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Zedler: Willens, (Freyheit des) [2] HIS-Data
5028-57-131-6-02
Titel: Willens, (Freyheit des) [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 146
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 86
Vorheriger Artikel: Willens, (Freyheit des) [1]
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Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe Personen, Bibel
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden

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Übersicht
  II Theologische Abhandlung
 
  Aleph Haupt-Sitz dieser Lehre
 
  α) Aus dem alten Testamente
 
  β) Aus dem neuen Testamente

  Text Quellenangaben und Anmerkungen
  II Theologische Abhandlung.  
  Die Lehre von den Kräfften des freyen Willens fliesset, als ein Consectarium, aus der Lehre von dem Falle und Stande der Sünden. Denn, wenn unsere Natur durch die Sünde so sehr verderbet ist, so ist leicht zu erachten, daß keine Kräffte zu dem Guten mehr darinnen übrig seyn müssen.  
     
  Aleph[1] Haupt-Sitz dieser Lehre.
[1] HIS-Data:  Der in der Vorlage fehlende hebräische Buchstabe wurde ergänzt wegen hebräisch "bet" Beschreibung des freyen Willens.
  Wir haben Haupt-Sprüche der Schrifft von dieser Lehre, die theils aus dem alten, theils aus dem neuen Testamente, genommen sind.  
 
α) Aus dem alten Testamente.
 
 
 
1. 1 Mos. VI, 5: Gott sahe, daß alles Dichten und Trachten des menschlichen Hertzens, (omne figmentum cogitationum cordis) nur böse war immerdar.
 
 
 
  Nichts scheinet mehr Freyheit zu haben, als die Gedancken des menschlichen Hertzens. Da aber hier von denselben bezeuget wird, daß alles Dichten und Trachten derselben böse sey, oder, daß sie sich von Natur nur auf das Böse determiniren: So müssen sie ja keine Freyheit oder Vermögen besitzen, Ideen geistlicher und göttlicher Dinge zu formiren. 1 B. Mos. VIII, 21, wird ein gleiches behauptet.
 
 
 
2. Jerem. XIII, 23: Kan auch ein Mohr seine Haut wandeln, (oder ändern) oder ein Parder seine Flecken? So könnet ihr Gutes thun, da ihr des Bösen gewohnt seyd.
 
 
 
  Hier werden die Jüden in ihrem damahligen natürlichen und heuchlerischen Zustande ausser der Gnade Gottes, betrachtet, u. wird ihnen alles Vermögen, sich frey zu der Ausübung des Guten zu determiniren, gäntzlich abgesprochen. Ja, es wird eben für so unmöglich ausgegeben, daß ein solcher verdorbener Mensch, durch natürliche Kräffte seines freyen Willens, sich bekehren, und etwas gutes thun könne, als es unmöglich ist, daß ein Mohr seine Haut, und ein Parder seine Flecken ändere, und also seine Natur ablege.
 
 
β) Aus dem neuen Testamente.
 
 
 
1. Johann. III, 3. 5. 6, wird die Nothwendigkeit einer neuen Geburt daraus bewiesen, weil der gantze Mensch, wie er von dem Fleische gebohren ist, Fleisch, das ist, fleischlich gesinnet, oder geartet sey, und in solchen Zustande das Reich der Gnaden und Herrlichkeit nicht ererben könne, wo nicht der fleischliche Sinn durch die Wiedergeburt in ihm gebrochen, und, an dessen statt, ein ander neues thätiges Principium, nehmlich der Geist, in ihm hervorgebracht werde. Wer nun solchergestalt von Natur gantz fleischlich ist, der kan keine Kräffte zu dem Guten haben. Nun ist ein jeder natürlicher Mensch von Natur fleischlich gesinnet; Also sind keine Kräffte zu dem Guten bey ihm anzutreffen.
 
 
 
2. Joh. XV, 5: Ohne mich könnet ihr nichts thun; Nehmlich, nichts wahrhafftig und geistlich gutes, keine GOtt wohlgefälligen Früchte des Glaubens und der Gerechtigkeit bringen, wie der Context mit sich bringet. Mit dem Worte
 
  {Sp. 147|S. 87}  
 
 
  chōris emou, ohne mich, wird Christus zu dem eintzigen Principio alles dessen gemacht, was wir in dem geistlichen haben und prästiren können. Ist er aber das einige Principium der geistlichen Dinge, so kan unser freyer Wille nicht das Principium wahrer geistlicher Handlungen seyn; Welchem vielmehr alles Vermögen in solchen Dingen hierdurch gäntzlich abgesprochen, und Christo allein zugeschrieben wird.
 
 
 
  Denn heißt es nicht: Ihr könnet zwar wenig, aber doch etwas, ohne mich ausrichten; Auch nicht: Ohne mich könnet ihr schwehrlich würcken; Wie es einem allein sauer wird, einen Wagen fortzuschieben, da es hingegen besser und leichter von statten gehet, wenn noch ein anderer die Hand mit anleget; Sondern: Ohne mich könnet ihr nichts thun. Hiemit wird einem natürlichen Menschen alle Krafft zu würcken abgesprochen, und ein gäntzliches Unvermögen (adynamia) mit den Worten: Ihr könnet nicht, (ou dynathe) ihm zugeeignet, welches ein gewaltiger Donnerschlag wider den Ruhm des freyen Willens ist, wie solches schon D. Luther, in seinem Tractate de servo arbitrio, wider den Erasmus Roterodamus, starck urgiret hat.
 
 
 
  Wir können also hieraus lernen:
 
 
 
 
α) Daß der Mensch nach dem Fall keine Kräffte übrig habe, zu seiner Bekehrung und Heiligung das geringste zu contribuiren.
 
 
 
 
β) Daß er zwar, wenn er durch den Glauben in Christum versetzet wird, vieles vermöge, aber nicht aus sich, sondern aus den Kräfften, die Christus, als der wahre Weinstock, ertheilet.
 
 
 
 
γ) Daß er, wenn er sich durch den Abfall von Christo wider trennet, auch diese geistlichen Kräffte wieder verliehre, und in das vorige Unvermögen (adynamian) wieder zurück falle.
Es hat Sebastian Schmidt, in Colleg. bibl. posteriore, ... diese Stelle, Johann. XV,5, mit mehrerem erkläret.
 
 
  Hiemit stimmen auch zwey andere Stellen überein. Nehmlich: Johann. VI, 44: Es kan niemand zu mir kommen, (durch Busse und Glauben) es sey denn, daß ihn ziehe der Vater.
Bey welcher Stelle man auch den Sebastian Schmidt, in der Dissertation de tractu patris ad filium, conferiren kan.
 
 
  Und 1 Corinth. VII, 3: Niemand kan JEsum einen HErrn heissen, (welches durch den Glauben geschiehet) ohne durch den Heiligen Geist.
 
 
 
  Es wird also an drey Orten der Heiligen Schrift das Werck des Glaubens und der Erneuerung den Kräfften des freyen Willens gäntzlich abgesprochen, und den drey Personen der Gottheit zugeschrieben; Dem Vater, Johann. VI, 44; Dem Sohne, Joh. XV, 5; Und dem Heil. Geiste, 1 Corinth. XII, 3.
 
 
 
3. 1 Corinth. II, 14: Der natürliche Mensch (anthropos psychikos) vernimmt nichts vom Geiste Gottes: Es ist ihm eine Thorheit, und kan es nicht erkennen, denn es muß geistlich gerichtet seyn.
 
 
 
  Hierbey mercken wir folgendes:
 
 
 
 
α) Was der natürliche (psychikos) Mensch heisse. Das kan theils aus dem Zusammenhange herausgezogen werden, da er, durch die gegenseitige Partickul, de, aber, einem geistlichen (pneumatikō) Menschen entgegen gesetzet wird. Theils aus der Epistel Judä. v. 19, da gewisse Menschen genennet werden: psychikoi, pneuma mē echontes, fleischliche, die da keinen Geist haben. Wie nun pneumatios ei-
 
  {Sp. 148}  
 
 
 
  nem, der den Geist GOttes, und durch denselben eine neue geistlichen Natur in der Wiedergeburt und Erneuerung bekommen hat, bedeutet; So heißt psychikos, der den Geist GOttes nicht hat, der nichts, als seine natürlichen Seelen-Kräffte, Verstand, Gedächtniß, Imagination, Wille, Neigungen, etc. hat. Er hat seinen Nahmen von psychē, Anima, die Seele, und kan also Homo animalis, der beseelte Mensch genennet werden; Ob gleich die Kräffte der Seelen, sonderlich der Vernunfft auf das beste bey ihm excoliret wären.
 
 
 
 
  Luther hat bey diesem Orte diese merckwürdigen Worte gesetzt: Der natürliche Mensch ist, wie er ausser der Gnade GOttes ist, mit aller Vernunfft, Kunst, Sinnen und Vermögen aufs beste geschickt.
 
 
 
 
β) Die Worte: ta tou pneumatos, nehmlich pragmata, zeigen die Dinge an, die zu der seligmachenden Erkänntniß GOttes gehören, und also nicht nur die hohen Geheimnisse, die auch über die Begriffe eines Wiedergebohrnen gehen, sondern auch die Stücke, welche die Ordnung des Heils constituiren, es seyn nun theoretische, oder practische Wahrheiten; Vergl. V. 9. 10. 11. 12. Diese heissen hier Sachen des Geistes, weil sie Gott durch seinen Geist geoffenbaret hat, v. 10.
 
 
 
 
γ) Das Unvermögen eines natürlichen Menschen, in Absicht auf diese Dinge wird hier mit drey Redens-Arten beschrieben:
 
 
 
 
 
a) hou dechetai, vernimmt nicht.
 
 
 
 
 
  Dechethai heißt einen annehmen, nicht zurück stossen, wie man einen Gast aufnimmt, und nicht hinausstößt, wie dieses Wort Matth. X, 14. 40. hiervon gebrauchet wird. Es begreifft aber diß Wort alles, was zu der gäntzlichen völligen Aufnahme gehöret; Da nicht nur der Verstand die göttlichen Wahrheiten erkennet, und denselben Beyfall giebt, sondern auch der Wille dieselben approbiret, lebet, mit Zuversicht umfasset etc. Beydes wird dem natürlichen Menschen abgesprochen.
 
 
 
 
 
b) Sie sind ihm eine Thorheit, kommen ihm thöricht vor, daher er auch wohl die Lehren des Christenthums, von der Creutzigung des Fleisches, Verleugnung der Welt, Nachfolge Christi, etc. für fanatische und schwärmerische Dinge ansiehet, und unter die Platonischen Grillen rechnet, auch wohl spricht: Wer ein solcher Narr seyn will, der mags thun, ich bedancke mich vor einem so irraisonablen Christenthum.
 
 
 
 
 
c) Er kan es nicht erkennen.
 
 
 
 
 
  Die Schuld liegt also nicht an dem Mangel seines Fleisses und seiner Application, sondern an der üblen Disposition seines Verstandes und Willens. Wie ein Blinder nicht nur nicht siehet, sondern auch nicht sehen kan; So befindet es sich auch bey einem solchen Menschen.
 
 
 
  Hieraus ist nun klar, daß ein unwiedergebohrner Mensch so gar keinen freyen Willen in geistlichen Dingen habe, daß er vielmehr geistlichen Sachen widerstrebet, sie als Thorheit verlästert und verwirfft, und, nach Verstand und Willen, sich in dem äussersten Unvermögen (adynamia) befindet.
Es hat diese Stelle Sebastian Schmidt, in Colleg. bibl. poster. ... weiter exegesiret. Vergleiche
  • D. Langens Mittel-Strasse, Th. II ...;
  • Johann Musäum, in Form. Concord. ...;
  • D. Johann Heinrich Maji Dissertation, de Theosophia Christianorum universali ..., welche in dem II Tomo seiner Selectior. exercitat. Philol. exeget. stehet ...;
  {Sp. 149|S. 88}  
   
 
 
4. 2 Corinth. III, 5: Nicht, daß wir tüchtig sind von uns selber, etwas (geistlich gutes) zu dencken, als von uns selber, sondern, daß wir tüchtig sind, ist von GOtt, welcher auch uns tüchtig gemacht hat.
  Daraus machen wir den Schluß: Wer von Natur keine Tüchtigkeit zu dem Guten hat, sondern seine gantze Tüchtigkeit von GOtt empfangen muß, der hat keine Kräffte des freyen Willens. Nun verhält es sich mit allen Menschen so: Also haben sie keine Kräffte des freyen Willens.
 
 
 
5. Philipp. I, 6: Der in euch angefangen hat das gute Werck, der wirds auch vollführen.
  Hier wird der Anfang und Fortgang der Bekehrung und Heiligung GOtt zugeschrieben, und folglich dem Menschen alles Vermögen, das selber anzufangen, oder fortzusetzen, gäntzlich abgesprochen.
 
 
 
6. Philipp. II, 13: GOtt ists, der in euch würcket beyde das Wollen, und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.
  Wenn GOtt auch so gar das Wollen nicht etwa nur aus einem tieffen Schlaffe erwecken, sondern erst hervorbringen und würcken muß, so folgt, daß es der Mensch von Natur nicht habe. Der Mensch kan wollen, frey wollen, böses wollen; Aber das Gute zu wollen, ist eine Würckung der Gnade.
 
 
 
7. Philipp. IV, 13: Ich vermag alles, durch den, der mich mächtig machet, Christus.
  Folglich, ohne Christo nichts. Auf welche Art auch diese Stelle mit dazu dienet, den freyen Willen in geistlichen Dingen auszuschliessen.
 
  Das sind die vornehmsten Haupt-Sprüche, welche von zweyerley Art sind. Nemlich einige von denselben beweisen, daß der Mensch vor seiner Bekehrung in dem höchsten geistlichen Unvermögen zu allem geistlichen Guten sich befinde; Andere beweisen, daß alle geistliche Tüchtigkeit von GOtt kommen müsse.  
     

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Stand: 24. August 2016 © Hans-Walter Pries