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Zedler: Studiren, Studien [1] HIS-Data
5028-40-1200-4-01
Titel: Studiren, Studien [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 40 Sp. 1200
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 40 S. 613
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Person
Sache
Mittel
Lehrende

  Text  
  Studiren, Studien, Studere, Studium, ist eine Erkänntniß der nützlichen Wahrheit, da man sich der göttlichen und weltlichen Sachen eben darum erkundigen lernet, daß man GOttes-Ehre, des Nächsten Nutz, und hierbey seine eigene Glückseeligkeit befördern kan.  
  In besondern Verstande aber wird es von denen gesaget, welche sich angelegen seyn lassen, eine von den sogenannten vier Facultäten in ihrem gantzen Zusammenhange, oder auch nur eine und die andere Wissenschafft insbesondere, und recht aus dem Grunde zu erlernen. Viele meynen zwar, daß denen Studien mit guten Fortgang obzuliegen, nichts mehr erfordert werde, als unverdrossener Fleiß; Allein es ist damit allein nicht ausgemacht, wo man nicht weiß, wie der Fleiß anzuwenden sey. Gracian in seinem Oracul, und mit ihm Herr D. Müller, welcher solches ubersetzet, und mit Anmerckungen vermehret, thut in der zweyhundert und neun und zwantzigsten Maxime, der dritten Centurie, einen Vorschlag, wie man seine Leben mit Vernunfft eintheilen solle.  
  Den ersten Aufenthalt befiehlt er bey denen Todten zu nehmen, das heißt: man solle in den ersten Jahren, darinne man nach der Gelehrsamkeit trachtet, aus guten Büchern, die Sprachen, Poesie, schönen Wissenschafften,  
  {Sp. 1201|S. 614}  
  Philosophie, Mathesin, und Oratorie lernen. Die andere Tagereise soll denen Lebendigen gewidmet seyn. Das ist: man solle trachten, Erfahrung zu erlangen, damit die Wissenschafft, welche wir in dem ersten Theile des Lebens durch den Umgang mit den Todten erlanget, in dem andern Theile des Lebens durch den Umgang mit den Lebendigen durch lebendige Exempel bewehret werde. Die Erfahrung wird theils durch unser eigenes, theils durch fremde Exempel erlanget. Die Mittel dieser letztern theilhafftig zu werden, sind so wohl vernünfftig angestellte Reisen, als auch mit Verstand gelesene Historien. Den driten Absatz des Lebens soll man nach Graciani Regel mit sich selbst zu bringen.  
  Die letzte Glückseeligkeit des Lebens aber beruhe im Philosophieren. Wie der erste Absatz der Jahre zur Erlernung guter Wissenschafften, und der andere einer klugen Bewährung derselben durch die Erfahrung bestimmet war, als ist der letzte dem würcklichen Gebrauch und Nutzen desselben gewiedmet. Dieser ist zweyerley; daß wir nehmlich theils der Welt durch unsere erlangte Wissenschafft und gute Erfahrenheit nützliche Dienste leisten, theils auch unsere eigene so wohl äusserliche als innerliche Glückseeligkeit dadurch befördern mögen.  
  Gracian siehet nur auf den letzten Punct, und verstehet durch das Philosophiren diejenigen weisen Betrachtungen, dadurch wir zum Behuff unserer innerlichen Glückseeligkeit, den letzten Endzweck aller zeitlichen Güter erkennen, und lebendig in uns empfinden, daß alle zeitliche Dinge uns weiter nichts angehen, als insofern wir sie würcklich mit einer freudigen Gemüths-Ruhe und Zufriedenheit als wahre Güter geniessen können, daß also diejenigen Dinge, welche entweder zu einer beständigen Gemüths-Zufriedenheit nichts beytragen, oder deren wir nicht theilhafftig werden können, unserer wahren Glückseeligkeit ohnbeschadet zu entbehren sind.  
  Alles was von dem Studiren weiter kan gesaget werden, kommt auf drey Stücke an: Auf die Person, welche studiret: Auf die Sache, die man studiret, und auf die Mittel, deren man sich darbey bedienen kan.  
Person Was erstlich anlanget die Person, welche studiret, so kommt die Frage führet: Wer studiren soll? Es sind alle Menschen zur Ausbesserung ihrer Seelen verbunden, damit sie sich in solchen Stand setzen, darinnen sie GOtt und der Welt dienen können. Solche Ausbesserung ist entweder eine allgemeine, die alle Menschen angehet, welcher ohne Unterscheid dahin anzuweisen, daß sie lernen, ihren Verstand zu brauchen, und die Affecten im Zaum zu halten; oder eine besondere, die auf gewisse Profeßionen und Künste gehet; weil aber dieselbigen entweder Gelehrte, oder Ungelehrte sind, so fragt sichs: Wer jene erlernen; oder studiren soll?  
  Man hat sich hierinnen vornehmlich nach seinem natürlichen; aber auch moralischen Umständen zu richten. Nach den natürlichen Umständen muß man das gehörige Naturell zum Studiren haben, welches die Kräffte des Verstandes, und die Neigung des Willens in sich fasset. Denn auf eine Profeßion sich legen, heisset so viel, daß man diejenigen Habitus oder Fertigkeiten erlange, die zur Vollführung der in der Profeßion vorfallenden Geschäffte erfordert  
  {Sp. 1202}  
  werden. Alle Habitus aber sind Geschicklichkeiten unserer natürlichen Kräffte, die wir durch Fleiß und Mühe erlanget haben. Gehet iemand seinem Naturell nach, daß er dasjenige ergreifft, wozu er sich von Natur schickt, und am meisten Lust hat, so folget er dem natürlichen Ruff.  
  Doch sind die moralischen Umstände nicht aus den Augen zu setzen. Zu solchen gehöret der Umstand des menschlichen Geschlechts, daß einige Manns- andere Weibs-Personen sind. Daß Weibs-Personen studiren können, daran wird niemand zweiffeln. Denn die Natur theilt auch offtmahls diesem Geschlechte hinlängliche Fähigkeiten mit; und wir haben Exempel vieler gelehrten Frauenzimmer. Sie sind auch an sich dazu verbunden, wenn das gehörige Naturell vorhanden. Indem aber die Absicht GOttes ist, daß sie vornehmlich dem Hauß-Wesen vorstehen sollen, so haben sie sich auch vornehmlich um solche Dinge zu bekümmern, und wo sie studiren, solches nach diesen moralischen Umständen einzurichten.  
  Gleichen Unterscheid finden wir auch in Ansehung des Standes, da die Studien eines Printzens, der einst regieren soll, eines Cavalliers und eines Menschen vom Bürgerlichen Stande auf gantz verschiedene Art einzurichten sind. Der König in Engelland, Jacobus I. gab in dem Tractat donum regium seinen Printzen diese Regel: Eruditum te esse volo, tanquam regem, non tanquam professorem, welches sehr klug gesprochen war.  
  Zum Studiren wir zwar Geld ordentlich erfordert; deswegen aber haben sich die Armen nicht schlechterdings davon abhalten zu lassen, wenn sie sonst das gehörige Naturell dazu haben. Die Exempel können auch hier den Ausschlag geben. Die Erfahrung lehret aber auch, daß viele auf hohe Schulen ziehen, die weder Mittel ihre Absichten zu erreichen, und auf eigne Kosten daselbst zu leben; noch sonderbare Fähigkeiten zu den Wissenschafften besitzen. Daher wäre es sehr dienlich, wenn man nicht alle ohne Unterschied in die Zahl der Studirenden aufnehmen möchte; sondern nur diejenigen, die nicht von allen Mitteln dazu entblösset sind; und hernach diejenigen von den Dürfftigen, die mit besondrer Fähigkeit versehen sind. Diese letztern wären alsdenn mit Stipendien und freyen Tischen zu versehen, auch unter desto genauerer Absicht zu halten, damit der Zuschub des gemeinen Wesens ihnen nicht vergeblich gereichet würde: So würde man nicht soviel verdorbene Studirende überall finden, die entweder aus Mangel der Mittel nichts haben lernen können; oder die kein Geschicke gehabt, etwas zu fassen; oder denen von andern weit ungeschicktern die Stipendien und freyen Tische gleichsam geraubet worden.  
Sache Vors andere müssen wir auch sehen auf die Sachen, die man studiret. Ein Mensch muß etwas lernen, damit er GOtt und der Welt dienen kan, nach welchem Principio zu entscheiden ist, was er vor Wissenschafften ergreiffen soll. Man hat unnütze Wissenschafften, die zur Beförderung der menschlichen Glückseeligkeit und der Ehre GOttes nichts beytragen, wohin die Scholastische Philosophie, das Nativität-Stellen, die Geomantie, die Chiromantie, Traumdeuterey und dergleichen gehören. Wer sich darauf leget,  
  {Sp. 1203|S. 615}  
  versündiget sich, indem er niemanden damit nutzen kan, und also seine Zeit übel anwendet.  
  Mit solchen Dingen muß man diejenigen Wissenschafften nicht vermengen, welche an sich nützlich, durch die Fehler der Menschen aber unnützlich und eitel werden, welchen Unterscheid Heinrich Cornelius Agrippa in dem bekannten Buche de incertitudine et vanitate scientiarum, nicht gnug in Acht genommen. Denn er schmeisset die nützlichen und unnützlichen Künste und Wissenschafften in eins zusammen, und trägt bey Abhandlung der nützlichen Künste kein Bedencken, dasjenige, was als Fehler der Menschen, die sie mißbrauchen, anzusehen, den Künsten und Wissenschafften selbst beyzumessen.  
  So legt man sich denn billig auf nöthige und nützliche Wissenschafften. Doch die Menge derselben ist groß, daß ein Mensch sich ohnmöglich auf alles legen kan. Wenn auch iemand dieses thun wolte, so würde er nicht klüglich handeln, indem er seine Kräffte und Arbeit in allzu viele Dinge zerstreuen muß, daß er in keinem keine allzu grosse Geschicklichkeit erlangen, noch dem andern dienen kan, als wenn er sich mit allen Kräfften auf eine Sache geleget.  
  Auf diese Art ist nöthig, eine gewisse Wissenschafft zur Haupt-Profeßion zu erwehlen. Bey solcher Wahl darff man keine eitlen Absichten haben, noch dem Triebe der verderbten Neigungen und Affecten folgen, wie es denn auch eine Thorheit ist, wenn Eltern ein Kinde im Mutter-Leibe der Theologie widmen, welches bisweilen geschehen, und davon man Schmids Dissert. de theologis Deo in utero consecratis, lesen kan. Denn sie können ja nicht wissen, ob sich das Kind dazu schicken werde; was aber GOtt desfalls mit dem  
 
  • Jeremia Cap. I, 5.
  • Johanne dem Täuffer Malach Cap. II, 1. Cap. IV, 5. Luc. Cap. I, 13. seqq.
  • und Paulo Galat. Cap. I, 15. 16.
 
  gethan, das ist nicht zu unsrer Nachahmung aufgeschrieben. Es können auch die Kinder dadurch nicht verbunden werden.  
  Der sicherste Grund ist, daß man sich nach seinem Naturell richtet, und eine solche Profeßion erwehlet, wozu man sich am besten schicket, und am meisten Lust hat. Denn auf die Art kan man am meisten vor sich bringen, und sich in Stand setzen, seinem Nächsten rechtschaffne Dienste zu leisten. Sollte man sich auf Anreitzen unordentlicher Affecten, oder auf unbedachtsames Einrathen anderer auf was geleget haben; so man bey reiffer Überlegung befindet, es sey dasjenige nicht, wozu einem GOTT und die Natur bestimmet, so handelt man dem Willen GOttes und der Klugheit gemäß, wenn man, da man kan, bey Zeiten umkehret, und eine Wissenschafft ergreifft, dazu man von Natur geschickter ist.  
  Mit der Haupt-Profeßion muß man die Neben-Wissenschafften verknüpffen, welche zur gründlichern und leichtern Erlernung jener dienen, so die Philosophie und schönen Wissenschafften sind. Doch kan man auch diese zu seiner Haupt-Wissenschafft erwehlen; wenn man etwa gesonnen ist, GOTT in dem Schul-Stande zu dienen.  
Mittel Drittens muß man sich auch bey den Studiren um die Mittel bekümmern, wenn  
  {Sp. 1204}  
  man seinen Zweck der Gelehrsamkeit erlangen will. Denn sich einen Endzweck vorsetzen, aber sich nicht zu den Mitteln bequemen wollen, ist eine Narrheit. Solche Mittel sind überhaupt zweyerley denn man lernet etwas entweder durch Hülffe anderer; oder durch seinen eigenen Fleiß und Bemühung. Andere können uns hierinnen dienen bald durch ihre Unterweisung, wohin der Gebrauch der Schulen, niedriger und hoher gehöret; bald durch ihre Discourse in Gesellschafften, daher die Conversation mit den Gelehrten auch als ein Mittel anzusehen ist; bald durch ihre Schrifften, und da müssen wir die Buücher haben.  
  Die Mittel, dabey es auf unseren eignen Fleiß ankommt, sind das Meditiren und das Excerpiren. Zum wahren und nützlichen Gebrauche derselbigen wird erfordert auf einer Seite der Fleiß, da man in seinem Gemüthe bereit ist, alles zu thun, was zur Erlangung der Gelehrsamkeit nöthig ist; auf der andern Seite die Klugheit, daß man die Art und Weise verstehe, wie man die Mittel so anwenden müsse, damit man auf eine leichte Art zu seinem Zwecke komme.  
  Zu den Mitteln, welche dem Studiren aufhelffen und dasselbe erleichtern, trägt die Einrichtung der Academien und Schulen nicht wenig bey. Wie diese beschaffen seyn müsse, wenn man dem Studiren aufhelffen will, wird aus folgendem erhellen.  
  Da derjenige, der andere etwas lehren will, es selbst verstehen, auch andern, was er verstehet, mit guter Manier beyzubringen vermögend seyn, über dieses allen Fleiß, der darzu erfordert wird, anwenden muß; so müssen auf Schulen und Academien solche Lehrer bestellet werden, die das ihrige wohl verstehen, die Gabe zu Lehren besitzen, und von einem unermüdeten Fleiße sind. Derowegen soll man keinen darzu annehmen der nicht vorher in allen diesen Stücken genungsame Proben abgeleget. Und gewiß, es ist diese Vorsorge über alle maße nöthig, sonderlich auf den hohen Schulen, wo man Wissenschafften und freye Künste lehret. Denn da nach diesem in allen Ständen die wichtigsten Ämter mit solchen Personen besetzt werden, die auf Academien Wissenschafften und freye Künste gelernet, so ist es ein grosses Verderben für das Land, wo auf Universitäten untüchtige Leute sind, von denen man entweder gar nichts, oder doch nichts rechtes, ja wohl gar schädliches lernen kan; und es ist dieser Schade um so viel grösser und gewisser, je mehr die lernenden gehalten sind, diese und keine andern zu ihren Lehrern zu erwehlen.  
  Und damit man auch versichert ist, daß alle, denen andern zu lehren obliegt, das treulich thun, was sie zu thun vermögend sind, so hat man auf Mittel und Wege zu dencken, wie man davon in Erfahrung komme, auch überhaupt dergleichen Anstalten zu machen, daß nicht leicht einer den ihm gebührenden Fleiß unterlassen kan.  
Lehrende Da das Lehren und Unterrichten eine beschwerliche Arbeit ist, darüber man leicht verdrießlich werden kan; so hat man darauf zu dencken, wie man den Fleiß der Lehrenden unterhalten, und ihnen zu ihrer Arbeit Lust machen kan. Zudem Ende hat man zu sorgen, daß sie dabey ihr gutes Auskommen finden,  
  {Sp. 1205|S. 616}  
  wo nicht besser, doch eben so gut als in einem andern Stande, dazu sie eben so wohl geschickt wären. Denn gleich wie sie misvergnügt werden wenn sie bey ihrer sauren und höchstbeschwerlichen Arbeit darben sollen, da andere ihres gleichen in ihren Bedienungen bey vielweniger oder doch bey weitem nicht so verdrüßlichen Arbeit ein weit besseres Auskommen haben: So sind sie hingegen in ihrem Zustande zufrieden, wenn sie versichert sind, daß sie sich nicht verbessern würden, ob sie gleich eine andere Bedienung erhielten, dazu sie wohl als zu der ihrigen geschickt werden.  
  Ingleichen hat man auch mit darauf zu sehen, daß sie nicht weniger geehret werden, als alle andere ihres gleichen, die zu andern Bedienungen gezogen werden, zu denen sie so wohl als jene geschickt wären. Denn so werden sie keine Ursache finden, warum sie sich verändern wollen; sondern wenn sie gleich unterweilen ihrer Mühe überdrüßig werden, und sich in einen andern Stand wünschen, so werden sie doch bald wieder Muth fassen und nicht zu ändern verlangen, wenn sie bedencken, daß sie keinen Vortheil finden können.  
  Absonderlich ist hiervor auf hohen Schulen zu sorgen, wo man Leute zu Lehrern gebraucht, die in Wissenschafften andern überlegen, und sie wohl vorzutragen geschickt sind, und daher leichte niedergeschlagen werden, wenn sie bey den vortrefflichen Gaben, damit sie andern überlegen sind, doch nicht so viel Vortheil haben können, als andere, die ihnen viel nachgeben müssen, bey ihren austräglichern Bedienungen.  
  Am allermeisten aber ist deswegen mit hierauf zu sehen, weil diejenigen, welche die Wissenschafften durch Lesen und Nachdencken in Aufnehmen bringen sollen, ruhiges und vergnügtes Gemüthes seyn müssen, indem Unruhe und Misvergnügen das Nachdencken stöhren.  
  Wenn man bey allen Academien dafür sorgte, so würden nicht allein geschickte Köpffe darauf ihre Absicht haben, und sich lieber in dieser als andere Bedienungen begeben, sondern auch gerne und willig darinnen verbleiben, und sich nicht nach andern umsehen. Man würde auch jederzeit die besten Leute zu Lehrern bekommen können, wenn sie nebst dem eigentlichen Auskommen auch soviel Ehre fänden, als sie mit Verstande begehren könnten. Denn dieses sind doch zwey Puncte, darauf die Menschen am meisten zu sehen pflegen, wenn sie sich in Bedienungen begeben sollen.  
  Vielleicht werden einige meynen, daß Lehrende nicht allzu einträgliche Besoldung haben solten, damit sie nicht nachläßig würden, und desto weniger Zeit und Fleiß auf Unterrichtung der ihnen anvertrauten Jugend anwendeten. Allein es ist zu mercken, daß man hier die Einrichtung für allen Dingen dergestalt zu machen hat, daß man nicht anders sein reichliches Auskommen findet, als indem man sein Amt treulich und fleißig verrichtet: Welches nach denen besondern Umständen auf vielerley Weise geschehen kan.  
  Darnach sind auch gewisse Personen zu setzen, die darauf Aufsicht haben, wie die Lehrenden ihr Amt verrichten, damit man bey Zeiten allen Mängeln abhelffen kan, die sich etwan hier und dort ereignen dürfften. Über dieses kan man auch dergleichen Anstalten machen, dadurch nicht allein die Lehrenden angehalten  
  {Sp. 1206}  
  werden, ihres Amtes entweder selbst treulich zu warten, oder bey einigen sich ereignenden dringenden Umständen durch andere, was ihnen oblieget, zum Theil verrichten lassen; sondern auch zugleich in Erfahrung kömmt, wie ein jeder gethan, was ihm gebühret.  
  Man hat solche Personen zu erwehlen, die durch abgelegte Proben vorher zur Gnüge erwiesen, daß ihnen der Fleiß in Verrichtung ihres Amtes kein Verdruß und keine Beschwerde, sondern vielmehr eine Lust ist, auch sich vorher in dergleichen Fliesse sattsam geübet. Es ist freylich wahr, daß, je austräglicher die Bedienungen der Lehrenden sind, je mehr sich Leute dazu finden werden, die dadurch ihre Bequemlichkeit zu erhalten gedencken. Allein da man niemanden zu einem Lehrer annehmen soll als der in allen Stücken, die zu seinem Amte erfordert werden, sattsame Proben abgeleget hat; so kan man gar leichte verhüten, daß sich dergleichen Leute nicht eindringen, wo es ein rechter Ernst ist, sie abzuhalten.  
  Wollte man aber sagen, daß umso viel eher durch Kunst der Gewaltigen sich ungeschickte Leute in dergleichen Bedienungen bringen würden, je mehrern Vortheil sie darbey zu gewarten hätten: So kan man zwar nicht läugnen daß dergleichen Fälle möglich sind; jedoch würde man fast keine gute Anstalt machen können, wenn man sich davor fürchten wolte, daß sie durch die wiedrigen Affecten der Gewaltigen können gemißbrauchet werden.  
  Unterdessen bleibet es freylich wahr, daß alsdenn die gröste Sorgfalt erfordert wird Ungeschickte abzuhalten. Es lassen sich aber durch hohe Hand dergleichen Verordnungen machen, daß auch nicht allezeit die Gewaltigen durch Misbrauch ihrer Macht das Gute verderben können. Nehmlich hiervor muß mit in den Statuten und Privilegien, die hohen Schulen ertheilet werden, hinreichende Vorsehung geschehen.  
  Es haben auch Lehrende darauf zu sehen, daß sie bey den Lernenden in gutem Ansehnen sind, das ist, daß die Lernenden in den Gedancken stehen, sie verstehen dasjenige, was sie von ihnen lernen sollen, auf das beste. Denn wer in den Gedancken steht, der andere verstehe, was er ihn lehren soll, der glaubet auch, er müsse das lernen, was er ihn lehret, und es auf die Art anfangen, die er vorschreibet; folgends erweiset er sich in dem, was er lernen soll, fleißig.  
  Hingegen wo man ein Mistrauen in die Lehrenden setzet als wenn sie dasjenige, was er andre lehren will, selbst nicht recht verstünde; von dem wird man nicht annehmen, was er saget sondern ihn mit dem, was er vorbringet, nur verlachen. Solcher Gestalt unterlässet man entweder gar, was man von ihm lernen solte, oder man wendet keinen rechten Fleiß an. Und dieses ist eben die Ursache, warum man berühmte Leute zu Lehrern nimmt, die sich nehmlich bey andern schon in den Credit gesetzt haben, daß sie dasjenige, was sie lehren sollen, für andern wohl verstehen. Ja eben deswegen haben sich Lehrende zu bemühen, daß sie dergleichen Proben ablegen, wodurch sie einen solchen Ruhm erhalten können.  
  Es hat aber dieses auch den Nutzen, daß mehrere angelocket werden, sich ihrer Unterweisung zu bedienen; wodurch sie zugleich ihren Vortheil in Vermehrung ihres Ver-  
  {Sp. 1207|S. 617}  
  dienstes befördern. Damit sie sich aber bey den Lernenden in dem Ansehen erhalten, darein sie sich durch tüchtige Proben gesetzt haben; so haben sie sonderlich in ihrer Aufführung, ja in allen Mienen und Gebehrden alles sorgfältig zu vermeiden, was ihnen anständig ist. Denn da junge Leute für andern geneigt sind, an andern zu tadeln, was sie unanständiges an ihnen sehen, auch wo viele bey einander sind, ein aufgeweckter Kopff die andern mit aufbringet; so machen sich die Lehrenden durch eine ungeschickte Aufführung in ihrem Wandel, in Mienen und Gebehrden bald lächerlich, und verleiten die Lernenden dazu, daß sie ihrer spotten: In welchem Zustande die Lernenden entweder auf die Gedancken gerathen, als wenn sie das Ihrige nicht recht verstünden, weil sie meynen, ein Verständiger könne sich nicht so aufführen; oder sich wohl einbilden, als wenn dasjenige, was sie lehren, Sachen wären, die nicht viel nutzen, und man daher gar wohl entrathen könnte; ja unterweilen wohl gar sich und andere überreden, die Sachen, so sie lehrten hinderten eine gute Aufführung und die Klugheit im Wandel: Woraus denn ferner eine Verachtung der Wissenschafft entstehet, und man zu lernen unterlässet, was man sonst lernen würde und solte. Wer sich auf unsern Deutschen hohen Schulen umsiehet, der wird in der Erfahrung finden, daß dieses wahr sey.  
  Da nun bey einem Lehrenden es so nöthig ist, daß er bey den Lernenden ein gutes Ansehen hat; so ist es auch höchst nöthig, daß, wenn viele Lehrende die Unterweisung der Jugend in verschiedenen Künsten und Wissenschafften zugleich besorgen, keiner unter ihnen etwas vornehme, was dem andern verkleinerlich ist, und demnach keiner den andern von den Lernenden verachte, sondern vielmehr alles, was nachtheiliges von ihnen gesagt wird, zum Besten kehre. Wir sind darzu schon durch die allgemeinen Pflichten verbunden; aber hier kömmt noch eine neue Verbindlichkeit darzu, weil sonst einer des andern seyn Amt unkräfftig machet. Man findet leider! in der Erfahrung, daß nicht mit geringem Nachtheile der Lernenden insgemein die Lehrenden dieser Pflicht zuwieder handeln, und einer des andern Ansehen auf allerhand Weise zu verkleinern suchet.  
  Woraus denn ferner dieses Unheil erwächset, daß unter den Lernenden Partheyen entstehen, deren einige sich an diesen, andere an einen andern hängen, und dadurch in einen Haß gegen einander entbrennen, folglich bey allerhand Gelegenheiten einer gegen den andern sich wiedrig erzeuget. Was mehr vor Unheil heraus kömmt, liegt nicht allein am Tage; sondern wer die Menschen in ihrem Thun und Lassen kennet, kan es auch mehr als zu viel begreiffen.  
  Warum Lehrende einander zu verkleinern trachten, kömmt gemeiniglich daher, daß sie an Ehre und Einkünfften ungleich sind, ob sich gleich in ihren Verdiensten dergleichen Ungleichheit nicht befindet, sondern der öffters wohl gar das Nachsehen haben muß, der die meisten Verdienste hat. Hieraus entstehet Neid; und weil dieser mit dem Hasse vergesellschafftet ist, so ist man bereit, aus des andern Unglück Vergnügen zu schöpffen und trachtet daher, ihm dergleichen anzurichten. Derowegen  
  {Sp. 1208}  
  wäre es höchst nöthig, daß man Lehrer der Ehre und den Einkünfften nach so viel möglich gleich machte, oder, wo es nicht mit gutem Grunde geschehen kan, doch darauf bedacht wäre, daß diejenigen, welche eine Gleichheit zu begehren befugt sind, wenigstens mit andern gleiche Hoffnung hätten, sich zu verbessern. Hierdurch würde man verhüten, daß nicht Leute, die einer Facultät Nutzen leisten können, in eine andre verlangten, wo man ihres gleichen, auch wohl bessere eher haben könnte, als darinnen, was ihnen zu lehren zuerst anvertrauet worden ist. Hierdurch würde man auch verhüten, daß theils die Lehrer selbst, theils auch die Lernenden einige Wissenschafften nicht verachteten, oder wenigstens für geringe hielten, und andere dargegen mehr, als sichs gebührte, erhüben, dadurch aber Anlaß gäben, daß ihnen hinwiederum das Ihrige verkleinert wird, sonderlich wo man mehr Recht als sie dazu hat.  
  Es pfleget auch wohl zu geschehen, daß aus Hochmuth und Hoffarth einer den andern verachtet. Damit nun dieses nicht geschehe, so hat man zu Lehrern Leute zu nehmen, die zwar ein ehrliebendes Gemüthe haben, aber doch nicht ehrgeitzig sind, damit sie nicht mehr Ehre verlangen, als ihnen gebühret, und sie nach den Umständen haben können, darinnen sie sich befinden. Es haben aber die Lehrenden, die aus Hochmuth und Hoffarth einander verachten wohl zu bedencken, daß sie dadurch ihrer wahren Ehre selbst schaden.  
  Es ist auch viel daran gelegen, daß Lehrer Liebe bey den Lernenden haben. Denn wenn die Lernenden sie aufrichtig lieben, so werden sie auch nichts vornehmen, was ihre Lehrer misvergnügt machen, und hingegen alles thun, was sie vergnügen kan. Derowegen weil sie gar wohl begreiffen, daß es den Lehrern gefällt, wenn sie die Lehren, so von ihnen vorgetragen werden, hochachten, und sie sich im Lernen fleißig erzeigen; so wird auch die Liebe sie antreiben, ihre Lehren mit Hochachtung aufzunehmen, und im Lernen sich fleißig zu erweisen. Hierdurch haben nicht allein die Lernenden den Nutzen, daß sie etwas lernen, und ihre Zeit nicht vergeblich hinbringen; sondern die Lehrenden werden auch dadurch aufgemuntert, sich selbst in der Erkenntniß der Wahrheit noch immer mehr zu gründen.  
  Wenn demnach die Studirenden etwas tüchtiges lernen sollen, so müssen die Lehrer auch dafür sorgen, daß sie ihre Lehren nicht verachten und entweder gar nicht anhören, oder doch nur zu einem Ohre hinein, zum andern wieder heraus lassen. Derowegen ist nicht alleine nöthig, daß sie in Erfahrung kommen, wie die Lernenden ihre Lehren fassen, sondern auch zugleich vermögend sind, sie zum Lernen zu verbinden: Das erste geschiehet durch Examiniren, wenn sie nehmlich durch geschickte Fragen erforschen, ob sie dasjenige verstehen, was sie gelernet, und wieder die Einwürffe, die sie ihnen machen vertheidigen können.  
  Zu dem Ende wäre dienlich, wenn man dergleichen Untersuchungen anstellte, theils ehe die Lernenden die ihnen vorgetragenen Lehrern durch ihren besondern Fleiß wiederhohlet, theils nachdem diese Wiederhohlung geschehen. Im ersten Falle würde man Gelegenheit bekommen, theils ihre Fähigkeiten zu beurtheilen, theils auch zu erkennen, ob sie wohl darauf Acht gehabt, oder nicht: Im andern Falle  
  {Sp. 1209|S. 618}  
  hingegen würde der Fleiß bekannt, den sie Studiren beweisen.  
  Ausser diesen Untersuchungen wäre auch dienlich, wenn man ihnen Einwürffe machte, um zu sehen, wie sie dieselben beantworten würden: Woraus man am allermeisten erkennen kan, ob einer eine Sache recht inne hat, oder nicht. Wer sich gegen Einwürffe, die er vorhin noch nicht gehöret hat, wohl vertheidigen kan, der muß sie auch wohl inne haben. Ja man solte sie nach diesem auch vor sich Einwürffe machen, und ihre Zweiffel, die ihnen bey den vorgetragenen Lehren einfallen, vorbringen lassen, damit man ihnen dieselben benehmen, und sie ihrer Meynung gewiß machen kan.  
  Wenn ein Lehrer auf solche Weise die Fähigkeit der Lernenden und ihren Fleiß genau erkannt hat; so ist er auch in dem Stande, in seinem Vortrage sich darnach zu richten, damit er weder durch die Kürtze unverständlich, noch durch allzu grosse Weitläufftigkeit beschwehrlich wird. Wie die Dunckelheit Verdruß erreget; so erwecket im Gegentheile allzu grosse Weitläufftigkeit nicht geringere, absonderlich bey denen, die einen grossen Eiffer haben, bald viel zu lernen.  
  Das Lehrer auch Gewalt haben müssen, Lernende zu verbinden, ihre Lehren mit Bedacht anzuhören und fleißig zu wiederholen, begreifft man leicht. Denn ohne dieses pflegt es zu geschehen, daß die Lernenden entweder eine Sache gar verachten, u. nicht einmahl sie anzuhören kommen, oder doch wenigstens nicht recht darauf Acht haben, noch mit Fleiß wiederholen. Wo Lernende vor sich verstehen, was ihnen gut ist, und eine Lust zu lernen haben, da braucht es dieser Verbindlichkeit nicht: Hingegen wo sie nicht wissen, was ihnen gut ist, und Gelegenheit sich ereignen kan, daß sie durch ungegründete Vorstellungen abgehalten werden zu lernen, was sich gebührete, da wird sie hauptsächlich erfordert.  
  Und es dannenhero ein grosses Verderben, wenn man den Lernenden hierinnen völlige Freyheit überlässet, daß sie zu ihrem grossen Schaden entweder gar nicht lernen, was ihnen höchst nöthig und nützlich wäre, oder doch zur Unzeit, indem sie nachsetzen, was vorhergehen solte, und zuerst lernen, was sich zuletzt zu lernen gehörete. Aus welcher Unordnung erfolget, daß sie mit vielem Fleisse und Bemühung nichts gründliches lernen, auch dasjenige, was sie endlich ins Gedächtniß fassen, nur obenhin zu lernen mehr Zeit und Mühe anwenden müssen, als sie sonst eben dasselbe aus dem Grunde zu lernen nicht nöthig hätten.  
  Die tägliche Erfahrung bekräfftiget dieses auf unsern Universitäten, und es ist nicht nöthig, solches durch Gründe zu erweisen. Es ist zwar nicht zu läugnen, daß wenn die Lehrer Gewalt haben, die Freyheit der Lernenden im Lernen einzuschräncken, ebenfalls viel Unheil daraus erfolgen kan, wofern sie nehmlich selbst nicht verstehen, was einem zu lernen dienet, der sich durch gründliche Wissenschafft zu einer künfftigen Lebens-Art zubereiten will. Allein diesen Fehler kan man sehr leicht abhelffen, wenn man durch gute Gesetze vorschreibet, was ein jeder zu lernen hat, und in welcher Ordnung er studiren muß: Hingegen den Lehrern so wenig verstattet, etwas aus Ungehorsam gegen die Obrigkeit, von der sie ihr Amt haben, nach ihrem eigenen Dünckel darinnen zu  
  {Sp. 1210}  
  ändern, als man den Lernenden erlaubet, nach ihrem eigenen Gefallen ihr Studiren einzurichten. Uneingeschränckte Macht, andere zu verbinden, ist allezeit gefährlich, und muß niemand überlassen werden: Es folget aus Unverstande, Irrthum und eigennützigen Absichten gar leicht ein schädlicher und Land verderblicher Mißbrauch.  
     

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Stand: 30. März 2013 © Hans-Walter Pries