HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Völcker-Recht [3] HIS-Data
5028-50-98-4-03
Titel: Völcker-Recht [Teil 3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 50 Sp. 114
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 50 S. 70
Vorheriger Artikel: Völcker-Recht [Teil 2]
Folgender Artikel: Völcker-Recht (Contract nach dem)
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

vorhergehender Text  Teil 2 Artikelübersicht  

Übersicht
Befugnisse und Pflichten (Forts.)
  Pflichten
 
  Staatsinteresse
  zweierlei Pflichten
 
  absolute
 
  Grundpflicht
  Anerkennung der Majestät
  Anerkennung des eigenen Rechts
  Kirchen-Sachen
  Pflichten der Notwendigkeit
  Pflichten der Bequemlichkeit
 
  allgemeine
  besondere
  Gefälligkeit
 
  Durchzug
  Durchgang der Waren
  Stapel-Recht
  Zölle
  weitere Fragen
  Pflicht der Eingezogenheit und Friedfertigkeit
Geduld
Literatur

Stichworte Text Quellenangaben
Pflichten Gleichwie alle Pflichten des geselligen Lebens überhaupt theils Pflichten gegen sich selbst, theils gegen andere Menschen sind; also müssen auch, nach dem Völcker-Rechte, einem jeden Staate zuförderst gewisse Pflichten gegen sich selbst, und nechst diesen auch gegen andere Völcker, zukommen; indem, gleichwie die Geselligkeit überhaupt, also auch die Geselligkeit der Völcker, die gemeinschafftliche Glückseligkeit derselben, und also eines jeden Staats selbst eigene Glückseligkeit sowohl, als die Glückseligkeit anderer Völcker, zu ihrem Endzwecke hat, ja eben um des eigenen Staats-Interesse willen erfodert, daß ein Staat auch das Interesse anderer Staaten zugleich mit, sich annehme.  
Staatsinteresse Ein jeder Staat muß demnach berechtiget seyn, zuförderst vor seine eigene Erhaltung, Wohlfahrth und Sicherheit zu sorgen. Jedoch da vermöge der Geselligkeit immer ein Staat zu seinem Interesse des andern beytritt und Hülffe vonnöthen hat; dieser aber den bemeldten Zweck seiner Erhaltung, Wohlfahrth, und Sicherheit, darzu er nicht weniger den Beytritt anderer vonnöthen hat, mit gleichem Rechte suchet; so muß unstreitig ein jeder Staat sein Interesse mit dem andern, dessen Beytrag und Hülffe er suchet, in seinen Anschlägen beständig zu verbinden bemühet, u. folglich die fürnehmste Pflicht eines jeden Staats gegen sich selbst diese seyn, vor seine eigene Erhaltung, Wohlfahrt und Sicherheit, auf eine der Geselligkeit der Völcker gemässe Art zu sorgen; damit durch ihrer aller bald hier bald dort zusammen gesetzete Bemühungen auch ihr allerseitiges Interesse gemeinschafftlich befördert werden möge.  
  Hieraus folgert also  
 
1) daß es keinesweges, wie ihrer viele davor halten, zu tadeln sey, daß ein jeder Staat sein Interesse zum höhesten Grunde seiner Rathschläge, und sogar auch der Gerechtigkeit seiner Unternehmungen setze, wenn nur solches Interesse nicht ein falsches, sondern ein wahrhafftes ist, welches kein anderes seyn kan, als das der Geselligkeit der Völcker gemäß ist. Ein jeder Staat muß derowegen
 
 
2) berechtiget seyn, mit allem, was zur Nothdurfft und Bequemlichkeit des menschlichen Lebens nöthig ist, sich zu versorgen, auch, wenn dem Lande etwas zu diesem Zwecke ermangeln solte, Anstalt zu machen, solchen Mangel durch den Überfluß anderer Reiche zu ersetzen, und zwar auf das wohlfeilste und bequemste, als es ihm möglich ist. Daher das natürliche Recht der Commercien erhellet, und daß ein jeder Staat befugt sey, bey allen Commercien mit andern Völckern zu verhüten, daß nicht andere im Handel und Wandel aus seinem Schaden ihren Nutzen ziehen mögen; in dessen Betrachtung das Völcker-Recht eben nicht erfordert, die Commercien, oder den Kaufhandel mit allen auswärtigen Landen sogar frey, und ohne alle Umschränckung zu lassen, son-
 
  {Sp. 115|S. 71]  
 
  dern vielmehr erlaubet, eine nachtheilige Handlung nach Befinden entweder zu sperren, oder doch ihr Ziel und Maasse zu setzen.
 
 
3) Weil ein Volck, so gut als das andere, berechtiget ist, sich auf alle nur persönliche Arten guter Künste, Wissenschafften und nützlicher Gewerbe, zu legen, und sie zu seinem Nutzen zu treiben und auszuüben; so kan kein Volck über das andere mit Recht ein monopolium in Ausübung einer Kunst, oder eines Gewerbes, durch welches etwa viel zu gewinnen ist, sich anmassen. Also kan z.E. kein Staat, welcher Schiffarth und Handlung zur See treibet, dem andern, welcher ebenfals an der See gelegen ist, mit Recht verwehren, auf den grossen von keinem Volcke occupirten Welt-Meeren, dergleichen zu thun, oder ihn zu zwingen, die Waaren vielmehr von ihm zu nehmen, und ihm erst Profit davon zu geben.
 
 
4) Da kein Staat ein Recht haben kan, den andern ohne gnungsame Ursachen anzufallen, und gleichwohl ein jeder, wegen der zu besorgenden unrichtigen Absichten des andern, als an denen es niemahls fehlet, dergleichen immer gewärtig seyn muß; so muß ein jeder Staat das Recht haben, nicht allein wieder alle würckliche Anfälle sich zu beschützen, sondern auch im Frieden selbst immerfort auf den Krieg zu dencken, zu seiner Beschützung sich in guter Positur zu halten, u.s.w. Ja wenn auch ein Staat dem andern rechtmäßige Ursache zum Kriege gegeben, so ist der Beleidiger zwar schuldig, dem Beleidigten billigen Abtrag zu thun, nicht aber, unter solchem Vorwande über die Gebühr sich angreiffen, und gar über den Hauffen werffen, und Cron und Scepter sich nehmen zu lassen.
 
 
5) In allen diesen Stücken ist vermöge der 1 Regel, ein jeder befugt, mit denenjenigen vor allen andern es zu halten, und mit ihnen in Bündniß zu treten, die einerley rechtmäßiges Interesse mit ihm haben, wieder diejenigen, die solchem rechtmäßigen Interesse zuwieder sind.
 
zweierlei Pflichten Die Pflichten der Völcker gegen einander sind, wie die Pflichten eintzelner Personen, zweyerley: Indem ihnen einige schlechterdings und von Natur obliegen, andere aber nur unter der Bedingung eines gewissen willkührlichen Standes, in welchen die Völcker entweder durch Pacte sich eingelassen, z.E. in den Stand der Bündnisse; oder durch ihre Thaten verfallen sind, z.E. in den Stand des Krieges. Die erstern werden officia absoluta, die andern hypothetica genennet.  
absolute: Grundpflicht Jene sind wiederum theils Pflichten der Nothwendigkeit, theils Pflichten der Bequemlichkeit, welche beyde zuförderst diese erste, in der Geselligkeit der Völcker unmittelbar gegründete allgemeine Grundpflicht voraussetzen, daß ein jeder Staat alle andere Staaten, vermöge des Standes der natürlichen Gleichheit, dem Wesen nach als seinesgleichen nehmlich als ebenfals freye Staaten, anzusehen und zu tractiren verbunden sey, welches geschiehet, wenn ein jeder Staat allen anderen eben das Recht, nach ihrem eigenen freien Gutbefinden ihr rechtmäßiges Staats-Interesse sowohl innerlich als äusserlich zu befördern, zugestehet, dessen er sich selbst anmasset; und wenn gleichergestalt ein jeder zu eben denenjenigen natürlichen Pflichten der Geselligkeit der Völcker, zu ihrem allgemeinen besten, sich verstehet, zu denen er will, daß sie  
  {Sp. 116}  
  sich verstehen sollen.  
  Ein jedes Volck hat also das höheste Recht, seine eigene Staats-Verfassung, sowohl innerlich zwischen Regenten und Unterthanen, als äusserlich in Ansehung seiner Verständnisse mit andern Staaten, einzurichten wie es will, auch nach Gutbefinden darinnen Änderung zu treffen: Und kein Volck ist berechtiget, in je einem dahin gehörigen Stücke dem andern etwas vorzuschreiben.  
Anerkennung der Majestät Ein jedes Volck ist also verbunden, die Majestät des andern so, wie sie durch die eigenen Grund-Gesetze eines jeden Reichs festgesetzet ist, oder auch von Zeit zu Zeit durch einmüthigen Willen einer jeden Nation sich verändert, zu erkennen und folglich alle Rechte der Maiestät, ihre Erhebung über alle menschliche Gesetze und Gerichte, ihre Heiligkeit, das Recht Gesetze zu geben, das höheste Recht in Kirchen-Sachen, die oberrichterliche Gewalt, das Recht der Straffen, das Recht Bündnisse zu schliessen, das Recht des Krieges und Friedens, ihr zu zugestehen.  
Anerkennung des eigenen Rechts Alle rechtliche Ansprüche und Urtheile demnach, die der Regent eines Landes in seinem Lande über seine Unterthanen, in Ansehung ihrer Personen, Sachen, oder Verbrechen, gefället, ist ein jedes anderes Volck zum wenigsten vor äusserlich oder bürgerlich gerecht, und zwar in besagtem Lande, zu erkennen schuldig: jedoch nicht eben auch nothwendig in seinem eigenen Lande; indem der Ausspruch von der äusserlichen oder bürgerlichen Gerechtigkeit der Unterthanen sich nicht weiter als auf den Bezirck des Reichs eines jeden Regenten erstrecken kan: Dahero was unser Landesfürst in seinen Landen vor gerecht erkennet, zwar auch von allen andern Völckern, daß es in unserm Lande, und nach unsern Gesetzen recht sey, erkennet werden muß; nicht aber auch auswärtigen Fürsten, daß sie es auch in ihren Reichen gelten lassen sollen, aufgedrungen werden kan; in dessen Betrachtung es sich offt begiebt, daß eine Person in unterschiedenen Landen, in Ansehung ihrer äusserlichen oder bürgerlichen Gerechtigkeit in gantz unterschiedenem Stande sey, und in dem einen Lande vor gerecht und unschuldig, ja ehrloß, mit gleichem Rechte gehalten werde.  
Kirchen-Sachen Aus eben dem Grunde ist, in Ansehung des höhesten Rechts eines Fürsten in Kirchen-Sachen, zwar ein jeder Regent befugt, bey der so grossen Vielheit, und Widrigkeit der Religionen den entscheidenden Ausspruch zu thun, welche Religion in seinen Landen in öffentlichen Kirchen-Gemeinden geübet werden solle, und zu dem Ende, damit man solche Religion von andern widrigen recht eigentlich unterscheiden möge, durch Kirchen-Gesetze gewisse Symbola einzuführen; daher denn eine Art der Rechtgläubigkeit und Irrgläubigkeit in äusserlichen juristischen Verstande entstehet, insoferne nehmlich eine Religion solchen symbolis gemäß ist, oder nicht.  
  Doch da vermöge der natürlichen Gleichheit freyer Völcker einem jeden Regenten dieses Recht in seinen Landen zukommt; so kan keiner die Krafft und Gültigkeit solches seines entscheidenden Ausspruches über die Grentzen seines Reichs ausdehnen; sondern ein jedes Volck ist verbunden, das Recht, das es sich billig nimmt, seine Religion vor eine rechtgläubige zu erkennen, auch andern Völckern in Anse-  
  {Sp. 117.|S. 72}  
  hung der ihrigen zu lassen.  
  Also ist die Erklärung auswärtiger Völcker vor Ketzer auch ausser unsern Landen, da nehmlich ihre Religionen mit unsern durch unsere besondere Kirchen Gesetze eingeführten Symbolis nicht übereinkommen, dem Göttlichen natürlichen Völcker-Rechte zuwider: Immassen andere Völcker an solche unsere Kirchen-Gesetze eben so wenig, als an andere ausländische menschliche Rechte, gebunden sind; in Theologischem Verstande aber gar kein Mensch, sondern GOtt allein Richter seyn kan, was rechtgläubig oder ketzerisch sey, und Menschen solches nur lehren, nicht aber befehlend entscheiden können.  
  Einen Ausländer demnach wegen seiner Religion zur Inquisition und Straffe ziehen, oder gar eine auswärtige Nation wegen ihrer Religion bekriegen, ist in der That nichts anders, als den Ausländer deswegen bestraffen, oder den auswärtigen Staate deswegen bekriegen, weil er nach seinem eigenen Landes-Gesetzen, und nicht nach den unsrigen, gelebet hat. noch künfftig leben will.  
  Im übrigen wenn in zufälligen Dingen, z.E. in Ansehung des Ranges, des Titels, des Ceremoniels, unter einigen freyen Völckern eine Ungleichheit ist, oder prätendiret wird, so ist solche Ungleichheit nicht natürlich, sondern willkührlich, und muß dahero aus ausdrücklichen oder stillschweigenden Pacten dargethan und gerechtfertiget werden.  
Pflichten der Notwendigkeit Gleichwie die Pflichten der Nothwendigkeit aller Menschen gegen einander darinnen bestehen, daß nicht allein keiner dem andern einigen Schaden oder Leid zufüge, sondern auch jeder vielmehr alles, was er neben der Sorge vor seine eigene Erhaltung und Beschützung zur nothdürfftigen Erhaltung und Beschützung anderer beytragen kan, willig beyzutragen; mithin nicht allein zu unnöthigen Kriegen nicht Anlaß zu geben, sondern auch die gemeine Ruhe, und ein gutes Vernehmen der Völcker unter einander, aus allen Kräfften erhalten zu helffen; auch, wenn dieser heilsame Zweck durch unruhige und herrschsüchtige Völcker, die da gerne kriegen, gehindert werden solte, zu Behauptung der gemeinen Sicherheit und Ruhe nach Befinden muthige Rathschläge zu fassen, und der gemeinen Gefahr mit vereinigten Kräfften entgegen zu gehen.  
Pflichten der Bequemlichkeit Die Pflichten der Bequemligkeit der Menschen gegen einander können überhaupt in viererley Hauptarten abgetheilet werden, nehmlich in die Pflichten der Gefälligkeit, der Bescheidenheit, der Friedfertigkeit, der Gedult. Zu denenselben sind demnach auch freye Völcker durch ihr oberstes natürliches Grundgesetz der Geselligkeit einander verbunden. Auch sind solche Pflichten, unter freyen Völckern sowohl, als unter einzelnen Personen, wiederum zweyerley, nehmlich theils allgemeine, theils besondere.  
allgemeine Die allgemeinen sind die Pflichten der Gefälligkeit, Bescheidenheit, Friedfertigkeit und Gedult, die zu den gemeinen Zwecken, aller Völcker bequem und dienlich sind, und die also alle Völcker allen andern, mit denen sie auch nicht in besonderer Verbindung stehen, zu erweisen verbunden sind.  
besondere Die besondern hingegen sind die Pflichten der Gefälligkeit, Bescheidenheit, Friedfertigkeit und Gedult, die ein Staat dem andern, krafft einer genauern Verbindung, in welcher sie mit einander in beyderseiti-  
  {Sp. 118}  
  ger Absicht auf ihr besonderes Staats-Interesse, als besondere Freunde und gute Alliirte stehen, zu leisten verpflichtet ist.  
Gefälligkeit Unter den Pflichten der Gefälligkeit der Völcker sind die fürnehmsten, die man insgemein mit Grotio L. II c. 2 §. 11 nicht übel officia innoxiae utilitatis nennet, da man nehmlich denjenigen Gebrauch seiner Sachen, der dem andern ohne allen Schaden des Eigenthums-Herrn nützlich seyn kan, ihm willig vergönnet; indem, gleichwie überhaupt ein Mensch dem andern zu aller Gefälligkeit nur in soweit verbunden ist, als er sie ihm ohne seine eigene Unbequemligkeit leisten kan, also auch die Pflichten der Gefälligkeit der Völcker ihnen nur unter solcher Bedingung obliegen, folglich nach dem Unterschiede der Umstände auch wohl versaget werden, und also mit keinem Rechte schlechterdings erzwungen werden können.  
  Diejenigen Gefälligkeiten demnach, die ein Volck dem andern, augenscheinlich ohne allen Schaden und Unbequemligkeit erweisen kan, soll billig kein Volck dem andern versagen. Wenn hingegen eine gefoderte Gefälligkeit mit einer Unbequemlichkeit des leistenden verbunden seyn solte; so können die Völcker, sie einander zu leisten, nicht anders als unter der Bedingung verbunden seyn, insoferne derjenige, der dergleichen Gefälligkeit fodert, den damit verbundenen Schaden ersetzen kan und will.  
  Weil nun in diesem Puncte keiner von beyden dem andern seinen Ausspruch und Urtheil aufdringen kan: So müssen diese Pflichten der Gefälligkeit der Völcker allenfalls durch Pacte ausgemachet werden, und hierdurch die Eigenschafft vollkommener Pflichten erlangen; ausser dem können sie, wenn man die wahrhafften Fälle der Noth ausnimmt, nicht erzwungen, sondern nur mit Bescheidenheit von beyderseitigem guten Willen gesuchet und erwartet werden.  
Durchzug Hieraus können unterschiedene streitige Fragen entschieden werden. Die erste ist, ob ein Volck dem andern den Durchzug durch sein Land zu gestatten verbunden sey? Von dem Durchreisen einzelner Personen ist, ausser den Pest-Zeiten, wohl wenig Zweifel; desto grösser aber von dem Durchzuge gantzer Regimenter oder Kriegesheere, welchen einander zu verstatten, Grotius L. II c. 2 §. 13 die Völcker vor schuldig hält; dieweil die Einführung alles Eigenthumes mit Vorbehaltung des unschuldigen Gebrauchs, der andern nützlich, und dem Eigenthums-Herrn unschädlich sey, geschehen.  
  Ja er hält diese Pflichten der Völcker sogar vor eine vollkommene, die im Fall der Verweigerung erzwungen werden könne: Postulandum prius transitum, sed, si negetur, vindicari posse. Hingegen ist Ziegler ad Grot. d.I. und Strauchius de domin. ... gantz anderer Meynung, und zwar freylich mit mehrerm Grunde, wegen der bey solchen Durchzügen zu besorgenden Unsicherheit und Schäden, theils von Seiten des durchziehenden Heeres selbst, theils von Seiten des Feindes, wieder den das Heer ziehet, als welcher den erlaubten Durchzug entweder vor eine Feindseligkeit aufnehmen, oder wenigstens sich gleiches Rechts bedienen, seinem Feinde in unserem Lande entgegen gehen, mithin den Sitz des Krieges in unser Land, zu dessen unersetzlichen Schaden, spielen könnte: Mit welcher, und vieler andern Ge-  
  {Sp. 119.|S. 73]  
  fahr und Schaden eine Pflicht der Gefälligkeit so schlechterdings als eine vollkommene Pflicht zu fodern, augenscheinlich unbillig wäre.  
  Zwar wendet Grotius ein: Jus meum metu tuo non tollitur, eoque minus quia sunt rationes cavendi. Allein vors erste setzet Grotius ohne Grund voraus, daß dißfalls ein vollkommenes Recht, welches nehmlich durch die Furcht des andern nicht hinweg fallen könne, vorhanden sey. Zum andern zeigen eben die rationes cavendi, die Grotius noch zulässet, an, daß alle zuverläßliche Gewißheit dieser Pflicht auf freyen Pacten beruhe, und sie ausser denselben nicht so schlechterdings gefodert werden könne: Es wäre denn ein Fall der äussersten Noth vorhanden, als welche kein Gesetze hat.  
Durchgang der Waren Die andere Frage ist, ob ein Volck, den Durchgang der Waaren durch seine Lande dem andern zugestatten, durch das Völcker Recht verbunden sey ? welche Grotius l.c. ebenfalls bejahet: Neque vero [folgen fünf Zeilen lateinischer Text]: Welche Meynung aber Pufendorf J.N. ... ebenfalls nicht unbillig in Zweiffel ziehet. Denn obgleich kein Volck dem andern verbieten kan, mit allen auch weit entlegenen Völckern Handlung zu treiben; so kan doch auch uns gleichergestalt niemand verbieten, dergleichen zu thun, und also, da von Natur ein jeder sich selbst der näheste ist, entweder eine Handlung, die von andern Völckern durch unser Land mit Benachtbarten getrieben wird, lieber an uns zu ziehen, und den damit verbundenen Profit lieber selbst zu suchen, als andern durch Verstattung des Durchzugs darzu behülflich zu seyn; oder doch, wenn solches sich nicht wohl thun lässet, zum wenigsten einiges Nutzens von den durchgehenden Waaren durch geschickliche Mittel uns theilhafftig zu machen.  
  Was das erste betrifft, so ist Grotius §. 24 selbst nicht in Abrede, quod lucrum alter alteri praevertere licite possit: [folgen sechs Zeilen lateinischer Text].  
Stapel-Recht Auf dem andern Punct, da man nehmlich von den durchgehenden Waaren doch einigen Nutzen zu suchen berechtiget ist, beruhet unter andern das Stapel-Recht, da nehmlich alle diejenigen, die ausländische Waren durch ein Land führen, sie auf einen gewissen Handels-Platz, der dieses Recht hat, zuführen, allda ausladen, und entweder eine gewisse Zeitlang zum Verkauf darbieten, oder doch ein gewisses darvor entrichten müssen; in welchem letzteren Falle es jus geranii, das Grauen-Recht, genennet wird, da nehmlich die angegebenen Waaren nur besichtiget, gezehlet, oder gewogen werden, damit den davon zu entrichtenden Zöllen kein Eintrag geschehe. Dahero das Stapel-Recht nicht an allen Orten, die es haben, von einerley Art ist. Strauch de domin. mar. ...
Zölle Die dritte Frage, ob man auf die durchgehenden Waaren Zölle, oder ande-  
  {Sp. 120}  
  re Abgaben zu legen befugt sey, ist aus dem angeführten leicht mit ja zu beantworten, zumahl wenn der Durchgang zu Lande, oder auf den Flüssen geschiehet; indem zu Lande auf solchen Durchgang öffentliche Land-Strassen gehalten werden müssen; die Flüsse aber dem Lande durch Abspühlung und Überschwemmung zum öfftern Schaden thun, auch offt einen kostbaren Bau an Dämmen erfodern, dahero die Ausländer, die sich derselben zu ihrem Nutzen und Bequemlichkeit bedienen, etwas beyzutragen billig angehalten werden.  
  Ob aber auch in denen Meer-Engen denen vor einem Lande vorbey segelnden Schiffen Zölle auferleget werden können, scheinet allerdings etwas zweiffelhaffter zu seyn. Wenn zum Nutzen der Seefahrenden etwas aufgewendet und gethan wird, z.E. wenn gewisse Zeichen, wo die Fahrt sicher sey, gehalten, oder die Gegenden vor den Seeräubern beschützet werden; so ist die Frage sonder Zweiffel zu bejahen. Wo aber nichts dergleichen geschiehet, da hält Pufendorff L. III ... gar recht davor, daß dem ungeachtet kein Grund vorhanden sey, warum ein Volck des natürlichen Vortheils seiner Landes Gegend, und des an dieselbe stossenden von ihm occupirten Gewässers, sich nicht zu seinem Vortheil solle bedienen, und, da es nicht gar, wie es nach Beschaffenheit der Umstände vermöge des vorhergehenden zu thun berechtiget, einen Stapel anleget, warum es nicht zum wenigsten von der Schiffahrth und Handlung durch sein Gewässer so schier etwas solle fodern können, als andere Völcker vor die Durchfart durch ihre Lande.  
weitere Fragen Die übrigen Fragen, ob und in wie weit ein Volck denen Fremden einen Aufenthalt im Lande zu verstatten, die Schiffahrenden anländen, und sich mit Lebensmitteln versehen zu lassen, verbunden sey, ferner in wie weit den Fremden, sich bey uns, und den unsrigen sich bey ihnen wohnhafft niederzulassen, ihr Vermögen mit sich zu nehmen, und ihre Erbschafften abzufodern, ingleichen beyderley Bürgern sich unter einander zu verehligen, zu verstatten sey, u.s.w. sind ebenfalls leicht zu entscheiden, wenn man die anfangs gesetzten Gründe erweget; daß ein Volck alle Gefälligkeit, die es ohne seinen Schaden dem andern erweisen kan, ihm zu erweisen schuldig sey; wenn aber Schade dabey seyn solte, nicht anders als gegen billige Ersetzung desselben; daß jedoch diese Pflicht der Völcker, als eine Pflicht der Bequemligkeit, eine unvollkommene sey, und also, wenn man sie zu erzwingen ein Recht haben wolle, solches Recht durch Pacte erlanget werden, oder auf einen Augenscheinlichen Nothfall sich gründen müsse.  
  Wenn ein Volck dem andern einen Dienst, den es nach den Gesetzen der Gefälligkeit nur gegen eine billige Gegenleistung dem andern zu erweisen schuldig wäre, entweder ohne diese letztere ihm leistet, oder nur ohne sie als eine vollkommene Pflicht sich zu bedingen; so ist es eine Wohlthat der Völcker, welche als eine vollkommene Pflicht schlechterdings erzwingen zu wollen, die gröste Ungerechtigkeit wäre, bevorab da es einem Volcke weder möglich, noch zuzumuthen ist, allen Völckern gleiche Wohlhaten oder Gunst-Bezeigungen zu erweisen, und es also keine Folge ist, daß, wenn ein Volck einem andern diese oder jene Gunst-Bezei-  
  {Sp. 121|S. 74]  
  gung erwiesen, andere eben dergleichen von ihnen zu erheischen berechtiget wären.  
  Ein anderes ist von den gemeinen Gefälligkeiten zu sagen, die ein Volck allen andern Völckern ohne Unterschied erweiset; Denn ein Volck allein von solchen auszuschliessen, kan nicht leicht anders als vor eine Beleidigung aufgenommen werden, Grot. L. II. ... wobey jedoch Böcler nicht unrecht erinnert, daß die Zeiten und Conjuncturen sich offt dergestalt ändern können, daß man ein Volck keiner Ungerechtigkeit beschuldigen könne, wenn es das, was es bisher allen Ausländern ohne Unterschied verstattet habe, hinführo nur etlichen erlaube.  
  Im übrigen obgleich freye Völcker, so gut als einzelne Personen, in Ansehung derer, mit denen sie eine besondere Freundschafft und Verständnis unterhalten wollen, eine gerechte und kluge Wahl zu treffen haben; so ist doch der Billigkeit gemäß daß in Staats-Sachen die Betrachtung des gemeinen besten der Betrachtung auch der genauesten Blutsfreundschafft, die sonst unter einzelnen Personen einen billigen Vorzug zur genauern Freundschafft vor andern giebt, vorgezogen werde. Vor erwiesene besondere Wohlthaten sind zwar die Völcker einander zu gebührender Danckbarkeit verbunden; nicht aber, unter diesem scheinbaren Vorwande von eigennützigen mächtigen Wohlthätern sich unterdrücken zulassen  
Pflicht der Eingezogenheit und Friedfertigkeit Vermöge der Pflicht der Eingezogenheit und Friedfertigkeit sind die Völcker verbunden, einander wegen ihrer unterschiedenen Sitten nicht zu verhönen, vielweniger gar, um alle Geselligkeit beständig aufzuheben, einander vor Barbarn, vor Erb-Feinde, u.s.w. zu schelten; Wegen ihrer mancherley Religionen einander nicht zu verketzern; einander nicht ohne Noth Ombrage oder Verdacht zu erwecken, u.s.w.  
Geduld Endlich von der Gedult der Völcker gegen einander ist alles das, was von der Gedult überhaupt zu sagen ist, ebenfalls zu verstehen.  
Literatur Die Autores welche von dem Völcker Rechte insbesondere gehandelt, sind:
  • Grotius de jure belli et pacis, ... und ...
  • Rachel in Diss. de jure gentium,
  • Kulpis in Collegio Grotiano p. 18.
  • Huber de jure civit. ...
  • Richard Zouchäus in juris et jutlicii fecialis, ...
  • Textor in Synopsi juris gentium;
  • Joh. Ludewig Praschius in disquisitione de jure gentium.
  • Pufendorf in jure naturae et gentium ...
  • Buddeus in element. philos. pract. ...
  • Willenberg in Siciliment. jur. gent. prudent. ... u.ff.
  • Glafey in seinem Vernunfft- und Völcker-Rechte.
  • Joh. Joachim Zentgravius in comment. de origine, veritate et obligatione juris gentium,
  • Gröning in Biblioth. juris gen.
  • Joh. Adam Ickstätt in Element. Jur. Gent. Wittenb. 1740. in 4.
  Hieher gehöret auch
  • Leibnitzens Codex juris gentium diplomaticus Hannover 1693. in Fol. ingl.
  • Ejusd. Mantissa Codicis Jur. Gent. Diplomat. Hannover 1700. in Fol.
  • Walchs philosophisches Lexicon
  • Kemmerichs Academie der Wissenschafft, 3. Eröfn.
  • Thomasius in Fundam. Jur. Nat. et Gent.
  • Müllers Philos. Wissensch. III. Th. ...
  Siehe auch den Artickel: Natur-Recht, in XXIII Bande, p. 1192. u.ff.  
     

vorhergehender Text  Teil 2 Artikelübersicht  

HIS-Data 5028-50-98-4-03: Zedler: Völcker-Recht [3] HIS-Data Home
Stand: 23. September 2013 © Hans-Walter Pries