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Zedler: Sünden-Fall [1] HIS-Data
5028-41-72-1-01
Titel: Sünden-Fall [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 41 Sp. 72
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 41 S. 49
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Stichworte Text   Quellenangaben
  Sünden-Fall, Lat. Lapsus primorum hominum, ist derjenige Abfall der ersten Menschen von GOTT, welcher durch die von der Verführung des Teuffels veranlassete Übertretung des Göttlichen Verbots verursachet, und dadurch die Sünden-Seuche nicht nur auf dieselben, sondern auch auf alle ihre Nachkommen gebracht worden.  
Verführung der Eva Den Sünden-Fall unserer ersten Eltern beschreibet uns Moses in seinem ersten Buche cap. III, 1. bis 6. Und die Schlange war listiger denn alle Thiere auf dem Felde, die GOtt der Herr gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja solte GOtt gesagt haben, ihr solt nicht essen von allerley Bäumen im Garten? Da sprach das Weib zu der Schlangen: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baums mitten im Garten, hat GOtt gesaget: Esset nicht davon, rührets auch nicht an, daß ihr nicht sterbet. Da sprach die Schlange  
  {Sp. 73|S. 50}  
  zum Weibe: Ihr werdet mit nichten des Todes sterben; sondern GOtt weiß, daß, welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgethan, und werdet seyn, wie GOtt, und wissen was Gut und Böse ist. Und das Weib schauete an, daß von dem Baum gut zu essen wäre, und lieblich an zusehen, daß es ein lustiger wäre, weil er klug machte; und nahm von der Frucht, und aß, und gab ihrem Manne auch davon; und er aß.  
  Wir haben hier am ersten zu bemercken, daß unsere ersten Eltern, nicht aus und von sich selbst von GOtt durch die Sünde abgefallen sind; sondern daß sie dazu von einem andern sind veranlasset und gebracht worden. Dieses entschuldiget zwar ihren Fall an und vor sich selbst nicht gäntzlich; allein es machet doch denselben in etwas leidlicher, und findet das Mitleiden um desto eher Statt. Den Verführer unserer ersten Eltern nennet Moses die Schlange. Es giebet dieser heilige Scribent in seiner kurtzen und dem ersten Ansehen nach etwas dunckeln Beschreibung, so viel an die Hand, daß er zwar freylich von einer natürlichen und leiblichen Schlange rede, aber doch auch zugleich auf einen andern ziele, der das Haupt-Werck bey dieser Verführung ausgerichtet habe.  
  Daß Moses würcklich eine natürliche und leibliche Schlange verstehet, solches siehet man aus seiner Beschreibung die er von der Schlange machet. Sie war, spricht er, listiger, denn alle Thiere auf dem Felde, die GOtt der HErr gemacht hatte. Solte durch die Schlange, wie einige wollen, allein der böse Geist, den wir einen Teuffel nennen zu verstehen seyn; so würde derselbigen Vergleichung mit den Thieren auf dem Felde sehr wunderlich heraus kommen. Denn was solte das heissen: Ein Geist war listiger als die unvernünfftigen Thiere? Wozu solte eine solche Vergleichung nützen, und was solte sie für eine Erläuterung der Sache geben?  
  Es wollen zwar diejenigen, welche obige Meynung hegen, sich damit helffen, daß das Grund-Wort, welches Lutherus durch Thiere übersetzet hat, auch wohl so gegeben werden könne: Die Schlange war listiger denn alles lebendige auf dem Felde, was GOTT der HErr gemacht hatte; da denn auf solche Weise die Menschen mit eingeschlossen würden. Allein diese Ausflucht hebt den Scrupel nicht. Denn einmahl, wenn schon die Menschen mit eingeschlossen werden könnten, so könnten doch die unvernünfftigen Thiere um desto weniger mit eingeschlossen werden, da derselben die meisten waren, indem Moses spricht: Die Schlange sey listiger gewesen denn alle Thiere auf dem Felde. Weil nun aber solchergestalt die Meynung seyn müste, der Teufel wäre lästiger gewesen, nicht nur als die Menschen, sondern auch als alle übrige lebendige Thiere auf dem Felde, so bleibet der obige Einwurff von den Thieren einmahl wie das andere ungehoben.  
  Dazu kommt, daß, wenn wir das vorige Capitel zu Rathe ziehen, in demselben das Grund-Wort, welches Lutherus durch Thiere auf dem Felde übersetzet hat, nicht die Menschen, sondern alleine die unvernünfftigen Thiere ausdrucket. Im gedachten Capitel bedienet sich Moses dieses Worts  
  {Sp. 74}  
  zweymahl nacheinander, und zwar beyde mahl so, daß es die unvernünfftigen Thiere im Gegen-Satz gegen die ersten Menschen bedeutet. Denn im 19 Vers heißt es: Als GOtt der HErr gemacht hatte, von der Erden allerley Thiere auf dem Felde, brachte er sie zu dem Menschen, daß er sehe, wie er sie nennete. Und im 20sten Vers wird hinzu gethan, daß der Mensch einem ieglichen Thiere auf dem Felde seinen Nahmen gegeben habe. Wenn nun Moses bald darauf in seinem III. Capitel fortfähret: Und die Schlange war listiger, denn alle Thiere auf dem Felde, die GOTT der HErr gemacht hatte, welche letztere Worte mit Cap. II, 19. übereinkommen, so stehet ja wohl nicht anders zu gedencken, als, daß hier eben so wohl, wie dort, die unvernünfftigen Thiere alleine müssen verstanden werden. Woraus dann folget, daß auch die Schlange eins von den unvernünfftigen Thieren, so dem Adam im Paradiese zugeführet worden, müsse gewesen seyn.  
  Man möchte hierbey noch einwenden, wenn von einer leiblichen Schlange, und also von einem unvernünfftigen Thiere die Rede sey, wie denn derselben eine besondere List und Klugheit vor allen andern Thieren zugeschrieben werden könne? Hierauf antworten wir einmahl überhaupt, daß auch unser Heyland einer Schlange eine besondere Klugheit beylege, wenn er zu seinen Jüngern sagt: Seid klug, wie die Schlangen; und ohne falsch, wie die Tauben. Matth. X, 16.
  Und so haben wir durch diesen Ausspruch unsers Heylandes wenigstens so viel vor aus, daß man um des Zusatzes willen, daß die Schlange listig gewesen sey, nicht nothwendig an ein vernünfftiges Wesen, so hier eine Schlange genennet werde, gedencken müsse. Wenn wir nun auch schon keine Ursache anzugeben wüsten, warum einer Schlange eine grössere List, als allen andern unvernünfftigen Thieren zugeschrieben würde; so würde doch deßwegen noch lange nicht folgen, daß der Ausspruch Mosis so wohl, als unsers Heylandes, in dem Stücke nicht recht gegründet wäre.  
  Wir nehmen zwar an einigen andern Thieren, z.E. an einem Fuchs, mehr List wahr, als an unsern hiesigen Schlangen; allein wir müssen nicht von diesen letztern einen Schluß auf alle Schlangen machen; eben so wenig, als man von einem tummen Bauern-Hunde, einen Schluß auf einen jeglichen Hund machen kan. Gehet dieses letztere nicht an, da doch sonst unter den Hunden eine so grosse Ähnlichkeit ist; so gehet es noch weniger bey den Schlangen an, da derselben verschiedene Arten und Geschlechte sich finden. Es sind in den Morgen-Ländern verschiedene grosse Sorten von Schlangen, die wegen ihrer schönen und gläntzenden Haut von den Reisenden, und Naturkündigern sehr bewundert werden. Diese aber sind nunmehro in den Wildnißen, und sonst so schädlich und gefährlich, daß man auf ihre Handlungen nicht so viel Achtung geben kan, als auf die Handlungen eines Fuchses. Und so ist es nicht zu verwundern, daß wir keine genungsame Erfahrung von der List einer Schlangen, in so ferne dieselbe die List aller andern Thiere übersteiget, haben, oder haben können.  
  Dem ohngeachtet lässet sich doch noch von dieser Sache wohl etwas sagen. Wir setzen nehmlich voraus, daß zwischen der Beschaf-  
  {Sp. 75|S. 51}  
  fenheit eines Cörpers, und derjenigen Seelen, die mit dem Cörper vereiniget ist, eine Übereinstimmung sey. Nun betrachte man den Cörper einer Schlangen. Es berühret derselbe nicht nur allenthalben unmittelbar die Erde, indem er keine Füsse hat; sondern er ist auch sehr geschlang, allenthalben langsam, und von einer solchen Einrichtung, daß er leichte allenthalben ein und durch schlüpfen, und sich auf hunderterley Weise schräncken, drehen und wenden kan.  
  Aus dem ersten lässet sich schliessen, daß eine Schlange ein überaus zartes Gefühl haben müsse, weil das geringste, was den Ort, wo die Schlange ist, nur einiger massen erschüttert, und in Bewegung setzet den gantzen Leib der Schlangen unmittelbar berühret; welches bey einem Thiere, daß nicht nur Füsse, sondern auch eine dickere Haut, und noch wohl darzu Haare oder Federn hat, nicht so geschehen kan.  
  Aus dem andern kan man den Schluß machen, daß die Seele einer Schlange sehr mancherley und geschwinde Vorstellungen haben müsse, und zwar solche, die da alle die äusserlichen Handlungen, welche von der Schlange vorher sind bemercket worden, nach sich ziehen.  
  Eine Creatur, die ein sehr zartes Gefühl hat, verspüret bald, was ihr schädlich oder auch dienlich seyn möchte; und wenn sie einen Cörper besitzet, der sich leicht und auf mannigfaltige Weise bewegen, zusammen ziehen und ausstrecken, krümmen und wenden kan, so ist sie vermögend, mit leichter Mühe, dem was ihr schädlich ist, zu entgehen, und dem, was ihr dienlich nachzusetzen. In diesem allen hat eine Schlange vor andern Thieren auf dem Felde einen unstreitigen Vorzug. Wer nun, was ihm schädlich und dienlich ist leichte mercken kan, und jenem zu entgehen, diesem aber nachzukommen weiß, den hält man für klug und listig.  
  Weil nun die Schlange, wie wir gesehen haben, dieses alles vor andern zu bewerckstelligen, fähig ist; so haben wir den Grund, warum ihr vor allen andern Thieren eine besondere List zugeschrieben werde. Und dis mag auch wohl die Ursache seyn, warum man noch heut zu Tage von einem verschmitzten Menschen saget: Er sey so listig, wie eine Schlange; und warum auch schon die Heyden, welche die Eigenschafften ihrer Götter, durch gewisse Abzeichen vorzustellen pflegen, dem Mercurio unter andern eine Schlange zu geben. Denn, da Mercurius von ihnen für der übrigen Götter Boten gehalten wird; eines guten Abgesandten Eigenschafft aber seyn soll, daß er die Gemüther der Menschen leicht abmercken, und seine Worte so zu kehren und zu wenden wisse, daß er in dieselbe eindringen, und solcher Gestalt seinen Zweck desto füglicher erreichen könne, wie denn auch Mercurius als ein guter Redner und Vorsteher der Redner-Kunst beschrieben wird; so haben die Heyden ihren Mercurium mit einer Schlangen bezeichnen wollen.  
  Wenigstens siehet unser Heyland auf obgedachte Eigenschafft einer Schlangen, wenn er derselben Klugheit seinen Jüngern anbefiehlet. Denn damit will er, daß sie in allen Stücken fein vorsichtig handeln sollten, und daß sie eines Theils dahin zu sehen hätten, wie den Menschen mit dem Evangelium am besten ins Hertz zu kommen sey; andern Theils aber müsten sie auch auf ihre Sicherheit be-  
  {Sp. 76}  
  dacht seyn, und denen Menschen, die ihnen gerne zu Leibe wollen, auszuweichen suchten; nur daß alles so geschähe, daß sie sich keiner Falschheit nach sündlichen Vorstellungen dabey bedieneten.  
  Wenn wir nun die Sache so ansehen; so finden wir zugleich den Grund, warum von dem Haupt-Verführer eben eine Schlange vor andern Thieren zum Werckzeuge, die Evam zu verführen, auserkohren sey. Adam hatte nehmlich der Schlange selbst einen Nahmen, der eine List und Klugheit ausdrücket, beygeleget; weil er ihre Eigenschafften also befand, daß sie vor andern Thieren listig sey, und leichte etwas vornehmen könne. Der Eva war solches nicht unbekannt. Sie mag auch wohl überdem gerne mit dieser Creatur, um ihrer besonders artigen und mannigfaltigen Handlungen willen, umgegangen seyn; wie angemercket wird, daß an manchen Orten die Menschen, auch noch heutiges Tages, mit den Schlangen gern und gleichsam spielend umgehen.  
  Da nun der Verführer zum bequemsten fand, durch ein gewisses Werckzeug die Eva mit List zu berücken; so gesellete er sich am liebsten zu einem solchen, das in der List etwas ähnliches hatte, und von welchen die Eva noch am ersten was besonders und ungemeines vermuthen konnte. Moses zeiget nehmlich nicht undeutlich an, daß die Verführung nicht allein auf die leibliche Schlange, sondern hauptsächlich auf einen andern ankomme. Er berichtet, daß die Schlange gesprochen, um mit dem Weibe eine förmliche Unterredung gehalten habe.  
  Nun ist zwar nicht unbekannt, daß auch einige unvernünfftige Thiere zum Reden, oder vielmehr zur Aussprache gewisser Worte, angewöhnet werden können; alleine diese müssen eine solche Zunge haben, welche für sich selbst tüchtig ist, die Lufft also zu bewegen, daß ein vernehmlicher Schall, und deutliches Wort herauskomme. Wenn sie nun aber auch hierzu aufgeleget sind; so weiß man doch wohl, daß unvernünfftige Thiere nichts weiter hervorbringen können, als was sie von Menschen gelernet haben; förmliche Unterredungen aber zu pflegen, Schlüsse zu machen, und andere zu belehren, dazu sind sie gantz ungeschickt. Nun hat eine Schlange so eine dünne Zunge, daß sie zum reden gantz und gar nicht aufgelegt ist. Über dem, so werden hier von der Schlange solche Reden geführet, die von einem unvernünfftigen Thiere unmöglich herrühren können.  
  Da nun aber gleichwohl nach Mosis Bericht, dieses alles von der Schlange ist bewerckstelliget worden; so verweiset uns Moses eben damit auf einen andern, von welchem diese Sprache der Schlangen ihren Ursprung genommen habe.Im Buche der Weisheit Cap. II, 23. 24. stehet geschrieben: GOtt hat den Menschen geschaffen zum ewigen Leben, und hat ihn gemacht zum Bilde, daß er gleich seyn solte, wie er ist. Aber durch des Teufels Neid ist der Tod in die Welt kommen. Bey Moses stehet dem Buchstaben nach nichts vom Teufel, sondern nur von der Schlangen, die mit den Thieren auf dem Felde in Vergleichung gesetzt wird. So muß denn damahls, als der Urheber des Buches der Weisheit geschrieben hat, eine bekannte und ausgemachte Sache gewesen seyn, daß der Teufel hier die Haupt-Person gespielt habe.  
  {Sp. 77|S. 52}  
  Es muß auch zu Mosis Zeiten bekannt gewesen seyn, dieweil dieser Scribent nicht einmahl nöthig gefunden hat, den Teufel zu nennen.  
  Dem sey aber, wie ihm wolle; so bestätiget unser Heyland mit ausdrücklichen Worten, daß der Haupt-Verführer unserer ersten Eltern der Teufel gewesen sey. Er spricht Joh. VIII, 44. zu den Juden: Ihr seyd von dem Vater dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollet ihr thun; derselbige ist ein Mörder von Anfang und ist nicht bestanden in der Wahrheit, denn die Wahrheit ist nicht in ihm, wenn er die Lügen redet, so redet er von seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner, und ein Vater derselben. Ist der Teufel dadurch, daß er die Lügen geredet hat, der erste Mörder worden; und aber unsere ersten Eltern, sind durch die verführerische Reden der Schlange in den Tod gestürtzet worden; so ist solche Rede der Schlange nach dem Ausspruch Christi, dem Teufel zuzuschreiben.  
  Diesem stimmet der Apostel mit bey, wenn er 2 Corinth. XI, 3. seine Beysorge der Corinther wegen an den Tag leget, und spricht: Ich fürchte, daß nicht, wie die Schlange Evam verführete mit ihrer Schalckheit, also auch eure Sinnen (durch die falschen Apostel) verrücket werden von der Einfältigkeit in Christo, so giebt er V. 13. zu erkennen, wie solche Verrückung besorglich geschehen möchte, denn, spricht er: Solche falsche Apostel und trügliche Arbeiter, verstellen sich zu Christus Aposteln. Worauf er V. 14. hinzu thut: Und das ist auch kein Wunder, denn er selbst der Satan verstellet sich zum Engel des Lichts.  
  Aus welchem Zusammenhange man so viel abnehmen kan, daß der Apostel zu verstehen geben wolle, der Satan habe zu der Eva durch die Schlange als ein Engel des Lichts geredet, und sey die Sache von ihm also angebracht und vorgetragen worden, als ob die Eva durch das Essen von dem Baum des Erkänntniß Gutes und Böses zu einem gantz besondern Göttlichen Lichte gelangen würde. Und so stimmen diese Schrifft-Örter mit dem Buche der Weißheit, darinnen überein, daß die Verführung unserer ersten Eltern den Satan eigentlich zum Urheber habe.  
  Man findet hiervon auch einige Spuhren bey den Heyden. Porphyrius gedencket eines solchen Geistes, den man weder unter die Götter, noch auch unter die guten Engel zählen könne, sondern welche man den Verführer heissen müsse. Van Dale de oraculis führet p. 8. eben auch einen Ort aus dem Porphyrio an, da er schreibet, daß von den bösen Geistern aller Betrug herrühre, indem der Betrug ihnen eigen sey. Sie wolten für Götter gehalten seyn, und der vornehmste unter ihnen wollte das Ansehen haben, als ob er der grösseste GOtt wäre.  
  Wenn man nun dieses alles zusammen fasset, so kan man sich die Sache nicht wohl anders vorstellen, als daß der Satan durch die Schlange, wie dort ein guter Engel durch Bileams Eselin geredet habe. Hat er in den Tagen Christi durch besessene Menschen gesprochen; so kan dergleichen eben auch durch die Schlange geschehen seyn. Denn, obgleich die Zunge einer Schlange natürlicher Weise nicht  
  {Sp. 78}  
  so zum Reden aufgeleget ist, wie die breite Zunge eines Thieres oder auch eines Menschen; so weiß man doch aus der Schrifft, daß ein guter Engel in einer angenommenen Gestalt zu Zacharia, der Maria, den Hirten und andern, und daß der Satan mit Christo in der Wüsten auf gleiche Weise geredet habe, da bey allen keine natürliche Zunge vorhanden gewesen ist. Warum solte denn der Satan nicht eben dergleichen durch eine Schlange haben bewerckstelligen können?  
  Doch, diß sind nur einige Neben-Umstände; wenn dieselben auch schon nicht so gewiß und eigentlich ausgemacht werden könnten, so würde doch der Sache selbst dadurch nichts benommen seyn. Das Haupt-Werck kommet auf die Vorstellung selbst an, durch welche Eva ist verführet worden. Diese leget uns Moses in denen oben angeführten Worten vor. Wir bemercken dabey vorgängig, daß Moses bey Erzehlung der ersten Worte der Schlangen: Ja! solte GOtt gesaget haben? etc. genugsam zu verstehen gebe, das vom denselben nicht der Anfang der Unterredung zwischen der Schlange und dem Weibe müsse gemacht worden seyn; sondern, daß sie schon vorher beyderseits einige Reden mit einander müssen gewechselt haben.  
  Im Hebräischen heisset es: [Hebräischer Text] Ey ja freylich, solte GOtt gesaget haben? Noldius, welcher in seinen Concordantiis particularum hebraicarum … verschiedene Übersetzungen beybringet, zeiget, daß in denselben allen die Hebräische beyde Wörter, welche Lutherus durch Ja! übersetzet hat, Fragweise genommen würden. Diese Art zu reden aber zeiget deutlich an, daß schon eine andere Unterredung müsse vorher gegangen seyn; wie auch einige Rabbinen bemercket haben.  
  Man möchte sich die Sache etwa so vorstellen, daß die Schlange gantz ungewöhnlicher Weise von den Creaturen im Paradiese, von der besondern Glückseeligkeit der ersten Menschen, und von andern, den Schöpffer selbst angehenden Dingen, als ein Engel des Lichts zu reden angefangen habe. Eva, die sich darüber verwundert, und zwar sonst wohl gewust, daß die Schlange ein besonders kluges Thier sey, aber auch, daß sie sonst zu dergleichen Reden nicht sey aufgeleget gewesen, wird gefraget haben, wie denn die Schlange zu solchen Einsichten, und zu solcher Sprache komme? Da denn die Schlange geantwortet; Sie habe von der Frucht dieses Baumes genossen, und dadurch sey ihre gantze Natur geändert worden, daß sie nun von einem sonst unvernünfftigen Thiere zu der Staffel einer vernünfftigen Creatur hinangestiegen sey. Nun wäre ja die Eva schon ein vernünfftiger Mensch. Da solte sie nun bedencken, zu was für einer hohen Stuffe der Erkänntniß sie gelangen würde, wenn sie auch von dieser Frucht zu essen sich entschliessen würde. Darauf aber die Eva versetzet habe, ihr Mann und sie dürfften Krafft des Göttlichen Verbots nicht davon essen.  
  Die Schlange hat denn, wie hier Moses berichtet, zu erst den Zweiffel aufgeworffen: Ja, solte GOtt gesagt haben, ihr sollt nicht essen von allerley Bäumen im Garten; wie solte das möglich seyn? das kan ich mir nicht einbilden. Du hast es ja nicht selbst unmittelbar von  
  {Sp. 79|S. 53}  
  GOtt gehöret. Solte es denn dein Mann auch wohl recht begriffen haben? Oder, hast du auch wohl deinen Mann recht verstanden? Darauf das Weib geantwortet: Wir essen und dürffen essen, von den Früchten der Bäume im Garten, aber von den Früchten des Baums mitten im Garten, hat GOtt allerdings gesaget: Esset nicht davon, rührets auch nicht an, daß ihr nicht sterbet. V. 2. 3.
  Hier bricht denn nun die Schlange loß: Ihr werdet mit nichten des Todes sterben. V. 4.
  GOtt hat uns Thieren auf Erden, und allem Gewürme, das grüne Kraut zur Speise verordnet, euch aber alleine die fruchtbaren Bäume im Paradiese vorbehalten. Cap. I, 29. 30.
  Ich habe die von GOtt gemachte Ordnung überschritten, und von diesem fruchtbaren Baume gegessen, und bin doch nicht gestorben, sondern vielmehr zu einer grössern Glückseeligkeit gelanget. GOtt weiß, demnach, daß, welches Tages ihr davon esset, eure Augen vielmehr werden aufgethan werden, und, da ich worden bin, wie ihr, so werdet ihr seyn wie GOtt, und wissen was gut und böse ist. V. 5.
  Worauf dann auch das Weib sich das Essen von dem Baum hat gefallen lassen, um dadurch zu mehrerer Klugheit zu gelangen, und GOtt selbst gleich zu werden.  
  Ob nun wohl diese Umstände zwar wahrscheinlich, aber doch nicht gewiß sind; sie auch Niemand für gewiß annehmen darf, sondern ein jeglicher seine Freyheit hat, hiervon nach seiner Einsicht ein Urtheil zu fällen; so wird doch wenigstens hieraus so viel erhellen, daß es sehr wohl möglich gewesen sey, daß Eva auch im Stande der Unschuld auf diese Weise habe irre gemacht werden können; da sonst manche nicht zusammen räumen können, wie sich Eva durch die Schlange hätte können verführen lassen, fals sie so viel, als angegeben zu werden pfleget, vom Göttlichen Ebenbilde besessen hätte.  
     

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Stand: 24. August 2016 © Hans-Walter Pries