HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Teutsch HIS-Data
5028-42-1673-5
Titel: Teutsch
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 42 S. 850
Vorheriger Artikel: Teutronia
Folgender Artikel: Teutsch, ein Flecken
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel

Stichworte Text  
  Teutsch, oder wie einige lieber schreiben wollen, Deutsch.  
  Es kan niemanden unbekannt seyn, wie uneinig die Deutsche Nation wegen des Wortes Deutsch ist, wie sie solches recht schreiben müsse, ob mit einem T oder D. Und obwohl die meisten hierinnen ohne alle Untersuchung der blossen Gewohnheit ihres Ortes, und den Vorschrifften ihrer ersten Lehrmeister folgen, auch von ihrer einmahl beliebten Art keine Rechenschafft zu geben wissen; so trifft man hier und dar doch auch Sprachverständige an, die ihre Meynung von beyden Theilen mit guten Gründen zu erweisen suchen.  
  Vor noch nicht zwantzig Jahren haben ein paar gelehrte und berühmte Männer in Hamburg, einen freundlichen Streit darüber gehabt, und uns denselben in dem andern Theile der grossen Nieder-Sächsischen Poesien bekannt gemacht. Eben dadurch hat iede Parthey einen Verfechter von vieler Einsicht bekommen: und es würde schwer seyn zu sagen, zu welcher man sich schlagen solte; wenn man mehr auf das Ansehen und den Ruhm der Streitenden, als auf die Sache selbst zu sehen hätte.  
  Wie aber die Wahrheit allezeit den Vorzug behalten muß; also wird es auch in diesem Stücke einem ieden frey stehen, die Gründe beyder Meynungen zu untersuchen, und alsdenn diejenigen zu wehlen, die er seiner Einsicht nach, vor die sicherste hält. Wer dieses thut, wird in einer so gleichgültigen Sache, und die fast nur eine Kleinigkeit zu nennen ist, vermuthlich keinen Grammatischen Bann verdienen.  
  Der be-  
  {Sp. 1674}  
  rühmte Herr Prof. Gottsched suchet in der Nachricht von der erneuerten deutschen Gesellschafft in Leipzig p. 6 u.ff. in einer besonderen Abhandlung, die er betittelt: Erörterung der Orthographischen Frage: Ob man Deutsch oder Teutsch schreiben solle? zu behaupten, daß man Deutsch und nicht Teutsch schreiben müsse.  
  In der Rechtschreibung, schreibt er, muß man alle zweiffelhaffte Fragen, aus einem dreyfachen Grunde, zu entscheiden suchen; nämlich aus  
 
  • der Abstammung,
  • der Aussprache, und
  • der Gewohnheit.
 
  Z.E. wenn es sich fragt: Ob man Betrügen oder Betriegen schreiben soll? So zieht man billig das erstere vor; weil es von dem Stamm-Worte Trug hergeleitet wird. Wenn man wissen will; ob man König oder Künig schreiben solle? So wird man heutiges Tages in gantz Deutschland, dem ersten den Vorzug geben: ungeachtet viele Alten, z.E. Pfintzing in Theurdanck es auf diese Weise geschrieben. Verlanget man endlich eine Ursache, warum man frey, sey, Geschrey, am Ende mit einem y buchstabiren? So wird wohl nichts anders als die blosse Gewohnheit zur Richtschnur dienen können.  
Abstammung Wir wollen alle drey orthographische Regeln auf das Wort Deutsch anwenden, und zwar zuförderst den Ursprung betrachten. Das Wort Deutsch kommt ohne Zweifel von Theodisc her, wie solches in unsern ältesten Schrifften, so noch vorhanden sind, vorkommt. Dieses aber stammt vermutlich von dem noch ältern Theut, Thiut, Thuiscon her. Da sehe ich nun zwar, fährt der Herr Gottsched fort, bey denen über all so einhellig vorkommenden T, noch wenig vorteilhafftes vor meine Meynung. Allein ich will es bald finden.  
  Das Th der Alten hat sonder Zweiffel in der damahligen Aussprache, mehr Verwandtschafft mit unserm D, als mit dem T gehabt. Denn hätte der beygefügte Hauch H den harten Buchstaben T nicht ein wenig gelinder gemacht; warum hätte man denselben wohl hinzu gefüget? An die heutige Aussprache dieser beyden Buchstaben hat man sich nicht sonderlich zu kehren, weil wir das Th mehrentheils wie ein schlechtes T aussprechen.  
  Die Engelländer aber, als Abkömmlinge der alten Angel-Sachsen, zeigen uns noch einige Spuren, wie man es vor Zeiten ausgesprochen habe. Der berühmte D. Wallis sagt ausdrücklich in dem vierten Abschnitte seiner Englischen Grammatic, wo er von der Aussprache handelt, daß das Th einen gelinden Klang habe, der mit dem D verwandt sey; und zwar in den Vorwörtern, Relativis und Verbindungs-Wörtern. Er gibt die Exempel Thou, Thee, Thy, Thime, The, This, That, These, Those, They, Them, Their, There, Thenee, Thither, Whiter, Either, Whether, Nether, Though, Although.. Ja auch in den Nennwörtern und Hauptwörtern, als Father, Mother, Brother, Leather, Weather, Feather, Smooth, Neather, Seethe, Wreathe, Breathe, Bequeath, Blothe. Und es ist gewiß, daß ein Deutsches Ohr, in der Englischen Aussprache aller dieser Wörter fast nichts anders, als ein D hören kan.  
  Es ist wahr, daß es auch andere Wörter giebt, darinnen das Th mit einem gewissen Zeichen, fast wie ein S, ausgesprochen wird: allein dieses ist oh-  
  {Sp. 1675|S. 851}  
  ne Zweifel was neues, welches eben deswegen nicht allgemein werden können, weil es der alten Angel-Sächsischen Aussprache nicht gemäß gewesen: und der Zunge weit beschwerlicher gefallen, als der obige gelindere Thon. Gesetzt aber, es wäre auch alt, so würde es doch zur Sache nichts thun.  
  Man hält also davor, daß das Th in dem Worte Theodisc, Theut, Thiut, heute zu Tage weit besser durch D, als durch T ausgedrucket werde. Man kan diesen Satz durch eine grosse Menge solcher Wörter bestätigen, darinnen die Verwandlung des alten Th in ein neues D gantz unstreitig und augenscheinlich geschehen ist. Wir schreiben ja ietzo in gantz Deutschland Dienen, Degen, Ding, Dorf, Dörfern, Darben, Durst, Edel, u.d.gl. ingleichen, der, die, das, des, den, du, da, dar, u.s.f. Die Alten aber schrieben Thienan, Thegan, Thing, Thorf, Thurstan, Tharfan, Thurst, Ethel, eben so auch Ther, Thiu, Thaz, Thes, Then, Thu, Tho, Thor, u.s.f.  
  Ein paar Proben werden in die Sache vollkommen ins Licht setzen. Ottfried schreibt von dem Geschlecht-Register Mariä 1. B. 3. Cap.  
  Thiu thritta zuahta thauana.
Thas uuarum edil thegana.
 
  Das ist:  
  Die dritte Zucht darnach,
Das waren edle Herren.
 
  Tatian ingleichen, der zu eben der Zeit geschrieben. XXI. 6. Ther brut habet, ther ist brutigomo, d.i. Der eine Braut hat, der ist Bräutigam. Und abermahl Ottfried im 3. B. 25. Cap.  
  Thaz si gisunt thesselbo folk
Thuruh thes einen mannes dolk.

Daß sie gesund (machen) desselben Volck,
Durch des einen Mannes Wunde.
 
  Und wiederum Tatian LXV. I. Tho begonda itrunizon then burgin; d.i. Da begunte er zu schelten die Städte. Im Indec. Verb. steht Thing, Thorp. Im Gloss. Lips. lieset man Inneron thingon. In der Catechesi Theotisca, die Herr Eccard herausgegeben, und die aus dem neunten Jahrhundert ist, steht diese Erklärung der vierten Bitte pag. 62. Allomannes thursti sintun in themo brotes namen gamenito, thero er ci thesemo antuuerden libe bitharf: das ist: Aller Menschen Nothdurfft ist in des Brodes Nahmen gemeynet, dessen man zu diesem gegenwärtigen Leben bedarf. Das Wort Dieb heißt in dem Evangelio des Bischoffs Ulfilas auf Gothisch Thiubs, auf Fränckisch und Alemannisch Thiob, auf Angel-Sächsisch Theof, und in der Cathech. Theot. heißt der Diebstahl Thiubheit. Hier sieht man die große Übereinstimmung aller alten Mund-Arten der Deutschen, in dem Gebrauche des Th, wo wir heutiges Tages D schreiben.  
  Und man bemercke nur zugleich, daß jene drey grosse Nationen, nehmlich Gothen, Alemannen und Francken, der heutigen Hochdeutschen, die Angel-Sachsen aber der heutigen Nieder-Sächsischen Sprache näher kommen; indem ja das Thiub und Thiob dem Ober-Sächsischen Dieb, das Angel-Sächsische Theof aber dem Plattdeutschen Deef so sehr nahe kommt: als welches uns in dem folgenden nützlich seyn wird.  
  Da nun aber in so vielen Wörtern das Th, darinnen die alten Mund-Arten der Deutschen Völcker so einstimmig gewe-  
  {Sp. 1676}  
  sen, in neuern Zeiten in ein D verwandelt worden: so ist es ja überaus billig, auch das alte Wort Theodisc nicht Teutsche, sondern Deutsch zu schreiben. Doch man berufft sich hier auf Tacitum, der unsere Vorfahren Teutones nicht aber Deutones genennet. Man vermuthet, dieser grosse Geschichtschreiber, werde es wohl aus dem damahligen Klange der Wörter gehört haben, ob man das Th zu seiner Zeit hart oder weich ausgesprochen habe. Dieser Einwurf aber scheinet von keiner sonderlichen Wichtigkeit zu seyn. Tacitus hat ja auch einer Deutschen Göttin Hertha, einer Silva Hercinia, eines Arminii u.d.m. gedacht. Wäre nun seine Schreib-Art untrüglich, und müsten wir uns darnach richten: warum schreiben wir denn nicht an statt Erde, Herte; an stat Harz, Herz; und vor Herrman, Armin? Hat er den Nahmen der Deutschen von Deutschen Lippen so genau aussprechen gehöret, und so getreulich aufgezeichnet: so wird er es auch in den andern Wörtern so gemacht haben.  
  Wer sieht aber aus diesen Exempeln nicht, wie ungewiß es ist, sich in der Rechtschreibung eines einheimischen Wortes, auf das Zeugniß eines Ausländers zu beruffen? Fremde Ohren hören zuweilen in unserer Aussprache etwas, welches wir doch nicht sagen. Wer spricht wohl unter uns in dem Worte Welcher ein i aus, oder wer höret dasselbe, indem es andre aussprechen? Und doch düncket es einem Frantzosen, daß er es zwische dem l und ch gantz deutlich höre und aussprechen müsse. Tacitus kan also in diesem Falle, weder ein glaubwürdiges Zeugniß von der Aussprache der alten Deutschen ablegen; noch ein solcher Richter seyn, nach dessen Ausspruche die Rechtschreibung unserer Wörter einzurichten wäre.  
  Und ich werde mich, schreibt Herr Gottsched, nicht eher bereden lassen, das Deutsche mit einem T zu schreiben, bis meine Gegner sich auch in dem Worte Erde, wo Tacitus Th gesetzet, dieses harten Buchstabens bedienen werden.  
Aussprache Wir kommen zur andern Orthographischen Regel, daß man sich in der Rechtschreibung nach der Aussprache und dem Gehöre richten müsse. Sonst wird dieser Grundsatz nur alsdenn gebraucht, wenn man aus der Abstammung des Wortes nichts rechtes bestimmen kan. Allein es ist desto besser, daß man sich hier auch dieses Grundes zu Bestätigung des Satzes bedienen kan.  
  In Schlesien, im Brandenburgischen, in Preussen, Pommern, Mecklenburg, Hollstein, Ost-Frießland, Westphalen, Lüneburg, Magdeburg und Halberstadt, ja auch wohl im Mannsfeldischen und Anhältischen spricht kein Mensch Teutsch, sondern Deutsch. Man berufft sich deswegen auf die Provintzien, weil ihre Aussprache so zärtlich ist, daß man den Unterscheid von D und T gantz deutlich darinnen wahrnehmen kan.  
  Die andere Helffte von Deutschland unterscheidet diese Buchstaben so genau nicht, sondern verwechselt entweder einen mit dem andern; oder trifft doch ein solches Mittel zwischen beyden, daß ein andrer nicht hören kan, ob es ein D oder T gewesen sey? Folglich haben die Einwohner der mitttäglichen Landschafften von Deutschland in Entscheidung dieser Frage von Rechts wegen gar keine Stimme. Allein zu allem Glücke brauchen wir dieselbe nicht.  
  Gnung, daß uns die Nieder-Sachsen, fast  
  {Sp. 1677|S. 852}  
  wider ihren Willen, mit ihrer Aussprache zu statten kommen. Barth. Feind, dessen Gedicht in Stade 1707. gedruckt sind, und F. Fabricius, dessen Poesien in Stetin herausgekommen, waren ohne Zweiffel Nieder-Sächsische Poeten; doch haben sie uns Deutsche, nicht aber Teutsche Gedichte geliefert: weil sie nemlich ihrer Aussprache gefolget sind; andrer nicht zu gedencken. Und da wir noch von den Hochdeutschen die Schlesier und einen Theil der Ober-Sachsen auf unsere Seite haben: so ist es wohl ausser Zweifel, daß unsere Meynung durch die Aussprache vollkommen erwiesen sey.  
Gewohnheit Zum dritten ist noch die Gewohnheit im Schreiben übrig, die gleichfalls einen Grund in der Orthographie abgiebt, wenn man die Fragen nicht anders entscheiden kan. Wir wollen zum Überflusse auch diesen zu Hülfe nehmen, unsere Meynung zu bestärcken; ungeachtet man ihm, nach dem, was bereits gesagt worden, gar nicht nöthig hätte.  
  Man gestehet es von der andern Parthey selbst, daß vor und nach Luthers Zeiten das D in Ober-Sachsen gebräuchlich gewesen, und daß man es allererst vor zwantzig Jahren auszumustern angefangen. Ist dem also, wie es denn in der That so ist: was hätten die Deutschen Ursache, von einer so wohl hergebrachten Gewohnheit abzuweichen? Alle Bibeln, die von dem seel. Luther selbst herausgegeben worden, sind Deutsch und nicht Teutsch übersetzt, und nach seinem Tode ist man ihm darinnen, nicht nur in allen neuern Auflagen derselben, sondern auch in andern Schrifften gefolget.  
  Wir beruffen uns auf die besten und meisten Poeten unsers Vaterlandes. Da finden wir nun, daß Opitz, Dach, Tscherning, Derschau, Kindermann, Kongehl, Hoffmannswaldau, Gryphius, Lohenstein, Weise, Feind, Fabricius, von Besser, Neukirch, Pietsch, Rothe, Hübner, Schmolcke, Scharf, u.a.m. Deutsch geschrieben. An Herr Neukirchen wird man vielleicht einige Unbeständigkeit wahrgenommen haben: allein es ist genug, daß er nicht völlig auf der andern Parthey ist, indem er theils in Lohensteins Arminius, theils in den Theilen der Hoffmannswaldauischen Gedichte, die er herausgegeben, das D dem T vorgezogen.  
  Wider dieses alles sehen wir nur zweyerley Einwürfe vorher. Zuerst spricht man, die Rechtschreibung Lutheri könne uns keinen Beweisgrund abgeben: weil er aus Übereilung und Nachläßigkeit die Sache nicht untersucht, sondern unbedachtsamer Weise ein D geschrieben, da er doch ein T hätte schreiben sollen. Man antwortet: Gesetzt, er hätte diese Frage nicht untersucht, so zeigt seine Rechtschreibung doch, was zu seiner Zeit im Schwange gewesen; und was er selbst, zum wenigsten dem Gehöre nach, vor recht gehalten habe. Wo man aber bloß auf den Gebrauch und die Gewohnheit siehet: da ist dieses schon Beweises gnug.  
  Es ist aber falsch, daß Lutherus in seiner Sprache unachtsam gewesen. Er war ein grösserer Sprachverständiger und Criticus, als mancher gedenckt, und man hat in verschiedenen kleinen Schrifften und Vorreden gnungsame Proben davon. Als er die Bibel übersetzte, hatte er gewiß vielfältige Ge-  
  {Sp. 1678}  
  legenheit, tausend solche Kleinigkeiten zu überlegen und zu untersuchen; da er sonst nicht würde gedacht haben, und daran niemand dencket, als wer viel schreiben muß, und doch gern recht schreiben wollte.  
  Zum andern will man bey der langen Fortsetzung der von Luthero beliebten Rechtschreibung, die Schuld auf die Ober-Sächsischen Buchdruckereyen schieben. Die Scribenten, sagt man, hätten nicht Schuld daran; nur die unstudirten Buchdrucker hätten über das T ihre Tyranney verübet, und es so lange Zeit her, aus dem Worte Deutsch verbannt. Allein man siehet hier erstlich nicht, warum man nur die Ober-Sächsischen, nicht aber auch die Breßlauischen, Berlinischen, Königsbergischen, Dantziger, Stetiner, Rostocker, Hamburger, und Stader Buchdrucker dieses Fehlers beschuldiget: denn es giebt eine große Menge Bücher, die an allen diesen Orten D und nicht T in dem Worte Deutsch gedruckt haben.  
  Hernach ist auch gar keine Wahrscheinlichkeit, daß Opitz, Tscherning, Dach, Hoffmannswaldau, Lohenstein, und Herr von Besser, anderer zugeschweigen, ihre Sachen dem Eigensinne unwissender Arbeits-Leute solten überlassen haben; da sie ja selbst bey ihrem Leben ihre Schrifften drucken lassen, und meistens bey den Drucke zugegen gewesen.  
  Und dergestalt hätte man auch aus den Gebrauche unser allerbesten Scribenten erwiesen, daß man Deutsch, nicht aber Teutsch schreiben müsse.  
weiche Buchstaben in härtere verwandelt Noch einen allgemeinen Einwurff müssen wir heben, den man wider diese ganze Rechtschreibung gemachet hat. Man hält davor, im Hochdeutschen müsse man deswegen Teutsch schreiben, weil es die Natur der Oberländischen Mund-Art so mit sich bringe, daß man das D der Nieder-Deutschen, und überhaupt alle ihre weiche Buchstaben in härtere verwandelt. Dieser Scheingrund setzt zum voraus, daß die Ober-Sächsische Sprache aus der Nieder-Sächsischen entstanden sey, und also dieselbe vor ihre Mutter erkennen müsse. Doch dieses darf man gar nicht zugestehen.  
  Wir haben oben gewiesen, daß die alten Franken und Alemannen, zwey Hochländische Nationen, eine Mund-Art gehabt, die gantz augenscheinlich mit der heutigen Hochdeutschen, nicht aber mit der Plattdeutschen übereinkommt. Selbst die Gothen, die doch von einigen vor ein Niederländisches Volck der Deutschen gehalten worden, haben eine Sprache gehabt, die mehr mit dem Hochdeutschen, als Niederdeutschen überein gekommen. Und selbst ihre Wanderungen und Züge erweisen es sattsam, daß sie Oberländer gewesen; nicht aber, wie einige wollen, aus Nieder-Sachsen oder Schweden ihrer Ankunfft gehabt. Sie kamen ja von dem Euxinischen Meerbusen längst der Donau herauf, durch Pannonien, bis nach Italien, als sie dem Römischen Reiche den letzten Stoß gaben: wie der hoch berühmte Herr D. Mascau in seiner unvergleichlichen Historie der Deutschen vollkommen erwiesen hat. Dergestalt erkennet die heutige Hochdeutsche Sprache die vermischte Mund-Art der alten Gothen, Alemannen und Francken vor ihren Ursprung; so wie hingegen die Plattdeutschen von den alten Angel-Sachsen und deren Nachbarn ihre Sprache herleiten müssen, deren älteste Überreste so sehr mit ihrer heutigen Mund-Art überein stimmen.  
  {Sp. 1679|S. 853}  
  Nun wird, man wohl in Ewigkeit nicht erweisen, daß selbst die Gothischen, Fränckischen und Alemannischen Sprachen Töchter der Angel-Sächsischen gewesen; oder daß diese Völcker alle aus Nieder-Sachsen hergestammet. Vielmehr ist es gewiß, daß diese vier alte Nationen der Deutschen, sowohl als ihre Mund-Arten, Geschwister gewesen, die von einer weit ältern Mutter, nehmlich von der Celtischen, diese hingegen von der Scythischen ihr Geschlecht hergeleitet: wie der gelehrte und Sprachverständige Herr Wachter in seinem Glossario deutlich dargethan hat.  
  Hierzu kommt endlich noch, daß die Natur der Hochdeutschen Sprache es gar nicht erfordert, alle weiche Buchstaben der Nieder-Sächsischen Mund-Art härter auszusprechen. Schreiben denn die Ober-Sachsen nicht Danck, Degen, Druck, Daum, Donner, Dampf, Dunst, Ding, Darben, Demuth, der, die, das, durch, denn, u.s.f. eben so wohl als die Nieder-Sachsen mit einem D? und wer sieht wohl, daß die Hochdeutschen nach dieser Regel Puch, Pöse, Perg, Plühen, Plut, Wunderpar buchstabiren: ungeachtet Melchior Pfinzing in seinem Theuerdanck so geschrieben?  
  Ist ja in etlichen Wörtern, wo die Plattdeutschen nur ein D setzen, im Hochdeutschen ein T; so ist es mehrentheils ein Th, welches nach der alten Art nichts mehr als ein D bedeutet. Z.E. Thiere, Thaler, Thon, Thüre, Theuer, Thau, That, Thor, u.d.m. davor die Nieder-Sachsen Deer, Daler, Don, Dühr, Dür, Dau, Daht, Dohr u.s.w. schreiben. Dieses Th aber ist dennoch nicht nur eine Verwandlung aus dem Plattdeutschen D entstanden; sondern von den alten Mund-Arten der Francken und Alemannen beybehalten worden; wo es an statt des D fast durchgehends gebrauchet wurde.  
  Zugeschweigen, daß man viele Exempel geben kan, wo die Oberländer eine gelindere Aussprache haben, als die Nieder-Deutschen. Ich klingt ja viel zärter und gelinder, als ick; soll ist weit angenehmer, als skall; haben, als hebben; brechen, als breeken; kochen, als kaaken, u.d.m.  
  Welches alles augenscheinlich zeiget, wie ungegründet die obige Regel von Verwandelung der weichen Buchstaben in härtere sey.  
  Siehe übrigens den Artickel Teutsche Sprache.  
     

HIS-Data 5028-42-1673-5: Zedler: Teutsch HIS-Data Home
Stand: 12. Juli 2013 © Hans-Walter Pries