HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Willens, (Freyheit des) [3] HIS-Data
5028-57-131-6-03
Titel: Willens, (Freyheit des) [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 149
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 88
Vorheriger Artikel: Willens, (Freyheit des) [2]
Folgender Artikel: Willens, (Freyheit des) [4]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

vorhergehender Text  Teil 2 Artikelübersicht Teil 4  Fortsetzung

Übersicht
II Theologische Abhandlung (Forts.)
  Bet Beschreibung des freien Willens
 
  α) Erläuterung der erklärten Sache (Definiti)
  β) Erklärung der Definition
 
 
  A. Die Freiheit oder der freie Wille selber

  Text Quellenangaben
  Beschreibung des freyen Willens.  
  Der freye Wille, oder die Freyheit selbst, ist dasjenige Vermögen der Seele, nach welchem sich dieselbe, nach allen zu einer Handlung vorausgesetzten Umständen, was so wohl die Art, (Speciem) als die Ausübung der Handlung, (exercitium actus) anbetrifft, frey bezeiget; Ein Vermögen, das nach dem Falle zu geistlichen Dingen mit gar keinen, und zu natürlichen Sachen mit mittelmäßigen Kräfften ausgerüstet ist.  
  α) Erläuterung der erklärten Sache (Definiti).  
  Wir müssen das Definitum zuerst erläutern und erklären, ehe wir die Definition verstehen können. Bey dem Definito, welches der freye Wille ist, wollen wir folgende Anmerckungen machen:  
  {Sp. 150}  
 
1. Das Wort freyer Wille kommt in der Heiligen Schrifft nicht vor, sondern es scheinet vielmehr aus der Peripathetischen und Platonischen Philosophie herzustammen. Denn was die Peripatheticker eleuthezian, proairesin hiessen, das nennten die Platonicker autezousin, welches eben das Griechische Wort ist, damit die Väter den freyen Willen (liberum arbitrium) benennen. Es ist demnach dasselbe aus der Schule der Weltweisen in die Schulen der Christen gekommen, und beybehalten worden, damit man ein bequemes Wort hätte, womit man dasjenige Vermögen der vernünfftigen Seele, da sie sich frey und ungehindert mit ihrem Verstande so wohl als mit ihrem Willen, zu dem Guten, oder Bösen, neiget, bezeichnen könnte.
 
 
2. Das Wort Arbitrium wird zwar bey den Lateinischen Profan-Scribenten allein zu dem Willen gezogen; So sagt Livius: Liberum suarum rerum arbitrium alicui facere, welches heist: Sich eines andern Willen gäntzlich unterwerffen. Bey den Theologen aber wird dieses Wort in weitläufftigerm Verstande, so wohl vor die Handlung des Verstandes, als vor die Handlung des Willens, genommen. Denn es lieget auch bey einer jeden Handlung der Wahl, die mit dem Willen verrichtet wird, allezeit ein gewisser Rathschluß, oder Urtheil des Verstandes, zu dem Grunde.
  Die Väter haben zuweilen den Willen des Menschen selbst mit diesem Worte: Liberum arbitrium, beleget; Daher man sich nicht wundern darff, daß sie auch den Unwiedergebohrnen einen freyen Willen (Liberum arbitrium) beygeleget, weil sie den Willen selbst darunter verstanden haben. Wir aber verstehen dadurch ein gewisses Vermögen der Seele, etwas zu beurtheilen, und zu erwählen, oder zu verwerffen; Welches zugleich in dem Verstande und Willen, wegen der genauen Verbindung, darinnen diese beyden Seelen-Kräffte mit einander stehen, seinen Sitz hat.
 
 
3. Die Freyheit, davon der Wille frey, und das Arbitrium liberum heisset, ist dreyerley.
 
 
 
(a) Eine Freyheit von dem Zwange, oder der Gewalt, da man durch kein äusserlich Principium zu handeln in der freyen Wahl und Ausrichtung seiner Handlungen gehindert wird.
 
 
 
(b) Eine Freyheit von der Nothwendigkeit, da der Wille durch kein innerlich Principium zu handeln nothwendig determiniret wird, etwas gewisses zu erwählen, oder auszurichten.
 
 
 
(c) Eine Freyheit von dem Rechte oder der Verbindlichkeit, da man keinen Gesetzen unterworffen ist, und also völlige Freyheit in allen seinen Handlungen hat, etwas zu thun, oder zu lassen; Welche Freyheit eigentlich niemanden, als GOtt allein, zukommt.
 
 
4. Es kan also gewisser Massen so wohl GOtt, als den Engeln, und den Menschen, ein freyer Wille zugeschrieben werden.
  Die bösen Engel mißbraucheten ihren freyen Willen, indem sie selbigen auf unzuläßige Dinge richteten; Welcher Mißbrauch weder von GOtt, noch von der Englischen Natur, sondern von ihrem Eigenen, Joh. VIII, 44, dependirete. Denn GOtt hatte ihnen den freyen Willen gegeben, daß sie solchen vor ihn gebrauchen, das ist, ihm freywillig schul-
 
  {Sp. 151|S. 89}  
 
  digen Gehorsam leisten solten; Allein an dessen statt mißbrauchten sie solchen wider GOtt, und und ohne GOtt, und wolten gleichsam nicht mehr in ihm leben, weben, und seyn,
Apost. Gesch. XVII, 28.
 
  Hiernächst hatte er ihnen den freyen Willen gegeben, daß sie sich dessen dem göttlichen Gesetze gemäß bedienen, daß sie ihn nach demselben einrichten, und ihre Verrichtungen nach den Geboten GOttes anstellen solten: Allein an dessen statt mißbrauchten sie solchen wider das göttliche Gesetz, und führeten also zuerst diesen Willen und das Unrecht (anomian) ein.
 
 
  Endlich hatte ihnen GOtt auch den freyen Willen dazu gegeben, daß sie ihn zu seinen Ehren und zu dem Guten gebrauchen sollten; Allein dafür mißbraucheten sie solchen boßhafftiger Weise zu dem Bösen, zu der Unehre, Verleumdung und Lästerung GOttes, bewunderten ihre Englische Vortrefflichkeit, Ansehen und Hoheit, und meyneten, sie dürfften nun keines Gewalt mehr unterwürffig seyn, wegerten GOtt den billigen Gehorsam, und auf solche Art erfolgte ihr endlicher Fall
 
 
  Es rührete also derselbe ursprünglich aus dem Mißbrauche des freyen Willens. Diese angeschaffene Freyheit des Willens gieng hiedurch verlohren. Hatten sie vorhin einen freyen Willen, konnten sie das Gute, oder Böse erwählen; So ist jetzt nach dem Falle ihr Wesen eintzig und allein auf das Böse gerichtet, sie können nichts gutes wollen, gleichwie die guten Engel, nachdem sie in dem Guten bestätiget sind, nichts Böses wollen können.
 
 
  Jedoch, wir reden hier eigentlich nur von dem freyen Willen des Menschen. Und da derselbe in einem vierfachen Stande betrachtet werden kan, nemlich in dem Stande der Unschuld, Verderbniß, Gnade, und Herrlichkeit; So entstehet auch daher ein vierfacher freyer Wille, welcher zu unterscheiden ist:
 
 
 
α) Der freye Wille des unschuldigen Menschen, bestund in einer Freyheit von dem Zwange, Nothwendigkeit, und Knechtschafft der Sünde.
 
 
 
β) Der freye Wille des verderbten und unwiedergebohrnen Menschen, bestehet in einer Freyheit von dem Zwange und der Nothwendigkeit, nicht aber der Herrschafft der Sünden; Indem der Wille eines solchen Menschen, aus eigener Bewegung und Antrieb, das Böse nur erwählet, welches ihm von dem verderbten Verstande zu der Wahl recommendiret und vorgeschlagen wird.
 
 
 
γ) Der freye Wille des durch die Gnade erneuerten Menschen, ist die Freyheit von der Herrschafft der Sünde, da ein solcher Mensch willig und ohne Zwang das Böse verwirfft, und das Gute erwählet.
 
 
 
δ) Die Freyheit des verherrlichten Menschen wird wieder in einer völligen Befreyung von dem Zwange, der Nothwendigkeit, und der Herrschafft der Sünde, ja auch selbst von der Veränderlichkeit, bestehen; Indem der nunmehr in dem Guten befestigte Wille das Gute dergestalt wollen wird, daß er das Böse nicht wird wollen können. Hier ist nun eigentlich von dem freyen Willen des verderbten, und noch nicht durch die Gnade verneuerten, Menschen die Rede.
 
 
5. Das Wort: Freyer Wille, involvirt zwey
 
  {Sp. 152}  
 
  Ideen:
 
 
 
(a) Einen materiellen Begriff, nemlich den Concept der Freyheit;
 
 
 
(b) Einen formalen Begriff, nemlich den Concept hinlänglicher Kräffte, diese Freyheit dem Guten anzuwenden und zu gebrauchen.
 
 
  Hier ist nun nicht so wohl die Rede von dem freyen Willen an sich betrachtet, oder von der wesentlichen Freyheit der menschlichen Seele, da der Mensch, er sey bekehrt, oder unbekehrt, von allem Zwange und Nothwendigkeit frey ist; Sondern es ist die Rede von der zufälligen Freyheit, nemlich von der Knechtschafft der Sünde, darein der Mensch durch den Fall gerathen ist.
 
 
  Und ist also die Frage: Ob ein natürlicher Mensch, der durch den Fall in die Knechtschafft der Sünde gerathen ist, die Kräffte seines freyen Verstandes und Willens nicht nur frey auf das Böse, sondern auch frey auf das Gute, determiniren könne, wenn er wolle, und zwar nicht nur auf das natürliche, bürgerliche, moralische Gute, und so weiter, sondern auch auf das wahrhafftig geistliche Gute, das GOtt angenehm sey? Ob er nemlich genugsame Kräffte habe, die Wahrheit zu erkennen, oder nicht, etwas geistlich Gutes zu thun, oder zu unterlassen, und folglich seine Bekehrung und Erneuerung anzufangen, fortzusetzen, und hinauszuführen? Das ist die eigentliche Beschaffenheit der Fragen in dieser Lehre.
Siehe hierbey D. Rambachs Collegium Anti-Pontificium ...
     
  β) Erklärung der Definition.  
  In der Definition selbst wird so wohl die Freyheit beschrieben, als von den Kräfften der Freyheit etwas gedacht; Und diese zwey Stücke werden wir also mit mehrerm erläutern.  
     
  A. Die Freyheit oder der freye Wille selber.  
  Die Freyheit wird der Nothwendigkeit entgegen gesetzet; Und diese ist entweder absolut, oder hypothetisch.  
  Die absolute Nothwendigkeit, ist entweder  
 
  • metaphysisch, die dergestalt absolut nothwendig ist, daß sie auch von GOtt selbst nicht aufgehoben werden kan, weil solches einen Widerspruch involviren würde.
    • Z.E. Daß die würckende Ursach nothwendig eher ist, als die Würckung; Daß das Gantze grösser ist, als eines seiner Theile, u.s.w.
  • Oder physisch, dabey eine Möglichkeit übrig bleibet, daß GOtt, durch absolute Allmacht, eine Änderung darinnen mache.
    • Z.E. Daß das Feuer brennet, wenn es eine brennende Materie ergreiffet, das ist eine nothwendige Folge.
 
  Indessen kan doch GOtt, durch ein Wunderwerck, diese Würckung aufheben, wie an den drey Männern in dem feurigen Ofen geschehen ist. Sie wird auch die mechanische, ingleichen die fatale Nothwendigkeit, genennet, weil sie in einer nothwendigen Reyhe der Ursachen und Würckungen bestehet.  
  Die hypothetische Nothwendigkeit findet sich bey solchen Handlungen und Begebenheiten, die eine freywürckende Ursache voraussetzen, welche dasjenige, was sie gethan, auch hätte unterlassen, oder doch auf eine andere Art thun können;  
  {Sp. 153|S. 90}  
  Die aber, weil sie ihre Kraft dißmahl auf solche Art geäussert hat, nothwendig diesen, und keinen andern Effect, produciren müssen. Das ist der Begriff der Nothwendigkeit.  
  Durch die Freyheit der vernünftigen Seele verstehet man nun hingegen dasselbe Vermögen der menschlichen Seele, da sie, nach allen vorausgesetzten Umständen zu handeln, dennoch eine freye Wahl hat, etwas zu beschliessen, zu wollen, oder zu thun, aber auch es nicht beschliessen, wollen, oder thun kan. z.E. Wenn ein Stuhl da stehet, und man von andern genöthiget wird, sich nieder zu setzen, der Rücken auch über dieses nicht steiff ist, sondern sich beugen, und zu dem Niedersetzen beqvemen kan; so sind da alle zu der Handlung erforderliche Dinge. Indessen hat doch die Seele, oder der Mensch, seine Freyheit, ob er sich setzen, oder stehen bleiben will.  
  Man muß aber bey der Freyheit, wie wir schon zuvor erinnert haben, einen Unterschied, zwischen den innerlichen Bewegungen des Willens, und den äusserlichen Handlungen machen. Die innerlichen Bewegungen des Willens dependiren von den Bewegungs-Gründen und Ursachen, die der Verstand dem Willen vorstellet, und von welchen der Wille zwar nicht gezwungen, aber doch beweget, und zu gewissen Handlungen determiniret wird. Wenn z.E. sich eine Gelegenheit äussert, mit anderen zu conversiren, und der Verstand sich vorstellet, daß man da einige Stunden in Vergnügen werde paßiren können, so wird der Wille bewogen, den Menschen anzutreiben, daß er in dieselbe Gesellschafft gehe.  
  Es fragt sich aber, ob der Mensch keine Freyheit habe, einen anderen Entschluß zu fassen, daß er nehmlich dieselbe Gesellschafft meiden wolle? Allerdings. Denn wenn der Verstand der Sache weiter nachdenckt, und die Nachricht bekommt, daß ein gewisser zänckischer Mensch sich in der Compagnie mit einfinden werde, der in der Trunckenheit allerley Händel anfange, die auf Mord und Blutvergiessen hinaus zu lauffen pflegen; so kan durch diese Bewegungs-Gründen der Wille auf die andere Seite gelencket, folglich der Entschluß geändert werden.  
  So verhält sich es mit den innerlichen Bewegungen des Willens, die von der Vorstellung des Verstandes dependiren. Was aber die äusserlichen Handlungen betrifft, so findet darbey gar keine Nothwendigkeit statt, sondern der Mensch besitzt darinnen seine vollkommene Freyheit. Wenn z.E. einem Studenten eine Condition angeboten wird, die mit vielen Vortheilen verknüpft ist, so findet er zwar, wenn er ohnedem bisher eine Condition gesuchet hat, eine innerlichen Neigung, sie anzunehmen; dabey behält er aber doch seine Freyheit, ob er dieser Inclination folgen, oder nicht folgen wolle, zumahl, wenn der Verstand wieder andere Bewegungs-Gründe an die Hand giebt, welche die vorigen überwiegen. Das ist kurtz der Begriff der Freyheit, davon hier geredet wird.  
  Daß nun aber der Mensch eine solche Freyheit, auch nach dem Falle, habe, beweisen wir  
 
1) aus dem Wesen des Menschen selbst.
 
 
  Die menschliche Natur ist zu dem Bilde GOttes geschaffen, welcher ein Wesen ist, das auf das freyeste handelt; daher die Freyheit mit zu der Gleichförmigkeit mit GOtt
 
  {Sp. 154}  
 
  gehörte. Ob nun gleich das Bild GOttes, in Ansehung der moralischen Gaben, verlohren ist, z.E. nach der Weisheit, Heiligkeit, u.s.w.; so ist es doch nicht nach den natürlichen Gaben verlohren worden, sondern, wie die Seele des Menschen auch nach dem Falle darinnen GOtt noch ähnlich ist, daß sie ein immaterialisches und geistliches Wesen hat, also ist sie ihm auch noch darinnen ähnlich, daß sie einen freien Willen besitzet: ob gleich keine Kräffte mehr vorhanden sind, diese Freyheit in geistlichen Dingen recht zu gebrauchen.
 
 
2) Aus verschiedenen Örtern der Heiligen Schrifft, darinnen dem Menschen eine Freyheit des Willens zugeschrieben wird; z.E. Matth. XXIII, 37. 1 Corinth. VII, 37.
 
 
3) Aus dem Grunde aller Religion, die auf der Freyheit beruhet; da die gantze Religion, insonderheit alle Belohnungen und Straffen nach dem Tode wegfallen würden, wenn man die Freyheit leugnen solte. Denn, was der Mensch aus Zwang thut, das kan weder bestraft, noch belohnet werden.
 
 
4) Aus der Erfahrung, da ein jeder vernünftiger Mensch sich bewust ist, daß er keine Maschine sey, die zwar von sich selbst, aber doch nothwendig, sich also bewegen muß, wie es die Structur ihrer Räder mit sich bringet.
 
     

vorhergehender Text  Teil 2 Artikelübersicht Teil 4  Fortsetzung

HIS-Data 5028-57-131-6-03: Zedler: Willens, (Freyheit des) [3] HIS-Data Home
Stand: 18. September 2016 © Hans-Walter Pries