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Zedler: Wille Gottes [2] HIS-Data
5028-57-25-9-02
Titel: Wille Gottes [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 36
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 31
Vorheriger Artikel: Wille Gottes [1]
Folgender Artikel: Wille Gottes [3]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe Personen und Bibel
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden

vorhergehender Text  Teil 1 Artikelübersicht Teil 3  Fortsetzung

Übersicht
I. Abhandlung des Willens Gottes in der ersten Bedeutung. (Forts.)
  5) Eintheilungen des Göttlichen Willens.
 
  (1) entweder natürlich, oder frey.
  (2) entweder absolut oder verordnet.
  (3) entweder vorhergehend, oder nachfolgend, ... begleitend, ... mittlerer Wille

  Text Quellenangaben
  5) Eintheilungen des Göttlichen Willens.  
  Es ist der Wille GOttes:  
 
(1) Entweder natürlich, oder frey. (Naturalis, vel libera)
 
 
  Der natürliche Wille GOttes wird derjenige genennet, der aus der Natur und Beschaffenheit des göttlichen Wesens fliesset, wenn GOtt alles dasjenige will, was er, vermöge seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit, nicht anders kan, als wollen, weil das Gegentheil eine Contradiction involviren würde. Da er z.E. will, daß man ihn fürchte, liebe, und ihm gehorche.
 
 
  Der freye Wille hingegen hat sein Absehen auf solche Dinge, die er, ohne Verletzung seiner wesentlichen Heiligkeit, auch anders wollen könnte, weil das Gegentheil, oder entgegen gesetzte desselben, keine Contradiction involvirte. So hätte GOtt zu der Erschaffung der Welt auch mehr oder weniger, als sechs Tage, erwählen können, wenn er gewolt hätte; So hätte er auch ein ander Land, als Canaan, zu dem Erbtheile seines Volckes erwählen können; So hätte er auch ein ander Werckzeug, als Mosen, zu der Ausführung der Israeliten aus Egypten er-
 
  {Sp. 37|S. 32}  
 
  wählen können. Das alles war ein Werck der Freyheit, ob er gleich seine weisen Ursachen dazu gehabt, daß er also, und nicht anders gehandelt.
 
 
  Das ist die erste Eintheilung, zwischen dem natürlichen und freyen Willen.
 
 
(2) Der Wille GOttes ist entweder absolut oder verordnet. (Absoluta, vel ordinata)
 
 
  Der absolute Wille ist, da GOtt etwas will, ohne einige Bedingung, die den freyen Ursachen vorgeschrieben wäre. Durch diesen absoluten Willen, der mit einer absoluten Allmacht verknüpffet war, hat GOtt die Welt erschaffen. Offenb. IV, 11. Du hast alle Dinge geschaffen, und durch deinen Willen haben Sie das Wesen, und sind geschaffen. Durch diesen absoluten Willen, der an keine Gesetze der Natur gebunden ist, hat er so viel Wunder verrichtet. Und diesen absoluten Willen kan keine Creatur widerstehen.
 
 
  Der bedingte, oder verordnete Wille ist, wenn GOtt etwas unter einer gewissen Bedingung will, oder in Absicht auf eine gewisse Ordnung, die den freyen Creaturen vorgeschrieben ist. So heisset es Psalm LXXXI, 14. Wolte mein Volck mir gehorsam seyn, so wolte ich ihre Feinde bald dämpfen. Das ist ein verordneter Wille, welchen die Menschen widerstehen können. Matth. XXIII, 37. Wie offt habe ich deine Kinder versammlen wollen, wie eine Henne versammlet ihre Küchlein unter ihre Flügel; Aber ihr habt nicht gewolt. So will GOtt, daß alle Menschen selig werden; Er will es aber nicht anders, als unter dieser Bedingung, daß sie die der Busse und Glauben angebotene Gnade annehmen, und derselben nicht muthwillig widerstreben. Dadurch wird GOtt nicht von der freyen Willkühr des Menschen dependent, wie die Reformirten dafür halten, welche den verordneten Willen GOttes nicht zugeben wollen; Sondern er hält nur über seine Ordnung, die er den Menschen vorgeschrieben hat.
 
 
(3) Der Wille GOttes ist entweder vorhergehend, oder nachfolgend; (Antecedens, vel consequens) Worzu einige noch den begleitenden (Concomitantem) und den mittlern (Mediam) Willen setzen.
 
 
  Wir geben zwar den Reformirten zu, daß diese Benennungen keine biblischen Redens-Arten sind; Indessen stehet aber doch die Sache, welche durch diese Redens-Arten ausgedrücket wird, allerdings in der Bibel. Zu dem, so haben sich auch schon die Väter dieser Redens-Arten bedient. Als
 
 
 
  • Johann Damascenus, welcher die Eintheilung in dem vorhergehenden Willen erfunden haben soll,
L. II. de fide orthodoxa ...; Vergl. Acta Synodi Dordracenae ...
 
 
  • Ferner Chrysostomus, welcher nebst andern Kirchen-Lehrern den vorhergehenden Willen den ersten, und den nachfolgenden den andern Willen nennet,
Homil. I. in Epist. ad Ephes.
 
  Bey dem vorhergehenden Willen ist dreyerley anzumercken:
 
 
 
α) Was der vorhergehende Wille unter sich begreiffe? Nehmlich er begreifft den gantzen göttlichen Rathschluß in sich, daß er das Heyl des gantzen menschlichen Geschlechtes, in einer gewissen Ordnung, durch Christum, wiederbringen wolle.
 
 
 
  Dahin gehöret denn
 
 
 
 
(A) die allgemeine Gunst, oder Liebe, des Vaters, da Gott, als er von Ewigkeit her den Abfall der Menschen
 
  {Sp. 38}  
 
 
 
  vorher gesehen, sich derselben aller erbarmet, und den Entschluß gefasset hat, seinen lieben Sohn für sie alle dahin zu geben. Denn er hat keinen Gefallen an dem Tode des Gottlosen,
Ezech. XVIII, 33;
 
 
 
  Sondern er hat die Welt also geliebet, daß er seinen eingebohrnen Sohn gab,
Joh. III, 16;
 
 
 
  Da eine Welt, darinnen einige glauben, andere nicht glauben, und also der ganze Inbegriff des menschlichen Geschlechtes, verstanden wird: Daher er auch will, daß allen Menschen geholffen werde,
1 Timoth. II, 4;
 
 
 
  Und hingegen nicht will, daß Jemand verlohren werde, nach 2 Petri III, 9.
 
 
 
 
  Denn bey ihm ist kein Ansehen der Person,
Apost. Gesch. X, 34.
 
 
 
  Diese allgemeine Gewogenheit GOttes können wir nicht nur aus den jetzt angeführten Sprüchen der Schrifft, sondern auch durch Schlüsse erweisen. Es sind dieselben
 
 
 
 
 
a. von der Natur GOttes hergenommen.
 
 
 
 
 
  Selbst die Natur kan sich GOtt nicht anders vorstellen,
 
 
 
 
 
 
  • als ein allgütiges Wesen, das gerne allen, die in gleichem Elende liegen, helffen wolle;
  • Als ein allmächtiges Wesen, das allen ohne Ausnahme, helffen könne;
  • Als ein gerechtes Wesen, das von aller Partheyligkeit entfernet ist.
 
 
 
 
 
  Es ist die höchste Unvollkommenheit bey Menschen, wenn sie in Ausübung ihrer Liebe und Barmhertzigkeit sich partheyisch beweisen. Was nun bey den Menschen, auch nach dem Natur-Lichte, ein Fehler ist, das kan nimmermehr bey dem Urheber des Natur-Lichts eine Tugend seyn.
 
 
 
 
 
b. Aus der Natur und Gemüths-Art der Gläubigen Kinder GOttes wünschen ernstlich, daß allen Menschen, auch ihre Feinde selig werden möchten,
Röm. X, 1.
 
 
 
 
  Da nun die Kinder GOttes den Sinn ihres himmlischen Vaters haben, so muß dieses allgemeine Verlangen nach aller Menschen Seligkeit auf die erhabenste und vollkommenste Weise anzutreffen seyn. es würde auch sonst folgen, daß elende Menschen eine grössere Liebe und Vollkommenheit des Willens in sich hätten, als GOtt der HErr selbst.
 
 
 
  Hieher gehöret
 
 
 
 
(B) das allgemeine Verdienst des Sohnes, da Christus sich selbst für alle Menschen in den Tod dahin gegeben hat, ihnen allen das verlohrne Heyl wieder zu erwerben.
 
 
 
 
  Es ist aber Christi Genugthuung und Verdienst allgemein, nicht nur in Ansehung der Zulänglichkeit, daß es, seiner Würdigkeit nach, allen und jeden zu statten kommen könnte, wo nicht GOtt ein anders beschlossen hätte, welches auch die Reformirten zugeben; Sondern auch in Ansehung der göttlichen Absicht und Krafft.
 
 
 
  Es gehöret
 
 
 
 
(C) hieher: Die allgemeine Würckung des Heiligen Geistes, da er die allgemeine Liebe GOttes, und das allgemeine Verdienst des Sohnes, in dem Evangelium der gantzen Welt bekannt machet, zu dessen Genuß alle Menschen ernstlich einladet, und alle, die ihm nicht muthwillig widerstreben, zu der Busse und zu dem Glauben zu bringen suchet.
 
 
 
 
  Es sind also die Liebe des Vaters, die Genugthuung des Sohnes, und die Beruffung und Würckung des heiligen Geistes, die drey Handlungen des vorhergehenden Willens Gottes, welche 2 Cor. XIII, 13, beysammen stehen, da es heisset: Die Gnade unsers HErrn JEsu Christi, und die Liebe GOttes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, sey mit euch allen! Alle drey
 
  {Sp. 39|S. 33}  
 
 
 
  sind allgemein.
 
 
 
 
  Der Vater hat die, Welt geliebet,
Joh. III, 16.
 
 
 
  Der Sohn hat die Welt erlöset und versöhnet,
  • 2 Corinth. V, 19;
  • 1 Joh. II, 2.
 
 
 
  Der Heil. Geist bestraffet die gantze Welt,
Joh. XVI, 8.
 
 
β) In welchen Stellen der Schrifft dieser vorhergehende Wille GOttes anzutreffen sey? Wir antworten: In allen den Stellen, in welchen eines göttlichen Vorsatzes und Rathes Meldung geschiehet. Als
 
 
 
 
  • Röm. VIII, 28, heisset es: Die nach dem Vorsatz beruffen sind.
 
 
 
 
  • Ephes. I, 11. proorithéntes katá próthesin, die prädestinirt, oder verordnet sind, nach dem Vorsatz.
 
 
 
 
  • Und Cap. III, 11: katà próthesin tōn aiōnon, nach dem ewigen Vorsatz.
 
 
 
 
  • 2 Timoth. I, 9. Der uns selig gemacht und beruffen hat, nicht nach unsern Wercken, sondern katá tōn idían próthesin, nach seinem Vorsatz und Gnade, die uns gegeben ist in Christo JEsu, vor der Zeit der Welt.
 
 
 
  An andern Orten wird dieser Vorsatz auch eudokía toũ thelēmatos hautoũ das Wohlgefallen seines Willens, genennet,
Eph. I, 5. 9.
 
 
  Desgleichen, boulē toũ thelēmatos, der Rath seines Willens,
Eph. I, 11.
 
 
  boulē toũ Theoũ, der Rath GOttes,
Apost. Gesch. XX, 27, etc.
 
 
  Der Inhalt dieses göttlichen Vorsatzes und Rathschlusses wird Joh. III, 16. ausgedrücket: Daß alle, die an ihn glauben, nicht verlohren werden, sondern das ewige Leben haben
 
 
 
  Joh. VI, 10: Das ist der Wille des, der mich gesandt hat, daß, der den Sohn siehet, und gläubet an ihn, habe das ewige Leben.
 
 
 
  Marc. XVI, 16. Wer da glaubet und getauffet wird, der wird selig. In diesen Worten fasset das Prädicatum: Er wird selig werden, den göttlichen Vorsatz in sich. In dem Subjecto aber: Wer da glaubet, liegen die drey Handlungen des göttlichen Vorsatzes, oder vorhergehenden Willens:
 
 
 
 
 
 
 
  Denn ohne des Heiligen Geistes Würckung, kan kein Glaube entstehen; Der Glaube hat das allgemeine Verdienst Christi zu seinem Gegenstande; Und das allgemeine Verdienst Christi hat aus der allgemeinen Gewogenheit des Vaters seinen Ursprung, der seinen Sohn der Welt geschencket hat. Und also muß das Subjectum also umschrieben werden: Wer durch die Würckung des Heiligen Geistes, den Glauben an den Sohn GOttes, den der Vater, aus einer allgemeinen Liebe, zu einem allgemeinen Heylande der Welt verordnet, in sich anzünden lässet, der soll selig werden.
 
 
 
γ) Warum dieser Wille den Nahmen des vorhergehenden führe? Wir antworten: In Absicht auf die Application, vor welcher er vorher gehet. Dieser Wille könnte auch der generelle Wille genennet werden, weil er die generelle Regel in sich fasset, nach welcher GOtt die Menschen selig machen will: Wer gläubet, soll selig werden. Dabey ist noch keine Application der Regel auf gewisse Subjecta. Wenn aber die göttliche Vorhersehung darzu kommt, und es heißt: Dieser und jener will sich zu dem Glauben an meinen Sohn bringen lassen; So folgt nachgehends der nachfolgende oder specielle Wille: dieser oder jener soll selig werden.
 
 
 
  Der vorhergehende Wille ist also, da GOtt etwas in einer gewissen Ordnung will,
 
  {Sp. 40}  
 
 
  die von den Menschen zu appliciren ist, da er z.E. in der Ordnung der Busse und Glaubens gern alle Menschen selig machen will. Der nachfolgende Wille aber ist, da er etwas in der Ordnung will, die von den Menschen appliciret worden ist. Der vorhergehende Wille macht also insgemein eine Verbindung, zwischen einer gewissen Ordnung und einer gewissen Wohlthat, die in solcher Ordnung ertheilet werden soll. Denn da heisset es: Wer da glaubet, der soll selig werden. Der vorhergehende Wille aber wird er genennet, weil er vor der Ansehung des Glaubens in dem Subjecto vorher gehet: Zwar nicht nach der Ordnung der Zeit, denn in GOtt ist nichts eher, noch später, aber doch nach der Ordnung der Natur. Weil nun dieser vorhergehende Wille GOttes höchst Gnaden-voll ist, so wird daher die gantze Wahl GOttes eine Gnaden-Wahl genennet.
  • Röm.XI, 5. 6;
  • Eph. I, 6.
 
  Was der nachfolgende Wille sey, und warum er so heisse, das kan schon aus dem bisher gesagten erkannt werden. Es wird nehmlich dadurch der würckliche Schluß GOttes verstanden, diesem oder jenem Menschen, dessen beharrlichen Glauben an Christum er vorher gesehen hat, würcklich selig zu machen, und ihn also zu dem ewigen Leben würcklich zu verordnen und zu bestimmen.
 
 
  Der vorhergehende Wille ist general, und heisset: Wer da glaubet, der soll selig werden. Der nachfolgende Wille aber ist particulair, doch nicht aus GOttes, sondern aus der Menschen Schuld. Denn, wo GOtt von einem Menschen vorher gesehen hat, daß er in die Ordnung des Glaubens treten werde, da hat er den Entschluß gefasset: Dieser, jener Mensch, soll selig werden. Wer also nicht in die Ordnung des Glaubens treten will, der hat es sich selber zuzuschreiben, wenn er von dem Genuß der ewigen Seligkeit ausgeschlossen wird. Und dieser nachfolgende Wille heißt eigentlich proorismòs, die Prädestination, oder Erwählung.
  • Röm. VIII, 29. 30.
  • Eph. I, 4, 5. 11.
  • und so weiter.
 
  Es ist der selige Balthasar Menzer, ein Giesischer Theologe, besonders glücklich gewesen, diese drey Handlungen, nehmlich den vorhergehenden Willen, die Vorhersehung, und den nachfolgenden Willen, oder die Wahl, in einen ordentlichen Syllogismus zu verfassen; Da nehmlich próthesis, oder der vorhergehende Wille, den Vörder-Satz, prógnosis den Nachsatz, und proorismòs, oder der nachfolgende Wille, den Schluß ausmachet. Auf diese Weise:
 
 
  Próthesis: Wer da glauben wird, der soll selig werden.
 
 
  Prógnosis: Petrus, Paulus, Jacobus, werden glauben;
 
 
  Proorismòs: Also sollen Petrus, Paulus, Jacobus, selig werden.
 
 
  Es hat diese Erfindung Menzers bey den größten Theologen, als bey
 
 
 
  • Dannhauern, in Hodosophia ...
  • Ovenstedten,
  • Schertzern,
  • Lütken in Colleg. Bibl. ...,
  • bey dem Abt Breithaupt, in Institut. theol. ...
  • u. andern
 
 
  vollkommene Approbation und Beyfall gefunden.
 
 
  Die Arminianer gestehen nicht zu, daß
 
  {Sp. 41|S. 34}  
 
  der vorhergehende Wille derjenige sey, nach welchem GOtt aller Menschen Seligkeit ernstlich und auf gleiche Weise wolle, und Mittel, welche vor alle und jede Menschen, die Seligkeit zu erlangen, zulänglich sind, geordnet habe.
 
 
  Die Reformirten aber haben längst zu erkennen gegeben, daß sie den vorhergehenden Willen für eine blosse Neigung zu wollen (Velleitatem) halten. Viele der jetzigen Reformirten verwerffen diese Distinction der Alten gäntzlich.
Siehe Turretini Institut. Theol. Elencht. ...
 
  Sie machen uns den Einwurff: Nach dem vorhergehenden Willen, wolle GOtt aller Menschen Seligkeit; Hingegen nach dem nachfolgenden Willen wolle er nicht aller Menschen Seligkeit; Das wären ja offenbare widersprechende Willen, die in dem einfachesten Wesen GOttes ohnmöglich statt finden könnten. Wir antworten: Diese beyden Willen sind in GOtt nicht würcklich, sondern nur nach der Weise unsers Begriffes, unterschieden. Ja, solte ein wahrer Widerspruch da seyn, so müsten beyde Actus eben dasselbe Objectum betreffen, das unter eben derselben formalen Beschaffenheit betrachtet wird.
 
 
  Wenn GOtt die, welche bis an das Ende glauben, selig machen und nicht selig machen wolte, das wären widersprechende Willen. Denn da kämen eben dasselbe Object und eben dieselbe Beschaffenheit in Betrachtung. Das ist aber hier nicht. Der Wille GOttes hat der Menschen Seligkeit zu seinem Objecte. Mit diesem Gegenstande beschäfftiget sich der vorhergehende Wille abstractive, ohne Betrachtung des Glaubens, der in dem Gegenstande ist; Der nachfolgende Wille aber beschäfftiget sich mit dem Gegenstande concretive, in Absicht auf den Glauben.
 
 
  Der vorhergehende Wille siehet zwar auch auf den Glauben, aber nur, sofern er die Ordnung der Seligkeit ist; Wer glaubt, der soll selig werden. Der nachfolgende Wille aber siehet auf den Glauben, nicht nur, sofern er die Ordnung der Seligkeit ist; sondern auch, sofern GOtt vorher siehet, daß ein Mensch in diese Ordnung treten, und die angebotenen Kräffte zu glauben annehmen werde. Da ist also kein wahrer Widerspruch anzutreffen.
 
 
  Beyderley Willen, den vorhergehenden und nachfolgenden, finden wir Matth. XXIII, 37. 38. gegründet. Da ist der vorhergehende Wille, da GOtt, der GOtt-Mensch, die Seligkeit des menschlichen Geschlechtes und ihre Bekehrung ernstlich wolte, wie es V. 37. heist: Wie offt habe ich deine Kinder versammlen wollen etc. da ist auch der nachfolgende Wille ausgedruckt; Denn weil er ihren incorrigiblen Unglauben vorher sahe, so kündigte er ihnen die Ausrottung an, und spricht: Siehe, euer Hauß soll euch wüste gelassen werden.
Siehe Johann Musäi Dissertation, de voluntate Dei antecedente et consequente.
 
  Der begleitende Wille GOttes, dessen einige Theologen gedencken, wird also beschrieben, daß er derjenige Wille sey, nach welchem GOtt den Menschen in dem Wercke der Seligkeit begleitet, und den Fortgang und Erfolg seiner Gnaden, nebst der von dem Menschen geschehenden Annehmung, oder Widerstrebung, als eine in der Vorstellung gegenwärtige Sache, ansiehet und betrachtet, wie auch den gantzen Lebens-Lauff der Menschen also einrichtet, daß er diejenigen, wel-
 
  {Sp. 42}  
 
  che die Gnade annehmen, mehr und mehr vollkommen mache, diejenigen hingegen, welche die Gnade hartnäckig und beständig verwerffen, nach Verdienst, mit Entziehung der Gnaden bestraffe.
 
 
  Die Rathschlüsse dieses begleitenden Willens sind folgende:
 
 
 
α) Wenn jemand die zuvorkommende Gnade nicht verstösset, so will ich ihm die bekehrende, und so weiter, geben,
Psalm XXXII, 8. 9.
 
 
β) Ich will allezeit denen grössere Grade der Gnade geben, welche den kleinern nicht widerstehen,
Matth. XXV, 29.
 
 
γ) Wenn einer zurück fällt, und der zuvorkommenden Gnade, die ihn wieder zurück rufft, nicht widerstehet, will ich ihn von neuem bekehren,
Ezech XVIII, 30.
 
 
δ) Denjenigen, welcher mir allzu boshafft und hartnäckig widerstrebet, will ich verhärten, ich will ihm die Gnade, welcher ihn der begleitende Wille theilhafftig gemachet hat, entziehen, und zulassen, daß die Härtigkeit seines Hertzens von Tage zu Tage grösser werde,
Röm. IX, 18.
 
  Die hieher gehörigen Wege GOttes sind:
 
 
 
α) Die beystehende, bekehrende, ziehende, wiedergebährende, gerechtmachende Gnade,
Philipp. II, 13.
 
 
β) Die einwohnende, erneurende, vereinigende, salbende, bestätigende, vollendende Gnade,
Johann. XIV, 23.
 
 
γ) Die Gnade der Wiederkehrung,
Jerem. III, 12. XXXI, 21.
 
 
δ) Die Verstockung und Verblendung,
2 B. Mos. IV, 21, VII, 3.
 
  Sowohl von diesem begleitenden, als auch von der Vereinigung des vorhergehenden und nachfolgenden Willens GOttes, sind in den Unschuldigen Nachrichten von 1702 p. 473 u.ff. schöne Gedancken anzutreffen. In eben diesen Unschuldigen Nachrichten, von 1710, wird p. 759 u.ff. eines Reformirten Theologen, L. Johann Wilhelm de Neve, Dissertatio Epistolico-Paraenetica ... (Franckfurt an der Oder 1710, in 8.) recensiret, und zu Ende folgendes erinnert: Der Verfasser behalte auch den Irrthum, daß der vorhergehende Wille GOttes ungleich sey, da doch die überschwengliche Gnade, in soferne sie überschwenglich sey, auf welche der Verfasser vornemlich sehe, nicht zu dem vorhergehenden, sondern zu dem begleitenden Willen, gehöre. Diesen aber weigere er sich, als einen neu erdachten, anzunehmen; da doch dieses Wort dem seligen Leyser, und andern alten Theologen, sehr gewöhnlich gewesen sey.
 
 
  Es sey aber dieser begleitende Wille nicht das Mittel zwischen den widersprechenden Dingen, des Vorhersehens und Nicht-Vorhersehens, da er vielmehr als etwas unterschiedenes anzusehen sey, und diejenigen Dinge unter sich begreiffe, welche in dem Lauffe der Gnaden von aussen hinzu kommen, und keinen würckenden Einfluß in das Geschäffte der Seligkeit haben, sondern mit demselben von ohngefähr zusammen hängen.
 
 
  Ob nun gleich dieser begleitende Wille vor denen zu bestimmenden Umständen vorher gehe, so sey er doch nicht vor dem Glauben vorhergehend, oder allgemein: Dahero werde derselbe von dem Verfasser, p. 64. unbequem durch denjenigen Willen beschrieben, welcher die Güter des Heyls denen, die zu der Seligkeit zu führen sind, ertheile.
 
 
  Diese Eintheilungen des göttlichen Willens sind auch in den Schulen der heutigen Weltweisen beliebet worden. Wir beruffen und vor allen andern auf den Herrn von Leibnitz.
 
  {Sp. 43|S. 35}  
 
  Denn wenn Bayle, in dem siebenden und letzten der von ihm angeführten theologischen Lehrsätze, die, nach seiner unglücklichen Beurtheilungs-Krafft, der Vernunfft widersprechen sollen, also schreibet:
 
 
  "Er bietet Leuten Gnade an, von denen er weiß, daß sie solche nicht annehmen, und sich, durch dieses von sich stossen, noch strafbarer machen werden, als sie gewesen seyn würden, wenn er sie ihnen nicht angeboten hätte. Er erklärt sich gegen sie, wie er inbrünstig wünsche, daß sie selbige doch annehmen möchten, und er giebt ihnen doch nicht diejenige Gnade, von der er weiß, daß sie sie annehmen würden."
 
 
  So antwortete der Herr von Leibnitz auf diesen Einwurff also:
 
 
  "Es ist wahr, diese Leute werden, durch ihr von sich stossen, noch strafbarer, als wenn ihnen nichts wäre angeboten worden; Und GOtt weiß es freylich: Allein, es ist besser, ihre Laster zuzulassen, als so zu verfahren, daß er selbst tadelhafft werden, und verursachen würde, daß sich die Missethäter mit einigem Rechte beschweren könnten; Indem sie vorwendeten, es wäre ihnen unmöglich gewesen, besser zu leben, ob sie gleich gewolt hätten. GOtt will, daß sie seine Gnade, deren sie fähig sind, empfangen und annehmen sollen; Er will ihnen auch sonderlich diejenige geben, die er vorher siehet, daß sie sie annehmen werden; Allein das geschicht allemahl aus einem vorhergehenden, abgetheilten, oder besondern Willen; dessen Vollziehung im allgemeinen Entwurffe der Dinge nicht allemahl statt finden kan. Dieser Satz gehöret wiederum unter diejenigen, welche die Philosophie nicht weniger, als die Offenbahrung lehret; Sowohl, als drey andere von den sieben, die wir hier angeführet haben: Indem nur der dritte, vierdte und fünfte einer Offenbahrung vonnöthen hat."
 
 
  Herr Professor Gottsched machet hierbey noch folgende Anmerckung:
 
 
  "Herr Bayle treibt hier den Widerspruch zwischen den göttlichen Worten und Thaten mit Fleiß sehr hoch; Gerade, als ob es nicht möglich wäre, eben dergleichen Exempel unter Menschen zu finden; Da er selbst an der Gerechtigkeit des gantzen Verfahrens nichts würde auszusetzen haben. Ein grosser und gütiger König führt sein Kriegsheer ins Feld, weil er einem ungerechten Feinde, der ihn anfällt, entgegen ziehen muß. Er liebt alle seine Soldaten, und erklärt es ihnen ernstlich, daß er nicht gern einen eintzigen von ihnen verlieren möchte. Er könnte auch ihnen allen eine Sicherheit vor dem Tode verschaffen, wenn er sie eintzeln von der Schlacht verschickte, oder es zu einem Treffen kommen liesse. Allein das thut er gerade nicht. Er führt sie wirklich auf die Wahlstatt, und unzählige kommen um. Wer wolte hier sagen, die vorigen Versicherungen des Königes wären nicht ernstlich gewesen? Er hätte es Voluntate antecedente gerne gethan: Allein consequenter konnte und durffte er es nicht thun. Die Wohlfahrth des gantzen Staats erfoderte eine Schlacht. Es würde ein unzeitiges Mitleiden seyn, wenn er, sein Volck zu schonen, dem Feinde alles andere Preiß gäbe. Er muß das grössere Gut dem kleineren vorziehen."
 
 
  Wenn hierauf der Herr von Leibnitz die XIX philosophischen Sätze, so, nach Baylens Urtheile, den theologischen widersprechen sol-
 
  {Sp. 44}  
 
  len, widerlegen will, so schreibet er bey der Beantwortung des vierdten Baylischen Satzes unter andern also:
 
 
  "GOtt hat in seinem Vorhaben mehr als eine Absicht. Die Glückseligkeit aller vernünftigen Creaturen ist einer mit von den Endzwecken, die er suchet; Allein sie ist weder der eintzige, auf den alles gerichtet ist, noch der letzte und vornehmste. Derowegen kan das Unglück einiger dieser Creaturen concomitanter, und als ein Erfolg von andern und grössern Guten, gar wohl statt finden; Welches ich schon oben erklärt, und Herr Bayle selbst einigermassen erkannt hat. Das Gute, als Gute, an sich selbst betrachtet, ist das Objectum des göttlichen vorhergehenden Willens. GOtt wird so viel Vernunfft und Erkänntniß in der Welt hervorbringen, als sein Plan zulassen kan
 
 
  Man kan zwischen einem blossen vorhergehenden und anfänglichen Willen, und zwischen einem nachfolgenden und endlichen Willen, sich noch ein Mittel einbilden. Der vorhergehende anfängliche Wille hat jedes Gute und jedes Böse, an und vor sich selbst, von aller Verbindung abgesondert, zum Objecto, und suchet das Gute zu befördern, und das Böse zu verhindern. Der mittlere Wille gehet auf die Verbindungen, als wenn man etwas gutes mit etwas bösen verknüpffet; Und der Wille wird alsdenn zu dieser Verknüpffung einigermassen geneigt seyn, wenn in selbiger das Gute das Böse übertrifft. Allein der endliche und schlüßige Wille entstehet aus der Betrachtung alles Guten und alles Bösen, so in unsere Berathschlagung kommet; Er entspringt aus einer gäntzlichen und vollkommenen Verbindung. Woraus denn erhellet, daß ein mittler Wille, ob er schon, in Ansehung eines blossen vorhergehenden und anfänglichen Willens, einigermassen als ein nachfolgender kan betrachtet werden, dennoch, in Ansehung des endlichen und schlüßigen Willens, vor einen vorhergehenden zu halten sey.
 
 
  GOtt giebt dem menschlichen Geschlechte die Vernunfft, hieraus entstehen übele Dinge, durch eine Concomitantz. Sein blosser vorhergehender Willen sucht die Vernunfft zu geben, als ein grosses Gut, und das Böse, von dem die Rede ist, zu verhindern; Allein, wenn es auf die Übel ankommt, welche mit diesem Geschencke verknüpffet sind, das uns GOtt durch die Vernunfft gegeben, so wird das zusammengesetzte Gantze, das aus der Verknüpffung der Vernunfft und dieser Übel entstehet, das Objectum eines göttlichen mittlern Willens seyn, welcher suchen wird, dasselbige entweder zu verhindern, oder hervorzubringen, nachdem das Böse, oder Gute, darinnen die Oberhand hat.
 
 
  Allein, wenn es sich auch schon befände, daß die Vernunfft den Menschen mehr böses, als gutes, verursachte, (welches ich doch nicht zugebe) in welchem Falle der göttliche mittlere Wille dieselbe mit diesen Umständen verwerffen würde, so könnte es doch seyn, daß es der Vollkommenheit der gantzen Welt gemässer wäre, alles des Bösen, was in Ansehung der Menschen daraus erfolgen könnte, ohngeachtet, ihnen die Vernunfft zu geben; Und folglich würde der endliche Wille, oder der Schluß GOttes, der aus allen Betrachtungen, die er haben kan, entspringet, dieser seyn, ihnen dieselbe
 
  {Sp. 45|S. 36}  
 
  allerdings zukommen zu lassen. Er kan deswegen gar nicht getadelt werden, wohl aber, wenn er es nicht thäte. Das Böse also, oder die Vermischung des Guten und Bösen, darinnen das Böse die Oberhand hat, entstehet aus einer blossen Concomitantz, weil es ausserhalb dieser Vermischung, mit grössern Guten verknüpffet ist. Und folglich darff zwar solche Vermischung nicht als eine Gnade, oder als ein Geschencke GOttes, betrachtet werden, wohl aber das Gute, das sich dabey befindet."
 
 
  Buddeus hat diese Leibnitzischen Worte also verstanden: "GOtt wolle nach seinem vorhergehenden Willen allezeit das Gute, nach seinem nachfolgenden Willen aber wolle er das Beste, welches also der Zweck GOttes werde."
 
 
  Und Böldicke erkläret in seinem abermahligen Versuch einer Theodicee, p. 21. des Leibnitzens Meynung folgendergestalt:
  "Mich deucht, man könne von des Leibnitzes Eintheilung des göttlichen Willens in den vorhergehenden und nachfolgenden, darauf in seinem Lehr-Gebäude sehr viel ankömmt, den deutlichsten Begriff geben, wenn man sagt, der vorhergehende Wille sey, was GOtt belieben würde, wenn sich eine Sache nicht in der Verbindung mit andern Dingen, sondern allein befinde; Der nachfolgende Wille, was GOtt will, nachdem er sich die Sachen in einer Verbindung unter einander vorstellet."
 
     

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Stand: 24. August 2016 © Hans-Walter Pries