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Zedler: Uibel HIS-Data
5028-48-564-2
Titel: Uibel
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 48 Sp. 564
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 48 S. 295
Vorheriger Artikel: Vibbestorff
Folgender Artikel: Uibel, heißt in denen Rechten
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden

  Text Quellenangaben
  Uibel, Lat. Malum, wird alles dasjenige genennet, was uns und unsern Zustand unvollkommen macht.  
  Z. E. Die Unwissenheit macht unsern Verstand unvollkommen, und also ist sie böse, und ein Übel. Die Kranckheit macht unsern Leib, und die Armuth unsern äusserlichen Zustand unvollkommen, also sind sie gleichfalls Übel.  
  Das Übel pfleget in drey Arten eingetheilt zu werden: In das Metaphysische (Malum metaphysicum) Moralische (Malum morale) und Physicalische (Malum physicum).  
  Was die erstere Art betrifft, so ist bekannt, daß jedes Geschöpffe an sich einige Vollkommenheiten hat, und also metaphysisch gut ist; ob wohl eines immer besser ist, als das andere. Dieses Gute nun hat bey allen endlichen Dingen seine Schrancken, und diese Einschränckung der Dinge nennet man die Unvollkommenheit oder das metaphysische Übel.  
  Wenn es sich nun fragt, wo diese Art des Bösen ihren Ursprung her habe und ob es GOtt erhalte? so dienet zur Antwort, daß es aus der nothwendigen und wesentlichen Beschaffenheit der Creaturen seinen Ursprung habe, als welche durchaus Schrancken haben müssen, und daß es folglich eben so wenig eines Erhalters bedarf, als es eines Schöpffers von nöthen gehabt.  
  Dieses mit einem Exempel zu erläutern, so sehe man nur auf den menschlichen Verstand. Daß dieser eine Krafft sey, sich das mögliche deutlich vorzustellen, und sich in der That einiges so vorstellet, das ist eine wahre Vollkommenheit, die ihm von GOtt gegeben worden, und von ihm erhalten wird. Daß er sich aber so wenige Dinge deutlich vorstellen kan, die meisten aber verwirrt, dunckel oder gar nicht vorstellet, das machen die Schrancken seiner Krafft oder seine wesentliche Unvollkommenheit, die ihn zu einem endlichem Geiste macht. Diese Schrancken brauchen nun keiner besondern Erhaltung GOttes. Wenn GOTT nur seine Vollkommenheit erhält: So sind die Unvollkommenheiten, als ein metaphysisches Übel schon von sich selbst da.  
  Die andere Gattung des Übels ist das Moralische, nehmlich die bösen Handlungen, die wieder das Gesetz der Natur lauffen: Und dieses fliesset aus dem vorhergehenden. Denn daß der Mensch Böses thut, kömmt daher, weil er es für gut ansiehet. Daß er so falsch davon urtheilet, das kömmt von der schlechten Einsicht in die Natur des Guten und Bösen her; da ihm nehmlich ein undeutliches Erkänntniß betrügt. Sein undeutliches Erkänntniß aber entstehet theils aus den Sinnen, theils aus dem schwachen Verstande. Also kömmt das moralische Übel, aus dem metaphysischem, die Übertretung aus der Unvollkommenheit des Verstandes her. Hat nun diese keines Urhebers und Erhalters vonnöthen, so hat auch das, was darauf folgt, keinen Schöpffer und Erhalter nöthig; und man kan also nicht sagen, daß GOtt an den bösen Handlungen Theil nehme.  
  Aus dem moralischen Übel entspringt das Physicalische, welches in dem Elend und Leiden unter den Menschen bestehet.  
  {Sp. 565|S. 296}  
  Es verschwindet aber die Grösse des metaphysischen Übels unter den Menschen sehr, wenn man seine Gedancken auf das unzählige Gute richtet, was der menschliche Verstand schon erdacht und hervorgebracht hat; und davon der hundert tausenste Theil alles das übertrifft, was alle andere Thiere zusammen genommen leisten. Der Mensch erforschet ja Himmel und Erde; er bauet und schiffet auf erstaunende Weise; er bezwinget die stärcksten, listigsten und geschwindesten Thiere, kurtz er unterwirfft sich die gantze Natur. Denn er brauchet Lufft und Wasser, Erde, und Feuer, Metall, und Felsen, Pflantzen und Thiere, ja die Sterne selbst zu seinen Absichten. Ist nun ein Thier, so zu allen diesen Stücken geschickt ist, ein vollkommenes oder unvollkommenes Thier zu nennen?  
  Das moralische Übel ist nur eine nothwendige Folgerung des vorigen, aber ebenfalls so groß nicht, als es die scharffen Moralisten abzubilden pflegen. Sind nun gleich sehr wenige Menschen recht tugendhafft; so sind auch eben so wenige recht im höchsten Grade boshafft. Die meisten Menschen halten ein gewisses Mittel im Bösen und Guten, und sündigen mehr aus Versehen und Unverstand, als aus Bosheit. Die Vernunfft aber hat, durch Einführung der Gesetze und Obrigkeiten, die Ausübung des Bösen so zu hemmen gewußt, daß man gantz ruhig und friedlich in der Welt leben kan. Siehe George Heinrich Borzens Dissertation de magnitudine ac gravitate mali moralis in genere considerati, Leipzig 1743.  
  Was endlich noch das physicalische Übel, oder das Elend und Leiden unter den Menschen anlangt: so ist selbiges gleichfalls so groß nicht, als man vielmahls vorgiebt. Es giebt überhaupt mehr Gesunde als Krancke, mehr Wohlversorgte als Bettler, mehr vergnügte als verdrüßliche Stunden in der Welt. Das Gute hat also augenscheinlich die Oberhand: Das Böse aber ist offtmahls eine natürliche Straffe böser Handlungen und begegnet uns also mehrentheils durch unsere eigne Schuld. Oft ist es ein Mittel zu einer grössern Vollkommenheit, wie z.E. eine saure Arbeit reich, geehrt und glücklich machen, oder manche Kranckheit, zu desto besserer Gesundheit gereichen kan. Oft ist es auch bey weitem so groß nicht, als man sich es aus übriger Zärtlichkeit einbildet. Endlich sind die hefftigsten Schmertzen gemeiniglich von sehr kurtzer Dauer, die langwierigen aber nicht sehr hefftig.  
  Ausser diesen drey Arten des Übels giebt es noch einige andere die wir kurtz anführen wollen.  
  Hieher gehöret erstlich das Schein-Uibel, oder das vermeinte Uibel, malum apparens, welches eine Unlust bringet, die sich endlich in eine Lust verkehrt. Z.E. der Fleiß eines Anfängers hat nur den Schein eines Übels: Denn ob er gleich anfangs viele Unlust machet, so wird doch diese endlich in eine Lust verkehrt, wenn der Anfänger durch den Fleiß seinen Zweck erreicht. Also hat ein vermeintes Übel keine wahre Unvollkommenheit oder auch wohl eine Unvollkommenheit zum Grunde, die mit  
  {Sp. 566}  
  zur Vollkommenheit des Gantzen etwas beyträgt. Z.E. der Fleiß des Anfängers befördert seine Vollkommenheit, obgleich mit ihm viel beschwerliches verbunden ist.  
  Das wahre Uibel, malum verum, bringet eine unveränderliche Unlust. Z.E. ungesunde Speise ist ein wahres Übel: Denn aus ihr kommt Kranckheit, die nichts als Unlust gewähren kan. Ein wahres Übel ist also in einer wahren Unvollkommenheit gegründet. Als ungesunde Speise macht unsern Leib in der That unvollkommen.  
  Das Uibel des Gemüths, Malum animi, ist dasjenige, wodurch der Zustand unserer Seelen unvollkommener wird, z.E. Unwissenheit.  
  Das Uibel des Leibes, ist dasjenige, wodurch der Zustand unseres Leibes und vollkommener wird, z.E. Kranckheit.  
  Das Uibel des Unglücks oder schlechterdings Unglück, wodurch unser äusserlichen Zustand unvollkommener wird, z.E. Armuth.  
  Das höchste Uibel oder die Unseligkeit des Menschen bestehet in einem stetem Fortgang zu grössern Unvollkommenheiten.  
  Und endlich das natürliche Übel ist, wenn bisweilen einige ausserordentliche Dinge in der Welt erfolgen, die von dem, was ordentlich geschiehet, abweichen. Man kan auch hiervon den Artickel Natürliches Uibel im XXIII Bande, p. 1031. nachschlagen.  
  Das übrige welches hieher gehöret und von dem Übel gesaget werden könnte, ist unter den Artickeln Böse, im IV Bande, p. 392. abgehandelt worden.  
  Es ist also nichts mehr übrig, als daß wir die Erklärung einiger Schrifftstellen hinzufügen.  
  Das Übel bedeutet Jon III, 10. eine grosse und schwere Straffe, mit welcher GOtt die Sünden der Menschen heimsuchet. Dergleichen Übel war die allgemeine Sündfluth, damit GOtt die erste Welt ersäuffete, 1 B Mos. VII, 10;
  Der Feuer- und Schwefel-Regen, mit welchem GOtt Sodom und Gomorra umkehrete, XIX, 24.
  dergleichen es auch am obgedachten Orte bedeutet, nehmlich den endlichen Untergang der Stadt Ninive. Diesen Untergang nennet der HErr ein Übel, nicht als wenn solche Straffe von Natur böse wäre, denn wie kan dasjenige böse seyn, das dem Bösen steuert und wehret, hingegen das Gute befördert? sondern deswegen, weil die Menschen dadurch geplagt und gestrafft werden.  
  Sonst giebt es in dieser Welt dreyerley Übel:  
 
1) Die Sünde, die nicht nur allein vom Satan entspringt, sondern auch den Menschen in Jammer und Noth stürtzet. Wegen dieses Übels schwemmet David die gantze Nacht sein Bette und netzet mit Thränen sein Lager
Ps. VI, 7.
 
und Paulus nennet sich einen solchen elenden mühsamen Mann, den dieses Übel den gantzen Leib voller Schwülen geschlagen,
Röm. VII, 12.
 
2) Alles dasjenige, was uns Übels zu thun locket und reitzet.
 
 
3) Das Straf-Uibel, Creutz und Elend, das auf die Sünden erfolgt.
 
  Im Propheten Hoseas IV, 3. wird gesagt: Es wird allen Einwohnern übel gehen, weil sie sich alle an GOtt mit grossen Sünden vergriffen hatten, und daher auch nach der göttlichen Gerechtigkeit gestrafft werden. Ps. VII, 12. u.f. XI, 6. u.f.
  Darum heisset es allen, denn wer sündiget, der  
  {Sp. 567|S. 297}  
  wird seine Schuld tragen. Im Hebräischen stehet von dem Uibelgehen, das Wort Umlal, welches eine Sache bedeutet, die den Safft und Krafft verlohren hat. Es wird auch von einer verdorbenen Stadt gebrauchet, wie Jerusalem zur Zeit der Babylonischen Gefängniß gewesen, Klaglied. I, 1.  
  David braucht es von sich, und sagt: Ich bin schwach, Ps. VI, 3;
  besonders aber wird es auf Menschen gezogen, die im Kriege, Pest, Hungers-Noth, elendiglich verderben und umkommen, da sie offt wegen Mangel der Hülffe verschmachten und vergehen müssen. Ezechiel IX, 8.
  Man kan den Nachdruck des Hebräischen Wortes nicht recht ausdrücken, daher wird es von dem gebraucht, was ausgehauen, gantz verderbt, und zu Boden geworffen ist, Joel I, 12.
  Dieses solte den Einwohnern des Landes begegnen, und es konnte ihnen nicht unbekannt seyn, denn GOtt hatte solches Übel durch Mosen vorher sagen lassen.  
     

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Stand: 21. Januar 2013 © Hans-Walter Pries