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Zedler: Verstand des Menschen [3] HIS-Data
5028-47-1980-2-03
Titel: Verstand des Menschen [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 47 Sp. 1994
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 47 S. 1010
Vorheriger Artikel: Verstand des Menschen [2]
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Hinweise:
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Übersicht
Dogmatische Betrachtung (Forts.)
  Was der menschliche Verstand sei? (Forts.)
 
  Erklärung des Verstandes (Forts.)
 
  3) Gebrauch des Verstandes
 
  Gedankenfreiheit
 
  physische

Stichworte Text Quellenangaben
  Es ist noch übrig, daß wir  
  3) erwegen den Gebrauch des Verstandes.  
  Der Gebrauch selbst geschiehet, wenn er auf gewisse Objecte eingerichtet wird, daß er nach geschehener Empfindung seine Gedancken darüber anstellet. Wieweit man denselben brauchen könne, ist aus der Natur und daher dependirenden Endzweck zu ersehen, woraus diese beyden Regeln fliessen: Gedencke, so weit du nach dem natürlichen Vermögen des Verstandes dencken kanst; ingleichen: Brauche deinen Verstand so, wie es das Anse-  
  {Sp. 1995|S. 1011}  
  hen GOttes mit sich bringt, wovon wir nunmehro etwas ausführlich reden wollen.  
Gedankenfreiheit Denn es ist uns noch übrig, von der Freyheit zu gedencken (LIBERTATE COGITANDI) hier zu handeln. Die Freyheit zu gedencken, bedeutet eigentlich ein Recht, so die Menschen, ihren Verstand zu gebrauchen, von GOtt erhalten haben, wobey wir so wohl auf dessen Grund, als Grentze, wieweit sich dasselbe erstrecke, zu sehen haben.  
  Es gründet sich dieses Recht auf den Göttlichen Willen, welchen wir aus der Natur und daher dependirenden Endzweck des menschlichen Verstandes erkennen, und zugleich daher die Grentzen dieser Freyheit wahrnehmen. Denn es haben diese einen zweyfachen Grund, einen physischen und moralischen, weswegen man sie in libertatem physicam und moralem eintheilen könnte.  
physische Jene, oder die physische Freyheit zu gedencken (LIBERTAS COGITANDI PHYSICA) gründet sich auf die natürliche Beschaffenheit des Verstandes, und erstreckt sich so weit, als sich das natürliche Vermögen zu gedencken erstrecket, woraus diese practische General-Regel fliesset: Gedencke, so weit du nach den natürlichen Vermögen des Verstandes gedencken kanst. Doch damit man dieses etwas genauer erkenne, so hat man zu untersuchen, wieweit sich dieses natürliche Vermögen erstrecke.  
  Es ist unser Verstand ein endliches Wesen und wäre er sonst kein menschlicher, sondern ein Göttlicher Verstand, davon ein jeder aus seinen Würckungen, und der Art zu würcken, vermittelst der eignen Empfindung kan überzeuget werden denn es hat uns GOtt eine solche Ordnung zu gedencken fürgeschrieben, daß wir niemahls ohne Ideen gedencken können: alle Ideen aber ursprünglich von der Empfindung haben sollen. Wie nun alle Ideen von der Empfindung dependiren, also präsupponiret die Empfindung wieder Objecte, welche GOtt geoffenbahret, und zu erkennen fürgeleget, welche Entdeckung und Offenbahrung entweder nur die Existentz, oder auch zugleich die Eigenschafft der Dinge betrifft.  
  Aus diesem folgen zwey practische Special-Regeln, daß ein jeglicher seinen eignen Verstand zu gebrauchen, verbunden; im Gebrauch aber desselben nicht weiter gehe, als es seine natürliche Beschaffenheit, und die von GOtt gesetzte Ordnung zulässet; mithin ist vernünfftig,  
 
1) daß der Verstand in seinen Gedancken nicht über die Existentz GOttes gehen müsse, indem wenn die Idee von GOtt wegfällt, nothwendig alle Offenbahrung der Dinge, und mit dieser alle Empfindung nebst den Gedancken wegfallen müssen; daher es höchst ungeräumt wäre, wenn jemand ausdencken wolte, wie die Welt, wenn kein GOtt wäre, aussehen dürffte, oder im Fall kein GOtt sey, was man vor ein Recht der Natur hätte,
 
 
2) daß man solche Sachen, die GOtt weder in der Natur, noch in der Heiligen Schrifft entdecket, mit seiner Vernunfft auszugrübeln, sich nicht unterfange, sondern vielmehr seine Unwissenheit bekenne, massen wir keine Empfindung haben können, folglich wird alle Mühe gantz vergebens seyn.
 
 
3) Daß, wenn nach geschehener Empfindung eine Idee vorhanden, die Gedancken nicht höher zu treiben,
 
  {Sp. 1996}  
 
  als sich die Natur der Sache oder Idee erkennen lässet, folglich suche man nicht überall eine Gewißheit, und sey in vielen, ja in den meisten Sachen mit einer Wahrscheinlichkeit zufrieden, und
 
 
4) daß man die Empfindung als das Kennzeichen aller Wohlthaten annehme, und keinen weitern Beweis über dieselbige suche.
 
  Will man dieses auf die philosophische und theologische Materien appliciren, und insonderheit sehen, wieweit sich die Freyheit zu gedencken eines Philosophen und Theologen erstrecke, so liegt in Ansehung der Philosophie am Tage, wie nach den emsigen Bemühungen so vieler, auch sehr scharffsinnigen Philosophen von so langen Zeiten her, eine grosse Menge unerforschlicher Dinge vorhanden. Denn wer weiß, worinnen das Wesen eines Geistes bestehe, was unsere Seele vor einen Ursprung habe, wie sie mit dem Leibe verknüpffet? Und vernünftige Naturkündiger haben gestehen müssen, es sey die Physic eine Lehre der Wahrscheinlichkeit.  
  Es würde auch alles Meditiren und Speculiren vergebens seyn, weil uns GOtt in der Natur nicht alles hat offenbahren wollen; folglich auch das Absehen nicht gehabt, daß der menschliche Verstand alles ausgrübeln solte. Wir haben auch in der Natur Geheimnisse, oder mysteria rationis; da man zwar die Existentz einer Sachen wissen, die Art und Weise, wie diese oder jene Würckung geschicht, nicht erforschen können, in welchen Fällen ein Philosophe vernünfftig handelt wenn er seine Unwissenheit bekennet, und daß sich so weit seine Freyheit nicht erstrecke, gestehet.  
  Es fehlt zwar an neuen Erfindungen, Principien, Auflösungen schwerer Fragen nicht, wieweit sie aber der Wahrheit allezeit gemäß, ist eine andere Frage. Peter Bayle hat in seinem Diction. histor. et crit. manchen Weltweisen wichtige Irrthümer gewiesen; es sind aber auch Leute gewesen, die dergleichen Censuren mit ihm selbst gar glücklich fürgenommen.  
  Ein Theologus braucht seine Vernunfft auch in Göttlichen Sachen, und bedient sich seiner Freyheit zu gedencken. Denn die Heilige Schrifft ist uns als vernünfftigen Menschen, und nicht als Bestien, gegeben, daß wir selbige sollen verstehen lernen, und fleißig darinnen forschen, welches ohne Hülffe der Vernunfft nicht geschehen kan. Ein merckwürdig Exempel lesen wir Apost. Geschicht. XVII, 11. von den Berrhoensern, daß sie täglich in der Schrifft geforschet, ob sichs also verhalte, wie man nehmlich ihnen geprediget hatte.  
  Doch bleibt er bey diesen Gebrauch in den gehörigen Schrancken, indem er die Glaubens-Sachen, welche nicht in den Bezirck der Vernunfft gesetzet, demüthig glaubet, das ist, er hält sie für wahr, weil es GOtt gesagt, der nicht kan noch will betrügen, und weiß, daß er als das unendliche weise Wesen solche Wahrheiten entdecken kan, die über alle menschliche Vernunfft, und stellt daher keine Prüfung derselben nach den philosophischen Principien an, die in ihrer Sphäre wahr seyn, und ihre gehörige Dienste thun können, aber nicht zu weit müssen extendiret werden.  
  Er begnüget sich, daß er eine deutliche Empfindung von der Offenbahrung hat, und versichert ist, was in der Heiligen Schrifft stehe, oder nicht, wenn er gleich  
  {Sp. 1997|S. 1012}  
  nicht von allen Sachen selbst, die fürgetragen werden, eine deutliche Empfindung hat. Er läst es bey der deutlichen Erkänntniß von der Existentz einer Sache bewenden, z.E. daß drey Personen in dem einigen Göttlichen Wesen, daß Christus wahrhafftiger GOtt, daß wir in Abendmahl seinen wahrhafftigen Leib und Blut empfangen, wenn er gleich nicht begreiffen kan, wie es damit zugehe.  
  Wenn man die Aufführung vieler Gelehrten nicht nur in den vorigen, sondern auch in unsern Zeiten in diesem Stück ansiehet, so wird man finden, wie schwer es jederzeit gewesen, hierinnen auf der rechten Mittel-Strasse zu bleiben, und die zwey gefährliche Abwege, die sich hier angeben, zu meiden. Einige thun der Sache zu wenig, und verfehlen in defectu, wenn sie den Gebrauch ihrer Vernunfft, und insonderheit des Judicii, als der Haupt-Fähigkeit, womit wir die Wahrheit erkennen müssen, gäntzlich bey Seite setzen, und sich in allen Stücken mit menschlicher Autorität behelffen wollen. Ja man sucht aus einem intereßirten Absehen mit Fleiß die Leute ihrer Einfalt zu erhalten, und dadurch einen sichern Grund des Aberglaubens zu haben.  
  Wenn in dem Heydenthum die Pfaffen die Philosophie trieben, so suchten sie nichts mehr, als den Leuten alle Freyheit zu gedencken zu beschneiden, und ihnen die Augen des Verstandes auszureissen, weil sie wusten, daß die wahre Philosophie und der Aberglaube nicht zusammen stehen konnten. Und wenn gleich das Licht der Philosophie durch diese dicke Finsterniß durchbrach, und in Griechenland empor kam, so zeigte sich doch bald wieder ein neuer Stein des Anstosses, und das war das Ansehen der menschlichen Autorität, das sectirische und sclavische Wesen in der Philosophie, wodurch die edle und wahre Freyheit zu gedencken viele hundert Jahr nach einander grossen Schaden gelitten.  
Griechenland In der Schule des Pythagorä machte man die Schüler zu ehrerbietigen Sclaven ihres Lehrmeisters, daß wenn sie was beweisen oder eine Ursache von was geben solten, so hieß es: autos epha, ipse dixit, welches höchst unvernünftig war. Denn diese Leute hatten ja von der Natur eben den Verstand, wie Pythagoras, zu dem Ende bekommen, daß sie die Wahrheiten erkennen solten, und er wuste kein Privilegium aufzuweisen, daß seine Aussprüche untrüglich und göttlich wären. Denn rühmte er sich gleich des Umgangs mit denen Göttern, so war doch dieses eine seiner Betrügereyen.  
  Die vier Haupt-Secten in Griechenland der alten Philosophen stiffteten darinnen auch nicht viel gutes, deren Urheber desto mehr zu bestraffen, weil sie für ihre Person Eclectici waren; ihren Schülern aber mehrentheils das sectirische Joch an den Hals wurffen, oder doch Gelegenheit gaben, daß sie sich ihrer Freyheit nicht, wie es seyn solte, im Dencken bedienten. Plato war unter andern in den Augen des Ciceronis so groß, daß er auch bekennet: Malo cum Platone errare, quam eum aliis recte sentire, auf welchen Schlag ein gewisser Medicus, Bartholomäus Eustachius in diese Worte ausgebrochen: Magis expedire dicereque putandum est, Galeno duce errare, quam his illisve magistris hodie erudire, ne dicam, cum iis vera sentire, wie Gregorius Ent in der Vorrede an seine apologiam pro circulatione sanguinis meldet.  
  So bald Aristoteles anfieng, sein Haupt empor zu heben,  
  {Sp. 1998}  
  und seine Schrifften als symbolische Bücher denen Leuten in die Hände gegeben wurden, so benahm man durch diese Aristotelische Decke den Augen des Verstandes alles Licht. Richart Simon in Bibl. crit. ... erzehlet, daß in Spanien auf der Universität Salamanca die Professores schwören müssen, bey dem Aristotele zu leben und zu sterben. Franciscus Redus in Observ. de viperis ... berichtet von einem Peripatetico, er habe aus sonderbahrer Hochachtung gegen den Aristotelem deswegen in keinen Tubum sehen wollen, damit er von der Wahrheit nicht überzeuget werde, das Galiläus a Galiläis neue und dem Aristoteli unbekannte Sterne entdecket, vieler andern Exempel zu geschweigen.  
  Und wie sauer hat man doch denen, welche ihrer Vernunfft selbst zu brauchen angefangen, neue Wahrheiten entdecket, die alten Lehren verbessert, oder als irrig und unnütz verworffen, ihre Mühe gemacht, und ihren Fleiß mit Schmähungen und Verfolgungen belohnet.  
 
  • Socrates muste dieses schon zu seiner Zeit erfahren, wie er von göttlichen Dingen vernünftiger, als bisher geschehen war, zu philosophiren anfieng.
  • Wenn Virgilius, Bischoff zu Beyern, denen Kirchen-Vätern widerspricht, daß allerdings Antipodes wären, so wird er vom Pabst Zacharia in den Bann gethan.
  • Peter Ramus wurde von den Aristotelicis als ein philosophischer Ketzer bey Hofe verklaget: quod Aristoteli repugnando theologiam et artes enervaret, und sie brachten es dahin, daß seine beyden Bücher verboten, und er dabey einer unverschämten und verwegenen Ignorantz schuldig erkannt wurde.
  • Gisbert Voetius suchte wider Cartesium alles aufzuwiegeln, und ihn als einen Verräther von Holland und Atheisten verdächtigt zu machen.
  • Und wie ist man nicht hinter dem Herrn von Pufendorffen gewesen, als er in seinem jure naturae nicht gnungsamen Respect gegen die ehrwürdigen Scholastischen Häupter bezeugen wolte?
  • Der gelehrte und fleißige Mathematicus Galiläus wurde darum ins Gefängniß geworffen, daß er durch Hülffe seiner Fern-Gläser mehr sahe, als andere, ohnerachtet jetzo die Fern-Gläser mit besondern Nutzen gebraucht werden.
  • Wie der berühmte Anatomicus Harväus die vortrefliche Erfindung von der Circulation des Geblüts der gelehrten Welt vor Augen legte, so muste er wohl in die zwantzig Jahre den bittersten Urtheilen unterworffen seyn, daß er auch von dem berühmten Zacharia Sylvio zu Rotterdam nicht verschonet wurde, welcher offenhertzig in praefat. in Haruaei exerc. anat. also schreibet: Primum mihi [sechs Zeilen lateinischer Text], welches ein Exempel einer redlichen und freyen Bekennung seines Irrthums war.
  • Rogerius Baco wurde als ein Hexenmeister ausgeschrien,
 
  dergleichen Urtheil noch andere über sich haben müssen ergehen lassen, von denen Naudäus ein besonderes Werck zu ihrer Vertheidigung geschrieben, vieler andern Exempel zu geschweigen  
  So sehr konnte das Vorurtheil menschlichen Anse-  
  {Sp. 1999|S. 1013}  
  hens die Freyheit zu gedencken hemmen, daß man nicht einsehen wolte, was wahr oder falsch, so höchst unvernünftig ist, denn in philosophischen u. menschlichen Sachen hat kein Glaube statt, weil irren menschlich, und ein Mensch ohne Irthümer kein Mensch, sondern ein Gott seyn würde, folglich werden bey einen so sclavischen Wesen die Irrthümer mit fortgepflantzet. Und gesetzt, daß derjenige, dem man nachbetet, auch Wahrheiten hat, welches man gar nicht in Abrede, so kan man sie ja nicht um deswegen für Wahrheiten halten, weil sie ein anderer gesagt; sondern man muß sich durch eigene Empfindung davon versichern.  
  Man begeht in der That eine grosse Sünde, wenn man nicht den Verstand, als eine so herrliche Gabe GOttes zu dem Ende, wozu er uns gegeben, brauchet, und das Recht, das unter andern Aristoteles gehabt zu meditiren und eine Sache zu prüfen, haben ja auch andere. Es meynet zwar Morhof in polyhistore litter. ... man müsse die ingenia novaturientia mit Gewalt im Zaum halten, damit allem besorglichen Unheil vorgebauet werde, wenn er schreibt: non male [sechs Zeilen lateinischer Text], und Jacob Thomasius verwirfft in seinem Program. ... die eclectische Philosophie in folgenden Terminis: retinenda sane forma regiminis monarchici, qua nulla potest esse pro statu corrupti hominum ingenii litterariae reipublicae salubrior.  
  Es kommt daher ihr Beweis, warum man nicht eclectisch philosophiren und seine Freyheit zu gedencken brauchen soll, darauf an, daß man dadurch allerhand schädliche Neuerungen zu besorgen hätte woran aber nicht die Freyheit zu gedencken an sich selbst, sondern der, der sie nicht vernünftig brauchet, schuldig ist. Es ist ja vernünftig, wenn man sagt: usus non est tollendus propter abusum.  
Syncretisten Eine neue Hinderniß in der Freyheit zu gedencken, verursachten die philosophischen Syncretisten. Denn wie sie für ihre Person ihre Sclaverey gar sehr verriethen, wenn sie gleich das Einsehen als Freydenckende zuweilen haben wolten, indem die Lehr-Sätze ihren Philosophen, den sie sich ergeben hatten, zum richtigen Grund satzten, und darnach die Lehren eines andern erklärten, oder vielmehr verdreheten; Also hielten sie durch diese Weise in der That andere ab, daß sie anderer Philosophen Schrifften nicht lasen, noch prüften.  
  Doch unter dem Prätext der Religion hat man die Leute am meisten dumm zu machen, und ihnen alle Freyheit im Dencken zu benehmen gesuchet. Es ist bey vielen, welche nicht leiden können, daß man von ihren Meynungen, die sie von Jugend aufgehabt, einen Nagel breit abweiche, die gewöhnliche Methode, daß man vorgiebt, die Religion und die Theologie leide dadurch Schaden. Muste der philosophische Pabst, das ist Aristoteles, wie ihn bereits Vaninus de admirandis naturae arcanis dialogo ... sapientum pontificem maximum genennet, so viel hundert Leuten eine Decke für ihren Augen seyn, daß sie das Licht der Wahrheit nicht sehen konnten;  
  {Sp. 2000}  
  so trat ihm der Römische Pabst in der Kirche an die Seite, und führte die Leute in eine noch grössere Finsterniß hinein.  
  Man setzt der Heil. Schrifft die Aussprüche der Kirche, als eine Norm des Christenthums gegenüber; beredet das arme Volck von der Invalibilität des Pabsts, reisset ihnen die Bibel aus den Händen, und benimmt ihnen dadurch alle Gelegenheit, die Irrthümer und Betrügereyen ihrer Priester zu erkennen, man verstattet in den Schulen keine eclectische Philosophie, und bleibt an den scholastischen Koth kleben, masset sich höchst unvernünftig die Herrschafft über das Gewissen an, und wenn man mit Gelehrten disputiren will, hat man eine gar schöne Methode erdacht, daß man unter andern keine Schlüsse annehmen will, bey welchen Zustand die edle Freyheit zu gedencken gar schlecht zurechte kommen muß.  
  Man will zur Erläuterung nur zwey Exempel anführen. Es ist die Frage fürkommen, ob Maria, Lazari Schwester, eine unterschiedene Person von Maria Magdalena gewesen sey, oder nicht? Worüber sich Franciscus Turrianus den Kopf gewaltig zerbrochen. Denn er sahe, daß Lib. III. cap. 6. constit. apostolic. sie von einander unterschieden würden; Die breviaria aber romanae ecclesiae sie für eine Person ausgaben, und weil er die constitutiones apostolicas für ächt hielt, u. sie keines Irrthums beschuldigen wolte; gleichwohl aber von dem Ausspruch der Römischen Kirche abzugehen, sein Gewissen nicht zulassen durffte, so wuste der gute Mann nicht, was er machen solte.  
  Die Freyheit zu gedencken wurde bey Seite gesetzet, und man verfiel auf die Absurdität, daß man Contradictoria zuliesse, das ist, Turrianus leugnete, daß Maria, Lazari Schwester, einerley mit Maria Magdalena sey, weil die constitutiones apostolicae es so mit sich brächten; behauptete aber auch, daß sie eine Person gewesen, indem dieses der Respect gegen die Römische Kirche erforderte, wie dieses Ittig in seinen opusculis variis ... erzehlet. Das heist ja wider das klare und vernünfftige Principium: impossibile est, idem simul esse et non esse, gedacht.  
Trident Auf der Tridentinischen Versammlung entstunde unter denen Päbstischen Lehrern über die Lehre von der Gewisheit des Glaubens und der Seeligkeit ein Streit zwischen dem Dominico Soro und Ambrosio Catharino. Jener gab 1549 in 4. zu Paris ein Werck de natura et gratia heraus, dedicirte selbiges der Versammlung, und wolte es als einen Commentarium über das, was deswegen in der sechsten Seßion wäre beschlossen worden, angesehen haben, daß der Mensch durch keine ungezweifelte Gewißheit des Glaubens versichert seyn könnte, daß ihn GOtt gnädig ansehen werde; Allein Catharinus verfertigte dagegen defensionem catholicorum pro possibili certitudine gratiae, schrieb es gleichfals dem Concilio zu, und gab vor, er habe dasjenige weiter ausgeführet, was Sessione 6. can. 26. beliebet worden; Worauf nachgehends noch andere Schrifften von beyden Theilen erfolget sind.  
  Beyde konnten unmöglich recht haben, und man hätte nach der Freyheit zu gedencken, einen Ausspruch thun sollen, wer die Wahrheit erkannt, oder wohin die eigentliche Meynung des Concilii gieng, welche freylich war, daß man  
  {Sp. 2001|S. 1014}  
  eine solche Gewißheit nicht haben könnte. Es ist dieses ein kahler Prätext, wenn man vorgiebt man müste alle Freyheit zu gedencken, hemmen, damit die Religion und Theologie keinen Schaden nehmen. Denn sagt Paulus, man müsse seine Vernunft gefangen nehmen unter dem Gehorsam Christi, 2 Cor. X, 5. so hat dieses seine Richtigkeit in Sachen, die den Glauben angehen, und also über die Vernunft gesetzet sind, womit aber der gäntzliche Gebrauch derselbigen noch nicht untersaget. Es ist ja die Erb-Sünde nur ein Accidens, wodurch also das Wesen der Vernunft nicht aufgehoben, sondern nur verderbet worden, sie ist ein Licht blieben, aber nur ein verdunckeltes, womit man gleichwohl noch manche Wahrheit erkennen, und sie auch in Religions-Sachen, jedoch in gehöriger masse brauchen kan.  
  Die Vernunft subjective betrachtet, wie man in Schulen redet, giebt deutliche, wahre und hinlängliche Principia an, welche man die Vernunft objective nennet, und sie formaliter und materialiter betrachtet. In der ersten Absicht dienen sie zu der richtigen Art eines Vernunft-Schlusses, und sind so beschaffen, daß sie kein vernünftiger Mensch leugnen kan, und hingegen nichts unvernünftigers kan ausgesonnen werden, als daß man hier keine Vernunft-Schlüsse annehmen will. Geht uns doch die Heilige Schrift selbst für, wenn sie aus vorhergesetzten Principien Schlüsse ziehet, und mit was für wichtigen Beweis-Gründen hat man nicht auf solche Weise die Wahrheit der Christlichen Religion erwiesen, und die göttliche Wahrheiten wieder die Ketzer vertheidiget.  
  Es hat unter andern Werenfels in seiner Sylloge dissertationum theologicarum diese Materie, daß die Religion, so auf Christum, als den eintzigen Grund erbauet, die wahre sey, durch deutliches Raisoniren schön vor Augen gestellet, und damit bey aufgeweckten Gemüthern mehr erlanget, als andere, die sich bey vielen Zeugnissen aufgehalten haben.  
  So können auch die materiellen Principien, wenn sie nur wahr, und nicht zu weit in der Application extendiret werden, in Theologischen Sachen ihre Dienste thun, und was hat man anders wieder die Atheisten für Waffen, als die uns die Vernunft an die Hand giebet, welcher auch noch den Grund zu einer tüchtigen Auslegung Heiliger Schrift legen muß. Gehet man von der Heiligen Schrift weg, und erweget der Papisten Traditiones, und die Aussprüche ihrer Kirche, so siehet man nicht, warum das arme Volck solche blindlings glauben, und in einer Prüfung ihre Vernunft nicht brauchen soll, weil die Päbstisch-Geistliche, auch die Päbste selbst eben sowohl Menschen, wie andere sind, die da irren können, und würcklich irren.  
  Es geht hier wie zu den Zeiten unsers Heylandes mit den Pharisäern und Obersten des Volcks. Denn als ihre Knechte ihn nicht greiffen wolten, und vielmehr antworteten: es hat nie kein Mensch also geredet, wie dieser Mensch, so hieß es: Seyd ihr auch verführt, glaubt auch irgend ein Oberster, oder Pharisäer an ihn? Joh. VII, 45 u.ff. welches so viel heissen solte; ihr müst hier nach dem praejudicio autoritatis handeln, und weil ihr sehet, daß keiner von den Pharisäern und Obersten an ihm glaubt, und seine Dinge für wahr hält, so  
  {Sp. 2002}  
  müsset ihr daraus schliessen, daß nichts dahinter stecke, und ihm also nicht folgen. Das war nun eine schöne Art die Leute zu der wahren Erkänntniß zu bringen.  
  Es ist dieses keine Sache von einer Kleinigkeit. Denn man erwege nur unter andern, wie viel an dem wahren und richtigen Glauben gelegen, und halte dagegen die päbstische Lehre, de fide implicita, von ihren Kohler Glauben, da man glaubet, was die Kirche glaubt, wenn man gleich nicht einmahl weiß, was dieselbige glaubt.  
  Am aller ungegründesten ist ihre sich angemaste Herrschaft über die Gewissen, welches sich durch deutliche und gründliche Vorstellung; nicht aber durch äusserliche Macht und Gewalt zwingen lässet, wodurch man zwar einen Menschen dahin bringen kan, daß er aus Furcht äusserlich was saget, im Hertzen aber es dennoch anders meynet. Franciscus Tolet Lib. IV. cap. 3 instruct. Sacerdot. schreibet: Si rusticus [drei Zeilen lateinischer Text], und Paulus Sarpius ... historiae interdicti Veneti berichtet, daß zu Padua viele Exemplarien von einer gewissen Schrift wären gefunden worden, worinnen die dreyzehende Regel also geheissen: Credendum ecclesiae hierarchicae, etsi nigrum esse dixerit, quod oculis album videtur.  
Theosophisten Einen andern Stoß bekam die Freyheit zu gedencken, durch die so genannten Theosophisten, und Verehrer der unreinen mystischen Theologie, welche sich einbildeten, es sey die Vernunft durch die Erb-Sünde so verderbt, und verfinstert worden, daß man sie gar nicht, zumahl in Göttlichen brauchen könnte, als Robert Fluddus, Valentin Weigel, Jacob Böhme, Helmontii unter anderem, wie denn auch zu Helmstädt Daniel Hoffmann einen Lermen darüber anfieng, ob die Philosophie was nutze wäre, wie Walch in der Histor. logic. ... kürtzlich berühret hat.
Atheisten Thaten diese und dergleichen hierinnen der Sache zu wenig, so geriethen hingegen andere auf einen andern Abweg, und satzten der Freyheit zu gedencken, allzuweite Grentzen, daß sie mit der Vernunft Dinge erreichen wollen, die sie zu begreiffen nicht fähig, und dadurch nicht nur vergebene Mühe anwendeten; sondern auch in allerhand Irrthümer geriethen. Giebt die Sclaverey des Verstandes in Ansehung der Religion Anlaß zum Aberglauben; so bahnet hingegen der Mißbrauch desselben den Weg zur Atheisterey und zum Naturalismo. Man gehe die alten und neuern Philosophen durch, welche sich wegen Atheistischer Lehre verdächtig gemacht, so wird man finden, wie sie Dinge mit der Vernunft auszugrüblen, sonderlich die Art und Weise der Schöpfung zu erforschen, sich unterstanden.  
  Spinoza, einer der vornehmsten Atheisten, hat seinen tractum theolog.politicum überschrieben de libertate philosophandi, und ob er schon darinne seine gefährliche Lehre nicht so deutlich, wie in der Ethick fürgetragen, so haben doch welche einen ziemlichen Gift darinnen antreffen wollen, und Spinoza kan es in seinen Episteln selbst nicht leugnen, daß man ihn daraus der Atheisterey beschuldiget.  
Reformation Zu den neuern Zeiten wurde durch die gesegnete Re-  
  {Sp. 2003|S. 1015}  
  formation des seeligen Luthers Gelegenheit gegeben, daß das Vorurtheil des Menschlichen Ansehens, sonderlich des Philosophischen und Römischen Pabsts gar sehr geschwächet wurde, und es gieng den Leuten nach und nach ein solches Licht auf, daß sie wohl erkannten, wie die Wahrheit gar nicht auf ein Menschliches Ansehen ankäme. Es fruchtete dieses soviel, daß man sich allmählich von dem Aristotelischen Joch befreyete, und die Eclectische Philosophie einführete, dabey die Freyheit zu gedencken das erwünschte Glück fande, wenn sich nur die Philosophen selbiger in gehöriger Masse bedienet, und die Untersuchung der Wahrheit! sich zum eintzigen Zweck gesetzet hätten.  
  Aber hatte man sich von dem praejudicio antiquitatis frey gemacht, so verfiel man auf das praejudicium novitatis, das ist, viel wolten was neues fürbringen, und dachten, sie könnten sonst auf keine bessere Art ihren Namen eine hellklingende Schelle anhängen, wenn gleich das alte an sich noch so gut und brauchbar, wodurch sie manches gute, so die Alten hatten, wegschmissen, oder vielmahl, wenn sie ihm eine neue scheinbare Farbe anzustreichen wusten, den Leuten ein Blendwerck für Augen machten, daß es hieß; mundus vult decipi.  
  War man ziemlicher massen aus dem praejudicio autoritatis heraus, so verfiel man auf das praejudicium praecipitantiae, daß man ohne Nachdencken in Tag hinein urtheilte und raisonirte, und wenn man etwas gesehen, wie Aristoteles ein und den andern Fehler begangen, sogleich ihn gantz verwarffe, und ihn vor einen gantz unnützen Kerl im Philosophischen Reiche ansahe. Dieses alles muste sich unter der Decke einer Freyheit zu gedencken bemänteln lassen.  
  Man will mit der Vernunft hoch hinaus, und Dinge ergründen, die GOtt niemahls entdecket, als unter andern von der Art, wie die Welt erschaffen, was vor ein Zustand vor der Schöpffung gewesen, worinnen das eigentliche Wesen des Geistes bestehe, woher die Menschliche Seele komme, wie sie mit dem Leibe verknüpfet, und wenn man etwa vermittelst eines lebhaften Ingenii einen neuen unscheinbaren Einfall hat, man weiß seine Einfälle plausible zusammen zu hängen, damit muß das Systema gut und richtig seyn.  
  Versteht jemand dabey etwas von der Gelehrten Marckschreyerey; sehet, meine Herren, das ist eine herrliche Waare, und hat von Natur ein frisches Talent, eine schertzhafte Person vorzustellen, und seine Gegner lächerlich zu tractiren, so fehlt es an Verehrern nicht, welches sie in der That gerne sehen, wenn sie gleich so groß Wesen von der Freyheit zu gedencken machen. Es ist kein Götze so grob geschnitten, der nicht seine Anbeter hat.  
  Die Vernunft setzen sie über die Heilige Schrift, oder philosophiren so in Tag hinein, als wüsten sie nichts davon, bedienen sich auch wohl der Redens-Art, das ist theologisch raisoniret, wir raisoniren in der Philosophie gantz anders, als wenn ein Theologe eine andere Vernunft, als ein Philosophe hätte, oder Vernunft und Heilige Schrift einander entgegen. Ein vernünftiger Philosophe hütet sich wohl, daß er die Vernunft mit der Heiligen Schrift nicht vermischet, welches vielmahls geschehen, indem man entweder aus den Grund-Sätzen der  
  {Sp. 2004}  
  Göttlichen Offenbahrung Schlüsse, so zur Vernunft gehören; oder aus den Grund-Sätzen der Menschlichen Vernunft Schlüsse von Geheimnissen des Glaubens geleitet; gleichwohl aber siehet er sich als ein Christ an, und nimmt keinen Ausspruch der Vernunft an, welcher der Heiligen Schrift entgegen, daß wenn ihm selbige auch was bedenckliches an die Hand geben solte, so prüfet er dieses nach dem geoffenbahrten Wort, und unterstehet sich nicht, in Erwegung, daß die Vernunft gar sehr verderbet, selbigem zu wiedersprechen.  
  Wie viele haben sich nicht die Köpffe über der Lehre vom Ursprung des Bösen zerbrochen, und wenn sie sich etwa ein Systema davon im Kopf gesetzet, sind sie unbekümmert gewesen, ob solches der Heiligen Schrift entgegen, oder nicht, in welchem letztern Falle auch die subtileste Speculationes dem Spinn-Gewebe gleichen. Es ist ja einem Philosophen keine Schande, wenn er in Sachen, die nicht auszumachen, seine Unwissenheit bekennet, und so man dieses aus hinlänglichen Ursachen thut, hat man weit mehr Vortheil, als wenn man seine Zeit in vergebenen und unnützen Speculationen zubringet; So ists auch vielmahl mit der natürlichen Rechtgelehrsamkeit ergangen, daß man gemeynet, es habe alles seine Richtigkeit, wie sich etwa die Vernunft eine Sache fürstellet, sie möge übrigens der Schrift entgegen seyn, oder nicht.  
  Diese Freyheit zu gedencken und die darunter versteckte unmäßige Begierde zu Neuerungen rühret aus dem Ehrgeitz her welcher eine Mutter vieler seltsamer, neuer und paradoxer Meynungen wird, als könnte man nicht ehe berühmt werden: und nach erlangtem Ruhm sein Glück in der Welt machen, als wenn man die paradoxesten Dinge statuiret, woraus nach und nach zugleich eine Herrschsucht und dictatorisches Wesen entstehet, gleich als wäre man den Göttern zum Richter über alle Gelehrten gesetzet.  
  Man rühmet sich dessen, und macht sich damit groß, daß man an seinem Orte eine uneingeschrenckte Freyheit zu lehren und zu schreiben habe. Vor Eigenliebe aber sehen sie den Schaden nicht, der mit der Zeit unter den Christen und in der Kirche daraus entstehen kan, besonders wenn sie nicht in ihren Philosophischen Grentzen bleiben, und die Heil. Schrifft als eine wächserne Nase brauchen, die sie drehen und wenden, wie sie wollen, worzu noch zuweilen ein particular Haß gegen die Theologen kommt, die man für päbstisch gesinnete, falsche Propheten, reissende Wölfe ausgiebt.  
Mißbrauch der Bibel Andere haben die Freyheit zu gedencken, insonderheit in Ansehung der Heil. Schrifft, und der darinnen enthaltenen Lehren der Christlichen Religion gemißbrauchet, welches auf eine dreyfache Art geschehen. Einige haben es auf sehr grobe Art gemacht, indem sie alle Geheimnisse aus der Vernunft herzuleiten, und die Wunder aus natürlichen Ursachen zu erklären gesuchet, dabey sie in der That kein ander Absehen gehabt, als daß sie die Heilige Schrift, und deren Göttliche Gültigkeit haben wollen verdächtig machen.  
  Ein Exempel haben wir an des berühmten Locks Schrift, que la religion chretienne est tres raisonable, welches Werck zum andernmahl Frantzösisch unter dem Tiel: le Christianisme raisonable ..., zu Amsterdam 1715 in 8.  
  {Sp. 2005|S. 1016}  
  herausgekommen, eigentlich aber Englisch geschrieben ist, und darüber der Autor insonderheit mit dem Joh. Eduardo Streit gehabt, davon die acta Erudit. ... und Wolff de manichaeismo ante manichaeos ... zu lesen.
  Johann Tolandi Buch: Christiana disciplina mysterii expers, so zuerst zu Londen 1696 ans Licht kam, ist bekannt genung, welche aus drey Sectionen bestehet, in deren ersten er aus der Philosophie zeigen will, was die Vernunfft sey; in der andern lehret er, daß nichts in der Christlichen Religion der Vernunfft entgegen sey, und in der dritten, daß darinnen keine Geheimnisse, oder etwas, so über den Begriff der Vernunfft sey, enthalten, von welchem Werck Mosheim in comm. de vita, fatis et scriptis Jo. Tolandi, die seinen vindiciis antiquae Christianorum disciplinae fürgesetztet ... genauere Nachricht giebet.  
  Man kan auch mit guten Recht den Peter Bayle hieher setzen, welcher hin und wieder den Glauben und die Vernunfft vor zwey unversöhnliche Feinde ausgegeben, und gemeynet, die Einwürffe, so die Vernunfft wieder den Glauben machte, wären unauflößlich, womit er zwar das Ansehen haben wollen, als erhebe er die Heilige Schrifft, der sich die Vernunfft gleichsam ergeben müste; Es gieng aber sein eigentliches Absehen dahin, daß er die Lehre des Glaubens vor unvernünfftig ausgeben wolte, welchen Streit Walch in der histor. logic. ... parergor. acad. kürtzlich berühret hat.
  Peter Poiret urtheilet nicht unrecht von ihm, wenn er in der Vorrede seines Buchs fides et ratio collatae ... schreibet: unde dum rationem videtur supprimere velle, ut fidei soli detur locus, hanc potius pudendum in modum derisit et proculcavit, ut alteram omni molimine in altum eveheret.  
  Im Jahr 1666 kam die bekannte Schrifft: philosophia scripturae interpres zu Eleutheropol, oder vielmehr zu Amsterdam heraus, dessen Autor Ludovicus Meier, ein Medicus zu Amsterdam, sich nicht genennet, u. daher im Anfange verschiedenen beygeleget wurde. Viele schrieben dieses seinem guten Freund dem Spinozä zu: und andere hatten deswegen den Lambertium Welthusium in Verdacht, wie Crenius part. 8. animadvers. phil. et hist. ... berichtet, über welcher Schrifft ein großer Lermen entstunde, davon Leibnitz in dem Discours von der Übereinstimmung des Glaubens und der Vernunfft ... und Wolff de manichaeismo ante manich. ... handeln.
  Und was thun die Socinianer anders, als daß sie die Schrifft nach ihrer Vernunfft drehen, welches ein grosser und gefährlicher Misbrauch.  
  Andere wollen nicht so wohl die Schrifft von ihren Ansehen stossen, sondern vergehen sich vielmehr darinnen, daß sie nach ihrer Vernunfft in Glaubens-Sachen so sehr scrupuliren, und dadurch in allerhand Irrthümer gerathen, wovon man ein Exempel an den Reformirten hat, daß wenn man ihre Gedancken von den mitgetheilten Göttlichen Eigenschafften der menschlichen Natur, und von dem Heiligen Abendmahl ansiehet, sie keinen andern Grund gehabt, als daß die Lehren, wie sie in der Lutherischen Kirchen vorgetragen würden, gantz unbegreiffich wären.  
  So hat man auch an den Cartesianischen Theologen angemercket, daß sie der Vernunfft zuviel in den Göttlichen Dingen ein-  
  {Sp. 2006}  
  räumten, wie unter andern Maresius einen Tractat de abusu philosophiae Cartesianae surrepente et vitando in rebus theologicis et fidei, Gröningen 1670 geschrieben, und der Herr Engelschall hat in den praejudiis de capitibus fidei ... ein besonders Capitel von der Cartesianischen Theologie, worinnen er zeigen will, wie sie ihrer Vernunfft mißbrauchen, und gefährliche Principien in der Theologie hätten. Man will zwar der Cartesianer Parthey nicht nehmen; es ist aber doch dieses gewiß, daß in diesem Streitigkeiten viele Affecten mit untergelauffen, man hat nicht allezeit die Cartesianischen Lehren genau eingesehen, und sie sattsam vorher philosophisch geprüfet, den Unterschied zwischen Cartesio und den Cartesianern, ingleichen zwischen der Cartesianischen Philosophie und deren Verehrer aus den Augen gesetzet, daß wenn etwa ein und der andere Cartesianer was anstößiges geschrieben, so hat man alsbald dieses der Cartesianischen Philosophie, oder den Cartesianern überhaupt beygemessen, welches man sahe, als das oben berührte Buch philosophia scripturae interpres heraus kam, zu geschweigen, daß man wohl selbst in Theologischen Vorurtheilen stecket.  
  Von der Cartesianischen Lehre, daß man alles zweiffeln müsse, will man jetzo nichts gedencken, indem an gehörigen Orte schon gewiesen, wie Cartesius Zweiffeln und Verneinen vermischet: Nimmt man aber das Zweiffeln in rechtem Verstande an, und setzet demselbigen seine gehörigen Grentzen, so hat dasselbige auch in Theologischen Dingen statt. Man muß prüfen, und zwar überhaupt, ob die Schrifft, welche wir vor GOttes Wort halten, die wahre und rechte Offenbahrung, indem sich auch die Heyden und Türcken Offenbahrungen rühmen; hernach insonderheit, ob dieses der rechte Verstand der Schrifft-Stellen, wie man vorgiebt, welches beydes ohne vorhergegangenen Zweiffel nicht geschehen kan.  
  Ist man aber überzeuget, daß die Schrifft GOttes Wort, und daß man den rechten Verstand begriffen, so hat man keine Ursache zu zweiffeln. Gedachter Herr Engelschall setzet in dieser Materie ... an dem Wittichio, einem Cartesianischem Theologo, aus, daß er in der theologia pacifica gelehret, man solte demjenigen nicht Beyfall geben, was man nicht deutlich und distinct begriffen habe, und darauf gesetzet, es fände auch diese Regel in der Theologie Platz, als in welcher man nichts für Göttlich annehmen dürffte, bis man klar und deutlich begriffen, daß es von GOtt geoffenbahret sey.  
  Dieses verwirfft Engelschall und schreibt, die Schrifft selbst, wie auch die uralten symbolischen Glaubens-Bücher wiesen uns in geistlichen Dingen allein auf den Glauben, sie wolten haben, daß was der Heilige Geist in seinem Worte uns klar und deutlich geoffenbahret, darüber solten wir nicht den allergeringsten Zweiffel hegen; allein es scheinet, daß sie hier einander nicht verstehen. Denn Wittichius redet von der Deutlichkeit der Offenbahrung, welche ihre Richtigkeit haben muß, so auch Engelschall selbst in den angeführten Worten gestehet; er aber handelte von der Deutlichkeit der Sachen, die geoffenbahret worden, welche wir glauben müssen, das ist für wahr halten, weil es GOtt gesagt; könten wir sie aber deutlich begreiffen, so wäre kein Glaube nöthig, und der Grund unserer wahren Erkänntniß  
  {Sp. 2007|S. 1017}  
  brauchte nicht das Ansehen eines andern zu seyn, indem die Empfindung selbst vorhanden.  
  Er kommt p. 412. auf die Frage; ob die Philosophie eine Magd von der Theologie sey? und meynet, hierinnen hätten sich die Cartesianer sehr verstossen, daß sie die Philosophie weder der Schrifft unterwerffen, noch eine Dienerin derselben nennen lassen, und nicht zugegeben, daß die Göttliche Offenbahrung viel gewisser sey, als alle Sätze und Schlüsse der Vernunfft, und führt unter andern aus dem Wittichio an, daß er geschrieben: Man halte gemeiniglich darvor, daß die Philosophie eine Magd der Theologie sey; aber dadurch wird die Philosophie allzusehr nieder gedrücket.  
  Man giebet gerne zu, daß sich einige Cartesianer in der Application vergangen, die Frage aber an sich selbst hat nicht viel auf sich. Denn verstehet man die wahre Philosophie, welche sich auf die gesunde Vernunfft gründet, und die wahre Theologie, die aus dem richtig erklärten Worte GOttes fliesset, so kan man keine weder eine Magd noch eine Frau nennen. Denn sie sind zwey Schwestern, davon die eine, als die Theologie nur mehrere Vollkommenheiten hat. So sind zwey Lichter, die beyderseits leuchten, folglich wesentlich einander nicht entgegen sind, ohnerachtet eines weit heller als das andere leuchtet, das ist, die Heilige Schrifft entdecket solche Wahrheiten, davon die Vernunfft entweder gar nichts, oder nur was weiß; nur muß man dasjenige, was die Philosophie selbst lehret, und was ein und der andere Philosophe vorbringt, nicht vor eins halten.  
  Er setzet p. 415. noch weiter aus, daß Cartesius nebst seinem Anhange davor gehalten, der Heilige Geist rede in der Schrifft zum öfftern nicht so wohl nach der wahren Beschaffenheit der Sache, als vielmehr nach der Meynung und dem Vorurtheil der Leute, und berufft sich desfalls auf den Cartesium selbst, welcher responsion. ad object. secund. p. 66. also schreibet: omnibus enim [sechs Zeilen lateinischer Text].  
  Lieset man aber, was vorhergehet, daß in Heiliger Schrifft GOtt Affecten auf menschliche Art beygeleget würden; so erhellet gar leicht, daß hier Cartesius vielmehr darauf zielet, daß GOtt bisweilen menschliche Eigenschafften zugeschrieben würden, um die Sache desto leichter vorzustellen, welches aber mit dem, wenn man sagt, die Heilige Schrifft rede ad captum vulgi, noch nicht einerley ist.  
  Doch ist dieses bey vielen einer angenommenen Hypothesis, sonderlich bey den Engelländern, unter denen sie Burnet in archaeolog. ... und in theoria telluris ... angenommen, auch der Autor des Mosis vindicati ... dessen Gründe aber in den actis erudit. 1695. ... wiederleget worden, und viele andere, von denen mit mehrern Engelcke in Dissert. de sententiis ..., die dem collegio controversiarum recentiorum Schomeriano fürgesetzet ist, zu lesen.
  Wenn man diese Meynung recht beurtheilen will, muß man sehen, was  
  {Sp. 2008}  
  durch den captum vulgi zu verstehen. Bedeutet solches einen Begriff gemeiner Leute von einer Sache, der zwar nicht hinlänglich, aber eben nicht falsch ist, so kan man wohl sagen, daß die Heilige Schrifft ad captum vulgi redet, welches aber nicht angeht, wenn ein falscher Begriff, Irrthum und Vorurtheil darhinter stecket. Es ist kein Zweiffel, daß Cartesius sonderlich in der Physic offt in der Freyheit zu gedencken zuweit gegangen, und allerhand mögliche Dinge vor wahrscheinlich, auch vor gantz gewiß ausgegeben hat: nur muß man vorher die Sache untersuchen, ehe man ihn etwas beschuldiget.  
  Endlich haben welche solche Dinge ausgrübeln wollen, die doch GOtt nirgends, auch nicht in der Heiligen Schrifftt entdecket, als wenn der jüngste Tag kommen werde, was wir würden in jenen Leben für eine Gestalt haben, wo die Hölle sey, an welchem Tage sie erschaffen u.s.w. so noch die subtileste Art vom Misbrauch der Freyheit zu gedencken.  
     

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HIS-Data 5028-47-1980-2-03: Zedler: Verstand des Menschen [3] HIS-Data Home
Stand: 23. August 2016 © Hans-Walter Pries