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Zedler: Willens, (Freyheit des) [6] HIS-Data
5028-57-131-6-06
Titel: Willens, (Freyheit des) [6]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 164
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 95
Vorheriger Artikel: Willens, (Freyheit des) [5]
Folgender Artikel: Willens, (Freyheit des) [7]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

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Übersicht
II Theologische Abhandlung (Forts.)
  Gimel Nutzen dieser Lehre
 
  1. Zu der Belehrung
  2. ... in der Widerlegung
  3. Zu der Ermunterung
  4. Zu der Bestraffung
  5. Zu dem Troste
  Dalet Scribenten

  Text Quellenangaben und Anmerkungen
  Gimel[1] Nutzen dieser Lehre.
[1] HIS-Data: in der Vorlage steht I, hebräischer Buchstabe erschlossen (siehe Artikelübersicht)
  Und zwar  
 
1. Zu der Belehrung. Wir lernen daraus:
 
 
 
a) Das tieffe Verderben unserer Natur, wie Verstand und Willen so tief verdorben sey, wie der Verstand kein Vermögen mehr besitze, geistliche
 
  {Sp. 165|S. 96}  
 
 
  Dinge auf eine heylsame Art recht zu erkennen und zu beurteilen, und wie der Wille kein Vermögen besitze, geistliche Dinge aufrichtig und ernstlich zu wollen.
 
 
 
  Ein natürlicher Mensch verlangt nicht bekehret zu seyn, er verlanget also auch nicht selig zu werden. Denn wer die Mittel nicht will, derselbe will auch den Endzweck nicht. Hingegen ist in dem Willen einer rechte Aversion vor dem Guten, eine Feindschafft wider GOtt,
Röm. VIII, 7,
 
 
  eine Liebe der Finsterniß,
Johann. III, 19,
 
 
  und eine elende Knechtschafft der Sünden.
 
 
 
  Dieses Verderben ist in allen natürlichen Menschen eingewurtzelt, ob es gleich den Graden nach unterschieden ist, und durch eine üble Auferziehung, durch Gewohnheit zu sündigen, durch Verführung anderer, und so weiter, vergrössert wird.
 
 
 
b) Die Nothwendigkeit der Gnade, welche eine so sehr verdorbene Natur wieder heilen und bessern, ihr aus ihrer tieffen Ohnmacht wieder aufhelffen, und wieder Kräffte, GOtt zu erkennen und zu lieben, derselben mittheilen muß.
 
 
 
  Nächstdem fliessen aus der Lehre, daß wir in geistlichen Dingen gar keine Kräffte des freyen Willens haben, drey merckwürdige Dogmatische Folgen:
 
 
 
 
α) Die Tugenden der unwiedergebohrnen Menschen sind todte Wercke, ja scheinbare Laster.
 
 
 
 
  Daß ein unwiedergebohrner Mensch noch so viel Kräffte habe, daß er gewisse Pflichten, die äusserlich dem Gesetze gemäß sind, leisten, und ein erbares und tugendhafftes Leben führen könne, das haben wir bereits zugegeben. Daß aber diese Tugenden nicht die nothwendigen Eigenschafften der wahren Tugenden haben, sondern todte Wercke und gläntzende Laster sind, das erhellet:
 
 
 
 
 
(a) Aus der Beschaffenheit eines noch unwiedergebohrnen Menschen, der ein Feind GOttes ist.
 
 
 
 
 
  Ein solcher böser Baum kan keine guten Früchte bringen. Ein geistlich-Todter kan keine andern, als todte Wercke, hervorbringen. Wie die Ursach, so die Würckung. Seine Tugenden sind also einer Blume gleich, die auf dem Miste wächst, welche zwar eine schöne Farbe, aber einen häßlichen Geruch hat
 
 
 
 
 
(b) Aus der Beschaffenheit GOttes, der in dem Geist und in der Wahrheit von uns bedient seyn will,
Johann. IV, 24.
 
 
 
 
  Da nun ein Unwiedergebohrner den Geist der Wahrheit nicht hat, wie will er GOtt in dem Geist und in der Wahrheit dienen?
 
 
 
 
 
(c) Aus dem wahren Begriffe der Tugend, als die nach dem Worte GOttes nichts anders ist, als eine beständige u. ernstliche Bemühung, sich in allem nach dem Willen GOttes einzurichten, welche Bemühung aus der wahren Liebe zu GOtt fliesset.
 
 
 
 
 
  Man wird aber eher Wasser aus einem Kieselsteine bekommen, als eine solche Gemüths-Beschaffenheit bey einem unwiedergebohrnen Menschen finden. Vor der Welt mögen also gleich seine Tugenden einen schönen Schein haben, so macht doch die herrschende Eigenliebe, daraus sie fliessen, dieselben vor GOtt abscheulich. Sie kommen nicht aus dem Glauben; Was aber nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde,
Röm. XIV, 23;
 
 
 
 
  Folglich geschiehet ihnen nicht unrecht,
 
  {Sp. 166}  
 
 
 
 
  wenn man sie gläntzende Laster nennet.
 
 
 
 
β) Der Mensch hat einer grossen Veränderung vonnöthen, wenn er GOtt gefallen will.
 
 
 
 
  Aus der grossen Untüchtigkeit des menschlichen Verstandes, geistliche Wahrheiten recht zu erkennen, fließt die Nothwendigkeit einer göttlichen Erleuchtung. Aus der Unvermögenheit des Willens zu dem Geistlich-Guten fließt die Nothwendigkeit der neuen Geburt. Hat der Mensch keine Kräffte, sich in allen Stücken nach dem Willen GOttes zu bequemen, und er ist doch darzu erschaffen; So muß er neue Kräffte von oben herab empfangen, und in Christo JEsu wieder auf das neue zu guten Wercken geschaffen werden, welches die neue Geburt ist,
Johann. III, 3. 5.
 
 
 
γ) Der Mensch kan das Gesetz nicht erfüllen, noch durch die Wercke des Gesetzes gerechtfertiget werden. Das Gesetz ist geistlich, und erfordert einen vollkommenen Gehorsam, ohne alle entgegen stehende böse Lust. Diese Kräffte hat der Mensch durch den Fall gäntzlich verlohren, und ist also nicht in dem Stande, das Gesetz vollkommen zu erfüllen. Ist aber dieses, so kan er auch durch das Gesetz nicht gerechtfertiget werden, das ist, er kan durch seinen elenden und vollkommenen Gehorsam, den er dem Gesetze leistet, kein Recht zu dem ewigen Leben erlangen. Daher heisset es Röm. III, 20: Durch des Gesetzes Werck wird kein Fleisch gerecht.
 
 
2. Es ist diese Lehre auch in der Wiederlegung der Irrthümer dienlich, wie aus der folgenden historischen Abhandlung zu ersehen seyn wird.
 
 
3. Zu der Ermunterung.
 
 
  Es verbindet uns diese Lehre zu folgenden Pflichten der Gottseligkeit:
 
 
 
a) Wir sollen uns wegen des tieffen Unvermögens unserer Natur für GOtt tief demüthigen, und alles Vorurtheil der eigenen Kräffte gäntzlich fahren lassen.
 
 
 
b) Wir sollen GOtt dancken, daß er uns noch einige Kräffte des Verstandes und Willens, das Leben erbar und klüglich anzustellen, übrig gelassen hat.
 
 
 
  Das ist eine grosse Wohlthat des ersten Artickels, indem wir sonst wenig von den unvernünfftigen Thieren unterschieden seyn würden, wie man in den Tollhäusern solche klägliche Einblicke des menschlichen Elendes siehet;
 
 
 
c) Wir sollen auch diese übriggebliebenen natürlichen Kräffte nach dem Zwecke GOttes recht zu gebrauchen suchen.
 
 
 
  Denn GOtt hat sie uns als Haushaltern anvertrauet, daß wir sie zu seiner Ehre anwenden sollen. Wir sind also verbunden, auch unsere Vernunfft recht zu gebrauchen, und den von GOtt empfangenen Verstand nicht durch trägen Müßiggang, oder Debauchen, zu verderben. Wir sind ferner verbunden, aus denen noch übrigen Kräfften des Willens unsre Affecten zu zähmen, grobe Laster zu vermeiden, und uns der bürgerlichen Erbarkeit und Gerechtigkeit zu befleißigen. Dazu gehöret,
 
 
 
 
  • daß man gegen jedermann alle Billigkeit erweise, und den gebührenden Lohn gebe;
  • Daß man in dem Kauffen und Verkauffen niemand übervortheile, vielweniger jemand nöthige, wider seinen Willen etwas zu verkauffen;
  • Daß man richtig Maaß und Ge-

    {Sp. 167|S. 97}

    wicht halte:
  • Daß man niemand wissentlich mit falschem Gelde betriege;
  • Daß man nicht den Preiß solcher Sachen, die der Nächste nothwendig haben muß, unbillig steigere;
  • Daß man in dem Leihen allen verbotenen Wucher meide;
  • Daß man gemachte Schulden bezahle;
  • Kurtz, daß man gegen jederman seine Pflichten beobachte, und einem jeden das Seine zutheile;
 
 
 
  Wie von solchen Pflichten der bürgerlichen Erbarkeit D. Spener, in seinen Lebens-Pflichten, an dem Sonntage Septuagesima, eine Predigt gehalten hat.
 
 
 
  Das ist aus natürlichen Kräfften alles möglich. Wer nun darinnen nicht einmahl treu ist, wie kan ihm GOtt etwas grösseres anvertrauen? Denn Christus sagt, Lucä XVI, 10: Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Grossen treu; Und wer im Geringsten unrecht ist, der ist auch im Grossen unrecht.
 
 
 
d) Wir sollen aber auch erkennen, wie die Kräffte unsers Verstandes und Willens, auch selbst in natürlichen Dingen, sehr geschwächet sind.
 
 
 
  Wenn diejenigen, die von den Studien Profeßion machen, solches erkenneten, so würde weniger Hochmuth, und also auch weniger Streit, unter ihnen seyn.
 
 
 
e) Wir sollen uns durch das Gefühl unsers Unvermögens nie verleiten lassen, die Krafft JEsu Christi zu verleugnen?
 
 
 
  Und sollen also die Lehre von dem Unvermögen der menschlichen Kräffte nicht zu der Trägheit und Sicherheit mißbrauchen.
 
 
 
f) Wir sollen die empfangenen Gnaden-Kräffte uns nicht anmassen, und darauf stoltz seyn; Denn es heißt: Was hast du, o Mensch, das du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, was rühmest du dich denn, als der es nicht empfangen hätte?
1 Corinth. IV, 7.
 
 
  Wir müssen also alles Gute GOtt dem Herrn, uns selber aber nichts, als Schwachheiten und Unvollkommenheiten, zuschreiben, damit wir das Gute nicht beflecken und verdunckeln, welches der Heilige Geist in uns würcket.
 
 
4. Zu der Bestraffung.
 
 
  Es kan nemlich diese Lehre gebrauchet werden
 
 
 
a) Zu der Bestraffung derer, die noch in dem Stande der verderbten Natur stehen, und noch nie eine göttliche Erleuchtung und Wiedergeburt erfahren haben, sondern nur aus natürlichen Kräfften sich einer äusserlichen Erbarkeit befleißigen, und sich doch einbilden, daß sie gute Christen wären, und in dem Stande der Gnaden stünden, folglich die Natur und Gnade schändlich confundiren.
 
 
 
b) Zu der Bestraffung derer, die, wenn sie zu der wahren Bekehrung und Besserung ermahnet werden, einen blos Pelagianischen Vorsatz fassen, und sagen, sie wolten alles thun, was ihnen menschlich und möglich ist; Da doch aus menschlichen Kräfften die wahre Änderung des Hertzens nicht möglich ist, sondern eine höhere Krafft und Gnade zu erbeten und angenommen werden muß.
 
 
 
c) Zu der Bestraffung derer, die einen gewissen Termin ihrer Bekehrung bestimmen und zum Exempel vorgeben, jetzo auf der Universität könnten Sie sich noch nicht bekehren; Wenn sie aber von der Universität nach Hause kämen, wenn sie ein Amt erlangten, wenn sie kranck würden etc. alsdenn wolten sie frömmer
 
  {Sp. 168}  
 
 
  werden. Denn solche Leute müssen ja glauben, daß es in ihren Kräfften und Vermögen stehe, sich zu bekehren, wenn sie wolten, und müssen also keine Überzeugung von dem grossen Unvermögen der menschlichen Natur haben.
 
 
 
d) Zu der Bestraffung derer, welche bey dem Wercke der Bekehrung an die innerliche Veränderung des Hertzens gar nicht gedencken; Sondern nur aus eigenen menschlichen Kräfften eine und die andere grobe Sünde ablegen, aus Epicurern Heuchler werden, und nur aus dem Stande der Brutalität in den Stand der Erbarkeit übergeben.
 
 
 
e) Zu der Bestraffung derer, die durch eigenen Fleiß, und durch die Application ihrer natürlichen Kräffte, eine wahre Erkänntniß göttlicher Dinge erlangen wollen, und das Gebet um göttliche Erleuchtung und Weisheit gäntzlich unterlassen.
 
 
 
f) Zu der Bestraffung derer, welche die Lehre von dem Unvermögen der menschlichen Natur zu der Faulheit und Sicherheit mißbrauchen, sich immer mit der menschlichen Schwachheit entschuldigen, und die Krafft Christi verleugnen.
 
 
 
  Sie meynen, weil der Mensch keine Kräffte zu dem Guten habe, so könne man nicht von ihnen fordern, daß sie diese und jene Sünde unterlassen, und so fromm und heilig leben solten. Ja, sie sagen wohl: Es stehet ja nicht in meinen Kräfften, mich zu bekehren, ich kan mir selber nicht nehmen, noch geben, wenn GOtt einmahl mich anders haben will, so wird er mich wohl anders machen. Diesen ruchlosen Reden hat Professor Francke einen eigenen Tractat entgegen gesetzt: Kurtzer Unterricht von der Möglichkeit der wahren Bekehrung zu GOtt etc.
 
 
5. Zu dem Troste.
 
 
  Solcher bestehet darinnen:
 
 
 
α) Selbst unser Unvermögen beweget GOtt zu der Erbarmung. Psalm. CIII, 14: Er kennet, was für ein Gemächte wir sind, er gedenckt daran, daß wir Staub sind.
 
 
 
  Hieher gehöret auch der Ort, 1 B. Mos. VIII, 21, da GOtt nach der Sündfluth sagte: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen, um der Menschen willen. Denn das Dichten des menschlichen Hertzens ist böse von Jugend auf etc. Welcher Trost aber nur allein solchen Gemüthern zu statten kommet, die ihr Unvermögen erkennen und fühlen, und darüber gedemüthiget werden.
 
 
 
β) GOtt will durch seine Krafft möglich machen, was aus unsern Kräfften unmöglich ist, so, daß wir aus Jesaiä XLV, 24. rühmen können: Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärcke. Desgleichen aus 2 Petri I, 3, daß allerley seiner göttlichen Krafft (was zum Leben und göttlichen Wandel dienet) uns geschencket ist etc.
 
 
 
γ) In dem künfftigen Leben sollen alle verlohrnen Kräffte völlig wieder erstattet werden, zu deren Restitution hier nur ein schwacher und geringer Anfang gemachet wird.
 
     
  Dalet[1] Scribenten.
[1] HIS-Data: in der Vorlage in hebräischer Schrift
  Zum Beschluß sind noch einige Schrifftsteller zu conferiren, die von dieser Lehre geschrieben haben.  
  Da kommt sonderlich D. Luther, de Servo arbitrio, vor, welches Buch, mit Sebastian Schmidts Anmerckungen, zu Straßburg heraus gekommen ist, und zwar die zweyte Edition 1707, bey welchen auch D. Johann Joachim Zentgrafens Anmerckungen zu finden sind.  
  {Sp. 169|S. 98}  
  So hat auch D. Peter Haberkorn zwey Disputationes über diesen Tractat D. Luthers gehalten. Die eine führet diese Überschrifft: Diss. theol. in Librum VI, Lutheri de servo arbitrio ... Die andere aber hat folgenden Titel: Disp. theol. exhibens ..., Giessen 1660.  
  Nebst D. Luthern, gehöret ferner hieher:  
 
  • Johann Hülsemann, de auxiliis gratiae,
  • D. Speners Glaubens-Lehre, an dem 9 und 24 Sonntage nach Trinitatis.
  • Quistorpius de viribus liberi arbitrii.
  • Aegidius Hunnius de libero arbitrio.
  • Quensted de adynamia...
  • Disp. Giess. Tom. IX. ... wo D. Peter Haberkorns Diss. de libero arbitrio befindlich.
 
  Mehrere Autores wird man in D. Rambachs Erläuterung über Freylinghausens Grundlegung der Theologie ... finden. Wir thun noch Johann Wigands Tractat hinzu, welcher den Titel führet: De libero arbitrio hominis ... Ursellis 1562 in 8. Ingleichen D. Heinrich Eckhardts Disp. adversus haeresis Pelagianae interpolatores ... Giessen 1609. Sie stehet auch T. II, Disp. Gies. ...  
  Es gehöret auch D. Rambachs Predigt von dem Kommen zu JEsu hieher. Sie stehet in dem IV Theile der Gießischen Reden ... Es wird daselbst gezeiget:  
 
1) Wie es nicht aus eigner Vernunfft und Krafft geschehen könne;
 
 
2) Wie der Zug des Vaters dazu gehöre.
  • Rambachs Dogmat. Theol. ...
  • D. Johann George Abichts Disput. theol. de Claudio Felice ...
  • Gründl. Auszüge aus Disputat. ...
  • Müllers Contin. Acerr. Philolog. Hund. ...
     

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Stand: 6. Februar 2013 © Hans-Walter Pries