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Zedler: Sünden-Fall [5] HIS-Data
5028-41-72-1-05
Titel: Sünden-Fall [5]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 41 Sp. 95
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 41 S. 61
Vorheriger Artikel: Sünden-Fall [4]
Folgender Artikel: Sünden opffern
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

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Übersicht
Poiret
Juden
Zurechnung an die Menschen
Siehe auch
Literatur

Stichworte Text  Quellenangaben
Poiret Ehe wir diese Abhandlung schliessen, müssen wir der besondern Meynung des Poirets gedencken, welche er von dem Sündenfall geheget. Er stellt in seinen Schrifften hin und wieder die Sache also für. Nachdem Adam angefangen habe seine Haupt-Kräffte der Seelen nicht auf gehörige Art anzuwenden, und also sein Hertz einiger massen von GOtt abzuwenden; hingegen seine Gedancken und Begierden auf die Creaturen zu richten, und damit sonderlich die untern Seelen-Kräffte zu gebrauchen, so sey dadurch eine Abweichung geschehen, und der Anfang des würcklichen Falles gemacht worden.  
  Damit derselbige nicht grösser werde, und Adam sein Hertz gäntzlich von den Creaturen einnehmen lassen möge, so habe GOtt solches durch die Schöpffung des Weibes zu verhindern gesucht, von welcher Poiret insbesondere seltsame und wunderliche Gedancken hat. Er meynet Adam sey aus einer Schwachheit in einen Schlaf gefallen, welches nicht geschehen wäre, wenn er nicht zu fallen angefangen hätte, indem der Schlaff an sich als eine Unvollkommenheit anzusehen sey, daß wie sie in jenem Leben nicht statt habe; also würde man auch im Paradiese nicht geschlaffen haben. Indem nun Adam in solchen Schlaf gelegen, habe GOtt das Weib vor ihn als eine Gehülffin gebildet. Wenn aber Moses sagt: GOtt der Herr bauete ein Weib aus der Ribbe 1 B. Mos. II, 22,
  so hat Poiret zugleich die Abendtheuerliche Meynung, daß Adam als der Mann, vor dem Fall beyderley Geschlechtes gewesen, und auch sich selbst ohne Hülffe eines Weibes, das menschliche Geschlecht fortpflantzen können, und meynet die Ribbe, daraus das Weib gebildet worden, bedeute vornehmlich denjenigen Theil des Cörpers Adams, in welchem er weiblichen Geschlechts gewesen. Solchen habe GOtt von dem andern abgesondert, und gemacht, und noch ein besonderes Weib hinzu gekommen. Damit habe GOtt den weitern Fall zwar verhindern wollen; seinen  
  {Sp. 96}  
  Zweck aber nicht erreichen können, indem vielmehr der Haupt-Fall darauf erfolget, als die ersten Eltern von der verbotenen Frucht gegessen.  
  Durch den ersten Fall; oder durch die vorhergegangene Abweichungen habe Adam die Gnade und Liebe GOttes eben nicht verlohren; welches hingegen durch den andern geschehen, und wie dorten Adam zuerst gesündiget; also habe bey dem Haupt-Falle das Weib den Anfang gemacht. Solche wunderliche Meynung vom Fall der ersten Menschen hat er von der Burignon angenommen.  
Juden Die Juden geben dem Fall Adams zwar zu; was aber die Zurechnung desselbigen und das natürliche Verderben der Menschen; oder die Erb-Sünde anlangt, so muß man unter den ältern und neuern Juden einen Unterscheid machen. Denn jene haben die Zurechnung der Sünde Adams erkannt und zugegeben; diese hingegen geläugnet, und den Sündenfall als eine Sache ansehen wollen, welche nur die Person Adams, und nicht das gantze menschliche Geschlecht angegangen, indem es unter andern Ezech. XVIII, 20. heisse: Der Sohn soll nicht tragen die Missethat des Vaters; wiewohl sie sich selbst widersprechen müssen. Denn sie geben zu, daß der Tod der Sünden-Sold sey; wie nun demselbigen alle Menschen unterworffen sind; also ist er ja als eine Straffe aller Menschen anzusehen; diese aber setzet eine allgemeine Schuld und Zurechnung voraus.  
Zurechnung an die Menschen Wir haben dahero die Frage: Ob und inwiefern den Menschen der erste Sündenfall könne zugerechnet werden, zu untersuchen. Adam ist der erste Stamm-Vater des gantzen menschlichen Geschlechts. GOtt der die Welt gemacht hat, und alles was drinnen ist, hat auch gemacht, daß von einem Blut aller Menschen Geschlecht auf dem gantzen Erdboden wohnen solte. Apostgesch. XVII, 24. 26.
  Selbst das erste Weib ist von Adam genommen, und Fleisch von seinem Fleisch, und Bein von seinen Beinen gewesen. 1 B. Mos. II, 23.
  Und so sind von diesen beyden alle andern Menschen nach und nach entsprungen; also daß alle Menschen, sie mögen an einem Ende der Erden wohnen, wo sie wollen, Adams natürliche Kinder sind. GOtt hätte leichtlich mehr als ein paar Menschen erschaffen können; und so wären die Menschen zwar einerley Art, aber nicht einerley Geblüts gewesen. Daß GOtt aber dieses nicht gewollt hat, davon ist die Ursache sonder Zweiffel, daß auf diese Weise, wenn alle Menschen von einem abstammeten, das Beste der menschlichen Gesellschafft um desto leichter und füglicher besorget werden könnte. Denn die Menschen haben vielmehr Ursache und Gelegenheit einander Liebe zu erweisen, wenn sie recht erwegen, daß sie der Natur nach unter einander Brüder und Schwestern sind, als wenn sie sich als fremde Völcker, die dem ersten Ursprunge nach, einander gar nichts angiengen, ansehen solten.  
  Weil denn nun Adam, wie gedacht, der Stamm-Vater des gantzen menschlichen Geschlechtes ist; so hat auch das gantze menschliche Geschlecht an demjenigen, was GOtt mit ihm als dem Stamm-Vater, vorgenommen, Theil nehmen sollen. Er wurde nach dem Göttlichen Ebenbilde erschaffen, nicht  
  {Sp. 97|S. 62}  
  für seine Person allein, sondern als das Haupt des menschlichen Geschlechts. Es wurde ihm die Herrschafft über die sichtbaren Creaturen des Erdbodens übergeben, nicht für seine Person allein, sondern auch mit zugleich für alle seine Nachkommen.  
  Moses zeiget dieses sehr deutlich an, wenn er 1 B. M. I, 27, 28. also schreibet: Und GOtt schuff den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde GOTTES schuff er ihn; Und GOtt schuff sie ein Männlein und Fräulein. Und seegnete sie, und sprach zu ihnen: Seyd fruchtbar und mehret euch und füllet die Erden, und machet sie euch unterthan, und herrschet über Fische im Meer, und über Vögel unter dem Himmel, und über alles Thier, das auf Erden keucht.  
  Adam und Eva konnten sich für ihre Personen den gantzen Erdboden nicht unterthan machen. Da konnte und muste es in ihren Nachkommen geschehen. Und so ist denn allerdings klar, daß die Vorrechte, welche GOtt durch Anerschaffung des Göttlichen Ebenbildes, und Verleihung der Herrschafft über die Creaturen, dem Adam übergeben hat, er in demselben als dem Stamm-Vater, allen seinen Nachkommen zugleich mit verliehen, und selbige sammt und sonders damit gleichsam belehnet habe.  
  Eine gleiche Bewandniß hat es mit der Ordnung des Ehestandes, in welche GOtt die ersten Eltern gesetzet hat. Seine Göttliche Absicht war, daß eben diese Ordnung bey den Nachkommen Adams auch statt finden solte; zu welchem Ende er den Lauff der Natur so eingerichtet hat, daß von Zeit zu Zeit nicht lauter Männer oder Weiber, sondern, daß Menschen beyderley Geschlechtes in solcher abgemessenen Zahl gezeuget und gebohren werden, daß unter den Menschen zu allen Zeiten der Ehestand geführet werden kan. Moses leget dieses abermahls deutlich an den Tag, wenn er, nachdem er 1 B. M. II, 21, 22, 23. die Art der Schöpffung des Weibes beschrieben hatte vers. 14. hinzu thut: Darum wird ein Mann seinen Vater und Mutter verlassen, und seinem Weibe anhangen, und sie werden seyn ein Fleisch.  
  Im Anfange waren Adam und Eva weder Vater noch Mutter; sie wurden solches erst durch die Zeugung und Fortpflantzung ihres Geschlechts. So zeiget Moses damit an, daß unter den Nachkommen Adams es mit dem Ehestande eben so, wie bey den ersten Eltern solte gehalten werden, daß nehmlich der Mann sein Weib, für sein Fleisch und Bein halten, derselben anhangen und solchergestalt sie und sich selbst als nur eine einige Person ansehen solte. Aus welchem Grunde der Apostel schreibet: Die Männer sollen ihre Weiber lieben, als ihre eigene Leiber. Wer sein Weib liebet, der liebet sich selbst. Denn Niemand hat jemahls sein eigen Fleisch gehasset. Ephes. V, 28, 29.
  Solchergestalt ist denn nun klar, daß die erste Veranstaltungen und Ordnungen, welche GOTT mit Adam gemacht hat, nicht seine Person alleine angegangen sind; sondern daß bey und in ihm, als dem Haupt- und Stamm-Vater, auf das gantze menschliche Geschlecht damit sey gezielet worden. Und so haben wir nicht Ursache das Verbot des Essens von einem gewissen Baume auf andere Weise anzusehen. Der  
  {Sp. 98}  
  Baum des Lebens war sonder Zweiffel nicht für Adam allein, sondern auch für alle seine Nachkommen. Diese würden ebenso wohl davon zu essen befugt gewesen seyn, als Adam; und würden auch mit gleichen Nutzen, wie er, davon gegessen haben.  
  Wenn zwey Dinge einander entgegen gesetzet werden, so gilt das Gegentheil von dem, was bey dem andern gilt, immer auch bey dem andern. Der Baum des Lebens wird dem Baum des Erkänntnisses Gutes und Böses entgegen gesetzet. Wie unsere ersten Eltern von dem letztern gegessen hatten, durfften sie von dem ersten nicht essen; ob ihnen gleich davon zu essen vergönnet gewesen seyn würde, wenn sie sich des verbotenen Baumes enthalten hätten. Da nun die Nachkommen Adams, wenn der Sündenfall nicht geschehen wäre, von dem Baum des Lebens eben sowohl, wie ihre Stamm-Eltern, würden haben essen dürffen; also würde im Gegentheil ihnen eben so wenig, als ihren Stamm-Eltern vergönnet gewesen seyn, von dem Baum des Erkänntniß Gutes und Böses zu essen.  
  Und dieses ist um desto klärer, wenn wir den Zweck dieses Verbots erwegen. GOtt hat dem Menschen durch das Verbot von dem Baum des Erkänntniß Gutes und Böses zu essen, von seiner Oberherrschaftlichen Macht und Gewalt auf dem Erdboden einen tieffen und beständigen Eindruck geben wollen, damit der Mensch immer Gelegenheit haben möchte, seine Dependentz von GOtt zu erkennen, und nicht zu gedencken, als ob er der eintzige und eigentliche Herr des Erdbodens wäre, der auf demselben nach eigenem Gefallen schalten und walten könnte. Weil nun dergleichen Eindruck bey allen Nachkommen Adams eben so nöthig war, als bey dem ersten Menschen selber; so stehet nicht anders zu gedencken, als daß mehr gedachtes Verbot in Adam auch zugleich allen seinen Nachkommen sey gegeben worden.  
  Ehe wir aus dem allem, was bisher beygebracht worden ist, einen gehörigen Schluß machen; so haben wir uns aus den vorhergehenden Betrachtungen noch eins und das andere zu erinnern. Die ersten Menschen, als der Stamm des gantzen menschlichen Geschlechts, sind von GOtt ab und in die Sünde gefallen. Sie sind dadurch von GOttes moralischen Eigenschafften, von seiner Heiligkeit, Gerechtigkeit, Weisheit, Güte und Wahrhafftigkeit abgewichen; und sind also nach Seel und Leib von einer gantz andern Beschaffenheit worden, als sie vorher gewesen sind. Denn ihre Seelen-Kräffte sind in Unordnung gerathen; der Verstand hat sein Göttliches Licht verlohren, und der Wille ist verkehret worden, indem die sinnlichen Vorstellungen dem Verstande vorgedrungen sind, und solchergestalt denselben verdunckelt, mithin die sinnlichen Affecten, Neigungen und Begierden über den Willen die Meisterschafft erhalten haben.  
  Dieses Verderben aber ist durch die natürliche Zeugung und Geburt auf alle Menschen fortgepflantzet worden. Denn unsere ersten Eltern haben keine andere Menschen zeugen können, als wie sie damahls ihrer Natur nach beschaffen gewesen sind. Während sie in dem ersten Stande der Schöpffung geblieben, so würden sie auch das ihnen anerschaffene Göttliche  
  {Sp. 99|S. 63}  
  Ebenbild, weil es ihnen natürlich war, auf ihre Nachkommen fortgepflantzet haben. Weil aber ihre Natur verderbet worden ist, und sie selbst Sünder worden sind; so haben sie keine andere als sündige Menschen und die von Natur Kinder des Zorns sind zeugen können. Nun hätte GOTT entweder solche Zeugung schlechterdings verhindern, und solchergestalt die Fortpflantzung des gantzen menschlichen Geschlechts, und mithin den gantzen Zweck, warum er Menschen geschaffen hatte, gäntzlich aufheben müssen; oder er hat müssen geschehen lassen, daß sündige Menschen gezeuget würden. Das erstere muß seinen moralischen Eigenschafften nicht gemäß gewesen seyn, weil er solches sonst bewerckstelligt haben würde; so ist denn das andere erfolget, und GOtt hat solches geschehen zu lassen gut befunden.  
  Dieses voraus gesetzt; so lässet sich nunmehro die Frage: Ob und in wie fern uns der Sündenfall unserer ersten Eltern zugerechnet werden könne? erörtern und beantworten. Eine Zurechnung überhaupt betrachtet, bestehet darinne, wenn eine gewisse Handlung für gut oder böse erkläret, für die meinige erkannt, und mir also entweder zur Gerechtigkeit und Belohnung, oder zur Schuld und Straffe angeschrieben und zugeeignet wird. Wenn mir nun eines andern Handlung zugeeignet wird, so muß dieselbe angesehen werden, als ob ich sie selbst begangen hätte; und wenn solches mit Recht geschehen soll, so muß ich mit dem andern in einer solchen Gemeinschafft stehen, daß ich an des andern Handlung mit Theil nehme, und daher angesehen werden kan, als ob ich an des andern Stelle stünde, und in sofern mit ihm nur eine und eben dieselbe Person ausmachte. In diesem Falle ist kein Zweiffel; daß die Handlung eines andern mir mit Recht zugerechnet werden könne.  
  Wenn wir nun hierbey unsere Augen auf den Sündenfall unserer ersten Eltern richten; so ist es zwar freylich an dem, daß derselbe von ihren Nachkommen, so fern selbige für sich nunmehro eintzelne Personen ausmachen, nicht sey begangen worden; indem sie als eintzelne Personen zu der Zeit der Sündenfalls noch nicht gegenwärtig gewesen sind. Allein diß machet sie noch nicht davon frey, daß ihnen dieser wegen der Sündenfall ihrer ersten Eltern nicht zugerechnet werden könnte. Denn hierbey ist folgendes zu erwegen;  
 
1) daß in unsern ersten Eltern, als sie gefallen, die gantze menschliche Natur verborgen gelegen habe, welche sich hernach durch die natürliche Zeugung und Geburt nur in unterschiedenen Personen gewiesen hat, sich noch täglich in verschiedenen Personen zeiget, und biß ans Ende der Welt zeigen wird; indem die natürliche Zeugung nichts anders ist, als eine solche Handlung, dadurch die menschliche Natur zur Persönlichkeit gebracht wird. Ob nun gleich jetzo ein jeglicher Mensch für sich selbst bestehet, und eine eigene Person ausmachet, so hat doch kein eintziger natürlich erzeugter Mensch eine andere Natur, als die in der Person Adams und seines Weibes ist verschlossen gewesen.
 
 
Da nun das gantze menschliche Geschlecht, seiner Natur nach in der Person Adams, als dem ersten Stamm-Vater, von welchem auch sogar die Eva genommen ist, verborgen ge-
 
  {Sp. 100}  
 
wesen; so können in sofern alle Menschen, die durch eine natürliche Zeugung von Adam herstammen nicht anders angesehen werden, als ob sie mit Adam nur einen eintzigen Baum und eine eintzige Person ausmachten,
 
 
2) ist durch die natürliche Zeugung und Geburt auf alle Menschen keine andere Beschaffenheit der Natur fort gepflantzet worden, als wie sie in Adam nach dem Sündenfall gewesen ist. Daraus erkennet man, daß die von Adam durch die natürliche Zeugung und Geburt abstammende Menschen in einer würcklichen Gemeinschafft der Sündenfalles stehen.
 
  Und hieraus kan man den nun folgenden Schluß machen: Alle von Adam durch die natürliche Zeugung und Geburt herstammende Menschen, stehen in der Gemeinschafft des ersten Sündenfalls, und machen soviel ihre Natur betrifft, mit Adam nur eine eintzige Person aus; so kommt denn der erste Fall mit auf die Rechnung aller solcher Menschen, und kan ihnen mit Recht zu gerechnet werden, und zwar dieses um desto mehr, weil GOtt mit Adam nicht, als mit einer eintzeln für sich bestehenden Person, sondern als mit dem Stamm-Vater des gantzen menschlichen Geschlechts, und also im Nahmen aller seiner natürlich von ihm entspringenden Nachkommen, gehandelt hat. Wenn die Menschen GOtt so viel Recht zugestehen wollten, als sie sich selbst bedienen; so könnten sie wohl gar nicht unbillig finden, daß GOtt uns Menschen, die wir, soferne wir besondere Personen sind, die Handlung des Essens von dem verbotenen Baum nicht selbst begangen haben, den ersten Sündenfall dennoch zurechnet.  
  Es ist bey den Rechtsgelehrten eine ausgemachte Sache, daß von einem Vasallen gewisse Fehler begangen werden können, darüber der Lehns-Herr befugt ist, nicht nur ihnen für Ihre Person allein, sondern auch in ihren Personen allen ihren Nachkommen, die vorher besessene Güter zu nehmen. Wenn nun dergleichen geschiehet, so ist offenbar, daß der Lehns-Fehler, oder eine andere Mißhandlung des Lehns-Trägers, allen seinen Nachkommen mit zugerechnet werde; indem diese letztern diesen begangenen Fehler mit büssen müssen. Denn, wenn der begangene Lehns-Fehler nur alleine als eine solche Sache angesehen würde, welche die Person des Lehn-Trägers allein angienge, und davon die Nachkommen gar keinen Theil nehmen dürfften, so könnten die Güter zwar demjenigen der gesündiget hätte, zu seiner Straffe entzogen werden; man müste aber selbige seinen Nachkommen, als welche nicht verschuldet hätten, wieder zuwenden.  
  Weil aber der Lehns-Herr seinem Vasallen die Güter unter gewissen Bedingungen nicht nur für seine Person, sondern auch für seine Nachkommen übergeben hat, und also, in solcher Absicht, diese mit jenen gleichsam eine eintzige Person ausmachen; so fällt den Nachkommen das Versehen und Verbrechen ihrer Vorfahren, so viel die Lehns-Güter betrifft, mit zur Last, ohngeachtet diese sagen möchten, was können wir davor, daß unser Vorfahre einen Lehns-Fehler begangen hat, wir wolten, daß es nicht geschehen wäre, und wenn wir an dessen Stelle gewesen wären, so würden wir es nicht zugemacht haben.  
  Soll nun ein  
  {Sp. 101|S. 64}  
  solches Verfahren nicht wider Recht und Billigkeit seyn; so kan es viel weniger Unrecht heissen, wenn GOtt den Sünden-Fall des ersten Menschen, als des allgemeinen Stamm-Vaters, mit welchem er im Nahmen aller seiner Nachkommen gehandelt hat, auch diesen seinen Nachkommen zurechnet, und sie desselben mit entgelten müssen. Die Nachkommen Adams sind ihrer Natur nach nicht anders gesinnet, als ihr Stamm-Vater Adam, da er gesündiget hat. Hätte aber GOtt in dem Lichte seiner Allwissenheit erkannt, daß eine andere menschliche Person es anders, als Adam würde gemacht haben, so würde derselbe nach seiner Güte an dessen statt auch diese Person erschaffen haben. Und so ist und bleibet es denn eine feste und gewisse Wahrheit, daß der erste Sünden-Fall allen Nachkommen Adams, mit Fug zugerechnet werden könne.  
  Und daß diesem also sey, solches lehret uns auch die heilige Schrifft: Paulus schreibet davon also: Wie durch einen Menschen die Sünde ist kommen in die Welt, und der Tod durch die Sünde; also ist der Tod zu allen Menschen hindurch gedrungen, dieweil sie alle gesündiget haben. Der Tod herrschete von Adam an bis auf Mosen, auch über die, die nicht gesündiget haben, mit gleicher Übertretung wie Adam. Röm. V, 12. und 14.
  Wir müssen in diesen Worten unterscheiden, was der Apostel aus der Erfahrung, als eine gewisse und unläugbare Sache angeführet und was er daraus herleitet. Die tägliche Erfahrung lehret, daß der Tod zu allen Menschen hindurch gedrungen sey, daß der Tod über die Menschen geherrschet, auch ehe Moses das Gesetz gegeben, und den Übertretern desselben den Tod gedrohet habe; nicht minder, daß der Tod über die geherrschet, und noch herrsche, die nicht gesündiget haben mit gleicher Übertretung, wie Adam.  
  Der Tod ist zu allen Menschen hindurch gedrungen, dielthen, er ist gleichsam von einem Geschlechte zum andern hindurch gegangen. Der Tod hat geherrschet und herrschet noch. Alle Menschen stehen unter seiner Gewalt, und kommt es gar nicht auf denselben Willen an, ob sie sterben wollen oder nicht; sondern es heißt: Mensch, du must sterben! Der Tod hat geherrschet von Adam an, deswegen heißt es immer von seinen Nachkommen vor der Sündfluth: den eintzigen Henoch ausgenommen, und er starb, und er starb.  
  Nach der Sündfluth hat der Tod nicht weniger seine Gewalt ausgeübet, bis auf Mosen; ohngeachtet durch Mosen das Gesetz damahls noch nicht war gegeben worden, noch den Übertretern desselben der Tod gedrohet, und sie folglich um dieser Drohung willen nicht sterben durfften; Und so hat der Tod freylich geherrschet auch über die, die nicht gesündiget hatten mit gleicher Übertretung wie Adam. Denn ob sie gleich nicht selbst persönlich von dem verbotenen Baum gegessen haben, so müssen sie doch sterben. Dieses alles bestätiget die Erfahrung.  
  Nun aber fraget sich: Aus was für einem Grunde haben alle diese Menschen sterben müssen? Man kan nicht sagen um der Übertretung des durch Mosen gegebenen Gesetzes willen. Denn der Apostel mercket an, daß die Menschen vor Mosen und der Gebung des Gesetzes eben so wohl  
  {Sp. 102}  
  sterben müssen als nachher. So müssen wir denn ein ander Gesetz suchen, durch dessen Übertretung der Tod in die Welt gekommen ist. Der Apostel führet uns hier auf die Übertretung des ersten Menschen, durch welche der Tod in die Welt gekommen sey; mithin führet er uns auf das Verbot, welches GOtt dem ersten Menschen gegeben hat, da es heißt: Von dem Baum der Erkänntniß Gutes und Böses solt du nicht essen. Welches Tages Du davon issest, wirst du des Todes sterben.  
  Da nun hier der Tod auf die Übertretung des Verbots gesetzet, und aber derselbe von Adam an über alle Menschen kommen ist, so folgert der Apostel hieraus, daß alle Menschen an der Übertretung Adams mit Theil genommen, und behauptet deswegen, daß sie in ihm alle gesündiget haben. Der Grund dieser Folgerung lieget in der Eigenschafft der Göttlichen Gerechtigkeit, als nach welcher GOtt Niemanden eine Straffe zuerkennen wird noch kan, der nichts verschuldet, und die Straffe nicht verdienet hat.  
  Nun war die Straffe des Todes auf die Übertretung des ersten Verbots gesetzet; sie kommt aber über alle Menschen; so folget denn nach der Ausführung des Apostels, daß das erste Verbot in Adam alle Menschen müsse angegangen seyn, daß alle Menschen an der Übertretung des Verbots Theil genommen haben, und daß solchergestalt der erste Sünden-Fall allen Menschen zugerechnet werde. Gesetzt nun, daß man die Billigkeit einer solchen Zurechnung nicht genugsam einsehen könne: so kan doch nicht in Zweiffel gezogen werden, daß nicht die höchste Billigkeit bey dieser Zurechnung sich finden solte, indem GOtt unmöglich etwas thun kan, was nicht mit den Regeln der Gerechtigkeit vollkommen übereinstimmet.  
  Es wird dieses noch mehr bestätiget, wenn wir anmercken, daß der Apostel wenn er von dem Tode redet, dadurch nicht den leiblichen Tod allein verstehe, sondern, daß er auch die Folge des leiblichen Todes bey dem sündigen Menschen, nehmlich den ewigen Tod und die Verdammniß, zugleich mit begreiffe. Deswegen schreibt er v. 16: Das Urtheil ist kommen aus einer Sünde zur Verdammniß, und v. 18. Durch eines Sünde ist die Verdammniß über alle Menschen kommen. Und abermahl v. 21: Auf daß gleichwie die Sünde geherrschet zu dem Tode; also auch herrsche die Gnade durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben.  
  Es ist offenbar, daß das ewige Leben hier dem Tode entgegen gesetzet werde; und daß folglich auch durch den Tod, Krafft dieses Gegensatzes, der ewige Tod, oder die ewige Verdammniß verstanden werden müsse. Wäre hier von dem leiblichen Tode allein die Rede, so möchte man denselben etwan nur als eine bloß natürliche Folge des Verderbens der menschlichen Natur ansehen, und selbigen solchergestalt nicht für eine eigentliche Straffe, welche von einem Richter-Spruch gleichsam nach Urtheil und Recht herrühret, erkennen. Weil aber der Apostel den ewigen Tod zugleich mit verstehet, und sich noch dazu der gerichtlichen Wörter des Urtheils und der Verdammniß bedienet; so ist hierdurch aufs neue offenbar, daß der Tod als eine Straffe der Übertretung von dem Apostel uns vorgestellet werde, und daß die Zurechnung des ersten Sünden-Falls, als eine ge-  
  {Sp. 103|S. 65}  
  richtliche Handlung, so über die Menschen, als Sünder ergeht, angesehen werden müsse.  
  Die Lehre von der Zurechnung der Sünde Adams ist manchem Disput unterworffen gewesen dergleichen nicht nur Josua Placäus, welcher aber von keiner sonderlichen Erheblichkeit gewesen; sondern auch Daniel Whitby, welcher anfangs bey dem Ertz-Bischoff zu Salisbury Caplan war, hernach aber die Stelle eines Cantoris bey seiner Cathedral-Kirche erhielt, um bald darauf zu Oxford Doctor der Theologie wurde, erreget. Dieser Mann edirte 1711 zu Londen einen Tractat de imputatione divina peccati Adami posteris ejus universis in reatum, darinnen er die in der heiligen Schrifft gegründete Lehre von der Erbsünde, und insonderheit von der Zurechnung des Fall Adams über den Hauffen zu werffen sich bemühet.  
  Unter andern führt er an, da GOtt die menschliche Seele ohne Sünde erschaffe, so würde es ungereimt seyn, wenn man sagen wolte, daß selbige, so bald sie in eine Vereinigung mit dem Cörper käme, nach allen ihren Kräfften verderbt werde. So sey auch in keinem Gesetze verordnet, daß die Kinder ohne Sünde solten gebohren werden; wo aber kein Gesetz sey, da habe auch keine Übertretung und Sünde statt, mithin, wenn man auch verderbet und sündhafft auf die Welt käme, so wäre doch dieses einem nicht zuzurechnen, und man könne nicht als ein Sünder angesehen werden.  
  Er setzt hinzu, gleichwie es bey uns nicht stehe, daß wir gebohren oder nicht gebohren würden; also könnte man einem dasjenige, was durch die Geburt auf ihn fortgepflantzet werde, nicht als Sünde zurechnen; wie man denn auch, wenn die gemeine Lehre gelten solte, sagen müste, daß GOtt alle Kinder von ihrer Geburt an verdamme, so etwas hartes wäre? ja auf diese Art habe man die Zeugung der Kinder vor etwas Böses zu achten, andere dergleichen Gründe zu geschweigen.  
  Wider die Zurechnung der Sünde Adams wendet er ein, es könne selbige um deswillen nicht statt finden, weil wir würcklich weder der Anzahl, noch der Art nach gleiche Sünden mit Adam begangen: weil GOtt die Menschen durch Zurechnung als Sünder erklären müste, dergleichen sie doch nicht wären: weil er mit den Kindern, wenn er sie wegen der Sünde des ersten Menschen verdamme, viel strenger, als mit dem Teuffel und mit Adam verführe, welche in ihrer eignen Person die Sünde gethan; weil noch weiter Adam nicht nur bey der ersten, sondern auch bey den andern Sünden, die er gethan, ehe er einen Sohn gezeuget, als das Haupt des menschlichen Geschlechts anzusehen sey; solte nun die erste Sünde seinen Nachkommen zugerechnet werden, so müste das auch mit den andern geschehen.  
  Er führet auch allerhand Zeugnisse der Kirchen-Väter an, welche der gemeinen Lehre entgegen wären. Er will beweisen, daß selbige vor den Zeiten Augustini nicht bekannt gewesen, und disputiret wider Voßii Historie der Pelagianer, welcher behauptet hatte, daß man in der Christlichen Kirche die gewöhnliche Meynung von der Zurechnung des Fall Adams beständig gelehret und vorgetragen habe; und endlich behauptet er auch, die Juden hätten gar nichts von der Erb-Sünde gewust.  
Siehe auch Von der Frage: ob der Sünden-Fall des ersten Menschen könne  
  {Sp. 104}  
  aus dem Lichte der Natur erkannt werden, siehe Fall des ersten Menschen, im IX Bande, p. 161 u.f.  
Literatur  
  • Reinbecks Betracht. über die Augsp. Confess. II Th.
  • Walchs Relig. Streitigk. ausser der Luth. Kirch. …
  • Abels Hebr. Alterth. …
     

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Stand: 24. August 2016 © Hans-Walter Pries