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Zedler: Wesen [3] HIS-Data
5028-55-742-2-03
Titel: Wesen [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 55 Sp. 759
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 55 S. 395
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Folgender Artikel: Wesen eines Dinges
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Übersicht
[Widerspruch gegen Wolff]
[Bülfinger]
[Literatur]

Stichworte Text Quellenangaben 
Widerspruch gegen Wolff In dem von der Theologischen und Philosophischen Facultät zu Jena an den Hochf. Eisenachischen Hof, abgestatteten Berichte von der Wolffischen Philosophie, unterm 6. Decemb. 1725. welcher in des Herrn Veramanders partheyischen und der Wahrheit nachtheiligen Historico, p. 106. u.f. zu befinden, wird in der in diesem Berichte angehängten Beylage, folgendes, wider des Herrn Wolffs Meynung von dem Wesen der Dinge gesaget; und zwar sub no. 7. da es also lautet:  
  Wobey denn zugleich auch dieses zu gedencken, daß nach diesen Principiis das Wesen der erschaffenen Dinge bloß in dem Göttlichen Verstande gegründet seyn, keinesweges aber von dem Göttlichen Willen dependiren solle. Welche Meynung zwar zu den alten Zeiten der Anaxagoras und Aristoteles gehabt, gleichwohl aber der Heil. Schrifft, (Ps. CXV. 3. Ps. CXV. 6. Prov. XVI. 4. Röm. XI. 36. Col. I. 16. und sonderlich Eph. I. 11. und Apocal. IV. 11) schnur stracks zuwider, und dahero von denen Scholasticis sowohl (v. 9. Thom. Aquin. Summ. P. II, q. 19. a. 4. et 5. it. Conimbric. in Lib. VIII. Phys. c. 1. q. 5. art. 1. et 2.) als auch unsern Theologis, als irrig und schädlich verworffen worden. (vid. Calov Tom. III. Syst. art. V. c. 1. p. 896.)  
  Doch wird zu deren vermeyntlichen Behauptung nicht allein die aus der Aristotelischen Philosophie insgemein beybehaltene Regel: Essentiae rerum sunt aeternae  
  {Sp. 760}  
  in einem gantz andern Verstande, als bey Christlichen Theologis und Philosophis gewöhnlich, (als welche damit weiter nichts zugeben, als daß weder das Wesen einer Sache ohne die Sache, noch diese ohne jenes seyn könne,) urgiret, sondern auch das Wesen in der Möglichkeit gesetzet, und dann, weil, was möglich, freylich nicht auch zugleich unmöglich seyn kan, durch eine handgreifliche fallaciam a dicto secundum quid ad dictum simpliciter, das necessario possibile pro necessario simpliciter angenommen und ausgegeben; denenjenigen aber, welche glauben, daß das Wesen der Dinge von GOtt und seinem Willen dependire, oder, nach dem Wolffischen stylo essentias arbitrarias statuiren, bald eine grobe Ignorantz, als ob sie nicht wüsten, was in allen Schul-Büchern stünde, bald Socinianismus, bald gar Spinozismus, imputiret.  
  Ferner sub no. 28. da es also heisset:  
  Da nun diese und andere dergleichen Sätze so beschaffen, daß sie bey der Christlichen Lehre unmöglich bestehen können; so ist leicht zu erachten, mit was Grund Herr Hofrath Wolff sich auf den Consens derer bewährtesten Theologen derer drey im Römischen Reiche hergebrachten Religionen beruffen möge. Dieses thut er 28.) zum öfftern und mit der grösten Dreistigkeit, wenn er, vorgedachtermassen behaupten will, daß die Wesen der Dinge als ewig, nothwendig und unveränderlich, von dem Willen GOttes keinesweges dependiren, sondern nur in dem Göttlichen Verstande gegründet seyn; daß er auch vorgiebt, es wäre solcher Consens derer drey Reichs-Religionen bey allen denenjenigen, welchen es nur nicht an der Historischen Nachricht fehlete, gantz ausgemacht, und dabey die in seinem Systemate gantz veränderte moralitatem objectivam als mit jener Meynung verwandt anführet, (Comment. luculent. §. 12. p. 31. sq. Monit. ad eam §. 15. p. 31. sq. Anmerckungen über die Metaph. §. 18. p. 31. etc.)  
  Gleichwohl hätte er aus der historia philosophica eine gantz andere, und zwar wahre und gründliche Nachricht erhalten können, wenn er des in dergleichen Dingen ungemein erfahren gewesenen und auch von dem Hrn. von Leibnitz selbst sehr hoch gehaltenen Jacob Thomasii dilucidationes Stahlianas über den aus der Platonischen und Aristotelischen Philosophie von denen Scholasticis, wiewohl in einem gantz andern Verstande, beybehaltenen Canonem: Essentiae rerum sunt aeternae, (Disp. 1. reg. 6.) nachlesen mögen.  
  Da würde er insonderheit gefunden haben, daß, was er in seiner Commentatione luculenta, (l.c.) von dem Streit der Thomisten und Scotisten angeführet, als ob die Thomisten denen essentiis rerum eine ewige Realität und Actualität zugeeignet, gantz irrig und verkehrt sey; indem zwar Scotus, Henricus Gadavensis, Thomas Braduardinus und andere gelehret haben sollen, daß die Wesen der erschaffenen Dinge ausser GOtt ewig wären, auch dergleichen Meynungen zu Paris 1226. und 1240. verdammt worden, denen aber die Thomisten so gar nicht  
  {Sp. 761|S. 396}  
  ergeben gewesen, daß sie nicht allein das Gegentheil gelehret sondern auch, daß nicht einmahl Scotus dergleichen gethan, dann und wann behaupten wollen.  
  Und hiervon giebet auch der bekannte Jesuit und Metaphysicus Franciscus Suarez (Disp. XXXI. Metaph. Sect. 2) gar deutlich Nachricht, wenn er von dem Scoto unter andern folgende Worte führet: Igitur hac in parte Scotus nobiscum convenit, in principio posito, quod essentiae creaturarum, etiamsi a Deo sint cognitae ab aeterno, nihil sunt, nullumque verum esse reale habent, antequam per liberam Dei efficientiam illud recipiant; bald hernach aber von denen Lehrern der Römischen Kirche überhaupt, und von dem Thoma Aquinate insonderheit, mit folgenden Worten zeuget:  
  Nec potuit in mentem alicujus Doctoris Catholici venire, quod essentia creaturae ex se, et absque efficientia libera Dei, sit aliqua vera res, aliquod verum esse reale habens, distinctum ab esse Dei, quod tandem fatetur expresse Copreolus c.l. allegans verba D. Thomae, qu. III. de potentia, 5. ad 2. ubi sic ait. Ex hoc ipso, quod quidditati esse tribuitur, non solum esse, sed ipsa quidditas creari dicitur, quia, antequam esse habeat, nihil est, nisi forma in intellectu creantis, ubi non est creatura, sed creatrix essentiae.  
  Worauf er auch aus denen Patribus ausführet, daß alles, so von GOtt nicht erschaffen, entweder ein GOtt, oder nichts seyn müsse; daher Herr Wolff gantz unrecht daran ist, wenn er (in Monit. ad Comment. luc. l.c.) die Theologos Romanae Ecclesiae in universum omnes auf seine Seite ziehen will, als ob sie geglaubet, oder noch glaubeten, daß die Wesen der Dinge schlechterdings von dem freyen Willen GOttes nicht dependireten, sondern nothwendig, und also unerschaffen wären.  
  Wenn er sich aber 29) auch auf die Theologos unserer Evangelisch-Lutherischen Religion, und sonderlich diejenigen beruffet, welche die moralitatem objectivam annehmen, als wenn man diese nicht statuiren könne, wenn man nicht läugne, daß das Wesen der erschaffenen Dinge von GOttes Willen dependire: So widerspricht ihm unter vielen andern B. Velthemius, der bekannter massen vor nur gedachte moralitatem objectivam auf dieser Universität am allermeisten und eifrigsten gestritten, auch in der scholastischen Theologie und Philosophie vor andern geübet gewesen, gantz offenbarlich, wenn er (Metaph. axiomat. p. 47.) spricht:  
  In notationem vocamus, quod philosophi ac theologi, quorum Sententiam communem nunc tuemur, nunquam negaverint, nec unquam negaturi sint, quod rei creatae essentia sit a voluntate creatoris, hoc scilicet sensu, quia Deus rem creatam produxit.  
  Und ferner: (p. 48.) Igitur haec duo inter se non pugnant, verus homo nequit esse verus homo nisi per hoc, quod sit animal rationale; et verus a Deo ejusque libera voluntate dependet; ingleichen: (p. 49.) Quando de essentiae immutabilitate agitur, nulla plane quaestio est de eo, unde, h.e. a quonam tanquam caussa efficiente, sit essentia rei? Sed solummodo quaestio est de ratione formali, sive  
  {Sp. 762}  
  de hoc, per quidnam haec vel illa res, v.g. homo, possit esse verus homo?  
  auch insonderheit, wenn er noch vorher, (p. 33.) als eine Grund-Wahrheit oder axioma setzet: Quicquid habet propriam essentiam, habet etiam propriam existentiam, und solches daraus bestätiget, daß essentia und existentia würcklich oder in der That nicht unterschieden sind; welches auch insgemein von denen Metaphysicis bey Erklärung des von Herrn Hof-Rath Wolffen so hoch urgirten principii: Essentiae rerum sunt aeternae, präsupponiret, und solches in keinem andern Verstande angenommen wird, als daß das Wesen einer Sache mit der Sache selbst unzertrennlich, und dergestalt verknüpffet sey, daß weder das Wesen ohne die Sache, noch die Sache ohne das Wesen seyn könne; gleichwohl aber dem Wolffischen Systemati gantz und gar entgegen stehet, als in welchem das Wesen von GOttes Willen nicht herkommen, sondern ewig und nothwendig seyn, hingegen die Würcklichkeit oder Existentz allein von GOttes Willen dependiren, nicht ewig, sondern zeitig, und zufällig seyn soll, mithin unter diesen beyden allerdings ein würcklicher und zwar gewaltiger Unterscheid gemachet wird.  
  Es könnte aber die vorgegebene Independentz aus denen Systematibus allerseits Theologorum sonderlich auch der Reformirten, überflüßig widerleget werden; indem nicht leicht einer zu finden seyn wird, der anders gelehret, als daß GOtt alle Dinge lediglich nach seinen freyen Willen erschaffen habe, wenn man dieses auszuführen für nöthig hielte.  
  Endlich sub no. 31. da es also heisset:  
  Wenn auch Herr Hof-Rath Wolff diejenigen, welche seiner gantz ungegründeten Meynung, daß das Wesen der Dinge in ihrer Möglichkeit bestehe und von GOttes Willen keinesweges dependire, lieber gar des Spinozismi verdächtig machen möchte, und dahero dem Spinozä (Comment. lucul. p. 29.) in folgenden Worten dergleichen Meynung beymisset:  
  Rejicit receptum dogma, quod possibilitates seu essentiae rerum non dependeant a decreto divino, sed in intellectu concipi debeant antecedenter ad decretum ipsum, verum ipsas quoque, perinde ac existentiam, a decreto Dei unice derivat, quum impossibile dicat, quod in eodem non habeatur, ut existat, quia omni caussa cum internatum externa, ad existendum caret: Welches er auch noch mehr, sonderlich p. 31. urgiret: so gründete er sich auf die (p. 20. Comment.) aus des Spinozae cogitationibus metaphysicis angeführte Worte.  
  Nachdem aber genung bekannt, daß derselbe in diesem Buche nicht sowohl seine eigene, als des Cartesii Meynungen erklären wollen; so wären vielmehr folgende in der Ethica Spinoziana (p. 19.) (darinnen er seine eigene hypotheses vorträgt), befindliche Worte zu gedencken: Quare Dei intellectus, quatenus Dei essentiam constituere concipitur, est revera caussa rerum, tam earum essentiae, quam existentiae; immassen daraus gantz klärlich erscheinet, daß Herr Hof-Rath Wolff in vorgedachten Worten dreymal geirret, indem er gesaget:  
 
1) Es sey ein receptum dogma, daß die essentiae rerum nicht von GOttes Willen
 
  {Sp. 763|S. 397}  
 
  dependiren;
 
 
2) Die essentiae wären possibilitates, und endlich
 
 
3) Spinoza habe das vermeynte dogma receptum verworffen, und hingegen die essentias rerum eintzig und allein, unice, von dem göttlichen Rathschlusse hergeleitet, von welchem letztern er auch daher eines gantz andern versichert seyn können, weil ihm nicht unbekannt seyn wird; daß Spinoza eigentlich GOtt keine decreta oder Rathschlüsse zugestanden, sondern alles zu ewigen Wahrheiten machen wollen.
Ludovici vollständige Hist. der Wolffischen Philosophie III Th. p. 109. u.ff. p. 126. u.ff.
Bülfinger Herr Bülfinger in dem ersten Theile der vernünfftigen Erläuterung der Lehre von GOtt, der menschlichen Seele, der Welt und denen allgemeinen Eigenschafften der Dinge, so zu Tübingen 1725 in 4. herausgekommen, setzet das Wesen der Dinge in der Möglichkeit eines Dinges, so ferne dieselbe erkannt wird, und zeiget, daß solche Beschreibung dem Begriff, welchen andere von dem Wesen der Dinge gehabt, nicht widerstreite.  
  Dieses giebt ihm Gelegenheit, den unterschiedlichen Verstand, nach welchem etwas möglich oder unmöglich kan genennet werden, gründlicher als bishero geschehen zu erörtern, um in der Entscheidung der Frage von dem Ursprunge des Wesens der Dinge desto sicherer zu gehen. Es ist bekannt, daß die sogenannten Scholasticker weil sie die ewigen Wahrheiten, der Mensch ist ein vernünfftig Thier, ein Dreyeck ist eine Figur, welche in drey Linien eingeschlossen ist, u.s.w. ohne an ein besonderes ewiges und ein mächtiges Wesen zu gedencken, begreiffen könnten; solche, als ob sie nicht von Gott herrühreten, angesehen.  
  Cartesius habe zwar darinnen wohl gethan, daß er den Grund aller Wahrheit in GOtt gesuchet; Weil er aber, wie bekannt, dem Willen das Vermögen zu urtheilen, und etwas zu bejahen oder zu verneinen zugeschrieben; so habe er die Wahrheiten, welche er alleine dem Göttlichen Verstande hätte unterwerffen sollen, auch dem freyen Willen unterworffen.  
  Poiret habe sich zwar nach seiner Art nicht deutlich genung erkläret, jedoch sey leicht abzunehmen, daß er Cartesio näher komme, als denen scholastischen Lehrern. Da hingegen Herr Leibnitz wohl gesehen, daß sich zwischen beyden Meynungen noch eine, welche die rechte ist, einschieben lasse; nemlich, daß man den Ursprunge der Ideen, Wesen und Möglichkeiten, zwar GOtt nicht entziehe, noch dessen Freyheit und Willkühr solche unterwerfe, sondern dieselbe vielmehr von einer wesentlichen Göttlichen Eigenschafft herleite.  
  Denn also werde zwar nicht eingeräumet, daß das Wesen der Dinge ohne GOtt bestehe; oder daß dieselben von etwas Äusserlichen GOtt fürgeleget werden; oder daß dieselben zugleich mit der Göttlichen Natur, GOtt vollkommen machten; oder als etwas von GOtt unterschiedenes, dem Göttlichen Verstande nothwendig wären: sondern es flössen dieselben aus der Vollkommenheit des Göttlichen Wesens. Ihr Grund und die Ursache warum sie seyn, sey in GOtt. Sie wären nicht nothwendig, wie das Göttliche Wesen selbst, dessen Nothwendigkeit auch dieses mit einschlösse, daß es wahrhafftig sey, sondern verschwänden, so bald als man dieselben ohne, daß  
  {Sp. 764}  
  sie von GOtt herrührten, ansehen wolte. Wer alle diese Sätze nur obenhin betrachte, und sonst nicht gewohnt sey weit nachzudenken, dürfte sich hierbey leicht einbilden, als ob die scholastischen Zeiten wiederkämen, und man dieser Weltweisen schon längst verworfene Grillen wieder erheben und empor bringen wolle.  
  Allein Herr Bülfinger zeiget, daß die Gottesgelahrheit eine gründliche Untersuchung dieser Sätze von der Metaphysick verlange: Ob das Wesen der Dinge ewig und willkührlich sey oder nicht? Denn sey das Wesen der Dinge willkührlich, so sey es GOtt nicht unmöglich, daß er die Eigenschafften eines Wesens, einem andern, diesen entgegen gesetzten Wesen beylegen könnte. So könnte GOtt der Materie die Eigenschafften eines Gewissens, und die Krafft zu gedencken geben, wie Herr Lock geglaubet, darinne ihm auch ehedessen Herr Buddeus gefolget; der aber nachgehends dißfals seine Meynung geändert.  
  Und woher solte man erweisen, daß die Seele des Menschen ein Geist sey? Zu geschweigen, daß die Evangelischen ihren Widersachern nicht füglich antworten könnten; als ob die Lehre von der Verwandelung des Leibes Christi im heiligen Abendmahle, dem Begriff von dem Wesen der Dinge widerstreite, daferne das Wesen aller Dinge willkührlich sey.  
  Eben so könne man auch die Mittel-Strasse halten, wenn die Scholastischen Lehrer das Wesen der Dinge so zur Sitten-Lehre gehörten, für nothwendig hielten: Herr Pufendorf und andere hingegen solche allein auf das Gesetze und Willen des Gesetz-Gebers gebauet. Denn man dörffe nur erst den Schluß des Göttlichen Wesens die möglichen Dinge auszudencken, und deren willkührliche Ausfindung setzen; bald aber annehmen, daß diese ausgedachte Ideen schon etwas moralisches in sich fassen, welchen endlich der Schluß GOttes als des Gesetz-Gebers die vollkommene Moralität gäbe.  
  Es folgen hierauf verschiedene Fragen von der Möglichkeit der Dinge, welche deren Wesen ausmachet; wobey er erinnert, daß man ehedessen denjenigen Spinosä Irthümer zugerechnet, welche nichts vor möglich halten wolten, als was würcklich sey. Hobbesius, Abelard, Wicleff, und andere, hätten schon vorlängst diese Meynung angenommen, weil sie den Willen GOttes mit dessen Allmacht vermischet, und sich eingebildet, was vermöge des Göttlichen Willens nicht geschehen könne, sey auch GOtt, vermöge seiner Macht und Kräffte unmöglich.  
  Hobbesius so wohl als Cartesius erstreckten diesen Begriff auch auf die endlichen Geschöpffe, und hielte insonderheit dieser dafür, daß kein Gedichte so abgeschmackt und geringe sey, daß es nicht einmahl in der allgemeinen Zeit und Raum würcklich fürfallen solte. Ob nun wohl nicht zu zweifeln, daß es Cartesius damit so böse nicht gemeynet, so habe doch Spinosa richtig hieraus geschlossen, wenn dasjenige unmöglich sey, was nicht geschehe; so müste alles was geschehe, nothwendig seyn; wodurch alle Vorsorge GOttes und freyer Wille des Menschen aufgehoben würde.  
  Allein von dieser Meynung wären die neuern Weltweisen weit entfernet, wenn sie sagten: Was in der Welt möglich sey, sey entweder schon geschehen, oder geschehe jetzo, oder werde ins-  
  {Sp. 765|S. 398}  
  künfftige geschehen; indem dieselben nicht sagten, daß dasjenige, was nicht geschehe, schlechterdings unmöglich wäre, sondern nur behaupteten, daß die würckenden Ursachen ihre Kräffte nicht allemahl anbrächten und ausübeten. Verstehe man also, was das Wesen und die Möglichkeit der Dinge sey, so könne man sich einen desto deutlichern Begriff von denjenigen machen, was die Weltweisen, Nothwendig genennet hätten.  
  Nothwendig sey, was unveränderlich wäre, was nicht kan, nicht, noch anders seyn als es sey, da man hingegen dasjenige zufällig nenne, was anders seyn, oder was ohne sich selbst zu widersprechen, anders könne begriffen werden; ingleichen was nicht das eintzige Mögliche in seiner Art sey. Die Nothwendigkeit gehe entweder auf das Wesen der Dinge, oder auf deren Existentz: und daferne das Wesen einer Sache allein möglich sey, so sey das Wesen nothwendig, welches auch schon die Scholastischen Lehrer angemerckt, wenn sie gesaget, daß die Wesen der Dinge nothwendig wären. Denn in dem Wesen, welches von sich selbst sey, gründe sich solche Nothwendigkeit auf nichts anders; dahingegen dieselbe von etwas anders bey denen endlichen Wesen; welche nicht von sich selbst wären, müsse hergeleitet werden. Deutsche Acta Erud. X Th. p. 114. u.ff.
Literatur Man kan hier auch nachsehen
  • Ernst Christ. Schröders Dissertation de aeternitate essentiarum, Wittenberg 1727;
  • ingleichen Daniel Maichels zwey Academische Schrifften de origine essentiarum deque prima possibilitatis radice, Tübingen 1729.
  • Rübels Recht der Natur p. 46.
     

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Stand: 17. Februar 2013 © Hans-Walter Pries