosigkeit mit Gründen und Ursa-  
  {Sp. 864}  
  chen als mit Gewalt u. Straffen entgegen zu gehen. Inzwischen verdrießt es ihn, so offt er vernimmt, daß viele seiner Unterthanen vom Glauben abfallen, und zu den Feinden des Höchsten treten.  
  Wird ein Kluger, dem man dieses erzehlet, Ursache finden, an der Wahrheit der Sache zu zweifeln? Wird er daher Anlaß nehmen, die Macht oder die Weisheit dieses Fürsten zu läugnen? Wie offt müssen wir die Meister der Vernunfft, die über die Wolcken fahren wollen, ersuchen, nur auf der Erden zu bleiben, und von denen, die weit einfältiger als sie sind, Unterricht anzunehmen?  
  Der andere Grund bezieht sich auf die göttliche Gerechtigkeit: Kan man es glauben, daß ein gerechter GOtt den Satan werde ungestrafft die Menschen verführen lassen, und die hergegen straffen, die das Unglück haben, in seine Netze zu gerathen? Lauter grobe Unwissenheit u. Blindheit!  
  Das Lateinische Wort: impune, das in dem ersten Satze dieses Schlusses, ungestrafft, übersetzt worden ist, kan wiederum auf eine zweyfache Weise erkläret werden. Es kan so viel heissen, als: ungestrafft; und so wird dieses die Meynung seyn: GOtt strafft die Bosheit nicht, die der Satan an den Menschen ausübet. Es kan dieses Wort auch gegeben werden: Ungehindert; GOtt läßt den Satan sein Werck frey ausführen, und wehret ihm nicht, die Menschen nach seinen Gefallen zu verleiten.  
  Der Gegensatz scheinet die erstere Übersetzung zu bestätigen. Doch man wehle diesen, man wehle jenen Verstand; der Satz bleibt falsch u. unrichtig. Es ist falsch, daß der HErr die Bosheit des Satans ungestrafft hingehen lasse. Er wird zum Gerichte des grossen Tages aufbehalten. Jud. V, 6.
  Und es ist falsch, daß er ihm alle Freyheit lasse, seinen Muthwillen auszuüben. Der HErr zerstöhret die Anschläge desselben, so offt sie seinen heiligen Absichten entgegen stehen, und schützet die Seinen gegen seine List u. Bosheit.  
  Das andere kömmt eben so wenig mit der Lehre der Christen überein. Spinosa redet so, als wenn wir glaubten, GOtt straffe die Menschen, die von den Satan verführet werden, darum, weil sie sich von ihm hintergehen lassen, ob sie gleich seinen Nachstellungen nicht entweichen können.  
  Ist es nicht unverschämt, dergleichen Lehren denen Christen vorzuwerffen, die vielleicht keiner von allen den Träumern sich einfallen lassen, die in so grosser Menge unter den Bekennern des Namens JEsu aufgestanden sind? Könnten wir, die wir mit der grösten Ehrerbietung von der Heiligkeit und Gerechtigkeit unsers Schöpffers reden, auf die Meynung gerathen, daß GOtt ein unvermeidliches Unglück, ein Unglück, das er selbst nicht zurücke halten kan, noch will, ewig bestraffen wolle?  
  So aberwitzig u. ungereimt muß man eine Lehre vorstellen, die man weder dulten will, noch mit gültigen Gründen bestreiten kan. Die Ungläubigen, die ausser dem Reiche GOttes leben, würden ohne dem die Schwere der göttl. Gerechtigkeit empfinden, wenn gleich kein Satan in der Welt vorhanden wäre. Wer nicht gläubet, der ist schon gerichtet, Joh. III, 18.
  Und die durch sein Eingeben zu grössern Missethaten sich verleiten lassen, als sie sonsten durch die Unart ihrer Natur verrichtet haben würden, die haben darum ein schärfferes Gerichte zu gewarten, weil sie die angebotene Gnade verschmähet haben, die sie von der Gewalt dieses Feindes errettet hätte, wenn sie sich derselben unterworffen.  
  Man kan nicht sagen, ob alle dieje-  
  {Sp. 865|S. 446}  
  nigen, welche der Schrifft Gewalt zufügen, damit die Lehre von der List und Stärcke des Satans aus derselben weggeschaffet werden möge, dieses unbesonnene Gedichte des Spinosa oder sonst etwas zum voraus setzen.  
  Die wenigsten lassen die Gründe ihrer Vermessenheit recht deutlich sehen: Und vielleicht sind viele unter ihnen, die selbst nicht wissen, was sie eigentlich so behertzt machet, ein Buch, daß sie für Göttlich halten, weit freyer zu erklären, als jemahls ein Verständiger einen Griechischen oder Lateinischen Dichter erkläret hat. Vielleicht ist es in diesem nichts als Hochmuth und Frevel, in jenen ein geheimer Unglaube, den sie selbst nicht recht wahrnehmen; in andern ein frecher Übermuth. Der Tag des Herrn wird alles klarmachen, und den Rath der Hertzen offenbahren.  
 

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Stand: 18. September 2016 © Hans-Walter Pries