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Zedler: Wissenschafft, Lat. Scientia [2] HIS-Data
5028-57-1346-4-02
Titel: Wissenschafft, Lat. Scientia [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 1353
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 690
Vorheriger Artikel: Wissenschafft, Lat. Scientia [1]
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Übersicht
Kennzeichen der Wissenschafft, ob sie sich bey einem Menschen befindet.
Bewegungs-Gründe zur Wissenschafft.
Daß die Wissenschafft uns von GOtt nicht unmittelbar eingegeben werde.
Vergnügen, daß man aus der Wissenschafft schöpffet.

  Text   Quellenangaben
  Kennzeichen der Wissenschafft, ob sie sich bey einem Menschen befindet.  
  Ob man aber die Wissenschafft entweder selbst schon besitzet, oder ob sie bey einem andern anzutreffen sey, das kan man leicht erkennen. Man darf sich nemlich nur selbst untersuchen, ob man den Satz, den man für wahr hält, auch durch einen Vernunfft-Schluß erweisen könne, oder ob der andere solches zu thun im Stande sey? Kan man dieses, so muß man sich selbst fragen, ob man den Ober- und Unter-Satz seiner Schluß-Rede noch weiter durch förmliche Schlüsse darthun könne; und dieses so lange fortsetzen, bis man auf die ersten Gründe gekommen ist. Kan man diese in seinen Beweisen nicht erreichen; so hat man auch keine Wissenschafft von den Satze; doch kan es wohl kommen, daß man in vielen Wahrheiten schon eine Wissenschafft besitzet; ob man es gleich nicht in allen Stücken bis zu diesem Grade der Vollkommenheit gebracht hat. Man darf also weder sich selbsten, noch andern alle Wissenschafft absprechen; ob man sie gleich nicht überall besitzet.  
  Überhaupt hat man auf die Urtheile wohl Acht zu haben, wenn wir erkennen wollen, ob jemand Wissenschafft besitze. Denn die Urtheile, welche wir von Dingen verwenden, sind eine Würckung unsers Verstandes. Derowegen da sie zeigen, was wir einer Sache zueignen oder absprechen; so können wir dadurch verstehen, was einer für Erkenntniß davon haben muß. Wer also auf der Leute Urtheile Acht hat, und dabey überleget, wie sie dazu gelangen können, der wird bald inne werden, wie weit sie es in einer Art der Erkenntniß gebracht.  
  Und wer dieses zu erforschen Vorhabens ist, darf nur Gelegenheit suchen, des andern seine Urtheile heraus zu locken. Wenn einer bloß nachsaget, was er von andern gehöret; so muß man sich in Acht nehmen, daß man das Urtheil nicht ansiehet, als wenn es von ihm aus seinem eigenen Kopffe gefället würde. Will man erfahren, ob einer eine Wissenschafft hat von dem, was er erkennet, oder ob er nur andern nachsaget, was er bey ihnen gelesen, oder von ihnen gehöret; so darf man ihnen nur dahin bringen, daß er den Grund anzuzeigen oder seyn Urtheil zu vertheidigen genöthiget wird. Denn die Art der Vertheidigung und des Beweises wird es zeigen, ob er eine Wissenschafft besitzet oder eine Meynung hat, oder auch gar nur eine Historische Erkenntniß sich bey ihm befindet, ja wohl gar nicht einmahl verstehet, was er andern nachplappert.  
  Wiederum, wo Wissenschafft ist, da ist man dessen, was man behauptet, gewiß. Wer aber gewiß ist, der lässet sich nicht zweifelhafftig machen. Derowegen wenn man einen kan irre machen, daß er sich selbst nicht weiß zurechte zu finden; so ist dieses eine Anzeige, daß er keine Wissenschafft besitzet. Es ist wohl möglich, daß man einem Einwürffe machen kan, die er nicht bald zu heben im Stande ist: allein diesen ungeachtet bleibet er seines Urtheils gewiß. Unterdessen bleibet doch auch wahr: Wer solche Einwürffe nicht beantworten kan, deren Unrichtigkeit man erkennen muß, wenn man die Wahrheit begreiffet, der zeiget dadurch, daß er keine Wissenschafft hat.  
  Und ist auch wenigstens ein wahrscheinliches Kennzeichen, daß es an Wissenschafften fehlt, wenn man entweder gar keinen Einwurf anhören will, ob er  
  {Sp. 1354}  
  gleich aus lehrbegierigen Gemüthe vorgebracht wird, oder wenigstens begehret, der andere solle mit unserer Antwort zufrieden seyn, es mögen ihm seine Zweiffel gehoben seyn, oder nicht. Denn man hat zum wenigsten mit Recht einen Argwohn, er könne sich nicht genung erklären, und seinen Beweiß nicht genung ausführen, und folgends fehle es ihm an Wissenschafft. Jedoch ist hier wohl Acht zu geben, ob derjenige, welcher einen Einwurf vorbringet, in dem Stande ist eines bessern überführet zu werden. Denn wenn er nicht in dem Stande ist; so wird ein verständiger und kluger Mann sich nicht mit ihm einlassen, als der nichts für die lange Weile vornehmen kan.  
  Ob aber einer Liebe zur Erkenntniß der Wahrheit hat, und insonderheit auch nach einer Wissenschafft begierig ist, kan man aus dem Vergnügen abnehmen, so er von sich spüren lässet, indem davon geredet wird: denn wer eine Art der Wahrheiten liebet, der schöpffet daraus Vergnügen. Wer also kein Vergnügen von sich spüren läst oder wohl gar Mißvergnügen, der kan auch kein Liebhaber von dergleichen Erkenntniß seyn, wenn sich nicht etwan besondere Umstände ereignen, warum er davon nicht mag reden hören, die sich in besondern Fällen gar leichte jederzeit zeigen. Man spüret aber das Vergnügen theils aus den gefälligen Minen, theils aus der Aufmercksamkeit, theils aus der Fortsetzung des angefangenen Discurses, und dergleichen.  
  Wenn wir etwas möglich befinden, so wir würden für unmöglich gehalten haben und hinwiederum unmöglich, was wir würden für möglich gehalten haben; so verwundern wir uns. Daher ist klar, daß die Verwunderung aus Unwissenheit entstehet. Wenn man demnach erforschen will, ob einer in der Wissenschafft geübt ist oder nicht; so darf man nur Acht geben, ob er sich darüber wundert, wenn von dergleichen Wahrheiten geredet wird. Denn wer sich darüber wundert, der leget dadurch seine Unwissenheit an den Tag.  
  Jedoch muß man sich wohl in Acht nehmen, daß man sich in diesem Urtheile nicht übereilet. Nemlich die Verwunderung muß über die Wahrheit, nicht aber über die Person, die sie erfunden, oder die sie vorbringet, noch auch über das Buch, darinnen sie stehet, geschehen. Auch muß man versichert seyn, daß der andere uns recht verstehet. Denn die Verwunderung zeiget in solchen Fällen nur an, daß wir einem die Entdeckung oder Erkenntniß der Wahrheit nicht zugetrauet, oder eine Wahrheit nimmermehr in diesem oder jenem Buche gesucht hätten.  
  Über dieses muß man das Vergnügen, so einer, der einen Eyfer für das Aufnehmen der Wissenschafften hat, über einer Wahrheit bezeiget, nicht mit der Verwunderung vermengen: auch sich dabey in Acht nehmen, daß man von der Unwissenheit einer Wahrheit nicht auf die Unwissenheit der gantzen Art solcher Wahrheiten aus Übereilung schliesse: indem es gar offt zu geschehen pfleget, daß einer eine sonst bekannte Wahrheit nicht weiß, ob er gleich von dergleichen Art Wahrheiten eine ausnehmende Wissenschafft besitzet.  
  Gemeine Leute und gemeine Gelehrte begehen gar offte diesen Fehler, indem sie vermeynen, es verstehe einer gar nichts  
  {Sp. 1355|S. 691}  
  von der Sache, wenn ihm die Kunst-Wörter nicht bekannt sind, die man dabey braucht. Freude und Vergnügen über uns noch nicht erkannte Wahrheiten zeigen einen grossen Eyfer für die Aufnahme der Wissenschafften an. Denn man siehet daraus eine grosse Liebe zur Wahrheit: der Eyfer aber entsteht aus der Liebe. Wer die Wahrheit liebet, der trachtet danach, wie er viele erkennen kan, gleichwie ein Liebhaber des Geldes sich eifrig bezeigt, Geld zu erwerben.
  • Wolffs Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, §. 341-349, p. 224 u.ff.
  • Gottscheds Gründe der Weltweißheit, Th. II. §. 469. p. 314 u.f.
     
  Bewegungs-Gründe zur Wissenschafft.  
  Wir sind schon zur Wissenschafft verbunden, in so weit sie eine Vollkommenheit des Verstandes ist, und einen hohen Grad der Vernunfft zeiget. Über dieses aber giebt auch das gründliche Erkenntniß einem Menschen ein grosses Vergnügen, weil es allen Zweiffel ausschliest und das Gemüth gantz sicher macht, wie wir weiter unten mit mehrerm hören werden. Und ob wohl erst nicht möglich ist, daß man in allen Gattungen des Erkenntnisses zur Wissenschafft gelange: so kan doch ein jeder in denjenigen, was ihm zu verstehen am nöthigsten ist, sich darnach bestreben und dazu gelangen.  
  Es ist nemlich nicht bloß die Mathematick eine Wissenschafft: sondern auch in andern Gattungen gemeiner Wahrheiten giebt es Gewißheit; wenn man sich nach Logischen Regeln darum bemühen will. Alle Theile der Weltweißheit sind vor andern darzu fähig und vermittelst derselben können auch die freyen Künsten und die höhern Facultäten allmählig dazu gelangen. Sonderlich aber ist die Wissenschafft und das Demonstriren in moralischen Dingen nöthig. Denn nichts ist gefährlicher, als wenn man auf ein ungewisses in den Tag hinein lebt, ohne zu wissen, ob das gut oder böse ist, was man thut? Wer so auf ein bloßes Gerathe wohl handelt, der hat entweder ein schlafendes oder ein zweifelhafftes oder nur ein wahrscheinliches Gewissen. Jenes kan aber endlich aufwachen, und diese beyde Arten desselben können leichtlich irren, so daß das nachfolgende mit dem vorhergehenden hernach nicht übereinstimmet. In allen diesen Fällen aber entstehen Gewissens-Bisse, als eine wohl verdiente Straffe der versäumten Wissenschafft im Guten und Bösen. Es ist also höchst-nöthig, daß man seine Maximen und Lebens-Regeln demonstrire, welches auch um desto leichter angeht, da die Demonstration nach der natürlichen Art zu dencken verfährt.  
  Nun wird eine jede Fertigkeit und folglich auch die Wissenschafft nicht anders als durch eine anhaltende Übung erlangt. Da man aber selbst gleich Anfangs nicht lauter neue Demonstrationen zu machen oder zu erdencken geschickt ist: so muß man sich um solche Lehrer und Bücher bemühen, die uns eine gute Anzahl demonstrirter Sätze vorlegen, und uns gleichsam bey der Hand leiten; bis wir allgemach selbst Kräffte genug bekommen, weiter zu gehen. Man treibe also fleißig die Mathematick und in Ermangelung der dazu nöthigen Zeit und Anführung die Weltweißheit. Man gebe auf alle Sätze darinnen Acht, und  
  {Sp. 1356}  
  prüfe sie nach Logischen Regeln, damit man den Grund von seiner Überzeugung anzugeben wisse. Man übe sich hernach auch selbst, nach solchen Mustern eines und das andere zu demonstriren: so wird man es allmählig zu einiger Fertigkeit darinnen bringen.  
  Wer die Wissenschafft besitzt, der hat verschiedene Vortheile davon. Fürs erste ist er in seinen Sätzen sicher, und läst sich von keinem Widerspruch der Gegner irre machen. Ferner ist er auch im Stande, die Einwürffe der Widersprecher zu heben: Denn wer die Gründe einer Wahrheit einsieht, der wird auch den Ungrund des Irthums leichte zeigen können. Weiter wird ein solcher mit Wissenschafft begabter sich nicht leichte über eine Sache verwundern; wie die Unwissenden zu thun pflegen: daher das Sprüchwort kommt, daß die Verwunderung eine Tochter der Unwissenheit sey. Gleichwohl könnte es hier doch kommen, daß auch ein Verständiger sich darüber wunderte, daß etwas von diesem oder dem hätte geschehen können, dem man solches oder in so kurtzer Zeit niemahls zugetrauet hätte, wie schon gedacht worden.  
  Wir können auch noch auf eine allgemeinere Art erweisen, daß der Mensch zur Wissenschafft, d.i. zur Scharffsinnigkeit, Fertigkeit im Schlüssen und Gründlichkeit, Kunst zu erfinden, Witz, Erfahrungs-Kunst, Verständnis der Sprache und was diesen Vollkommenheiten mehr anhängig verbunden ist. Nemlich er ist zur Ausübung des Guten und Unterlassung des Bösen verbunden, das ist, nichts zu thun als was seinen Zustand vollkommener machet, und nichts zu unterlassen, als was ihnen unvollkommener machet.  
  Nun ist aber klar, daß wenn er in allen vorkommenden Fällen geschickt seyn soll, die Beschaffenheit seines Thun und Lassens richtig zu beurtheilen, er Scharffsinnigkeit, Gründlichkeit, Witz, Kunst zu erfinden, Erfahrungs-Kunst, und Verständniß der Sprache besitzen müsse. Denn die verschiedene Gegenstände, mit denen er wird zu thun bekommen, werden bald diese bald jene dergleichen Geschicklichkeit erfordern. Wer wolte demnach zweifeln, ob der Mensch verbunden sey, nach diesen allen zu trachten.  
  Ferner: Die Weißheit ist eine Fertigkeit nicht allein bey allen seinen freyen Handlungen eine gewisse Absicht zu haben, sondern auch alle besondere Absichten dergestalt mit einander zu verbinden, daß immer eine ein Mittel zur andern, und endlich alle insgesammt ein Mittel zur Haupt-Absicht sind. Wer nun untersuchen will, ob seine besondere Absichten ihm zu seiner Haupt-Absicht führen, der muß solches durch richtige Schlüsse aus bekannten Gründen herausbringen können. Nemlich die Beschaffenheit der besondern Absicht giebt gemeiniglich den Untersatz des Schlusses: die Regeln, darnach man urtheilet, ob etwas die Vollkommenheit unseres innern und äussern Zustandes befördert, geben den Ober-Satz und das Urtheil in gegenwärtigen Falle den Hinter-Satz.  
  Wer nun dergleichen Fertigkeit besitzet, alles was er urtheilet, durch richtige Schlüsse zu erweisen, der hat Wissenschafft. Und demnach ist die Wissenschafft ein Mittel zur Weißheit. Derowegen weil wir zur Weißheit verbunden sind; so erhellet hieraus auf eine neue Art, daß wir auch zur Wissenschafft verbunden sind. Man  
  {Sp. 1357|S. 692}  
  kan eben dieses noch ferner in Ansehung der Mittel erweisen. Denn wenn wir richtig urtheilen wollen, ob dasjenige, was wir als Mittel erwehlet, auch in der That Mittel sind, das ist, ob wir dadurch unsere Absicht erreichen können: ingleichen, wenn wir aus vielen Mitteln das bessere auslesen sollen; so erhellet, wie vorhin, daß die Wissenschafft darzu dienlich sey?  
  Es ist wohl wahr, daß der größte Theil der Menschen beständig und alle Menschen gar offte in solchen Fällen anstatt der Wissenschafft sich der Erwartung ähnlicher Fälle bedienen, ja auch öffters aus Mangel der Erkenntniß bedienen müssen; allein da es hier gar öffters denen fehlschläget, die am gewissesten zu seyn vermeynen; so wird niemand die Erwartung ähnlicher Fälle der Wissenschafft als einem sicherern Mittel vorziehen, wo er nicht aus Noth angetrieben wird, jene zu ergreiffen, weil er diese nicht in seiner Gewalt hat. Wenn es aber geschiehet, daß wir bey der Erwartung ähnlicher Fälle verbleiben müssen; so ist doch nöthig, dahin zu trachten, daß sie der Vernunfft nahe kommt, weil man alsdenn mehr ausser der Gefahr ist zu fehlen. Allein weil man nicht sehen kan, daß man weißlich gehandelt, wenn man gefehlet, das ist, entweder eine unrichtige Absicht erwehlet, die der Haupt-Absicht zuwiderläufft, oder auch solche Mittel, die uns zu unserm Zwecke nicht bringen, und also in der That keine Mittel sind, sondern nur davor gehalten werden; so wird hierdurch vielmehr bestätiget, daß zur Weißheit Wissenschafft erfordert werde, als daß sie ohne diese bestehen könne.  
  Und demnach machet der Mangel der Wissenschafft die Weisheit unvollkommen, das ist, es bleibet nur gantz was geringes übrig, was einige Ähnlichkeit mit ihr hat. Wir werden nicht irren, wenn wir sagen: nur ein Schatten. Man siehet aber leicht, daß nicht alles Wissen einem jeden zur Weißheit nöthig ist. Derowegen muß man sich wohl vorsehen, daß man seine Wissenschafft fürnemlich darinnen zu üben habe, was zur Einrichtung seines Wandels dienlich seyn kan. Und daher ist es möglich, daß Menschen grosse Wissenschafft von einigen Sachen haben können, dabey aber in Einrichtung ihres Wandels wenig Weißheit bezeugen, weil die Dinge, so sie wissen, darzu nichts beytragen: hingegen sie sich um die Erkenntniß dessen, was hierzu dienet, niemahls bemühen. Wer nun die zu der Beurtheilung nöthige Erkenntniß nicht besitzet, dem hilfft seine Fertigkeit im Schliessen nichts, auch nicht seine grosse Wissenschafft in andern Dingen. Es ist ein grosser Selbst-Betrug, wenn man vermeynet, man könne sich über alle weise bezeigen, wenn man in einigen Dingen grosse Wissenschafft besitzet.
  • Christian von Wolff Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, p. 205. u.ff.
  • Gottscheds Weltweißheit, Th. II, p. 313. u.ff.
     
  Daß die Wissenschafft uns von GOtt nicht unmittelbar eingegeben werde.  
  Es hat unter den Christlichen Lehrern nicht an  
  {Sp. 1358}  
  Leuten gefehlet, die davor gehalten, daß alle Wissenschafft den Menschen von GOtt unmittelbar eingegeben werde, und daß man nichts wissen könne, ohne einem besondern Lichte, welches uns GOtt in unser Hertz senden müsse; also daß der allgemeine Beystand des höchsten Regierers und Schöpffers nicht genüglich sey die Wissenschafft zu vermehren, wenn nicht auch ein näheres und helleres Licht zu dieser allgemeinen Vorsehung herzukäme.  
  Gleichwie der H. Augustinus L. I. Colloqu. geglaubt, daß die in die Wissenschafften einschlagende Dinge ohne eine gantz besondere Erleuchtung von dem Verstande nicht könnten erkannt werden, wie die Farben ohne das Licht der Sonne keinesweges wahrgenommen werden könnten. Obgleich diese Meynung eben so gar verwerfflich nicht ist: so kan doch ein der Wissenschafft begieriger sich gewiß versichern, daß eine jede menschliche Wissenschafft auf eben die Weise von uns erlangt werde, auf welche die übrige Geschicklichkeiten mit uns hervorkommen, das ist, durch Arbeit und Fleiß.  
  Um dieses durch Arbeit und Fleiß desto besser ins Werck zu richten und allen Schlaf aus den Augen zu streichen, wird viel beytragen, wenn man die besten Bücher liesset, und sich dieselben anschaffet und eine nützliche Reise zur Vermehrung seiner Wissenschafft unternimmt, dergleichen nach Anzeige des Plutarchi in Solone, die Heydnischen Weltweisen unternommen haben, die durch viele Länder, um von denen grösten und gelehrtesten Männern vieles zu lernen, gereiset sind. Sie sind öffters aus Europa nach Africa geschiffet, nicht so wohl das sie die Lage von Egypten, oder die Ausflüsse des Nils oder die höchste Last der Pyramiden, oder fremde Vögel sehen möchten, sondern, daß sie des Schatzes einer gründlichen Gelehrsamkeit und ausnehmenden Geschicklichkeit theilhafftig werden möchten.  
  Man kan hier nachlesen des Philo des Juden Abhandlung de congressu quaerendae eruditionis gratia, wo unter andern diese merckwürdige Worte p. 299, seq. gelesen werden:  
  Indifferentes artium sectatores vident se graves utero sed quid gestent non satis vident; scientiae vero cernunt foetus suos manifestissime, nam scientia major est, quam ars, qippe ratione confirmata stabilitaque, sic enim definitur: scientia est ex multis intellectis facultas meditatione acquisita, ad finem aliquem bonum ac utilem; quae clausula recte additur ut malas improbatasque artes excludat; Tales vero adeundos esse audiendosque Magistros, quorum nemo in placitis excultae a se scientiae fellatur.  
  Doch aber muß ein der Frömmigkeit aufrichtig ergebener seine Gelehrsamkeit, die er entweder andern beybringen oder von andern und fremden erlangen will, nicht dazu anwenden, wohin sie diese verlarvte Sclaven einer eiteln Ehre haben angewendet, deren ihr Haupt-Absehen dahin gieng, nicht, wie sie in der Welt den grösten Nutzen schaffen, sondern, wie sie sich am allerbeliebtesten machen möchten, und indem sie den Mantel nach den Winde hängen, sich recht viel wusten, wenn sie es so weit gebracht, daß man mit den Fingern auf sie wieß und heimlich zischte: Diese sind  
  {Sp. 1359|S. 693}  
  es. Sie haben also darauf ihre gröste Arbeit verwendet, wie sie die grösten Lobes-Erhebungen von den Leuten erhaschen möchten. Alle, die der gründlichen Gelehrsamkeit nachtrachten, mögen ja diesem Pfeil des Fürstens der Finsterniß aus dem Wege zu gehen suchen, und wohl zusehen, daß sie sich auf eine Wissenschafft legen, die nach ihrer Neigung und nach ihren Verstands-Kräfften wohl abgemessen ist, daß sie nicht da am meisten ihre Unwissenheit an den Tag legen, wenn sie alles zu wissen vorgeben. Spitzelii Litteratus felix. Comm. IX, §. XV. p. 1027. seq.
     
  Vergnügen, daß man aus der Wissenschafft schöpffet.  
  Die Gemüths-Vergnügungen sind die reinesten und nützlichsten, die Freude dauerhafft zu machen. Cardanus war bereits in seinem hohen Alter mit seinem Zustande dermassen zufrieden, daß er mit einem Eyde bezeugte, er möchte ihn nicht mit dem Zustande eines von den reichsten jungen Menschen, der aber dabey ungelehrt und unwissend wäre, vertauschen. Herr la Mothe le Vayer führet dieses an, ohne es zu tadeln: Die Wissenschafft und Gelehrsamkeit scheinet dergleichen Anmuth zu haben, die von Leuten, so sie niemahls geschmeckt, nicht kan begriffen werden. Wir verstehen nicht ein blosses historisches Wissen ohne die Erkenntniß der Gründe; sondern ein solches Wissen, wie des Cardani, der bey allen seinen Fehlern in der That ein grosser Mann war, und ohne diese Fehler unvergleichlich würde gewesen seyn. Virgilius Georg. B. II. V. 490. u.ff. sagt hiervon:  
  Felix, qui potuit rerum cognoscere causas
Ille metus omnes et inexorabile fatum
Subjecit pedibus strepitumque Acherontis avaris.
 
  Wohl dem, der Grund von Dingen weiß!
Den schreckt das Schicksal nicht mit seinen Demant-Schlüssen,
Dem macht kein Höllen-Hund nicht heiß;
Der tritt Geschick und Höll, und alle Furcht mit Füssen.
 
  Das ist nicht eine geringe Sache, wenn man mit GOtt und der Welt zufrieden ist, wenn man sich weder vor dem fürchtet, was uns bestimmet ist, noch sich über dasjenige beschwert, was uns begegnet. Leibnitzens Theodicaea, Richters Teutsche Übersetzung, §. CCLIV, p. 438 u.f.
  Übrigens hat man hierbey allerdings den Artickel: Wissenschafften, nachzulesen; ingleichen sehe man auch den Artickel: Wissen.  
     

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HIS-Data 5028-57-1346-4-02: Zedler: Wissenschafft, Lat. Scientia [2] HIS-Data Home
Stand: 7. April 2013 © Hans-Walter Pries