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Zedler: Sünden-Fall [3] HIS-Data
5028-41-72-1-02
Titel: Sünden-Fall [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 41 Sp. 83
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 41 S. 55
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Hinweise:
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  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Bibel

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Übersicht
Gott Urheber der Sünde?
Warum nicht gleich seliger Mensch geschaffen?
Vorsehung Gottes

Stichworte Text   Quellenangaben
Gott Urheber der Sünde? Diese erzehlten Umstände der Historie des Sünden-Falls sind so beschaffen, daß die Menschen, welche nicht gerne die Schuld ihres Verderbens aus sich selbst herleiten wolten, aus selbigen Gelegenheit nehmen, GOTT zu dem Urheber der Sünde zu machen. Es ist daher nöthig daß wir ihre Vorwendungen erzehlen, um dieselben zu wiederlegen.  
  Man spricht: GOTT hat doch gleichwohl den Sündenfall der ersten Eltern vorher gesehen. Hierauf dienet zur Antwort: Der Verstand und die Erkänntniß ist keine solche würckende Eigenschafft, welche dasjenige, was man erkennet, hervorbringet. Um deßwillen geschiehet etwas nicht, weil man vorher erkennet, daß es geschehen werde. Der Mensch kan aus vielen Umständen auch gewiß vorher sehen, daß manches so oder so erfolgen werde; aber er ist deßwegen von dem vorhergesehenen keine würckende Ursache.  
  Zum Exempel ein Sternkündiger siehet vorher, und saget auch vorher, daß um diese oder jene Zeit eine Sonnen oder Mond-Finsterniß erfolgen werde; aber wer wolte deswegen auf die Gedancken gerathen, daß das Vorhersehen des Sternkündigers solche Finsterniß verursachet habe. Sie  
  {Sp. 84}  
  würde erfolget seyn, wenn auch kein Mensch sie vorher gewust hätte. Eben so würde der erste Sündenfall geschehen seyn, wenn man schon den unmöglichen Fall setzen wolte, daß ihn GOTT nicht vorher gesehen hätte. Über dem so siehet GOTT etwas nicht der Zeit nach vorher, weil bey ihm keine Folge der Zeit statt findet; sondern erkennet alles auf einmahl als gegenwärtig. Wie nun der Mensch von dem, was er gegenwärtig vor sich siehet, nicht um deßwillen, weil er es siehet, eine würckende Ursache ist; also folget auch nicht, daß Gott eine Ursache des Sündenfalls sey, weil er denselben vorher gesehen hat.  
  Allein spricht man weiter: Gott hat gleichwohl den Menschen so erschaffen, das er hat fallen können. Die Antwort ist: Wenn man behaupten könnte, daß Gott den Menschen also erschaffen hätte, daß er nothwendig hätte fallen müssen; so liesse sich dieser Einwurff hören. So aber kan nicht daraus erzwungen werden, daß Gott der Urheber der Sünde und des Bösen seyn solte. Folgt denn wohl: Ein Künstler hat eine Machine verfertiget, die da kan zerbrochen werden: deßwegen, wenn sie zerbrochen wird, ist der Künstler Schuld daran? Oder noch näher zur Sache zu kommen, folget dieses wohl: Eltern haben ein Kind gezeuget, welches sich bey heranwachsenden Jahren selbst entleiben kan, haben deßwegen die Eltern Schuld, wenn eine solche Entleibung erfolget?  
  Gott hat den Menschen nicht anders erschaffen können, als es möglich gewesen ist. Eine Creatur kan nicht unendlich seyn, sondern muß ihre gewisse Schrancken haben. Die Einschränckung ist einer Creatur wesentlich eigen. Gantz uneingeschränckt seyn, kommt Niemanden als Gott alleine zu. Eine Creatur kan nicht Gott seyn; und so kan sie auch nicht ohne gewisse Schrancken seyn. Was seine Schrancken hat, kan dieselbe verändern, entweder zur Verbesserung oder zur Verschlimmerung. Dieses kan der Creatur unmöglich benommen werden. Gott hätte entweder gar keine Menschen erschaffen müssen, oder er hat sie veränderlich erschaffen müssen. Genung, daß Gott den Menschen so erschaffen, daß er hätte immer vollkommener werden können, und sollen; und also ist nicht schlechterdings nothwendig gewesen, daß der Mensch bey seiner Veränderlichkeit sich verschlimmern müste. Es war bey ihm die Anlage so gemacht worden, daß er immer zu einer grössern und gewisse Erkänntniß und Heiligkeit, und folglich auch zu einer grössern Seeligkeit hätte gelangen können.  
Warum nicht gleich seliger Mensch geschaffen? Ja, wendet man ferner ein: Warum hat aber GOtt den Menschen nicht gleich anfänglich so erschaffen, wie er in der ewigen Seeligkeit seyn wird, da nehmlich Gott den Menschen, im Guten dermassen bestätigen wird, daß er nicht mehr wird fallen können? Auf diese Weise würde der Sünden-Fall der ersten Eltern verhütet worden seyn; und würde der Mensch Gottes Ebenbild noch in einem viel höhern Grade gehabt haben, weil Gott nicht fallen kan.  
  Dieser Einwurff rühret daher, weil man voraus setzet, daß die Beständigkeit, und die Bestätigung im Guten nicht so wohl aus dem innern Zustande der Seeligen er-  
  {Sp. 85|S. 56}  
  folge, als vielmehr, daß sie eine willkührliche Gabe GOttes sey, welche demselben nur so von aussen angehänget und mitgetheilet werde, ebenfalls wie man etwa einen stehenden Menschen von aussen so binden und feste machen möchte, daß er nicht übern Hauffen fallen könnte. Allein dieses ist ein gantz falscher Begriff, welcher nicht als eine Wahrheit voraus gesetzet werden kan noch muß. Daß GOtt in seinem Theil unmöglich in die Sünde fallen noch willigen kan, rühret von seiner vollkommenen Erkänntniß her, da er das widersprechende lächerliche und thörichte Wesen, so sich in der Sünde befindet, und die verwerffliche Folgen, welche in alle Ewigkeit daraus herfliessen, ohne allem Fehl durchschauet, und es ihm daher nicht möglich ist, daß er sich die Sünde solte können gefallen lassen; eben so wenig, und noch viel weniger, als ein vernünfftiger und ehrbarer Mensch, solange er die offenbare Thorheit einer närrischen Handlung einsiehet, sich entschliessen kan, einem Narren sich gleich zu stellen; der übrigen Göttlichen unveränderlichen Eigenschafften nicht einmahl zu gedencken.  
  Ein eingeschränckter Verstand aber, dergleichen der Mensch hat, kan unmöglich alles auf einmahl einsehen; sondern muß nach und nach durch Übung und Erfahrung erst zu einer mehrererm Erkänntniß gelangen. Daß die Seeligen in jener Welt nicht mehr in der Gefahr aus neue zufallen sich befinden werden, kommt nicht so wohl daher, weil sie nunmehr gar keine Sünde mehr an sich haben, denn so war auch der erste Mensch beschaffen, sondern hauptsächlich aus der Erfahrung, die sie theils von der Beschaffenheit der Creaturen, welche für sich selbst keine wahre Glückseeligkeit mittheilen können, theils auch von der Betrüglichkeit der Sünde, und dem Elende, so aus der Sünde erfolget, und welches sie nicht allein in der Zeit an sich selbst empfunden haben, sondern auch an den Verdammten noch gegenwärtig gewahr werden, erlanget haben und besitzen.  
  Eine menschliche Erkänntniß, welche mit der Erfahrung verknüpffet ist, ist viel gewisser, fester und lebhaffter, als wenn es ohne alle Erfahrung geschiehet. Unsere erste Eltern, ob sie gleich mit vollem Verstande auf diese Welt erschaffen worden, wie man aus ihren Reden wahrnehmen kan, hatten doch noch nicht, und konnten auch noch nicht haben solche feste und unbewegliche Einsichten, als sie erhalten haben würden, wenn sie erst länger auf der Welt gewesen wären, und mehr Erfahrung erlanget hätten. Folglich fand ein bestätigter Zustand im Guten, bey ihnen gleich anfänglich noch nicht Platz.  
  Inzwischen hatten sie doch schon so viel Erkänntniß, daß sie vor dem Abfall hätten bewahret bleiben können, wenn sie dasjenige, dessen sie sich vollkommen bewust waren, hätten bewahren und gebrauchen wollen. Denn es war bey ihnen wenigstens eine deutliche Einsicht, daß ein GOtt sey, daß sie seine Geschöpffe wären, daß er ihnen ein gewisses Verbot gegeben hätte, und daß sie solchem nachzukommen verbunden wären. Sie brauchten weiter nichts denn dieses, um in der Aufrichtigkeit und Lauterkeit, darinne sie geschaffen waren, zu verharren.  
  Doch man verfällt wieder auf die Vorhersehung GOttes, und  
  {Sp. 86}  
Vorsehung Gottes spricht: GOtt hat ja wohl gewust, daß, wenn er den Menschen in diese und jene Umstände setzete, er so dann fallen würde. So hätte er ihn ja wohl in andere Umstände setzen können, von welchen er vorher gesehen, daß bey demselben der Mensch vor dem Falle würde bewahret blieben seyn.  
  Fast auf gleichen Schlag führet der alte Kirch-Vater Tertullianus, der mit dem Ausgange des zweyten Jahrhunderts nach Christi Geburt gelebet, den Ketzer Marcion Libr. II contra Marcion. redend ein: Wenn GOtt gut ist, saget dieser Ketzer, und das Künfftige vorher weiß, auch das Böse abzuwenden hinlängliche Macht besitzet, warum hat er denn zugegeben, daß der Mensch, der sein Ebenbild war, von dem Gehorsam des Gesetzes ab- und durch Betrug des Teufels in den Tod gefallen ist. Denn, wenn er gut wäre, und dergleichen nicht haben wolte, wenn er dergleichen vorher wüste, und er wäre so mächtig, daß er es verhindern könnte; so würde es nicht geschehen seyn. Da es aber dennoch geschehen ist, so müsse man nothwendig zugeben, daß GOtt weder gut noch mächtig sey, noch auch, daß er etwas vorher wisse.  
  Jedoch hierauf dienet zur Antwort: Es ist freylich an dem, daß GOtt wisse, was nach dem freyen Willkühr der Menschen geschehen werde, wenn dieses oder jenes vorher gehen solte. Aber wir müssen uns zugleich auch hier erinnern, daß, wenn es darauf ankommt, was GOtt bey diesem oder jenem Fall, entweder selbst thun oder geschehen lassen wolle, so dann die Göttliche Weisheit, Güte und Heiligkeit mit in den Anschlag kommen müsse. GOtt will immer das Beste.  
  Auch wenn die Frage ist, was GOTT unter zweyen Übeln zulassen wolle; so muß auch immer die Antwort fallen, er lasse das zu, was noch nach allen Umständen das Beste sey, das ist, was noch das leidlichliste, und was noch zum Besten mit den Zwecke seiner Zulassung überein komme. Hätte GOtt vorher gesehen, daß bey gewissen äusserlichen Umständen der Mensch für allem Fall würde bewahret blieben seyn; so würde er solche Umstände nach seiner wesentlichen Güte und Heiligkeit allen andern vorgezogen haben. Da nun aber der wesentlich gute GOtt diejenigen Umstände, in welche er unsere ersten Eltern gesetzet hat, vor allen andern erwehlet hat; so schliesset man billig daraus, nicht allein, daß GOtt müsse gesehen haben, der Mensch möchte in Umstände gesetzet werden, in welche er wolte, so würde er fallen; sondern auch, daß der Fall, der bey diesen Umständen geschehen werde, noch der leidlichste, der zum ersten wieder gut zu machen stehe, und zur weitern Offenbahrung der Göttlichen Herrlichkeit und seiner Eigenschafften diene.  
  Hierwieder kan man mit Grunde nichts aufbringen; oder man muß das beweisen können, daß bey diesen oder jenen Umständen der Mensch gantz gewiß nicht gefallen seyn würde. Nun könnte man z.E. sagen: GOtt solte ihm das Verbot, von dem Baum mitten im Garten zu essen nicht gegeben haben; so würde er nicht gefallen seyn. Alleine es wird dieses ohne genugsamen Grund voraus gesetzet. Er hätte ja wohl auf andere Weise von GOtt abfallen können, wenn er schon ein solches Verbot nicht gehabt hätte; wie  
  {Sp. 87|S. 57}  
  aus dem Falle der bösen Engel erhellet.
  Übrigens verräth sich der Mensch bey diesem Einwurff, was nunmehr nach dem Sünden-Fall in seinem Hertzen stecke. Er will GOtt die Macht, den Menschen willkührliche Gesetze zu geben, absprechen. Das ist ebenso viel, als wenn man verlangete, GOtt solte sich nicht als einen Herrn den Menschen darstellen. Keine Herrschafft kan ohne willkührliche Gesetze bewiesen und behauptet werden. Willkührliche Gesetze nennen wir diejenigen, die nur bey gewissen Umständen gegeben werden, und die daher, wenn die Umstände sich ändern, nach den Regeln der Weisheit wieder geändert werden können, ohne daß bey dem, welcher einem solchen Gesetze nachkommt, oder darwider handelt, an und für sich selbst aus der Natur seiner Handlung etwas Gutes oder Böses erfolgte.  
  Z.E. Das Gebot von der Beschneidung war ein willkührliches Gesetze, welches GOtt zwar nach seiner Weisheit um gewisser Umstände willen, gegeben hat; aber es war doch nicht einer solchen Art, daß aus der Beschneidung bey den Juden an und für sich selbst, und ihrer Natur nach, etwas Gutes, und daß aus der Unterlassung desselben, an und für sich selbst etwas Böses hätte erfolgen können und müssen. Da hingegen, wenn man jemanden saget, iß keinen Gifft, oder du must sterben; so ist solches kein willkührliches Gebot, indem auf die Geniessung des Giffts, nicht so wohl um der Übertretungen des Gebotes willen, als vielmehr aus der Natur des Giffts selbst, der Tod erfolget.  
  Es kan keine Herrschafft, wie schon gesaget worden, ohne willkührliche Gebote behauptet werden. Man stelle sich eine Herrschafft vor, die Gesinde erhält. Was giebt eine solche ihren Bedienten für Befehle, und worinnen beweiset sie ihre Herrschafft? Bestehen ihre Befehle darinne, daß sie z.E. sagte: Iß keinen Gifft, oder du must sterben; springe nicht aus dem Fenster, oder du brichst den Hals; stürtze dich nicht ins Wasser, oder du wirst ersauffen? Dergleichen kan man einem jeglichen sagen, über den man doch nichts zu befehlen hat. Ja dergleichen könnte auch allenfalls ein Unterthan seinem Landes-Herren sagen. In diesem allen liegt kein eigentlicher Beweiß der Herrschafft. Diese wird durch lauter willkührliche Gebote bewiesen, wenn es nehmlich heisset, wie dort bey dem Knechte des Hauptmanns zu Capernaum: Gehe hin, so gehet er: komm her, so kommt er; thue das, so thut er es.
  Da nun keinem Menschen, der nur einige Herrschafft besitzet, die Macht willkührlich etwas zu gebieten oder zu verbieten, in Zweiffel gezogen wird; soll denn GOtt, der oberste HErr, in diesem Stücke nichts zu sagen haben? Wenn ein Mensch dem andern, dem er zu befehlen hat, etwas untersaget; so ist Niemand so thörigt, daß er die Übertretungen des Gebotes, und die daher entspringende Ungelegenheit dem Befehlshaber beymessen wolte. Aber GOtt solte die Schuld der Übertretung deswegen auf sich nehmen, weil er dem Menschen im äusserlichen nur ein einiges herrschafftliches Verbot gegeben hat. Und so sind denn die Menschen gar nicht berechtiget, GOtt dasjenige zur Last zu legen, was sie sich selbst nicht in dergleichen Fällen zur Last legen lassen.  
  Doch finden wir bey dem  
  {Sp. 88}  
  Göttlichen Verbote was gantz besonders, welches GOtt noch vielmehr, als die Menschen bey ihren willkührlichen Befehlen, rechtfertigt. Wenn die Menschen willkührliche Gebote geben, so thun sie solches entweder, um ihre Gewalt, und daß sie etwas zu befehlen haben, sehen zu lassen, oder sie thun es um ihres eigenen Vortheils willen. Auf beyde Weise haben sie vielmehr sich selbst, als das Beste ihrer Bedienten zum Zweck. Allein GOtt handelt gantz anders. Dieser darff mit seinem Befehlen seinen eigenen Nutzen nicht suchen; denn er bedarff keiner Creatur. So hat er auch gar nicht nöthig, sich nur um seinet willen groß zu machen, ohne dabey auf das Beste der Creaturen seine Augen zu richten. Auch bey den willkührlichen Geboten suchet seine Güte und Weisheit der Creaturen Bestes.  
  Und eine solche Bewandniß hatte es auch mit dem unseren ersten Eltern gegebenen Verbot. GOtt hatte den Menschen überhaupt zum Herren über dem gantzen Erdboden gesetzet. 1 B. Mos. I, 26. 28.
  Er hatte ihm insonderheit die fruchtbringenden Kräuter und Bäume, als die allerbesten zur Speise angewiesen v. 29.
  Nur einen eintzigen Baum hatte er davon ausgenommen, Cap. II, 16. 17..
  Und warum dieses? Es wäre dem Menschen nichts schädlicher gewesen, und hätte ihm nichts eher zum Abfall von GOtt verleiten können, als wenn er auf die Gedancken gerathen wäre; er sey der eigentliche Ober-Herr auf dem Erdboden, und stehe nun weiter unter keinem andern; GOtt habe ihm eine unumschränckte Macht eingeräumet, und seine eigene oberherrschaftliche Gewalt auf dem Erdboden abgetreten. Damit nun aber dieses verhütet werden könnte und der Mensch eine beständige Gelegenheit haben möchte, sich zu ändern, daß er seine Herrschafft von GOtt gleichsam nur zur Lehn trüge; so wurde ihm dieses Verbot gegeben.  
  Dazu auch um gleichen Zwecks willen, noch das willkührliche Gebote von der Feyerung des siebenden Tages kam, da bey einem öffentlichen und gemeinschaftlichen Gottesdienst die Menschen beständig sich erinnern solten, daß sie alle mit einander unter GOtt stünden, und daß sie sich deshalben in ihrem Umgange unter einander, und in ihrem Thun und Lassen, beständig nach GOtt richten solten. Wenn wir demnach das Verbot, von einem gewissen Baum zu essen, als ein bloß willkührliches Verbot ansehen, eben wie das Gebot von der Feyerung des siebenden Tages auf Seiten GOttes bloß willkührlich ist; so werden wir auch schon so, nicht nur die Göttliche Befugniß ein solches Verbot zu geben, sondern auch den abgezielten Nutzen auf Seiten der Menschen, erkennen müssen; so viel fehlet, daß man dabey GOtt, als den Urheber des Sünden-Falles, mit einigen Rechte ansehen könnte.  
  Wolte aber jemand behaupten, daß der Baum der Erkänntniß Gutes und Böses zwar zu einem andern nützlichen Gebrauch, aber nicht zum Essen für den Menschen, seyn nützlich gewesen, sondern daß dessen Frucht ihrer Natur nach eine Unordnung und Verdorbenheit in den menschlichen Cörper gebracht habe, gleichwie im Gegentheil der Baum des Lebens eine besondere Stärckungs-Krafft hatte; so wird ein solcher um desto mehr gestehen müssen, daß GOtt durch sein Verbot nicht allein das Gemüth des Menschen in  
  {Sp. 89|S. 58}  
  einer beständigen Unterthänigkeit unter sich zu erhalten, sondern die ihn auch für dem, was sich für ihn nicht schickte, und ihm auch am Leibe schädlich seyn würde, zu bewahren gesucht hätte: Noch könnte man einwenden: GOtt hätte doch gleichwohl den Sünden-Fall des ersten Menschen zugelassen.  
  Was hätte aber GOtt denn thun sollen? Spricht man: Er hätte ihn verhindern sollen; allein, wie hätte er ihn denn verhindern sollen? Entweder, er hätte verhindern müssen, daß nur die äusserliche That des Essens nicht wäre vollbracht worden; oder er hätte dem Menschen keinen freyen Willen lassen, oder, er hätte den Menschen gar nicht erschaffen müssen.  
  Die äusserliche That des Essens hätte GOtt freylich leichte verhindern können. Er hätte nur der Eva ihren Arm, als sie denselben zu der verbotenen Frucht ausstreckete, lähmen dürffen; wie dem Könige Jerobeam wiederfahren, als er seine Hand wieder den Propheten, der wieder ihn weissagete, ausgestrecket hatte, 1 Buch der Könige XIII, 4.
  Allein, dadurch wäre dieser Sache noch nicht gerathen gewesen. Denn auf diese Weise wäre zwar wohl die äusserliche That, nicht aber die innerliche Abweichung des Hertzens von GOtt, und also auch nicht der äusserliche Sünden-Fall von GOtt verhindert worden. Es kommt bey der Sünde nicht hauptsächlich auf diese oder jene äusserliche That an, sondern auf die innerliche Beschaffenheit des Gemüths und den Willen. Hätte denn nun aber GOtt dem ersten Menschen keinen freyen Willen lassen wollen; so würde er keine vernünfftige Creatur gewesen, oder geblieben seyn; und eben deßwegen würde er auch keiner besondern Gemeinschafft mit GOtt, noch einer daher entspringenden wahren Seeligkeit, haben geniessen können.  
  Das Wesen einer vernünfftigen Seele ist also beschaffen, daß sie kein wahres Vergnügen an einer Sache haben kan, wenn sie nicht dieselbe für gut erkennet, und ihre freye Wahl darauf richtet. Man setze einen Menschen wieder seinen Willen in die besten und vortheilhafftesten Umstände, er wird gewiß an denselben wenig Vergnügen finden. Da hingegen ein Mensch manchmahl an einer Kleinigkeit, woraus andere nichts zu machen wissen, sich vergnüget, eben deßwegen, weil er es so gut findet, und mit seiner freyen Wahl darauf verfällt.  
  Hätte GOtt dem Menschen diesen seinen freyen Willen benehmen sollen, so würde das höchste Gut selbst, ihm nicht mehr ein vergnügendes Gut gewesen seyn; und dadurch wäre der eigentliche Zweck der Schöpffung des Menschen weggefallen. Solte GOtt aber den Willen des Menschen recht frey lassen; so muste derselbe ihm auch frey bleiben, wenn er von GOtt abzuweichen gut finden solte. Denn es kan keine wahre Freyheit des Willens statt haben, wenn derselbe sich nicht auf ja oder nein, auf eins oder das andere richten kan.  
  Hätte denn endlich GOtt den Menschen gar nicht erschafft wollen um nur auf solche Weise zu verhüten, das unter den Menschen kein Sünden-Fall entstehen möchte; so würde der gantze Reichthum der Göttlichen Gnade, welche er in Christo JEsu dem gantzen menschlichen Geschlecht geoffenbaret und geschencket hat, haben zurück und verborgen  
  {Sp. 90}  
  bleiben müssen. Wie viel tausend, ja Millionen Menschen, hätten nicht der ewigen Herrlichkeit, die sie nun in Christo JEsu würcklich erlangen, beraubet und in ihrem Nichts verbleiben müssen, wenn GOtt um des vorher gesehenen Sünden-Falls willen, das gantze menschliche Geschlecht bey der Schöpffung hätte weglassen wollen. Auf diese würde GOtt mehr auf die Gottlosen, die doch aus ihrer eigenen Schuld verlohren gehen, gesehen haben, als auf diejenigen, von welchen er doch vorher erkannt hat, daß sie sich aus dem Sünden-Fall, durch die Gnade Christi wieder würden zu rechte bringen lassen. Solte denn nun wohl GOtt hinlängliche Ursachen gehabt haben, seine Augen mehr auf muthwillige Gottlose, als auf seine künfftige Kinder zu richten, und um jener willen, auch diesen ihre Würcklichkeit zu versagen?  
  Wir finden vielmehr in der Göttlichen Haußhaltung seiner Vorsehung, daß GOtt manchmahl gottlose Menschen träget und duldet, um der Kinder willen die noch von ihnen sollen gebohren werden, und von welchen GOtt vorher gesehen hat, daß sie sich von Hertzen zu ihm bekehren, und sehr nützliche Werckzeuge auf dem Erdboden werden würden. Wäre der gottlose König Manasses, der 55 Jahre regieret hat, gleich nach wenigen Jahren seiner Regierung, da er die abscheulichsten Laster ausübete, von GOtt getödtet worden; so hätte er nicht allein sich selbst in seinem Alter nicht noch bekehren können, sondern es würde auch sein Groß-Sohn der Josias nicht zur Welt gekommen seyn, welcher doch hernach soviel Gutes stifftete. Dieses eintzige Exempel kan zu weitern Nachdencken Anlaß geben.  
     

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Stand: 24. August 2016 © Hans-Walter Pries