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Zedler: Winter [3] HIS-Data
5028-57-878-4-03
Titel: Winter [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 901
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 464
Vorheriger Artikel: Winter [2]
Folgender Artikel: Winter [4]
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Stichworte Text Anmerkungen
Schutz vor Kälte Man hat demnach die verstärckte Arbeit der festen Theile, nebst dem daraus folgendem lebhafften Umlauffe des Blutes, als dasjenige Mittel anzusehen, wodurch sich der Mensch natürlicher Weise vor den schädlichen Würckungen der äusserlichen Kälte gewisser massen zu schützen vermögend ist. Immittelst hat man hierbey folgende drey Umstände in Erwegung zu ziehen.  
  Wenn man zuförderst sa-  
  {Sp. 902}  
  get, daß der Cörper im Stande sey, sich wider die Kälte zu schützen; so muß solches nur auf einen gewissen Grad derselben eingeschräncket werden: Denn wenn die Kälte gar zu übermässig ist, so überwindet sie die Kräffte und den Widerstand unsers Cörpers, und ist vermögend, denselben so gar zu tödten. Es kan dergleichen tödtlicher Ausgang so wohl plötzlich, als allmählich erfolgen.  
  Im ersten Falle entstehet der Tod vermittelst der schleunigen Gerinnung, und des daher flüssenden Stillestandes des Blutes in der Lunge, wie bereits oben gesaget worden.  
  Im letzten Falle träget sich der Tod auf folgende Art zu: Die Kälte würcket an den äusserlichen Theilen eine Zusammenschnürung, verdicket die daselbst befindlichen Säffte, und treibet dieselben nach den innerlichen Theilen zurücke; die verstärckte Arbeit des Hertzens und der Gefässe aber erhält das in den innerlichen Theilen angehäuffte Blut in proportionirter Flüßigkeit und lebhafften Umlauff.  
  Wenn aber die Winter-Kälte entweder an sich zu strenge ist, oder man wird genöthiget, sich gar zu lange in derselben aufzuhalten; so muß nothwendig die Zuschnürung der äusserlichen Theile nicht nur immer stärcker werden, sondern auch immer tiefer dringen, und das Blut wird immer häuffiger zu den innerlichen Theilen hingetrieben, bis endlich desselben Anhäuffung in den innerlichen Gefässen die natürlichen Grentzen übersteiget.  
  In diesem Zustande behalten zwar das Hertz und die Pulsadern anfänglich noch Vermögen genung, daß empfangene, obgleich häufigere Blut wieder fortzutreiben; die Blutadern aber, da sie natürlicher Weise nicht so viel Kräffte und Nachdruck besitzen, müssen endlich der Gewalt weichen, sie werden von dem übermäsig angehäufften Blute, welches sie nicht zu hurtig weiter bringen können, über die Gebühr aufgetrieben, erweitert, und mit einem Worte, es entstehen Stagnationen und Stockungen des Blutes in denenselben.  
  Da es nun natürlich ist, daß diese Stockungen in denenjenigen Theilen sich am ersten zutragen müssen, die am weichsten sind, und zur Forttreibung des Blutes durch die Gefässe am wenigsten beytragen können, dergleichen Eigenschafft man hauptsächlich an dem Gehirne bemercket; so ist leicht zu begreiffen, warum bey angezeigten Umständen die Stockungen des Blutes sich am ersten im Gehirne ereignen.  
  Von den Stockungen des Blutes im Gehirn aber erfolgen bekannter massen eine Schläfrigkeit, ein würcklicher Schlaf, ein Verlust der Sinnen, und eine Unempfindlichkeit, nachdem die Stockung geringer, oder stärcker ist: ja, wenn sich dieselbe so weit erstrecket, daß auch das kleine Gehirne leidet; sowerden die daraus entspringenden Nerven des Hertzens geschwächet, die Verrichtung des Hertzens vermindert, mithin muß der Umlauff des Blutes immer langsamer und schwächer werden, und endlich das Blut in einen gäntzlichen Stillestand gerathen, woraus ein sanffter Tod erfolget.  
  Daß der Mensch auf solche Art am Frost sterbe, erweisen die bey dergleichen Todesfällen vorkommenden Umstände: Denn nachdem derselbe bey strenger Kälte anfänglich eine unangeneh-  
  {Sp. 903|S. 465}  
  me Empfindung erlitten, gefroren, gezittert und gebebet; so legen sich endlich bey fortdaurendem Froste alle diese gewaltsamen Bewegungen, die äusserlichen Gliedmassen werden stille, zugleich aber unbeweglich und starr, und es überfällt den Cörper eine Schläfrigkeit, bey welcher ihm sehr wohl zu muthe ist, und die ihm so süsse vorkommt, daß er mit Freuden vollends einschläfet, um so vielmehr, da er sich insgemein des Schlaffes nicht einmahl erwehren kan. Dieser Schlaff aber, wenn nicht in Zeiten Hülffe geschaffet wird, bringet zur ewigen Ruhe.  
  Wenn man nun diese Begebenheit nach der bisherigen Abhandlung erklären will; so wird der Mensch bey der Kälte so lange zittern, beben, und eine unangenehme Empfindung erleiden: so lange die Zuschnürung an den äusserlichen musculösen Theilen auch so beschaffen, daß eine abwechselnde, obgleich verstärckte und ungleiche Verrichtung an denenselben statt findet: so bald aber die Zuschnürung dermassen zugenommen, daß obgedachte Theile in eine tonische Convulsion gerathen; so höret alle äusserliche Bewegung auf, und die Glieder werden starr und unbeweglich.  
  Wenn hierbey das Blut in so grosser Menge zu den innerlichen Theilen getrieben wird, daß es auf beschriebene Art in den Gefässen des Gehirns zu stocken anfänget; so entstehet eine Schläfrigkeit, bey welcher dem Menschen wohl wird: weil theils durch die Zusammendrückung des Gehirns von dem stockenden Blute, theils durch die gleichmäßige und gäntzliche Zusammenschnürung des äusserlichen Cörpers die Empfindung und das Gefühl getäubet wird. Bey zunehmenden Stockungen des Blutes in dem Gehirne erfolget ein würcklicher Schlaf, welcher um so viel fester wird, je mehr die Stockungen überhand nehmen, und sich endlich in einen sanfften Todt verwandelt.  
  Der andere Umstand, welcher bey dieser Gelegenheit eine Aufmercksamkeit verdienet, ist, daß die Würckungen der äusserlichen Kälte an dem menschlichen Cörper verschieden sind, nachdem sich derselbe dabey in Ruhe oder in Bewegung befindet.  
  Es ist eine im gemeinen Leben sehr bekannte Sache, daß ein Mensch, der bey kaltem Wetter stille sitzet, viel eher frieret und die Würckungen der Kälte empfindet, als einer, der sich dabey beweget. Frieren demjenigen, der auf einer Reise bey der Kälte im Wagen stille sitzet, nicht gar bald die Füsse, und hierauf der gantze Leib? da hingegen der Fußgänger, wenn er gleich nicht so warm angezogen, auch bey strengerer Kälte nicht so leicht etwas vom Froste empfindet.  
  Und wenn man die Exempel der würcklich Erfrornen in Erwägung ziehet; so wird man bemercken, daß die meisten davon in Ruhe gewesen, und sich dabey dem Schlaffe ergeben, daher auch schon der gemeine Mann die Regel anzugeben weiß, daß man bey strenger Kälte in beständiger Bewegung bleiben, sich vor dem Schlaffe aufs sorgfältigste in Acht nehmen, und zu desto besserer Vermeidung desselben vor vielen Brannteweine hüten solle. Warum frieren diejenigen, die mit dem Kopff und der Feder arbeiten, und also stille sitzen, auch in eingeheitzten Zimmern weit eher, als diejenigen, so sich darinne bewegen? anderer täglich vorfallender Exempel zu geschweigen.  
  Die  
  {Sp. 904}  
  Ursache hiervon wird man leichte einsehen, wenn man aus dem vorhergehenden zum Grunde setzet, daß die verstärckte Arbeit der festen Theile den schädlichen Würckungen der Kälte widerstehen. Wenn wir in Ruhe sind, so wird bey der Kälte hauptsächlich nur die Arbeit der innerlichen Theile, insonderheit des Hertzens und der Gefässe verstärcket, und zwar vermöge ihrer natürlichen Elasticität; wenn wir uns aber dabey bewegen, so wird dadurch zuförderst auch die Würckung der äusserlichen Theile und Musceln verstärcket, welche sonst bey der Ruhe durch die Kälte gewisser massen gehindert wird, und folglich wird das Blut mit grösserem Nachdrucke und Gewalt in dieselben und aus denenselben zurück nach dem Hertzen getrieben, mithin die Arbeit der innerlichen Theile, nebst dem Umlauffe überhaupt noch stärcker gemacht, als sie seyn würde, wenn sie bloß von der Elasticität herrührete. Da also durch die Bewegung  
 
1) der Umlauf des Blutes auch in den äusserlichen Theilen in gehöriger Ordnung und Lebhafftigkeit unterhalten wird; so müssen sie warm bleiben, und es kan sich an denenselben von der Kälte weder eine Zusammenziehung, noch andere schädliche Würckungen so leicht ereignen;
2) Da die Arbeit der festen Theile nicht nur an den innerlichen verdoppelt, sondern auch an den äusserlichen vermehret wird; so kan sich das Blut in den innerlichen Theilen so leicht nicht anhäuffen, in keine Stockung gerathen, mithin mögen die angeführten gefährlichen Folgen so leicht nicht entstehen.
 
  Es folget von sich selbst, daß, je strenger die Kälte ist, je stärcker die Bewegung unsers Cörpers, nebst der Arbeit der festen Theile, seyn müsse, wenn wir uns der Kälte erwehren und warm bleiben wollen. Allein, obgleich in unsern Ländern der Frost nicht leicht so hefftig ist, daß wir uns nicht solten durch hinlängliche Bewegung dabey vor der Hand des Todes erwehren können; so ist doch auch dabey anzumercken, daß solches nur eine Zeit lang angehe. Denn wenn wir uns gar zu lange in sehr strenger Winter-Kälte aufhalten, und zu deren Überwindung die Bewegung des Leibes beständig fortsetzen müssen; so kan es endlich der Cörper nicht aushalten, sondern muß auch bey der Bewegung einen tödtlichen Ausgang erfahren. Kan man doch bey temperirter Witterung eine starcke Bewegung nicht gar zu lange aushalten: wie kan man es bey einer strengen Kälte verlangen?  
  Es gehet natürlich zu, und man kan es sich ohngefehr auf folgender Art begreifflich machen: Wenn die Arbeit der Gefässe und der Umlauff der Säffte sehr starck geschicht, so wird das Blut dadurch gewaltig an einander gerieben, in Wasser verwandelt, und ungemein subtilisiret; daher schwitzet man auch bey der Kälte starck, wenn man sich starck dabey beweget. Wenn solches sehr lange anhält, entgehen dem Cörper zugleich diejenigen Säffte durch deren Einfluß die festen Theile ihre Arbeit verrichten, folglich wird derselbe schwächer, und der Cörper matt. Je mätter der Cörper, und je schwächer also dessen Widerstand wird; je mehr nehmen die Würckungen der Kälte zu, und daher müssen sich endlich ebenfalls diejenigen gefährlichen und tödtlichen Folgen ereignen, die wir vorhero angezeiget.  
  Gleichwie aber natür-  
  {Sp. 905|S. 466}  
  licher Weise ein Mensch mehr Kräffte besitzet, als der andere, und daher auch stärckere und längerer Bewegung ausstehen kan; also fliesset hieraus von selbst, daß einer der Kälte länger widerstehen könne, als der andere. Und dieses führet uns zu der Betrachtung des dritten Umstandes, nach welchen ein Mensch vor dem andern die Würckungen der Winter-Kälte mehr oder weniger empfindet, oder, wie man zu reden pfleget, mehr oder weniger frösterlich ist.  
  Man bemercket diesen Unterschied nicht allein in Ansehung gantzer Völcker und Nationen; sondern auch in Ansehung eintzelner Menschen. Denn solchergestalt ist es zur Gnüge bekannt, daß die Einwohner der kalten nordischen Länder die Kälte weit besser vertragen können, als diejenigen, so warme Gegenden bewohnen, dergestalt, daß diejenige Witterung, welche von letztern für kalt ausgegeben wird, bey erstern noch warm heisset.  
  Wenn ein Spanier sich ein Jahr durch in Grönland aufhalten solte, so müste er den gantzen Sommer durch heisse Stuben haben, und würde sich aus denenselben nicht so leicht an die Lufft machen, aus Furcht, Nase und Ohren zu erfrieren, da der Grönländer nicht einmahl fühlet, daß es kalt ist. Und wenn im Gegentheil ein Lappländer ein Jahr lang in Franckreich zubringen solte, so würde er darauf schwören, daß er in einem Lande gewohnet, da man von keinem Winter was wüste, und darinne es beständig Sommer wäre; ja er würde die Leute auslachen, die sich daselbst auch bey dem kältesten Winter etwas einheitzen liessen.  
  Je kälter das Land ist, je härter und unempfindlicher hat die Natur die Cörper der Einwohner dargegen gemacht, und desto mehr äusserliche Mittel hat sie ihnen verliehen, womit sie sich schützen können, wenn die Kälte zu starck sie wird. Darum hat Pohlen und Siberien Peltzwerck in Überfluß, und die Italiener besitzen statt dessen desto mehr Seidenwürmer, weil die daraus verfertigten Kleidungen nöthiger sind, als die Peltze.  
  Man siehet hieraus die Ursache, warum die Veränderung der Himmelsgegend oder des Landes bey dem Menschen so grosse Veränderung hervorbringet, dergestalt daß einer davon kranck wird, der andere aber seine verlohrne Gesundheit dadurch wieder erlanget. Wer z.E. aus einem warmen in ein kälteres Land kommt, der wird sich insgemein eine geraume Zeit mit verschiedenen kräncklichen Beschwerden schleppen müssen, welche insgesammt eine verminderte Ausdunstung zum Grunde haben: Und wenn ein Mensch in einem kalten Lande mit solchen Kranckheiten befallen wird, die von einer gehemmten Ausdunstung herrühren, und hartnäckig sind, so wird er nicht geschwinder davon befreyet werden, als wenn er sich in ein wärmeres begiebet. Und solchergestalt ist es kein Wunder, wenn gewisse langwierige Kranckheiten, die in Rußland nicht haben gehoben werden können, endlich in Paris geheilet werden; ohnerachtet die Geschicklichkeit der Ärtzte in beyden Ländern einander öffters vollkommen gleich ist.  
  Hiernächst aber ist auch die Empfindung der Kälte verschieden in Ansehung eintzelner Personen; denn ein jeder wird wissen, daß  
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  an einem Orte, wo einerley Grad der Kälte vorhanden, einen mehr frieret, und mehr Beschwerde davon empfindet, als der andere. Woher dieses komme, wird aus der bisherigen Abhandlung zum Theil gar füglich erkläret werden können. Denn da die Arbeit der festen Theile das Mittel ist, welches unsern Cörper bey der Kälte warm erhält, und die sonst daher rührenden Beschwerden abwendet; so folget unstreitig, daß diejenigen Menschen die Kälte am besten vertragen, und das wenigste davon empfinden müssen, bey welchen natürlicher Weise die Verrichtung der festen Theile, nebst dem davon abhangenden Umlauffe des Blutes, starck und lebhafft geschicht, und da folglich die Säffte auch in den äussersten Theilen frisch herumgetrieben werden.  
  Dergleichen Beschaffenheit des Cörpers setzet zuförderst eine gute Gesundheit zum Grunde, und man bemercket dieselbe hiernächst  
 
a) überhaupt bey den Einwohnern kalter Länder, als welche insgemein nach Proportion einen derberen, dichtern und stärckern Cörper, nebst einem lebhafften Umlauffe besitzen.
b) Bey den so genannten hitzigen Naturen, bey welchen die Verrichtung der festen Theile mit einiger Hefftigkeit geschicht.
c) bey starcken und arbeitsamen Personen, bey welchen man zwar keinen so gar hefftigen und geschwinden Umlauff, sondern vielmehr einen langsamen Puls antrifft, und sie daher unter die trägen und phlegmatischen Naturen rechnet, da hingegen die Langsamkeit ihrer Handlungen nicht allein mit mehreren Nachdrucke und Kräfften begleitet, sondern auch von längerer Dauer ist.
 
  Aus diesem Grunde wird man ferner einsehen können, warum kränckliche, entkräfftete und zarte Cörper, Kinder vor Erwachsenen, Frauenzimmer vor Mannspersonen, kalte Naturen, und alle, die natürlicher Weise einen schwachen Puls haben, insbesondere, die viel sitzen, und fast keine Bewegung geniessen, vor andern frösterlich sind, und bey strenger Kälte auch leichter erfrieren.  
  Man hat hiernächst hierbey sehr viel auf den Grad der Wärme zu sehen, in welcher man sich aufzuhalten, gewohnt ist. Wir wollen so viel sagen: Einem Menschen, der sich beständig in warmen Kleidern einhüllet, und in sehr heissen Stuben befindet, wird eine mäßige Kälte sehr empfindlich fallen, und viele Beschwerden verursachen; da im Gegentheil diejenigen, so nicht zu gar warm angezogen, und sich nur in mäßig warmen Stuben aufzuhalten gewohnt sind, viel grössere Kälte ohne Beschwerde ertragen können.  
  Es ist dieses eine im gemeinen Leben durchgehends sehr bekannte Sache, von welcher wir noch eine und andere Umstände anführen wollen, deren Ursache man hieraus wird ersehen können. Solchergestalt giebet dieses  
 
1) zugleich den vornehmsten Grund mit dar, warum die Einwohner warmer Länder keine sonderliche Kälte vertragen können, und es bey den Einwohnern kalter Gegenden sehr kalt seyn muß, wenn sie sich über Kälte beschweren sollen.
 
 
Denn da erstere beständig in einer sehr warmen Lufft sich aufhalten, und letztere nur eine mäsig warme, ja gewisser massen gar kühle Lufft gewohnet sind; so muß nothwendig der Grad der Kälte, den letztere nicht achten, erstern sehr empfind-
 
  {Sp. 907|S. 467}  
 
lich vorkommen. Gleichwie man aber durch die Gewohnheit gewisser massen fast alles zu zwingen im Stande ist; also kan man auch durch dieselbe ein ungewohntes Land endlich mit Bestand der Gesundheit ertragen lernen. Wenn ein Italiener, zumahl von zärtlicher Leibes-Beschaffenheit in ein kaltes Land kommt; so wird er das erste, auf wohl etliche der erstern Jahre zittern und beben, wenn er sich aus seiner Stube in die Lufft machen soll, ja er wird mehrentheils allerhand kränckliche Zufälle erleiden. Mit der Zeit aber wird sein Cörper den in selbigem Lande gewöhnlichen Grad der Kälte gewohnt werden, und alsdenn wird es ihm nicht mehr so kalt vorkommen.
 
 
Die Kranckheiten, die bloß vom veränderten Lande herrühren, wird man, ohnerachtet der kostbarsten und bewährtesten Artzney-Mittel, selten eher mit Bestand heben können, als bis der Cörper der Lufft gewohnet worden, da sie denn von selbst vergehen. Man hat es unter andern an derjenigen Art der Krätze bey sehr vielen gesehen, welche aus einem etwas wärmern in ein kälteres Land gerathen, und ihre Lebensart haben verändern müssen; man hat ihnen die besten Scharbocks- und blutreinigenden Mittel und Bäder in Überfluß geordnet; und sie dennoch von diesen beschwerlichen Übel nicht befreyen können, als nach Jahr und Tag, nachdem sie die neue Lufft und Lebensart gewohnet worden.
 
 
2) Wenn vornehme und zumahl zärtliche Personen im Winter durch ein Dorf reisen, und sehen, wie gantz junge Kinder von 3 bis 4 Jahren in blossen Hemden, mit blossen Füssen und Köpffen auf den Strassen im Eisse und Schnee lustig und munter herum springen, und über nichts weniger, als Kälte klagen, ob ihnen gleich bisweilen das Angesicht und die Hände kirschbraun aussehen, und die Fußsohlen so gar mit Eiß überzogen sind; so wollen sie sich todt wundern, da es ihnen beschwerlich und empfindlich ist, wenn sie nur die Wagenfenster aufmachen, und die äusserliche Lufft an sich lassen sollen.
 
 
Warum? Die gnädige Frau sitzet in einem überall fest zugemachten Wagen, und ist mit Kleidern, Fußsäcken und Peltzen dermassen eingehüllet, daß sie darunter, wo nicht schwitzet, dennoch über und über warm, ja heiß ist; daher würcket bey ihr die Kälte eine um so viel grössere Zusammenziehung und peinlichere Empfindung, je schwächer zugleich, vermöge der natürlichen Leibes-Beschaffenheit, die Verrichtung ihrer festen Theile, und der Umlauff ihrer Säffte ist.
 
 
Hänßgen aber, ob er gleich klein und jung ist, hat einen Cörper, der nach Proportion derber und dichter ist, als der zarte Leib der gnädigen Frau; und er ist gewohnet, ohne sonderliche Bedeckung des Leibes, sich in solcher Kälte aufzuhalten. Wenn die gnädige Frau ihr liebes Kindgen von 3 oder 4 Jahren, welches in dem Winter bey leibe nicht aus der warmen Stube kommen darff, in den weichsten und wärmsten Betten liegen muß, und beständig in warme Kleidung eingehüllet ist, einmahl so bloß wie Hänßgen auf der Strasse solte herum kriechen lassen: müste es nicht in kurtzer Zeit erfrieren?
 
 
3) Der Anfang des Frostes, welcher des Winters einfället, ist allen Menschen am empfindlichsten, weil
 
  {Sp. 908}  
 
man einer warmen Lufft gewohnet ist; wenn aber der Frost etliche Tage oder Wochen angehalten, fället er uns nicht mehr so beschwerlich, weil alsdenn unser Cörper bereits der kalten Lufft gewohnet worden. Man siehet daher, warum diejenigen Jahreszeiten am verdrüßlichsten und zugleich ungesundesten sind, in welchen sich öfftere und schleunige Abwechselungen von warmer und kalter Witterung ereignen; und warum im Gegentheil der Winter am gesundesten, darinne die Kälte nicht auf einmahl ausbricht, sondern gelinde anfänget, allmälich und stuffenweise zunimmt, eine Zeitlang anhält, und auf solche Art nach und nach wieder abnimmt.
 
 
4) Warum heisse Stuben des Winters zu Flüssen, Ausschlägen und andern Kranckheiten Gelegenheit geben? davon kan unter dem Artickel: Stube, im XL Bande, p. 1156 u.f. nachgelesen werden.
 
 
5) Wie ferne kan man aber von Peltzwerck sagen, daß es Flüsse nach sich ziehe? Das Peltzwerck an und für sich selbst thut es freylich nicht; sondern die überflüßige Wärme die es unserm Cörper zuwege bringet, wodurch es denselben in eine übermäßige Empfindlichkeit setzet, dergestalt, daß daher durch die geringste Kälte, eine schädliche Zusammenziehung der Haut, wie auch eine verminderte Ausdunstung hervorgebracht, und folglich zu Flüssen Gelegenheit gegeben wird.
 
 
Man wird daher in sehr kalten Ländern, wo alle Menschen in Peltzwerck bey strenger Kälte eingehüllet sind, keinen Schaden empfinden: Warum? weil es daselbst zur höchsten Noth gebrauchet wird, und dem Cörper keine überflüßige Wärme, sondern nur einen solchen Grad der Wärme zuwege bringet, welche der dasigen Kälte proportioniret ist, und den wir in unsern Ländern mehrentheils, wenn es nicht gar zu kalt ist, durch andere gewöhnliche Kleidung erlangen können. Uns thut das Peltzwerck ebenfalls keinen Schaden, wenn wir uns dessen zu rechter Zeit, das ist, bey sehr strenger Kälte bedienen; wenn man sich aber beständig, auch bey geringer Kälte daran gewöhnet hat; so bringet es mit den gar zu heissen Stuben einerley Würckung zuwege.
 
 
6) Diejenigen Theile unsers Leibes, welche nach der eingeführten Gewohnheit nicht mit Kleidern bedecket, sondern der unmittelbaren Berührung der äusserlichen Lufft beständig ausgesetzet sind, werden auch in der Kälte nach Proportion bey weitem so viel Empfindung und Schaden nicht erleiden, als diejenigen, so beständig bedecket sind, wenn man sie bey der Kälte bloß machet.
 
 
Warum können wir solchergestalt am Angesichte und Händen, ohne sonderliche Beschwerde, einen ziemlichen Grad der Kälte ertragen, die uns sehr empfindlich fallen würde, wenn wir einen andern Theil des Leibes derselben bloß darstellen solten? Wer sich angewöhnet hat, des Winters und Sommers mit entblöstem Haupte zu gehen, der wird auch bey der Kälte keine sonderliche Ungemächlichkeit daran empfinden; da im Gegentheil ein anderer, der gewohnet ist, seinen Kopff beständig sehr warm zu halten, und in Mützen, ja in Kopff-Küssen und Feder-Betten einzuhüllen, die schmertzhafftesten und gefährlichsten Zufälle davon träget, wenn er sich einmahl mit blossem Kopffe in eine, auch nur mäsige
 
  {Sp. 909|S. 468}  
 
Kälte verfügen muß.
 
 
Warum kan ein zartes Frauenzimmer, das übrigens ziemlich frösterlich ist, mit entblöster Brust die Kälte vertragen, die einer Mannsperson, wenn sie auch noch so starck, gesund und frisch ist, ungemein peinlich vorkommen würde, wenn dessen Brust entblöset werden solte? Wer Handschuh zu tragen gewohnet ist, dem wird bey Weglassung dererselben in der Kälte weit mehr an die Hände frieren, als einen andern, der beständig mit blosen Händen herum gehet; mehrere Exempel zu geschweigen.
 
  Diesemnach bestehen die Würckungen der Kälte hauptsächlich darinnen daß dadurch die Säffte verdicket, und nach den innerlichen Theilen zurück getrieben, die festen Theile aber theils zusammengezogen und zugeschnüret, theils aber auch in eine stärckere Arbeit gesetzet werden: und daß sich diese Würckungen in verschiedenem Grade äussern, theils nachdem der Mensch dabey in Ruhe oder Bewegung, theils auch nachdem der Umlauf lebhafter, oder schwächer, und man mehr oder weniger gewohnt ist, sich warm zu halten; wie wir bisher ausführlich gezeiget haben.  
  Eine mäßige und gelinde Kälte wird uns nach Proportion nicht so leichte Schaden zufügen, wenn wir uns bey derselben nach gehöriger Art aufführen: immittelst kan man dennoch von derselben nicht behaupten, daß sie zu Erhaltung der Gesundheit nothwendig sey, als welches eigentlich nur von einer mäßigen Wärme gesaget werden kan.  
  Man pfleget zwar gemeiniglich von einer kalten, zugleich aber hellen, klaren und reinen Lufft vorzugeben, daß sie gesund sey, und muntere frische Leute mache; allein obgleich eine kalte Lufft allerdings frische und muntere Leute machet, so kan sie dennoch an und für sich selbst für platterdings gesund nicht ausgeschryen, sondern nur gewisser masen dafür gehalten werden, in so ferne sie nemlich rein, und mit keinen schädlichen Dünsten angefüllet ist, da sie denn nach Proportion gesunder ist, als eine kalte, zugleich aber feuchte, schwere, grobe, und mit allerhand Unreinigkeiten angefüllte Luft.  
  Hierwieder kan aber doch folgender Einwurf gemachet werden: Wenn es im Winter etliche Wochen hinter einander frieret; so bemercket man eben keine sonderlichen Kranckheiten, sondern die meisten Menschen bleiben dabey so frisch, munter und gesund, als bey einer temperirten Witterung. Hingegen pflegen sich die Kranckheiten alsdenn erst häuffig einzufinden, wenn das kalte Wetter auf einmahl abschläget, und sich in nasses Thauwetter verwandelt; oder auch, wenn die Kälte nicht beständig ist, sondern mit gelinder und nasser Witterung öfters abwechselt.  
  Da also bey einer beständigen und anhaltenden Kälte keine sonderliche Witterungs-Kranckheiten entstehen; so scheinet es eine natürliche Folge zu seyn, daß eine kalte Luft an und für sich selbst, so wenig als eine temperirte, für ungesund gehalten werden könne. Allein, wir antworten hierauf mit wenigem:  
 
1) [1]welcher gestalt zwar allerdings zuzugeben, daß eine schleunige und öftere Abwechselung eines kalten, insonderheit zugleich nassen und warmen Wetters, mehrere und schlimmere Kranckheiten zuwege bringe, als eine anhaltende Kälte, und daß man, in Ansehung des erstern, eine kalte Luft mit Grund gesund nennen könne. Immittelst ist es
[1] HIS-Data: fehlende Nummerierung eingefügt
 
2) nur
 
  {Sp. 910}  
 
von einer mäßigen Kälte zu verstehen: denn wenn dieselbe sehr strenge ist, und lange anhält, so lehret die Erfahrung, daß sie ebenfalls zu verschiedenen Kranckheiten, ja zu schnellen Todesfällen Gelegenheit giebet, um so viel mehr, da man bey derselben sehr warme Stuben suchet, und weil man darinne nicht beständig bleiben kan, sich den schleunigen Abwechslungen in der Hitze und grosser Kälte aussetzet.
 
 
Und wenn endlich
 
 
3) eine mäßige Kälte lange anhält, so ist sie uns zwar erträglich, und nicht ungesund; jedoch nicht an und für sich selbst, sondern nur alsdenn, wenn wir uns bey derselben gehörig aufführen.
 
  Wir müssen uns auch bey einer mäßigen Kälte entweder durch eingeheitzte Stuben oder wärmere Kleidung, oder stärckere Bewegung warm erhalten, und die schädlichen Würckungen dadurch abwenden, welche sie bey Verabsäumung oder Unterlassung eines von diesen dreyen Hülffsmitteln ohnfehlbar äussern würden. Setze sich einmahl auch der Gesundeste in der Kleidung, die er bey temperirter Witterung zu tragen pfleget, bey solcher Kälte in die strenge Luft stille nieder, und bleibe 12 oder 24 Stunden so sitzen; wird er wohl gesund bleiben? Wie kan man also eine Luft an und für sich selbst gesund nennen, die uns kranck machen, ja tödten kan, wenn wir uns nicht der darwider dienlichen Hülffsmittel bedienen?  
  Wenn immittelst ein hypochondrischer und mit peinlichen Einbildungen geplagter Cörper sich hieraus die Regeln machen will, er dürffe bey einer mäßigen Kälte bey leibe nicht sein warmes Zimmer verlassen, damit der beständig in einer temperirten Lufft bleibe, so irret er sich. Unser Cörper ist so gebauet, daß wir mäßige Ausschweifungen von der Kälte so wohl als von der Wärme ohne Schaden der Gesundheit ertragen können, wenn wir uns nur nicht gar zu lange darinne aufhalten.  
  Die Kälte thut demnach unserer Gesundheit würcklichen Schaden:  
 
1) Wenn sie gar zu strenge ist, und insbesondere, wenn sie plötzlich einfället: Denn solcher gestalt lehret die Erfahrung daß wir auch eine grosse Kälte ohne sonderlichen Schaden der Gesundheit weit eher vertragen können, wenn sie nach und nach zunimmt, als wenn sie auf einmahl ausbricht; und die Ursache davon wird aus dem vorigen erhellen: weil wir nemlich in solchen Fällen einer kältern Luft allmälich gewohnet werden, und uns folglich die noch kältere nicht so empfindlich vorkommt, als wenn wir bey deren plötzlichen Ausbruche einer wärmern genossen.
 
 
2) Wenn sie zwar mäßig ist, wir uns aber ohne hinlängliche Bedeckung des Leibes gar zu lange darinne aufhalten müssen; und
 
 
3) wenn sie zu ofte und zu schleunig mit warmer, zumahl feuchter Witterung abwechselt.
 
     

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Stand: 4. April 2013 © Hans-Walter Pries