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Zedler: Winter [2] HIS-Data
5028-57-878-4-02
Titel: Winter [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 888
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 457
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Stichworte Text  
  Würckungen der kalten Winter-Lufft in und an dem menschlichen Cörper; wie auch die dabey dienliche Lebens-Art.  
  Von der Kälte und der kaltmachenden Materie, ist bereits im XV Bande, p. 21 und 142 überhaupt gehandelt worden; Daher wir in diesem Artickel nur von den Würckungen der kalten Winter-Lufft in und an dem menschlichen Cörper, wie auch von der dabey dienlichen Lebens-Art reden wollen.  
Wirkungen Von der Wärme ist bekannt, daß sie durch die schnelle Bewegung einer gewissen höchst subtilen Materie entstehen soll, welche die erwärmende genennet wird, und womit alle Cörper in der gantzen Natur versehen sind. Auf gleiche Art haben einige die Kälte von der Gegenwart einer besondern Materie, welche man die Kältende nennen müste, herleiten wollen; allein, es hat unter andern der scharfsinnige Herr Professor Hamberger in Jena, in seiner Physick, § 494 kurtz aber nach seiner Art gründlich gewiesen, daß diese Lehre unbegründet und falsch sey.  
  Es geht vielmehr die einstimmige Meynung der geschicktesten Naturkündiger dahin, daß die Kälte nichts positives sey, und in der That nichts anders, als einen geringen Grad der Wärme vorstelle. Daher ist es in der Natur-Lehre ein unumstößlicher Satz, daß kein Cörper in der Welt vollkommen kalt seyn könne; sondern, wenn man den kältesten Cörper beschreiben will, so ist es derjenige, der entweder am wenigsten von der erwärmenden Materie bey sich hat, oder in welchem dieselbe am schwächsten beweget wird. Die Kälte muß also als das Gegentheil von der Wärme angesehen werden, und folglich müssen ihre Würckungen der Wärme entgegen gesetzet seyn, doch kan man von beyden nichts bestimmen, als relative, oder in Gegeneinanderhaltung mit andern Cörpern.  
  Wir nennen dasjenige warm, was wärmer ist, als der Theil unsers Leibes, den es berühret; und hingegen kalt, was kälter ist, als der Theil, den es berühret; und auf solche Art kan dem einen etwas kalt vorkommen was dem andern warm deucht. Diesemnach heißt eine Winter-Lufft diejenige, so einen weit schwächern Grad der Wärme besitzet, als unsere Cörper, und die folglich bey der unmittelbaren Berührung unsers Cörpers denselben etwas von der bey sich habenden erwärmenden Materie entziehet, auch uns daher die Empfindung einer Kälte beybringet.  
  Die zu Erhaltung unserer Gesundheit bequemste  
  {Sp. 889|S. 458}  
  Lufft muß temperirt, mithin weder zu heiß, noch zu kalt seyn. Gleichwie wir aber einen gewissen Grad der Wärme ohne Beschwerde ertragen können, und uns allererst darüber beklagen, wenn sie uns über diesen Grad beygebracht wird; also verhält es sich ebenfalls mit der Kälte. Eine übermäßige Winterkälte thut also unserer Gesundheit sowohl Schaden, als eine übermäßige Sommerhitze; und wollen wir daher in diesem Artickel die schädlichen Würckungen einer übermäßigen Winterkälte in dem menschlichen Cörper erklären, zugleich aber die Mittel anzeigen, durch welche man dieselben abwenden kan.  
  Gleichwie eine heisse Lufft sehr ausgedehnet und leicht ist, mithin auf unsern Cörper nicht sehr drücket; also ist im Gegentheil eine kalte Lufft sehr condensirt, dichte und schwer, mithin äussert sie ihre Würckungen auf unsern Cörper nicht allein vermöge ihrer Kälte an und für sich selbst, durch welche sie uns etwas von der bey uns habenden erwärmenden Materie entziehet, und ihre Bewegung gewissermassen schwächet, sondern auch vermöge ihrer Schwere und Dichtigkeit, durch welche sie stärcker auf den Cörper drücket.  
  Es ist leicht zu begreiffen, daß die Würckungen sowohl der Lufft überhaupt, als ins besondere der kalten Winterluft, sich zuförderst und hauptsächlich an denen Theilen äussern müssen, welche ihrer unmittelbaren Berührung vor andern ausgesetzet sind; dergleichen sind die äusserliche Haut und die Peripherie des gantzen Cörpers, insonderheit in denen Gegenden, welche entweder gantz blos von der Lufft berühret werden, als das Angesicht; oder in welchen der Umlauff des Geblütes natürlicher Weise am schwierigsten geschicht, als die Hände und Füsse, und besonders die Spitzen der Finger; ferner die inwendige Nase und ihre sämmtliche Höhlen, so mit der Schleimhaut, welche im Lateinischen Membrana pituitaria seu Schneideriana heisset, überzogen sind; nicht weniger der gantze inwendige Mund, Halß, Lufftröhre, die Lunge, der Magenschlund und der Magen.  
  Immittelst, obgleich diese Theile, nach der allgemeinen Erfahrung, die Würckungen der Winterkälte zuerst empfinden; so bleibet es doch nicht allemahl allein bey denenselben, sondern bey fortdaurender Kälte leiden auch die übrigen innerlichen Theile, dergestalt, daß sich ihre Gewalt endlich auf den gantzen Leib erstrecken kan.  
  Bey dem allen hat gleichwohl die vorsichtige Natur, auch unter denen Theilen, welche der unmittelbaren Berührung der Lufft ausgesetzet sind, diejenigen, an denen von der Kälte mehr Schaden und Gefahr zu befürchten, in solche Lage und Verfassung gebracht, daß sie dieselbe nicht zu scharf empfinden, als nach Proportion die übrigen Örter. Wir verstehen insonderheit die Lunge und den Magen. Wenn die Lufft in die Lunge kommen soll, so muß sie erst in die Nase, und durch diese und den hintern Theil des Halses gehen, mithin wird sie daselbst einigermassen temperiret und erwärmet, dergestalt, daß diejenige Lufft, so in die Lunge gelanget, alsdenn bey weitem den Grad der Kälte nicht besitzet, welchen sie kurtz vorher hatte, da sie die Nase berührete, um so viel mehr, da sie bey ihrem Durchgange durch die Lufftröhre ebenfalls noch einige Erwärmung bekommt. Und so ist es  
  {Sp. 890}  
  auch mit der Lufft beschaffen, welche wir mit dem Speichel und andern im Halse befindlichen Fruchtigkeiten mit hinter in den Magen schlucken.  
  Die Nase ist demnach ein Theil, welcher die schädlichen Würckungen der Winterkälte, so dieselbe sonst in der Lunge, im Magen, ja gewissermassen selbst im Halse äussern würde, etwas abwendet; und daher kommt es, daß diejenigen, welche entweder aus übler unanständiger Gewohnheit, oder wegen einer Verstopffung der Nase, mit offenem Munde Athem holen müssen, bey herumgehenden Flüssen weit eher böse Hälse, oder den Husten davon tragen, als andere, die mit zugemachtem Munde, nach der natürlichen Ordnung, durch die Nase Lufft holen.  
  Diese bekommen bey vorfallender Erkältung desto leichter den Schnupffen; wenn sie sich aber bey demselben, daferne die Nasenlöcher verstopffet sind, weiterer Erkältung aussetzen; so können sie ebenfalls den Husten und einen bösen Halß davon tragen: woraus zugleich die Ursache erhellet, wie der Schnupfen zu einem dazu kommenden bösen Halse und Husten würckliche Gelegenheit geben könne.  
  Nun fraget sich es: Worinne denn eigentlich die Würckungen der Winterkälte bestehen? Von der Sommerhitze ist bekannt, daß selbige unsere natürliche Wärme verstärcket, die festen Theile aber auftreibet und ausdehnet: vermöge des Gegentheils folget demnach hieraus, daß die Winterkälte unsere natürliche Wärme schwächet, die festen Theile aber verengert und zusammen ziehet; wie solches durch die Erfahrung bestätiget wird.  
  Gleichwie nun von der Ausdehnung und Auftreibung der Gefässe diejenigen Veränderungen und Beschwerden, so man bey grosser Hitze empfindet, füglich können hergeleitet werden; also ist im Gegentheil die Zusammenziehung der Gefässe und festen Theile überhaupt der Grund, aus welchem die von der Kälte erfolgenden Veränderungen fliessen, und erkläret werden können.  
  Man darff aber nicht dencken, daß die Kälte solche zusammenziehende Krafft an und für sich selbst äussere, sondern es gehet solches auf folgende Art zu: Bey der Wärme sind die Gefässe von den darinne befindlichen lockeren und ausgebreiteten Säfften ausgedehnet, und aufgetrieben; die Lockerheit und Ausbreitung der Säffte rühret von der schnellen Bewegung der darinne enthaltenen erwärmenden Materie her. Diese ziehet sich in gesetztem Falle in die äusserliche Lufft, mithin fallen die Theilgen, woraus die innerliche Lufft und unsere Säffte bestehen, gleichsam zusammen, kommen näher an einander, und werden verdicket. Indem also die Ausbreitung der Säffte gehoben wird; so fället die Ursache der Ausdehnung in den Gefässen weg, mithin ziehen sie sich, vermöge ihrer natürlichen Elasticität zusammen, und werden enger.  
  Nachdem wir also gewiesen, daß die Zusammenziehung der Gefässe nicht von der Kälte, an und für sich selbst, gewürcket wird, sondern von der Entziehung der erwärmenden Materie entstehet, welche aus dem Cörper in die kalte Lufft dringet; so wollen wir vorjetzo noch die Folgen der Zusammenziehung nacheinander anführen:  
  Es wird solchergestalt  
 
1) der menschliche Cörper bey der Kälte gewissermassen stärcker und munterer.
 
 
Diesen Satz wird hoffentlich kein Mensch in Zweiffel ziehen, und man kan die Wahrheit desselben nicht deutlicher einse-
 
  {Sp. 891|S. 459}  
 
hen, als bey denenjenigen, die von der Hitze kraftlos und abgemattet worden. Denn wie werden dieselben nicht erquicket und augenscheinlich gestärcket, wenn sie bey solcher Ermattung an einen kühlen Ort gelangen, oder einen kühlen Trunck bekommen? Wenn ein Mensch nach dem Schlafe sich in einer warmen Stube befindet, so pfleget er anfänglich insgemein matt und träge zu seyn; wenn er aber in eine kühle Lufft kommt, oder sich mit kaltem Wasser wäschet, so wird er augenblicklich frischer und munterer: vieler anderer täglich vorfallender Exempel zu geschweigen.
 
 
Gleichwie es nun eine ausgemachte Sache ist, daß die Mattigkeit und Entkräfftung, so man bey der Hitze erleidet, hauptsächlich von der übermäßigen Ausdehnung und der daher folgenden Erschlappung der festen Theile herrühret; also folget im Gegentheil, daß die Ursache der Stärcke und Munterkeit, welche man bey der Kälte empfindet, in der stärckern Zusammenziehung der festen Theile bestehet. Es bekräfftigen dieses auch unter andern diejenigen Kranckheiten, welche eine verstärckte Zusammenziehung der festen Theile zum Grunde haben: Denn die Theile, welche dergleichen verstärckte Zusammenziehung erleiden, haben allezeitweit mehrere Kräffte und Stärcke; wie man bey convulsivischen Zufällen gewahr wird.
 
 
Jedoch, man muß hierbey bemercken, daß nur eine mäßige Kälte den Cörper munterer machet: denn sonst ist es bekannt, daß, wenn dieselbe gar zu starck, und der Mensch dabey ohne Bewegung ist, vielmehr eine Schläfrigkeit daraus erfolget, welche, wenn man in solcher Kälte ruhig verbleibet, sich nicht allein in einer würcklichen, sondern auch in einen solchen Schlaff verwandelt, aus welchem man nicht wieder erwachet, und der folglich ewig bleibet; davon in Folgendem die Ursache soll angegeben werden.
 
 
Die vermehrte Stärcke der festen Theile bey einer mäßigen Winterkälte äussert sich nicht allein bey den äusserlichen musculösen, und zu den willkührlichen Bewegungen gewidmeten Theilen; sondern auch an den innerlichen, und ins besondere an dem Magen. Daher hat man
 
 
2) bey der Winterkälte bessern Appetit und eine stärckere Verdauung.
 
 
Solchergestalt ist bekannt, daß man im Winter nicht allein weit stärckern Appetit hat, als im Sommer, und daß man selbst im Sommer des Abends, wenn es kühle ist, besser essen kan, als des Mittags bey der Hitze; sondern man kan auch in der That bey der Kälte harte und unverdauliche Speisen besser verdauen, und man verdirbt sich den Magen nicht so leicht, als bey heissen Wetter.
 
 
Daher bemercket man auch ferner, daß die Einwohner kalter Länder gröbere und härtere Speisen, nicht weniger dickere und stärckere Geträncke mit mehrerem Appetit geniessen, und weit besser vertragen können, als diejenigen, so in heissen Ländern wohnen, da es folglich schon der Gebrauch mit sich bringet, daß man gröstentheils nur leicht verdauliche Speisen und dünne Geträncke geniesset.
 
 
Aus diesem Grunde ist leicht zu begreiffen, warum diejenigen, so in einem warmen Lande geboren, und an weiche Speisen gewohnet sind, wenn sie in ein kälteres Land kommen, und härtere Speisen zu essen sich genöthiget sehen, insgemein den Magen verderben, und in solche Kranckheiten verfallen, welche eine üble Verdauung zum Grunde haben? Immit-
 
  {Sp. 892}  
 
telst gehet es auch denen nicht besser, die in einem kalten Lande gröstentheils grobe Speisen zu essen gewohnt gewesen, wenn sie in ein warmes Land und weiche Diät kommen. Sie werden mit Übelkeiten, Brechen und andern Magenbeschwerden behafftet, weil ihr Magen nicht so viel zu arbeiten kriegt, als ihm nach seiner Art zukommt.
 
 
Der alte Hippocrates schreibet Sect. I. Aphoris. 15. ausdrücklich: Ventres hyeme et vere natura sunt calidissimi; in his igitur temporibus etiam alimenta plura exhibenda; innatum enim calorem majorem habent, nutrimento igitur copiosiore indigent etc. Die Erklärung dieses Satzes könnte ohngefehr folgende seyn: Im Frühjahre und im Winter haben die innerlichen Theile, oder die Eingeweide des menschlichen Cörpers, und insonderheit der Magen, eine grössere Wärme; deswegen hat der letztere mehr Nahrung nöthig, und folglich muß man des Winters mehr essen.
 
 
Daß der Magen und die innerlichen Eingeweide überhaupt im Winter mehr Wärme, oder, wie man im gemeinen Leben zu reden pfleget, mehr Feuer haben, ist an und für sich selbst eine unstreitige Wahrheit, und werden wir die Ursache davon in Folgendem angeben. Weil nun die Alten glaubten, daß die Eingeweide ihre Verrichtungen, vermöge ihrer natürlichen Wärme, eigentlich ausübten; so haben sie daraus dererselben gute Beschaffenheit hergeleitet, die man zu unsern Zeiten von ihrer Spannung herführet.
 
 
Vornehmlich und zuförderst bringet die Winterkälte
 
 
3) an der äusserlichen Haut oder Peripherie unsers Cörpers eine Zusammenziehung zuwege, welche nach ihrem verschiedenen Grade entweder nur die Gefässe und die äussersten nervichten Fasern, so zwischen der wahren Haut und dem Oberhäutlein liegen, betrifft; oder die wahre Haut selbst mit einnimmt; oder auch so gar bis auf die musculösen Theile dringet; und nach diesem verschiedene Grade der Zusammenziehung an der Haut, bemercket man auch verschiedene Veränderungen an derselben. Denn solchergestalt erreget
 
 
 
α) eine gelinde Kälte nur an den äussersten unter dem Oberhäutlein liegenden Gefässen und Endungen der Nerven eine Zusammenziehung; und diese, in soferne sie sich an den nervichten Fasern befindet, verursachet ein überlauffendes Frösteln, oder so genanntes Griesseln, welches öffters über den gantzen Leib gehet. Wenn aber benannte Gefässe zusammen gezogen und zugeschnüret werden; so lassen sie keine Feuchtigkeiten in sich, und es kan keine Ausdunstung erfolgen. Daher wird
 
a) die äusserliche Haut trocken, wie ein Reibeisen, weil ihre natürliche Feuchtigkeit und Schmeidigkeit eigentlich durch die ausdunstenden Feuchtigkeiten muß erhalten werden;
b) blaß, weil gar kein Blut in die äussersten Gefässe gelangen kan, von welchen sonst die Röthe der Haut entstehet;
c) beym Anfühlen kalt, weil kein gehöriger Umlauff des Geblütes, von welchem die Wärme des Leibes herrühret, geschehen kan;
d) eingefallen, weil die Feuchtigkeiten, die sonst durch ihre Anhäuffung in den äussersten Gefässen eine Ausdunstung der Haut zuwege bringen, nicht hineingelassen werden. Und aus diesem Grunde erscheinet der Cörper bey der Kälte nicht
 
  {Sp. 893|S. 460}  
 
 
 
  allein kleiner zu seyn, sondern er ist es auch in der That; dergestalt, daß die Kleider, Schuh, Handschuh und dergleichen, die bey der Wärme zu enge waren, bey der Kälte weit genung werden;
e) Es entstehet eine Gänsehaut, weil sich die nervichten Fasern und Warzen, bey entledigten Gefässen gleichsam zusammen kräuseln. Deswegen auch die Finger bey der Kälte gewisser massen taub werden, und man kein deutlich Gefühle hat.
 
 
 
  Wenn aber die Kälte etwas stärcker ist, so dringet die daher folgende Zusammenschnürung weiter, und nimmt
 
 
 
β) die wahre Haut selbst mit ein; und alsdenn verstehet es sich von selbst, daß nicht allein die Empfindung der Kälte stärcker, sondern auch die Haut von aussen blasser, trockener und eingefallener seyn müsse, weil der Umlauf des Blutes auch in den Gefässen der Haut selbst sehr gehindert wird.
 
 
 
  Hierbey aber fraget sich es: Warum die Haut an denen Örtern, wo sie von der Kälte unmittelbar berühret wird, als im Angesichte und an den Händen, bey solchem Grade des Frostes nicht blaß bleibet, sondern roth, ja braunroth wird.
 
 
 
  Von der Hitze ist bekannt, daß dabey die äusserliche Haut röther wird: weil wegen der dabey vor fallenden Auftreibung und Ausdehnung der Gefässe das Blut häuffiger in die äussersten Röhren dringet, als bey natürlicher Wärme eigentlich zu geschehen pfleget; und eine solche Röthe ist mit einer Wärme, Feuchtigkeit und Ausdünstung der Haut verknüpffet. Wenn aber die Haut von der Kälte braun wird; so hat solches eine Stockung oder Stagnation eines verdickten Blutes in den Gefässen der wahren Haut zum Grunde. Denn da die Haut zusammen gezogen wird, so werden auch die in die selbe sowohl hinein- als herausgehenden Gefässe zusammen gezogen und eingeschnürt.
 
 
 
  An dem Pulsadern kan diese Zusammenziehung so starck nicht wohl geschehen, daß gar kein Blut durchfliessen solte; die Blutadern aber können, wegen ihres weit schwächern Widerstandes, dermassen zugeschnürt werden, daß wenig oder nichts durch dieselben zurück kommen kan: mithin sammlet es sich häuffiger in den Gefässen an, geräth in eine Stockung, und bringet solchergestalt eine veränderte Farbe der Haut zuwege, welche dunckelroth, oder gar braun ist: weil das stockende Blut, wie wir nachhero zeigen werden, durch die Kälte zugleich gewisser massen verdicket und coaguliret wird; da hingegen die von der Hitze herrührende Röthe blässer aussiehet, weil das unter dem Oberhäutlein befindliche Blut mit vielen wäßrichen und lymphatischen Feuchtigkeiten vermischet, verdünnet, und in beständigem Umlauffe ist.
 
 
 
  Wenn diese in den Gefässen der Haut befindliche Stockung des verdickten Blutes bey anhaltendem Froste eine Zeitlang dauret, und so zunimmt, daß sie sich nicht allein an den tieffer liegenden musculösen Theilen zugleich ereignet, sondern auch daß das Blut in einen gäntzlichen Stillstand geräth; so erfolgen daher die sogenannten Frostbeulen, oder das Erfrieren der Glieder, dessen höchster Grad in einer würcklichen Absterbung oder kalten Brande des behaffteten Theiles bestehet.
 
 
 
  Und dergleichen Veränderungen geschehen gemeiniglich entweder an denen Theilen, welche von der Kälte unmittelbar berühret werden, und folglich
 
  {Sp. 894}  
 
 
  deren Würckungen mehr ausgesetzet sind, als am Angesichte, der Nase und den Ohren; oder an denenjenigen, darinne natürlicher Weise der Umlauf des Blutes am schwächsten geschicht, und die folglich den Würckungen der Kälte am wenigsten widerstehen können, als an den Füssen.
 
 
 
  Uns deucht, man könne die Begebenheiten und Veränderungen, so man an den Frostbeulen oder erfrornen Gliedern bemercket, lediglich aus den beyden Würckungen der Kälte, da sie nehmlich das Blut verdicket, und die Gefässe zusammen schnüret, ungezwungen erklären; und hat man daher unsers Erachtens im geringsten nicht nöthig zu behaupten, daß von der Kälte einige starre Theilgen durch die Schweißlöcher in den menschlichen Cörper hineindringen, und die Kälte folglich in solchem Verstand was positives, oder ein würckendes Wesen, (ens activum) wie es einige nennen, ausmachte.
 
 
 
  Wenn endlich die von der Kälte verursachte Zusammenziehung
 
 
 
γ) bis auf die unter der Haut liegenden musculösen Theile dringet; so erreget sie in geringerem Grade ein Klappern der Zähne, ein Zittern und Beben des gantzen Cörpers, in stärckerem Grade aber eine Art von Erstarrung. Das Zittern und Beben hat eine zwar verstärckte und abwechselnde, doch zugleich gewisser massen unvollkommene und ungleiche Verrichtung der zur Bewegung eines Theils gewidmeten Musceln zum Grunde, welche von dem ungleichmäßigen Einflusse der Säffte in dieselben herrühret.
 
 
 
  So lange demnach die von der Kälte verursachte Zusammenziehung der Musceln noch so beschaffen, daß sie zwar den Einfluß des pulsädrigen Geblütes in dieselben nicht gäntzlich hemmet; gleichwohl in grosse Unordnung und Ungleichheit setzet: so lange bleiben zwar die Musceln in einer abwechselnden, und vermöge der daran geschehenen Zusammenziehung, in einer verstärckten Arbeit; sie ist aber wegen des unordentlichen Einflusses des ohnedem verdickten Blutes ungleich und unvollkommen, und kan sich folglich durch keine deutliche Bewegungen, wie bey convulsivischen Zufällen geschicht, äussern, sondern bringet ein Zittern, Beben und Zähneklappern zuwege.
 
 
 
  Wenn aber die Zusammenschnürung in den sämtlichen Musceln zugleich, und so starck geschicht, daß der Einfluß des Geblütes gäntzlich gehemmet wird: so erfolget eine Erstarrung, Tetanus, Convulsio tonica, bey welcher, wenn sie lange anhält, der Leib unbeweglich, und in der Stellung bleibet, die er zu solcher Zeit gehabt hat, mit tödtlichen Ausgange: und dieses heißt, erfrieren, oder vor Frost sterben, davon wir in folgendem noch etwas anzeigen werden.
 
 
  Gleichwie die Kälte an den festen Theilen eine Zusammenziehung würcket; also bringet sie
 
 
4) an dem Blute, oder an den flüßigen Theilen überhaupt, eine schädliche Verdickung zuwege.
 
 
  Denn so wie bey der Hitze durch die verstärckte Bewegung der erwärmenden Materie die kleinsten Theilgen, woraus unsere Säffte bestehen, mehr aus einander getrieben, mithin die Säffte lockerer und flüßiger gemacht werden; so wird im Gegentheil von der Kälte die Bewegung der erwärmenden Materie geschwächet, mithin treten die Theilgen, woraus die Säffte bestehen, dichter an einander, berühren sich in mehrern Puncten, bleiben zum Theil an
 
  {Sp. 895|S. 461}  
 
einander hängen, und daher entstehet ein gröberes, dickeres und dichteres, oder condensirtes Blut: ja, daher entstehet aus Wasser Eiß, welches bey unserem Blute unter andern deswegen nicht angehet, weil durch den Umlauf, darinne es sich, so lange man lebet, beständig befindet, der gäntzliche Zusammenhang seiner Theilgen, der zur Hervorbringung des Eisses gehöret, verhindert wird.
 
 
Von einer sehr grossen Hitze ist ferner zu bemercken, daß dadurch ein dickes, grobes, grumplichtes, und scharffes Blut hervorgebracht wird, dessen Theilgen so zähe sind, daß sie sich mit keinen wäßrichen Feuchtigkeiten vermischen, noch davon auflösen lassen; allein es geschiehet dieses in solchem Falle auf keine andere Art, als durch die dabey vorfallenden, übermäßigen und anhaltenden Schweisse, durch welche bey erweiterten Schweißlöchern die dünnesten Feuchtigkeiten häuffig dem Blute entzogen, die gröbsten und zähesten aber zurückgelassen werden. Bey der Kälte hingegen geschicht die Verdickung des Blutes auf eine andere Art: Es bleiben die dünnen und wäßrigen Säffte in dem Cörper zurücke, und mit den übrigen groben und zähen Theilen des Blutes in ihrer natürlichen Vermischung; sie werden aber dichter mit einander vereiniget, und erlangen einen gröbern und festern Zusammenhang.
 
 
Daß die Kälte unsere Säffte gröber, dicker und dichter machet, sehen wir augenscheinlich nicht allein an dem aus dem Leibe gelassenem Blute, welches bey der Kälte sich weit geschwinder verdicket und gerinnet, als in der Wärme; sondern wir werden auch solches an lebendigen Cörpern gewahr, als bey welchen sogar die unsichtbaren Dünste durch die Kälte können sichtbar gemacht werden. Denn diejenigen Dünste, welche bey der Ausdünstung beständig aus der Lunge in die äusserliche Lufft dringen, und bey einer auch nur mittelmäßigen Wärme niemahls gesehen werden, siehet man ja bey strenger Kälte in Gestalt eines Dampfes gantz deutlich aus dem Halse steigen. Und die Pferde, welche starck gejaget worden, rauchen im Winter bey der Kälte weit stärcker, als bey warmen Wetter.
 
 
Gewiß, die Ausdünstung sowohl aus der Lunge, als an der äusserlichen Haut, ist im Sommer weit stärcker, als im Winter, wir sehen sie aber bey warmen Wetter nicht: weil die Dünste zu dünne, zu locker, und zu subtil sind, sich auch unvermerckt in die Zwischenräume der ebenfalls lockern Lufft hinein ziehen; da sie aber bey der Kälte gröber werden, so erblicken wir dieselben, ob sie gleich in der That sparsamer abgehen.
 
 
Der Urin bricht und setzet sich bey der Kälte weit geschwinder, als an einem warmen Orte, und dieses darum: weil dessen Theile dichter an einander treten, verdicket, mithin schwerer werden, und daher zu Boden fallen; welches bey der Wärme länger dauret, weil die Bewegung der erwärmenden Materie im Urine, nebst der daher folgenden Flüßigkeit desselben länger unterhalten, und dadurch die Vereinigung der groben Theile länger verhindert wird; anderer Exempel zu geschweigen.
 
 
Da die kalte Lufft nicht allein die äusserliche Haut oder Peripherie unsers Cörpers berühret, sondern auch in die Nase, den Mund, Hals, Magenschlund, Magen, Luftröhre und in die Lungen dringet; so würcket sie
 
 
5) an
 
  {Sp. 895}  
 
diesen Theilen ebenfalls eine Zusammenziehung und Verdickung der Säffte, jedoch, wie schon erwehnet worden, an einem Theile stärcker, als an dem andern.
 
 
Und gleichwie nach dem verschiedenen Grade der Kälte die daher folgende Zusammenziehung an der äusserlichen Haut bald gelinder, bald stärcker ist, mithin verschiedene Würckungen hervorbringet: also bemercket man auch solchen Unterscheid an jetzt benannten mehr innerlichen Theilen. Denn wenn solchergestalt bey geringer Winter-Kälte die Zusammenziehung an der Schleimhaut, so die inwendige Nase überziehet, gelinde geschicht, so, daß die Ausdünstungs-Röhren nicht sowohl gäntzlich zugeschnüret, als vielmehr nur etwas geprickelt, und in eine stärckere Verrichtung gesetzet werden; so erfolget eine stärckere und geschwindere Absonderung der schleimigen Feuchtigkeiten in denenselben, und daher trieffet die Nase bey der Kälte.
 
 
Aus eben dem Grunde thränen bisweilen die Augen, wenn man in die Kälte kömmt, weil wegen der Anreitzung und gelinden Zusammenziehung, die davon an dem Auge und an den Thränen-Gängen erfolget, diese Feuchtigkeiten geschwinder und häuffiger abgesondert werden; weswegen auch dererselben Abfluß durch die Nase stärcker geschicht, mithin das Trieffen der Nase vermehret wird.
 
 
Wenn aber die Kälte, nebst der daher folgenden Zusammenziehung, stärcker ist, und die Ausdünstungs-Röhren vollends zugeschnüret werden, daß sie gar keine Feuchtigkeiten durchlassen; so müssen alle benannte Theile nach Proportion trocken werden. Und daher entstehen catharralische Zufälle, oder Flüsse, böse Hälse, Schnupffen, Heiserkeit, Husten und dergleichen, und zwar um so viel eher, wenn der Leib vorhero sehr warm und erhitzt gewesen.
 
 
Da die kalte Lufft schwer und dichte ist, so muß sie nothwendig auch nach Proportion sehr elastisch seyn; daher, wenn sie bey dem Einathmen in die Lunge tritt, sie die Lungenbläsgen zu starck ausdehnet, die zwischen solchen Bläsgen liegenden Blutgefässe ungemein zusammen drücket, und das Ausathmen schwer machet. Man ersiehet hieraus die Ursache, warum man bey sehr strenger Kälte eine eigene Beklemmung auf der Brust empfindet, und nicht frey Athem holen kan: wobey man, wenn man auf sich selbst genau Achtung giebet, finden wird, daß es nicht sowohl an dem Einathmen liege, als daß man vielmehr die eingezogene Luft nicht hinlänglich wieder herausstossen, oder loswerden kan.
 
 
Da die bey dem Einathmen in die Lunge tretende Lufft unter andern den Nutzen hat, daß sie das darinne umlauffende erhitzte und gar zu locker gewordene Blut gewisser massen abkühlet, etwas dichter und zu ferneren Umlauffe geschickter macht; so müssen diese Würckungen um so viel stärcker erfolgen, je kälter die Luft ist, und daher geschicht es allerdings, daß bey strenger Winter-Kälte das Blut in der Lunge, statt der demselben nöthigen Abkühlung, vielmehr eine widernatürliche Condensation und schädliche Verdickung erleidet.
 
 
Wenn nun solchergestalt die kalte Lufft, vermöge ihrer Schwere und Dichtigkeit, die Lungenbläsgen zu sehr ausdehnet, und die Gefässe zu starck zusammen drücket; vermöge der Kälte selbst aber das Blut zu sehr verdicket wird; so lässet es sich gar leicht begreiffen,
 
  {Sp. 897|S. 462}  
 
wie daraus gefährliche Stockungen des Blutes und daher rührende Entzündungen der Lungen entstehen können? Hippocrates rechnet demnach Sect. III. Aphor. 23. die Lungen-Entzündungen mit allem Rechte unter die Winter-Kranckheiten; und diejenigen haben nicht unrecht, welche einen langwierigen Aufenthalt in sehr strenger Kälte zu den Ursachen der fleischichten Hertzgewächse zählen.
 
 
Von einer solchen übermäsigen Verdickung des Blutes in der Lunge kan bey grosser Kälte so gar ein plötzlicher Tod erfolgen; wie denn solchergestalt der unermüdete Herr Professor Haller in Göttingen, in seinen Noten zu den Boerhavischen Institutionen, … unter dem Worte stringit, anzeiget, daß es in den Nordischen Ländern bey sehr grosser Kälte sich bisweilen zutrüge, daß Menschen und Vieh plötzlich todt zur Erden fielen, oder einen sonst vorhergegangenen, oder dazu kommenden Zufall; und daß solcher schleunige Tod keine andere Ursache zum Grunde habe, als eine schleunige Zusammenschnürung der Lunge und Gerinnung des darinne umlauffenden Blutes: Denn auf solche Art muß es nothwendig in einen Stillestand gerathen, der Umlauff durch die Kammern des Hertzens wird auf einmahl gehemmet, und darinne bestehet der Todt.
 
 
Kan man uns nicht eines Widerspruchs beschuldigen, da wir vorher gesaget, die Lungenbläsgen würden durch eine kalte Lufft zu starck ausgedehnet, und wir doch die vornehmste Würckung der Kälte einer Zusammenziehung der festen Theile zugeschrieben, auch aus dem Herrn Haller angeführet, daß die schleunige Zusammenschnürung der Lunge die Ursache des von strenger Winter-Kälte erfolgenden Todes seyn könne? Wie reimet sich eine Zusammenziehung und Ausdehnung zusammen?
 
 
Die Beantwortung dieses Einwurffes wird hoffentlich aus folgender kurtzen Betrachtung erhellen: Wenn wir natürlicher Weise einathmen wollen; so muß zuförderst durch die Verrichtung der dazu gewidmeten Musceln der Raum der Brust etwas erweitert werden, und alsdenn tritt die äusserliche Lufft durch die Nase, den Mund und die Lufftröhre in die Lunge, und dehnet die Lungenbläsgen insgesammt bis zu einem gewissen Grade aus. Bey dem Ausathmen muß diese kurtz vorher hineingedrungene Lufft wiederum herausgestossen werden, und dieses geschicht
 
 
 
1) durch die Verrichtung der Musceln und Theile, welche die Brust verengern, mithin von aussen die Lunge zusammen drücken,
2) durch den Einfluß des pulsädrigen Blutes in die Lungenpulsadern, vermöge dessen die Lungenbläsgen von aussen gewisser massen zusammen gedrückt werden, und
3) durch die natürliche Elasticität der Lungenbläsgen, vermöge welcher sie sich von selbst etwas zusammen ziehen, oder zusammen schnüren, wenn sie vorher ausgedehnet worden.
 
 
Wenn dieses gehörig, leicht und ohne Beschwerde geschehen soll, wie es bey guter Gesundheit erfordert wird; so muß nothwendig eine Proportion zwischen der Gewalt der Lufft, und der Verrichtung der Lungen, wie auch der übrigen zum Athemholen nöthigen Theile festgesetzt werden. Was insbesondere die Lufft betrifft; so muß sie so beschaffen seyn, daß sie bey
 
  {Sp. 898}  
 
dem Einathmen den Widerstand der innerlichen Lufft der Lungenbläsgen, und derer dieselbe umgebenden Gefässe gewissermassen übertreffe, und folglich eine gnungsame Ausdehnung der Lunge zuwege bringe; doch muß sie im Gegentheil bey dem Ausathmen der Würckung obbenannter Theile nachgeben, und sich ohne sonderlichen Widerstand aus der Lunge herausdrücken lassen; und dieses hat man von einer so genannten temperirten Lufft zu hoffen.
 
 
Ist die Lufft zu leicht und dünne, wie die heisse Lufft zu seyn pfleget, so hat sie nicht Krafft genug, die Lungenbläsgen zur Gnüge auszudehnen; und daher wird uns bey der Hitze, insonderheit das Einathmen schwer, und man ist genöthiget, öffters tief Athem zu holen. Wenn aber die Lufft nach Proportion unsers Cörpers zu dichte und zu schwer ist; so ist ihre ausdehnende Krafft, zumahl wenn sie in einem wärmern Ort kommt, wie die Lunge ist, weit stärcker, sie dehnet daher bey ihrer Einathmung die Lungenbläsgen zur Gnüge, und öffters über die Gebühr aus, es hält aber schwerer, daß sie wieder herausgetrieben werden soll, wenigstens muß es durch eine verstärckte Arbeit der Lungenbläsgen, des Hertzens, und aller übrigen zum Ausathmen gewidmeten Theile geschehen; mithin fället uns alsdenn das Ausathmen schwehrer.
 
 
Die kalte Lufft, wenn sie in die Lunge dringet, würcket, vermöge ihrer Kälte, eine Zusammenziehung der Lunge, und zwar vornemlich derjenigen Theile von derselben, so sie unmittelbar berühret. Diese sind eines Theils die Ausdünstungs-Röhren, von deren Zusammenziehung eine sparsamere Ausdünstung erfolget, obgleich die abgehenden Dünste von der Kälte dichter gemacht, und sichtbar werden; andern Theils die Lungenbläsgen selbst, als das eigentliche Behältniß der eingeathmeten Lufft, und von deren ihrer Zusammenziehung folget, daß sie ihrer Ausdehnung stärcker widerstehen.
 
 
Wenn es nun möglich wäre, daß eine kalte Lufft zugleich leicht und dünne wäre, oder daß, wenn wir bey beschriebener Verfassung der Lunge eine uns gewöhnliche und temperirte Lufft genössen, die Lungenbläsgen dennoch in benanntem Zustande und Zusammenziehung verblieben; so würde eine solche Lufft nicht vermögend seyn, dieselben hinlänglich auszudehnen, und folglich würde uns das Einathmen ungemein schwer fallen, wie man an einigen Arten von der trocknen Engbrüstigkeit, Asthmate sicco, gewahr wird, da die Patienten in warmen Wetter einen viel schwerern Athem haben, als bey der Kälte.
 
 
Allein die gütige Natur ist gar zu sehr auf die Erhaltung ihrer Cörper bedacht, und wenn etwas vorfällt, das ihnen Schaden zufügen könnte, so ist es doch gemeiniglich zugleich mit solchen Umständen verknüpfft, welche den Schaden, wo nicht gäntzlich abwenden, dennoch sehr erträglich machen; und es würde daher eine ziemlich weitläufftige Abhandlung erfordern, wenn wir unter andern zeigen wolten, wie die Natur so wohl in der grossen als kleinen Welt, ihre Cörper vor der Kälte bewahre?
 
 
Die kalte Lufft würcket eine Zusammenziehung an unsern Lungenbläsgen, und diese bekommen dadurch mehr Kräffte, so wohl ihrer Ausdehnung zu widerstehen, als auch nachher nachdrücklicher sich
 
  {Sp. 899|S. 463}  
 
zusammen zu ziehen. Dieses ist nothwendig: denn da die ausdehnende Krafft einer kalten Lufft, wenn sie an einen warmen Ort kommt, ungleich stärcker ist, als einer temperirten; so würde es schlecht um unsern Athem aussehen, wenn der Widerstand der Lungenbläsgen bey der Kälte nicht stärcker würde, als er bey einem temperirten Wetter ist.
 
 
Bey der Kälte schadet uns demnach der verstärckte Widerstand unserer Lungenbläsgen nichts; es kan dadurch die hinlängliche Ausdehnung der Lunge, mithin das Einathmen nicht verhindert werden, weil die kalte Lufft, vermöge ihrer Dichtigkeit und Schwere, mehr drücket, und stärcker ausdehnet. Da hiernächst zur Heraustreibung einer solchen schweren Lufft aus der Lunge die Lungenbläsgen mehr Kräffte haben müssen, und sie dieselben durch ihre Zusammenziehung bekommen; so erhellet, wie dieselbe auch zu einem hinlänglichen Ausathmen nöthig sey.
 
 
Was demnach die Lufft durch ihre Kälte schlimm zu machen scheinet, machet ihre Schwere wieder gut; und das Unheil, welches wir von ihrer Schwere zu befürchten hätten, wird durch ihre Kälte abgewendet. Man siehet also hieraus
 
 
 
1) wie ferne bey der Kälte so wohl eine Zusammenziehung der Lunge, als auch eine grössere Ausdehnung der Lungenbläsgen ohne Widerspruch statt finde, und wie
2) bey einer mäsigen Kälte dem ohngeachtet ein freyes und gleichmäsiges Athmen geschehen könne.
 
 
Allein, wenn die Krafft des einen Cörpers ungleich stärcker wird, als der Widerstand des andern; so muß der letztere nothwendig unterliegen, und nachgeben. Wenn die Winter-Kälte gar zu strenge ist; so dehnet sie, vermöge ihrer Schwere, unsere Lungenbläsgen gar zu starck, und über ihre natürlichen Grentzen aus. Nun ist bekannt, daß wenn ein fester elastischer Theil des menschlichen Cörpers weit über seine natürlichen Grentzen, ultra sphaeram elasticitatis, ausgedehnet wird, er die Krafft verliere, sich zusammen zu ziehen. Eben dieses muß auch an unsern Lungenbläsgen statt finden.
 
 
Wenn dieselben bey gar zu strenger Kälte zu starck ausgedehnet werden; so hält es schwer, und es muß eine nach Proportion ziemlich verstärckte Würckung derer zum Ausathmen gewidmeten Theile dazukommen, so sich hinlänglich zusammen ziehen sollen, mithin ist das Ausathmen bey strenger Kälte mühsam. Ja, wenn endlich bey dem äussersten Grade der Kälte, dergleichen wir Gottlob! in unsern Gegenden nicht zu vermuthen haben, die Lungenbläsgen auf einmahl dermassen ausgedehnet werden, daß sie sich gar nicht wieder zusammen ziehen können; so kan auch kein Ausathmen erfolgen, mithin muß ein plötzlicher Tod entstehen, um so viel mehr, da zugleich durch eine solche Kälte das in der Lunge umlauffende Blut aufs äusserste verdicket, und ausser Bewegung gesetzet; hiernächst aber die Blutgefässe, welche die Lungenbläsgen gleich einem Netze umgeben, dermassen zusammen gedrücket werden, daß sie sich, wegen ihrer gäntzlichen Entledigung, plötzlich zusammen ziehen, und den Einfluß des pulsädrigen Blutes, welcher oberwehnter massen zum Ausathmen vieles beyträget, vollends verhindern.
 
 
Wer demnach auf erwehnter Art vor Kälte plötzlich stirbt, der stirbt
 
  {Sp. 900}  
 
im Einathmen, an einer übermäßigen Ausdehnung der Lungenbläsgen, welche ohnerachtet solcher Ausdehnung, dennoch dabey starr und steif bleiben, und also eine starre Zuschnürung behalten. Wenn man Gelegenheit hätte, dergleichen von strenger Kälte auf erwehnte Art plötzlich gestorbene Personen zu öffnen; so würde man die Wahrheit dieser Meynung durch den Augenschein bekräftiget sehen; und man könnte die Richtigkeit derselben annoch durch verschiedene, so wohl bey gesunden als krancken Personen, während der strengen Kälte vorfallende Begebenheiten bestätigen, wenn es uns vorjetzo nicht so weitläufftig schiene, und uns von unserem Endzwecke abzöge. Wir wollen daher nach dieser kleinen Ausschweiffung in Erzählung der Würckungen einer kalten Winterlufft weiter fortfahren.
 
 
In dem bey der Kälte die Peripherie unsers Cörpers zusammen gezogen ist; so wird dadurch
 
 
6) die Ausdünstung vermindert, und bisweilen gar gehemmet.
 
 
Die Wahrheit hiervon lehret der Augenschein; und gleichwie es in der Artzneykunst überhaupt eine ausgemachte Sache ist, daß alle Menschen nach Proportion im Winter weniger ausdünsten und schwitzen, als im Sommer: Also haben die von vielen Ärtzten angestellten Versuche und gemachten Anmerckungen in Ansehung des Landes dargethan, daß die Einwohner heisser Länder, (wie unter andern Sanctor in seiner Medicina statica von den Italienern sehr mühsam und ausführlich beschreibet) eine weit stärckere Ausdunstung haben, als diejenigen, so in kalten Gegenden leben.
 
 
Von solcher verminderten, oder gar gehemmten Ausdunstung aber erfolgen ferner verschiedene üble Würckungen: Denn
 
 
 
a) verlieret dadurch die äusserliche Haut ihre natürliche Weiche und Schmeidigkeit, wenn sich nun selbige bey gehemmter Ausdunstung verlieret, so muß die Haut hart, trocken, und barsch werden, ja zugleich aufspringen; welches eben diejenigen Beschwerlichkeiten sind, davor sich insonderheit das schöne Frauenzimmer bey der Kälte am allermeisten fürchtet, und ihre zarten Hände am sorgfältigsten davor zu bewahren suchet. Jedoch dieses wäre an und für sich selbst wohl der geringste Schaden.
 
 
 
b) Bey verminderter oder gar gehemmter Ausdünstung geschehen die Absonderungen der Feuchtigkeiten und Unreinigkeiten an den innerlichen Theilen um so viel stärcker, insonderheit aber die Absonderung des Urins. Denn gleichwie im Sommer, wegen der alsdenn verstärckten Ausdunstung und der übermäßigen Schweisse, der Urin sparsamer abzugehen pfleget; also bemercket man im Gegentheil des Winters, und bey der Kälte durchgehends einen weit häufigern Abgang des Urins.
 
 
  Und hieraus ersiehet man abermahls, wie sorgfältig die Natur auf die Erhaltung unsers Cörpers bedacht sey: Denn was würden wir nicht für Beschwerden und Kranckheiten auszustehen haben, wenn die überflüßigen und zum Theil unreinen Dünste und Feuchtigkeiten, welche natürlicher Weise unaufhörlich durch die Haut verrauchen, bey gehemmter Ausdunstung, nicht einen andern Weg fänden, durch welchen sie gewisser massen abgeführet werden könnten. Wir brau-
 
  {Sp. 901|S. 464}  
 
 
  chen hierbey nicht weiter Zeugniß: Denn die Erfahrung lehret, daß, wenn nach langwieriger Erkältung der Urin, wegen eines innerlichen Fehlers, nicht gnungsam abgehet, man entweder einen Durchfall bekommt, durch welchen die wäßrigen Feuchtigkeiten weggeschaffet werden, oder man verfällt bey dessen Ausbleiben in die schwersten Kranckheiten.
 
 
 
c) Bey zusammengezogener Peripherie unsers Leibes, und der daher gehemmten Ausdunstung müssen die innerlichen Theile und grössern Gefässe nothwendig mit mehrern Säfften angefüllet werden, und daher wird die Arbeit des Hertzens und der Gefässe, mithin der Umlauff verstärcket. Denn wenn sich das Blut in den innerlichen Theilen häuffiger ansammlet; so wird es in grösserer Menge in die Kammern des Hertzens getrieben; und alsdenn bringet es die natürliche Elasticität der festen Theile mit sich, daß sich das Hertz mit grösserer Krafft zusammen ziehet, um das empfangene häuffigere Blut wieder heraus zu stossen.
 
 
 
  Die Würckung der Gefässe aber muß der Arbeit des Hertzens proportioniret seyn; und wenn folglich diese stärcker geschicht, so muß sie auch an jenen verstärcket werden; welches alles bey der Kälte um so viel eher erfolget: Weil das Blut bey derselben so wohl an der Peripherie des Leibes, als in der Lunge abgekühlet und dichter gemacht wird, daher es die Gefässe nicht so sehr ausdehnet, und ihrer Verrichtung um so viel weniger widerstehet. Solchergestalt hilfft sich der Cörper bey der ihm bevorstehenden Gefahr abermahls selbst.
 
 
 
  Da die gantze Masse des Geblüts bey zugeschnürten äusserlichen Theilen sich gröstentheils in den innerlichen aufhalten muß, und da zugleich das Blut gewisser massen verdicket ist, und man folglich dencken solte, es müsse dadurch dessen ordentlicher Umlauff geschwächet, und zu schädlichen Stockungen Gelegenheit gegeben werden; so hilfft sich die Natur durch die verstärckte Arbeit der festen Theile. Vermittelst derselben geschicht der Umlauff geschwinder, stärcker und lebhaffter, und hierdurch wird das Blut in einer proportionirten Flüßigkeit erhalten, mithin die zu befürchtenden Stockungen abgewendet.
 
 
 
  Bey solchen lebhafften Umlauffe behalten die innerlichen Theile und Eingeweide hinlängliches Vermögen, die ihnen zukommenden Verrichtungen mit Nachdruck auszuüben; sie haben eine grössere Wärme oder Feuer: Weil der Umlauff des Blutes in denenselben hurtiger und lebhaffter geschicht, deswegen Hippocrates angezeigter massen mit gutem Grunde behauptet, quod ventres hyeme sint calidiores; und mit einem Worte, diese verstärckte Arbeit der festen Theile wehret und hindert die schädlichen Würckungen der Kälte, indem sie an dem Cörper eine Wärme unterhält, welche der äusserlichen Kälte gewachsen ist.
 
     

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Stand: 30. März 2013 © Hans-Walter Pries