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Zedler: Zweifel [3] HIS-Data
5028-64-1015-11-03
Titel: Zweifel [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 64 Sp. 1048
Jahr: 1750
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 64 S. 537
Vorheriger Artikel: Zweifel [2]
Folgender Artikel: Zweifel, in der Redekunst
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden
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vorhergehender Text  Teil 2 Artikelübersicht  

Übersicht
B) Theologische Abhandlung des Zweifels.
 
I. Ob das Zweifeln in der Religion, der Vernunft gemäß sey?
II. Ob ein Christ an allen zweifeln, oder seiner Meynung gewiß seyn müsse?
III. Ob bey dem Zweifel über die Göttlichen Wahrheiten, der Glaube aufhöre?
IV. Ob, und warum sich in der Religion Zweifels-Knoten befinden?
V. Ob der Zweifel die erste Sünde des Menschen gewesen?
C) Juristische Abhandlung des Zweifels.
D) Abbildung des Zweifels.

  Text Quellenangaben
  B) Theologische Abhandlung des Zweifels.  
  Die Theologische Abhandlung der Materie von dem Zweifel und der Zweifler, werden wir in folgende Fragen und deren Beantwortungen einkleiden:  
     
  I. Ob das Zweifeln in der Religion, der Vernunft gemäß sey?  
  Hiervon hat Herr D. Ernst Salomon Cyprian, in seiner vernünftigen Warnung für dem Irrthume und der Gültigkeit der Gottesdienste oder Religionen, zur Stärckung der Gläubigen und Erhaltung gemeiner Ruhe (Gotha 1744 in 8) im siebenden Capitel folgende Gedancken:  
  Er räumet es ein, daß man denjenigen nimmermehr für weise halten könne, der alles blindlings glaube, und verwirfft einen vernünftigen Zweifel keinesweges; er erinnert aber, daß man demselben ein Ziel setzen, und weder zu leichtgläubig noch zu ungläubig seyn, sondern dieses Krafft einer sechs tausend jährigen Erfahrung voraus setzen müsse, daß unsere endliche, schwache Vernunfft das unendliche Wesen GOttes, und die Tiefe seiner Allmacht und Weisheit nicht ergründen könne. Viel gelehrten Männern sind die Religionen deswegen gleichgültig, weil sie es vor eine Ehre und ein Zeichen der Scharffsinnigkeit halten, bis an ihr Lebens-Ende alles zu bezweifeln, und, wie sie der Herr Cyprian redend einführet, sprechen:  
  „Das menschliche Leben sey kurtz und gewiß, die ewige Belohnung aber ungewiß: Dannenhero müsse man sich dieses gegenwärtige Leben in allen Vergnüglichkeiten recht zu nutze machen; mithin würde ein Kluger mit Mäcenate, von welchem Seneca dieses bezeuget, lieber tausend mahl kranck und unglücklich seyn, als einmahl sterben: Die Lehre von der Unsterblichkeit sey sehr unbegreiflich; sie untersuchten alles durch Zweifel; was sie nicht begriffen, das glaubten sie nicht.„  
  Dieser Art von Menschen widerspricht nun Herr Cyprian und zeiget, es sey der Vernunfft gar nicht gemäß, daß dieselben alle unbegreiffliche Dingen vor unmöglich halten, und nicht an Erfindung der Wahrheit, sondern an beständigen Zweifel ihre Freude haben. Er thut auf eine schöne Art dar, daß auch die unabläßigsten Zweifler nothwendig viel unbegreifliche Dinge glauben, und glauben müssen. Er leget ihnen eine grosse Anzahl Erfahrungen aus dem Reiche der Natur, den Geschichten und Geschlechts-Registern vor, welche insgesamt unwidersprechlich wahr sind, aber doch nicht demonstriret werden können, und redet sie endlich mit folgenden Worten an:  
  „Wir wollen den Zweiflern zwey Dinge zu Gemüthe führen, deren sie keines begreiffen, und doch eines nothwendig glauben müssen. Sie halten gemeiniglich davor, die Erde lauffe alle vier und zwantzig Stunden in beständiger Bewegung herum, ohne daß es ihre Inwohner gewahr würden. Ist das nicht ein schwerer Glaubens- Artickel, dem  
  {Sp. 1049|S. 538}  
  Augen, Ohren, das Gefühl und alle unsere Sinnen widersprechen? Läufft aber die Sonne herum, so ist nicht minder unbegreiflich, wie ein lebloser, ungeheur grosser Feuerklumpen, ohne Allmacht, Weisheit und göttliche Regierung, in wenig Stunden viel hundert tausend Meilen lauffen, und seinen Lauf so ordentlich vollbringen könne, daß das gantze menschliche Geschlecht seine Minuten darnach abmessen mag: Da doch, wenn ein Herr, welcher seinem Diener in der Mitternacht ein Licht vor das Bett zu bringen befiehlt, die Erfüllung solches Befehls von einem vernünftigen Wesen erwarten muß; die Sonne hingegen allerdings leb- sinn- und vernunfftloß ist.„  
  Die Zweifler wenden gemeiniglich dieses gegen die Lehre Christi ein: Der Gottesdienst müsse ein vernünftiger Gottesdienst seyn; da doch unsere Geheimnisse unvernünftig und widersprüchig wären. Das erste räumet Herr Cyprian willig ein, leugnet aber das letztere, und bejahet mit Grunde, daß dasjenige, was man nicht begreiffet, nicht nothwendig unvernünftig seyn müsse; ja daß sich in den Lehren der Christen kein wahrhaffter Widerspruch finde.  
  Er erweist solches an diesem Exempel: Die Schrifft lehret uns, daß der Beherrscher Himmels und der Erde, von Ewigkeit einen Sohn aus seinem Wesen gezeuget habe. Da kan die Vernunfft zum höchsten nicht mehr sagen, als dieses: Das müste keine natürliche Zeugung seyn, wie die menschliche ist. Wenn sie aber den Begriff von der menschlichen Zeugung nimmt, und solchen auf die ihr unbekannte göttliche appliciret, auch diese deswegen leugnet, weil sie ferner nicht gleichförmig ist, so handelt sie durchaus unvernünfftig; gerade als wenn sie sagte, weil das Viereck kein Zirckel sey, so sey es auch kein Viereck. Wer einen Widerspruch in einer Rede zeigen will, der muß das Wesen und Würckung der Dinge, davon geredet wird, richtig erkannet haben. Wer kennet aber das Wesen der göttlichen Zeugung?  
  Einige von diesen Männern zweifeln mit den alten Stoischen Weltweisen deswegen an der Gerechtigkeit Gottes, weil ein gerechter Mensch in Belohnung der Tugend und Bestraffung der Laster, allezeit eine innerliche Alteration, als Eyfer, Haß und Liebe empfindet; dergleichen Unvollkommenheiten in Gott nicht statt haben könnte. Allein Herr Cyprian erinnert sie abermahl, daß sie eine unendliche Sache mit endlichen Begriffen ausmessen wollen. GOtt rede von seinen Handlungen mit denen Menschen auf eine Weise, welche sie verstehen könnten, und man müsse, wenn menschliche Handlungen GOtt zugeschrieben würden, alles von demselben absondern, was dabey in dem endlichen, eingeschränckten und unvollkommenen Thun der Menschen seinen Grund habe.  
  Herr Cyprian macht dabey die schöne Anmerckung, daß diejenigen, welche Absichten, Gerechtigkeit und Weisheit bey der Regierung der Welt in Zweifel ziehen, sich zu eben der Zeit, da sie ihren Widerwillen gegen alle Glaubens-Artickel bezeigten, selbst neue Glaubens-Artickel machten, welche schwer und unbegreiflich blieben. Er schliesset also:  
  „Wir wollen den unvernünfftigen Fall setzen, die gantze Welt werde ohne Weisheit  
  {Sp. 1050}  
  durch einen blinden Trieb regieret; so wird doch die innerliche Beschaffenheit dieses blinden Triebes unerforschlich, und, da dessen Existentz unleugbar vor Augen läge, unbegreifflich seyn, oder ein Glaubens-Artickel bleiben:„ Man sehe hiervon ein mehrers in des vielbenannten Herrn D. Cyprians Warnung von der Gleichgültigkeit der Gottesdienste; ingleichen die Zuverläßigen Nachrichten V Band, p. 222. u.ff.
     
  II. Ob ein Christ an allen zweifeln, oder seiner Meynung gewiß seyn müsse?  
  Von dieser Frage, ob nehmlich ein Christ, an allen zweifeln, oder seiner Meynung gewiß seyn, und sie als fest und unumstößlich behaupten müsse? ist es werth, daß man dasjenige nachlese, was Erasmus und Luther wider einander geschrieben haben. Jener schreibet in seiner Diatribe de Libero Arbitrio … [10 Zeilen lateinischer Text]. Hierauf antwortet Luther in seinem Tractat de servo arbitrio … [16 Zeilen lateinischer Text]. Man lese auch was Erasmus in seinem Hyperaspistes Diatribae adversus Servum arb. Mart. Luther. und zwar nach der Straßburger Ausgabe von 1522 in 8, auf dem Blatt B, s verso, (denn die Seiten haben keine Zahlen) darauf geantwortet hat. Baylens Critisch. Lex. II Th. …
     
  III. Ob bey dem Zweifel über die Göttlichen Wahrheiten, der Glaube aufhöre?  
  Es tritt zuweilen bey denen Gläubigen in ihren Anfechtungs-Stunden auch einiger Zweifel über die göttlichen Wahrheiten hervor. Unser geistliches und zeitliches Elend giebt uns die Heilige Schrifft in die Hand. Wir schlagen darinne die Stellen auf, die wir zu unsern Zustande brauchen. Wir suchen nichts, als dieses: Du möchtest wissen, ob sich auch dieses so verhalte, als du es liesest.  
  Eine genaue Untersuchung der Sache führt uns die  
  {Sp. 1051|S. 539}  
  Wahrheit zu Gemüthe; Es stellen sich unsern Gedancken die allergründlichsten Beweißthümer vor, wider welche wir nichts bündiges einzuwenden wissen. Wir haben Anfangs gedacht: Die Entdeckung dieser oder jener Wahrheit, die deinen Zustand angeht, wird das beklemmete Hertz vollkommen zufrieden stellen; Und gleichwohl bleibt das Hertz nach erkannter Wahrheit noch immer unmuthig und traurig. Was ist davon die Ursache? Der Gedancke: Vielleicht kan die Sache anders seyn; vielleicht finden sich bey dir gewisse Hindernisse und Umstände, die die Krafft dieser Worte schwächen, und in keine Würckung gehen lassen. Und so sehen wir, daß uns offt eine blosse Einbildung schmertzlicher betrüben, als uns die allerdeutlichste Wahrheit aufrichten kan. Elender Zustand, wenn der Heilige Geist nicht selbst das Wort mit Krafft und Nachdruck in unserer Seele befestiget und versiegelt! Man möchte hierbey dencken: Vielleicht ist gar kein Glaube bey Seelen, die sich in einem solchen Zustande befinden? Man irret, wenn man so dencket. Wir wollen es beweisen.  
  Wo sich die Früchte des Glaubens zeigen, da muß auch der Glaube seyn. Und man lerne nur solche Seelen recht kennen. Wenn sie sich in einem solchen Zustande befinden, so unternehmen sie nichts wider die Ehre Gottes. Ihnen ist vielmehr bange, damit es nicht geschehen möge, welches zu vermeiden, sie sich ihren Seelen-Zustand zum Gegenstand ihrer Gedancken machen. Sie dencken an die vorigen Zeiten, wie gütig sie GOtt geführet, wie vergnügt sie gewesen, wenn sie zuweilen diese Wahrheiten, von denen wir reden, so nachdrücklich an ihre Hertzen gelegt, daß es geschienen, als wenn die zukünfftige Glückseligkeit schon gegenwärtig, und hingegen das gegenwärtige Leid gantz verschwunden wäre, dergestalt, daß sie die häuffigsten Freuden-Thränen darüber vergossen.  
  Diese Zurückruffung in das Gedächtniß vorig genossener Empfindlichkeit dienet ihnen gleichsam zu einer Vormauer, daß nicht der Ehre Gottes nachtheilige Gedancken in die Seele einbrechen, und sie verunreinigen können. Sie bemühen sich sehr, sich vor aller Unart zu hüten, wodurch sie den Heiligen Geist mit seinen Gnaden-Würckungen von sich treiben; sie beten, sie flehen, sie seuffzen, wodurch sie es doch endlich zu einer Empfindlichkeit zu bringen hoffen. Sind denn dieses nun nicht lauter Früchte des Glaubens? Jedoch wer kan wohl von dem Geschmack, von den Empfindungen der Seele so reden, daß uns alles recht helle in die Augen fiele? Wem die eigene Erfahrung hierinn nicht zu statten kömmt, dem werden diese unsere Vorstellungen wie todte Bilder vorkommen, welchen ein lebendiges Hertze fehlt.  
  Wir wollen hier einmahl ein Exempel von der Vorsorge GOttes anführen. Wir zweifeln nicht, daß die Wege des Herrn nicht eitel Güte und Wahrheit seyn solten, Ps. XXV, 10.
  Wir glaubens, daß es GOtt mit seinen Heiligen nicht böse meynen könne, wenn er sie auch die traurigsten Straffen führet; wir wissen, daß denen, die GOtt lieben, alle Dinge zum besten dienen müssen, Röm. VIII, 28.
  Wir sind vollkommen überzeuget, daß uns der geistliche Vater zu unsern Nutzen züchtige,  
  {Sp. 1052}  
  auf das wir seine Heiligung erlangen, Hebr. XII, 10.
  Allein, rühren uns denn alle diese Wahrheiten allezeit so lebhafftig, daß wir uns mit aller Freudigkeit und Zuversicht in Gottes weise Versorgungs-Hände legten? Oder, treten zuweilen Stunden ein, da Vernunfft, Umstände und alles, das sich als Feind vor die Vorsorge Gottes erkläret, auf unsere Seelen loßstürmen, um uns eine gewisse Wahrheit zu entwenden, die doch das rechte Leben in unserer zeitlichen Glückseligkeit ausmacht? Es ist wahr, wir bringens zwar in solchen Stunden so weit, daß der Glaube solche Einwendungen wider die Vorsorge Gottes schweigen heist; aber es bleibet doch ein heimlicher Kummer zurück, der uns betrübet, und sich recht wehmüthig nach einer solchen Würckung des Heiligen Geistes sehnet, die auch noch den zurückgebliebenen Rest von Kummer und unangenehmer Empfindung vollends dämpfen, auslöschen, und unser Hertz in eine völlige Freudigkeit setzen könnte.  
  Hier offenbahret sich nun GOtt mit seinem Troste und Hulffe auf folgende Weise:  
  Die erste Stuffe der Offenbahrung geschiehet durch das geschriebene Wort Gottes, durch welches GOtt mit seinen Kindern eben so deutlich spricht, als wie ein Freund den Willen und Meynung seines Hertzens durch den äusserlichen Schall der Worte abdruckt. Ob nun gleich dem theuren Worte Gottes die besten und nachdrücklichsten Gründe zu unserm Troste anvertrauet worden, so wollen sie uns doch Theils nicht allezeit beyfallen, Theils auch ist deren Kräfft durch unsere gar zu starcke Affecten niedergedruckt, daß sie die gar zu starck aufgebrachte Seele nicht recht würcken kan.  
  Wenn wir einen Trostspruch finden, so macht die starcke Traurigkeit alsobald diesen Einwurff: Wer weiß, ob du auch diesen Spruch recht verstehest? Wer weiß, ob du dich nicht etwann mit diesem Troste betriegest? Wer weiß, ob er dich auch angehe? Können denn nicht gewisse Umstände und Angelegenheiten deiner Seele auch gewisse Vorstellungen erfodern? Und wird es denn bey so bewandten Sachen wohl müglich gewesen seyn, eine solche Offenbahrung auszustellen, die sich auf aller, auf so vieler tausend Seelen innerliche und äusserliche Angelegenheiten und Umstände genau brauchen ließ, da ja diese von so vielen Gattungen sind, als man wohl Seelen antrifft? Und wer kan alle solche Kummer- und Versuchungs-volle Gedancken herzehlen, die mancher Seele bey dem Worte Gottes recht hefftig zusetzen. Legt man sie aber genau aus einander so siehet man, daß sie die Geburt einer allzustarcken Traurigkeit sind, ihre Nahrung und Unterhalt aber aus einer verdeckten und subtilen Eigen-Liebe ziehen, die zu ihrer ausschweiffenden Traurigkeit immer noch Rechts übrig haben will.  
  Wenn denn sich durch Vorstellungen der Heiligen Schrifft das Hertz noch nicht zur Ruhe legen kan, so legt GOtt noch mehrere Würckungen an dasselbige. Der Verstand wird mehr und mehr aufgekläret und erleuchtet; Die Trost-Gründe stellen sich lebhafftiger vor die Augen; Wir sind überzeuget der Gnade Gottes. Wir glauben es, daß wir die Grentzen in unserer Traurigkeit  
  {Sp. 1053|S. 540}  
  überschreiten; Wir entschlügen uns gerne derselben vollkommen, aber wir könnens nicht; Es ist uns, als wenn uns eine geheime Krafft immer je tieffer hinein ziehen wolte. Immittelst aber gehen viele Würckungen in unserer Seele vor, die von der nahen Gegenwart JEsu zeugen, ob wir sie gleich nicht gewahr werden, ob wir gleich nicht wissen, daß es JEsus ist.  
  Wenn denn nun auch hierdurch das Hertz noch nicht zur Entschlagung der Traurigkeit kan gebracht werden, so wird die Seele noch höher auf die dritte Stuffe geführet, wo sich ihr JEsus noch deutlicher offenbahret. Die Seele empfindet eine gewisse innerliche Versicherung, die allen Zweifel vollends besieget; einen gewissen Zuspruch, ein starckes Zeugniß des Heil. Geistes, der in uns schreyet: Abba! lieber Vater; der da Zeugnis giebt unserm Geist, daß wir GOttes Kinder sind. Röm. VIII, 15. 16.
  Wir fühlen einen Zug, eine Empfindung, einen süssen Trost des Heylandes, wodurch alle Traurigkeit besieget und gedämpffet wird. Liebe zaudert nicht. Wenn dannenhero solche Seelen dieses mercken, wenn ihnen JEsus zuruffet, und sie mit einem Gnaden-Blick und süßer Empfindung ansiehet; so reissen sie sich von allen los, sie stehen eilends auf, Joh. XI, 29.
  sie wenden sich mit der Maria Magdalena hurtig um, den Heyland entgegen; Sie greiffen hurtig zu, sie halten den Heyland mit ihren Glaubens- und Liebes-Armen recht feste, damit sie nicht wiederum in eine solche Seelen-Angst gerathen mögen.  
  Wenn man sich nun die Beschaffenheit und Aufführung solcher mit Zweifel angefochtener Seelen genau vorhält, wie dessen ungeachtet sich dennoch die besten Glaubens-Früchte bey ihnen zeigen; so wird man sich betrügen, wenn man aus dem Mangel der Empfindung auch den Mangel des Glaubens selbst allemahl schliessen wolte. Buttstetts Unempfindlichkeit des Glaubens ...
     
  IV. Ob, und warum sich in der Religion Zweifels-Knoten befinden?  
  In allen Wissenschafften trifft man sowohl einige deutliche Wahrheiten, als auch Zweifels-Knoten an. Beydes erinnert uns, daß wir vernünfftige Creaturen sind. Denn die Vernunfft erhellet aus den deutlichen Begriffen: Das Wesen der Creatur, oder die Einschränckung, aus den übrig bleibenden Schwierigkeiten. Weil man nun die Rechtsgelahrheit, die Artzeneywissenschafft und andere Künste wegen der Schwierigkeiten, so sich darinnen hervorthun, nicht verwirfft: so wird man auch der Gottesgelahrheit dieses Recht wiederfahren lassen; Wenn man auch gleich zeigen könnte, daß die Zweifels-Knoten in diesem Theile der Gelehrsamkeit stärcker und häuffiger seyn, als in andern.  
  Die Ursache davon ist folgende: Andere Wissenschafften haben es mit sinnlichen Dingen zu thun, darinnen wir uns vermittelst der Einbildungs-Krafft helffen können. Selbst in der Geometrie kommen uns die Figuren zu statten, wenn wir den Beweis fassen wollen. Die Gottesgelahrheit hat das unsichtbare Wesen GOttes und der  
  {Sp. 1054}  
  Seelen zum Vorwurff. Die Dinge, womit andere Wissenschafften beschäfftiget sind, haben nicht einen so grossen Umfang, als die, womit die Gottesgelahrheit zu thun hat. Ein Artzt kan seinen Cörper, und seine Heilungs-Mittel noch einigermaßen übersehen; ein Rechtsgelehrter eine Stadt, eine Landschafft, ein Reich, und die zu deren Einrichtung nöthige Verordnungen und Gesetze auch. Ein Gottesgelehrter hat es so wohl mit der unendlichen Gottheit, als der unbegreifflich grossen Stadt GOttes, das ist, allen Creaturen, die in dem gantzen Welt-Gebäude befindlich sind, zu thun. Wenn er demnach auch den tausendsten Theil hiervon deutlich erkennet, welches aber niemand wahrscheinlich behaupten wird, so kan er doch nicht verlangen, daß er die göttliche Einrichtung der Welt nach der größten Klarheit einsehen müßte. Denn die Ursache dieser Einrichtung kan in den 999 Theilen, so ihm verborgen bleiben, enthalten seyn.  
  Es haben sich indessen in den neuern Zeiten viele bemühet, die Schwierigkeiten der Gottesgelahrheit aus höchste zu treiben. Insonderheit wendet Bayle alle seine Beredsamkeit an, zu erweisen, daß die Vernunfft und Gottesgelahrheit einander wiedersprechen.  
  Ein Naturalist gründet sich auf diesen Widerspruch, wenn er also schliesset: Wenn GOtt will, daß die Menschen seinen Willen erkennen sollen, so muß er zu solchem Zweck die allerbequemsten Mittel, folglich solche Vorstellungen erwählen, welche den höchst möglichen Grad der Deutlichkeit haben, und wobey keine andere Zweifel übrig bleiben, als nur solche, die wegen der Unbegreiflichkeit unendlicher Dinge unmöglich zu heben gewesen. Wenn nun eine Offenbahrung vorhanden, darinn nicht der größte mögliche Grad der Deutlichkeit angebracht ist, und welche Zweifel enthält, die durch eine weise Wahl der Wörter wohl hätten können vermieden werden, so ist sie nicht göttlich.  
  Ferner: GOtt ziehet eine grössere Vollkommenheit, der geringern vor. Eine Offenbahrung, so grosse Deutlichkeit besitzet, und von den Zweifeln frey ist, welche haben können vermieden werden, ist vollkommener, als eine undeutliche und mit Zweifeln angefüllete. Folglich ist diejenige Offenbahrung, so undeutlich ist, und überflüßige Zweifel enthält, nicht göttlich.  
  Diesen wichtigen Zweifels-Knoten können wir heben, wenn wir in dem Zwecke GOttes bey der Offenbahrung alles gehörig unterscheiden. Der Zweck der Offenbahrung fliesset aus der letzten Absicht GOttes, nehmlich der Glückseligkeit der Creaturen. Diese allgemeine Absicht setzet also den besondern Zweck der Offenbahrung in die gehörige Schrancken, dergestalt, daß dieser besondere Zweck mit dem allgemeinen bestehen könne. Es können aber die vernünfftigen Creaturen in gute und böse getheilet werden. Die Guten gebrauchen sich ihrer Freyheit recht, die bösen misbrauchen dieselbe.  
  Wir können uns aber die bösen unter verschiedenen Umständen vorstellen: Da nach einigen Umständen grössere Sünden, und folglich schwerere Straffen, nach andern Umständen geringere Sünden, und folglich leidlichere Straffen statt haben. Wenn wir GOtt gerecht nennen, so bezeugen wir zwar, daß er das Böse be-  
{Sp. 1055|S. 541}
  strafen müsse, wir behaupten aber nicht, daß er die Umstände, worunter grössere Sünden und Strafen statt haben, den Umständen, wobey geringere Sünden und Strafen erfolgen, vorziehe. Vielmehr schliessen wir aus dem Begriff seiner Heiligkeit, daß er die Umstände, worunter wenigere und geringere Sünden erfolgen, vorziehen müsse, und aus seiner Güte, daß er die Umstände, wobey geringere Strafen statt haben, am liebsten erwählen werde.  
  Nun wollen wir sehen, bey welchen Umständen die Sünden und Strafen grösser, und bey welchen sie geringer seyn werden. Die göttliche Offenbahrung ist GOttes Gesetz. Je deutlicher das Gesetz, je grösser ist die Schuld und Strafe bey der Übertretung desselbigen. Je dunckeler das Gesetz ist, je geringer ist die Schuld und Strafe. GOtt erwählete also eine solche Offenbahrung, darinn so viel Deutlichkeit ist, als nöthig war, diejenigen zu überzeugen, so Folge leisten würden, und darinn so viel Dunckelheit war, daß die Widerstrebenden sich gleichwohl dabey nicht den höchsten Grad der Schuld und Strafe zuzögen.  
  Damit aber beydes möglich gemacht würde: so hat GOtt den Wahrheiten der Offenbahrung nicht nur eine natürliche Krafft zu bewegen beygeleget, dergleichen alle Wahrheiten der Weltweisheit haben, und die wegen der untermischten Dunckelheit und einiger überbleibenden Zweifel etwas gemäßiget ist; sondern er verbindet auch seine besondere übernatürliche Würckungen mit den Wahrheiten dergestalt, daß solche Krafft unter der Bedingung der Folgsamkeit des Willens stärcker empfunden wird.  
  Hierdurch erhält GOtt zweyerley, erstlich, daß diejenigen, so ihre Freyheit misbrauchen, nicht so starck überzeuget werden, daß sie der höchste Grad der Strafe treffen müßte; zum andern, daß diejenigen, so ihre Freyheit recht gebrauchen, hinlängliche Klarheit von den Sachen erlangen. Es hat vor etlichen Jahren diese Materie Herr Joachim Böldicke in einer zu Königsberg in der Marck auf den Schul-Catheder vertheidigten lateinischen Dissertation, unter dem Titel: Erweis, daß die scheinbaren Zweifel der Heil. Schrifft nicht mit den Eigenschafften GOttes streiten, sondern wohl übereinstimmen, weiter ausgeführet.  
  Wollte man dawider einwenden, eine grössere Deutlichkeit der Heil. Schrifft würde verursachet haben, daß sich die bösen ihrer Freyheit nicht gemisbrauchet hätten: so ist die Antwort, daß diese Folgerung nicht gewiß sey, da man die Freyheit des Menschen zugestehet, und auf die Erfahrung in den Handlungen der Menschen Acht hat. Diejenigen, so das Thun der Menschen nothwendig machen, werden die Folgerung zwar eher zugeben müssen. Wolte man aber behaupten, daß man von den nach dem Satz des zu Reimenden formirten Begriffen das Gegentheil immer sagen könnte, ohne einen solchen Unterscheid oder Ursache angeben zu dürfen: so würde man alles aus allem erklären können, und die meisten Vernunftschlüsse, so auf die Vergleichung der Begriffe gegründet sind, verdächtig machen.  
  Doch wieder auf den Bayle zu kommen, so hat er das Wichtigste von seinen Einwürffen in dem 144 Capitel seiner Antwort auf die Frage eines Provincials … zusammen gezogen.  
  {Sp. 1056}  
  Er führet sieben Theologische und neunzehen Philosophische Sätze an, und fodert gleichsam jedermann auf, die Theologischen Sätze mit den Philosophischen zu vereinbahren. In der Leibnitzischen Theodicee werden die Theologischen Sätze mit einem Walle, die Philosophischen aber mit Carthaunen verglichen, so diesen Wall durchlöchern sollen.  
  Nachdem Herr Clarck, Jaquelot, Bernhard, nebst einigen ungenannten mit dem Bayle hefftig gestritten haben: so hat endlich der Herr Baron von Leibnitz in seiner Theodicee die Schwierigkeiten zu heben gesucht. Er führet zu dem Ende erstlich die sieben Theologischen und neunzehen Philosophischen Sätze des Bayle von Wort zu Wort an, und sucht sie durch beygefügte Anmerckungen zu vereinbahren. So dann sammlet er aus allen seinen Schrifften die Örter, worinnen er die schärffsten Zweifel besonders vorträgt, und sucht sie gleichfalls zu widerlegen. Wenn er die Zweifels-Knoten auflösen will; so findet er insonderheit nöthig, zu erinnern, daß die Unvollkommenheit der Theile die Vollkommenheit des Gantzen befördere, oder daß GOtt die Laster oder Unordnungen in der Welt um deswillen zugelassen habe, weil sie in dem Plan der besten Welt mitbegriffen gewesen.  
  Nachgehends hat auch Herr Böldicke in seinem abermahligen Versuch einer Theodicee, in der II Beylage, … diese Zweifels-Knoten des Herrn Baylens von Wort zu Wort nebst des Herrn Leibnitzens Anmerckungen angeführet und gezeiget, wie diese Baylischen Zweifel gehoben werden könnten. Wir wollen allhier nur dasjenige anführen, welches er wider den letzten Theologischen Satz des Herrn Baylens von der göttlichen Gnade angemercket, und darinnen er insonderheit den Zweifel wider die Heil. Schrifft, und warum sich in der Religion viele Zweifels- Knoten finden, folgendergestalt beantwortet; wenn er … also schreibet:  
  „Solchergestalt bin ich auf eine Erklärung gerathen, welche mich überzeugt, und mit der göttlichen Einrichtung der Welt, der Offenbahrung und Vorsehung, zu meinem unbeschreiblichen Vergnügen völlig übereinstimmt. Ich weiß indessen gar wohl, daß meine Überzeugung andern keine Maßregel geben kan. Solte sich meine Erklärung bey mehrern Seelen legitimiren; so würde mir solches ein neues Kennzeichen der Wahrheit seyn. Ich will aber in dieser schweren Materie den Leser nicht durch Verwirrung der Sachen berücken, sondern alles, so viel möglich, deutlich aus einander setzen.  
  Ich will zu dem Ende erstlich erweisen, daß es wenig Menschen gebe, welchen die Gnade GOttes so nachdrücklich angeboten wird, daß sie durch die Verwerffung derselben in viel höherm Grade strafbahrer werden. Weil es aber doch einige wenige giebt, welche durch Verwerffung der nachdrücklich angebotenen Gnade sehr strafbar werden; so will ich aus den Gesetzen der Glückseligkeit zeigen, daß GOtt durch eine nachdrückliche Anbietung der Gnade diese Menschen noch strafbarer um deswillen mache, weil er solchergestalt die größte mögliche Glückseligkeit der meisten Creaturen hat erhalten können.  
  Wenn der Baylische  
  {Sp. 1057|S. 542}  
  Einwurf in seiner Stärcke soll genommen werden, so heist das nicht anbieten, wenn die Menschen hören, sie sollen selig werden. Denn wenn sie davon keine rechte Empfindung haben, oder leicht haben können, werden sie dadurch nicht auf eine besondere Weise strafbarer. Man setze einen König, der bey Kundmachung seines Gesetzes wünschet, daß es alle Folgsame verstehen, und die meisten Widerspenstigen nicht verstehen sollen, damit er nicht genöthiget seyn möge, die letztern sehr scharf zu bestrafen. Würde er nicht seinen Zweck erhalten, wenn er machen könnte, daß die Widerspenstigen aus wahrscheinlichen Ursachen nicht glaubten, daß es sein Gebot sey, oder daß es den Verstand habe, den es hat?  
  Du sprichst, wie ist solches möglich? Ich antworte, hierzu gehört eine göttliche und fast unermeßliche Weisheit. Wir finden davon Spuhren in der göttlichen Offenbahrung und Vorsehung. Weil man aber auf diese Absicht nicht gekommen ist: so hat man in der göttlichen Vorsehung und Offenbahrung lauter Schwierigkeiten angetroffen. Es giebt Figuren, die nach der Optick also gemahlet sind, daß sie an und vor sich unförmlich scheinen. Wenn man zu selbigen einen Optischen Spiegel, z.E. einen Cylindrischen fügt: so erblickt man die Figur im Spiegel, aber nicht unförmlich, sondern nach der schönsten Verhältniß. So erblicken wir in der Regierung und Offenbahrung GOttes, unserer Meynung nach, nichts als Verwirrung und Unordnung. Wenn man aber dasjenige, so verworren scheint, nach der jetzt gedachten Absichten beurtheilet: nimmt man mit Erstaunen eine unerwartete Weisheit war.  
  Ich will mit meinem Leser den Erdkreis in Gedancken durchwandern, und sehen, wie ihn GOtt in Absicht auf die Religion eingerichtet hat. Unter der grossen Menge der Menschen findet sich ein kleines Häuflein, so sich zum Christenthum bekennet. Die weitläufftigsten Länder sind mit Türcken und Heyden angefüllet. In vorigen Zeiten, so man das Alte Testament nennet, ist das Häuflein der Rechtgläubigen noch weit kleiner gewesen. Unter den Christen, so jetzo leben, macht die Parthey den grösten Theil aus, deren Kirchen-Verfassung und Lehrsätze es mit sich bringen, daß die Menschen in der Unwissenheit müssen erhalten werden. Die Evangelischen Christen hegen zwar andere Meynungen: aber wieviel Unwissenheit ist nicht in Städten und auf dem Lande, davon man die Schuld nicht allemahl den jetzigen Lehrern beymessen kan.  
  Wenn nun gleich an einigen Orten die mehresten zu einer buchstäblichen Erkenntniß der Wahrheit gelangen, so sind doch unter denselben wiederum sehr wenige, die die Krafft des Worts so empfinden, daß sie durch deren Verwerffung im hohen Grade strafbahrer werden. Paulus bezeuget zwar Röm. I, 19-32, daß das Erkenntniß von GOtt den Heyden offenbahret gewesen, und Apost. Gesch. XIV, 17, daß er sich gegen dieselben nicht unbezeugt gelassen. Allein es erhellet aus dem gantzen Zusammenhange, daß diese Aussprüche nicht von einer Gnade handeln, so die Hertzen dergestalt rühret, daß die  
  {Sp. 1058}  
  Menschen dadurch in hohem Grade strafbahrer werden.  
  Nun will ich auch meinen Leser in die göttliche Offenbahrung führen. Er nimmt wahr, daß die ersten und meisten Schrifften, woraus sie besteht, in der Ebräischen Sprache verfast sind. Diese ist wegen ihrer grossen Kürtze, der Vieldeutigkeit der Worte, insonderheit der Bündungs-Wörter etc. nicht die bequemste, daß ein Satz darinn allemahl deutlich ausgedruckt oder genau determiniret werden könne. Es finden sich in der Offenbahrung nicht allein solche Schwierigkeiten, die von der Unbegreifflichkeit der Sache herrühren, und unmöglich zu heben gewesen, sondern auch solche, welche durch eine weise Wahl der Wörter hätten können vermieden werden. Die Ausleger setzen deswegen an statt der unbequem scheinenden Wörter andere, so leichter zu verstehen sind. Hieraus nehmen nun die vielen Secten Gelegenheit, die Worte der göttlichen Offenbahrung auf ihre Meynung zu deuten. Wenn man den Vortrag der Offenbahrung mit dem Vortrage anderer menschlichen lebhafften u. zur Erbauung abgefasten Schrifften vergleicht: so nehmen die noch nicht erleuchteten Seelen in den menschlichen Schrifften mehr Deutlichkeit und Rührendes wahr. Sind dieß nicht lauter paradoxe Dinge, welche der Religion nachtheilig sind?  
  Keinesweges! Aus diesen paradox-scheinenden Dingen leuchtet eine göttliche Weisheit hervor. Man wird mir zu geben, daß GOtt gütig sey, und die Glückseligkeit seiner Creaturen zum Zwecke habe. Ich habe § 95. 107. des abermahligen Versuchs der Theodicee erwiesen, daß GOtt die Verdammten, so aus ihrer Schuld sündigen, nicht in der Schöpffung weggelassen habe, weil ihre Strafe die Glückseligkeit der Seeligen erhöhet, und die Summe der erhöheten Glückseligkeiten die Summe der Strafen übertreffen.  
  Dieser Zweck erfordert nicht den allerhöchsten Grad der Pein. Die Güte GOttes lässet uns schliessen, daß er lieber eine geringere als grössere Pein der Verdammten wolle. Die Strafe der Verdammten ist der Sünde proportionirt. Je deutlicher die Offenbahrung, und je grösser die Gnade, so die Sünder verwerfen, je grösser ist die Schuld und Strafe. Wolte GOtt nun keine grosse Strafe veranlassen; so muste er ihnen ein geringeres Licht und weniger Gnade geben. Deswegen werden die meisten Menschen in heydnischer Finsterniß gebohren, und haben auch unter den Christen solche Umstände, darinnen sie nicht so leicht zum Erkenntniß der Wahrheit kommen. Deswegen finden sich in der göttlichen Offenbahrung Schwierigkeiten und Dunckelheit.  
  Du sprichst, so kan ja der Zweck der Offenbahrung bey denen nicht erhalten werden von denen GOtt voraussahe, daß sie bey der gehörigen Deutlichkeit folgen würden. Ich antworte: GOtt hat mit dem Worte eine Krafft des Heiligen Geistes verknüpfft, welche unter der Bedingung der Folgsamkeit empfunden wird. Ist also die natürliche Krafft des Wortes gleich geringe; so ist doch die damit vereinigte Krafft des Heiligen Geistes starck. Dieser letztern schreibt man billig die Erleuchtung zu.  
  Nun beliebe der Leser  
  {Sp. 1059|S. 543}  
  stille zu stehen, und zu erwägen, ob er überführet sey, daß die Gnade GOttes wenigen Menschen so nachdrücklich angeboten werde, daß sie durch derselben Verwerfung im hohen Grade strafbar werden? Er prüfe ferner, ob GOtt nicht nach der beygebrachten Erklärung wichtige Ursachen gehabt habe, nur wenigen von den Widerspenstigen seine Gnade auf das nachdrücklichste zu empfinden zu geben? Er untersuche, ob man nicht von der Einrichtung der Welt und der Offenbahrung solchergestalt die wichtigsten Ursachen angeben könne?  
  Wenn er von diesem allen hinlänglich überzeugt ist, wird er dennoch fragen, sind denn nicht einige wenige, denen GOtt seine Gnade durch übernatürl. Krafft des Worts nachdrücklich ans Hertz leget, ohnerachtet er siehet, daß sie dieselbe verwerfen, und sich strafbarer machen werden? Ich kan es nicht leugnen. Die Offenbahrung und Erfahrung lehret es. Man wird deswegen mit der Frage in mich dringen, wie es sich mit der Güte Gottes reime, daß er die Umstände und den Weg zu einer schweren Verdammniß, den Umständen zu einer geringern Verdammniß vorziehe? Diese Frage will so viel sagen, ich sey schuldig, eine Ursache von diesem Verfahren GOttes anzugeben. Wenn ich den Baylischen Einwürfen ein Genüge thun will; so darf ich mich nicht darauf beruffen, daß es GOtt gethan, seine Ehre zu retten. Denn er läst diesen Zweck bey der Welt nicht zu. Ich muß das Verfahren GOttes aus seiner Absicht, die Creaturen glückselig zu machen, rechtfertigen. Nun dieß soll geschehen.  
  Wir haben bereits deutlich erkannt, daß GOtt die Verdammten in der Schöpffung um deswillen nicht weggelassen, weil ihre Pein eine viel grössere Anzahl der erhöheten Glückseligkeiten bey den Seeligen veranlassen kan. Nun kan man sich vorstellen, daß die Pein den Verdammten unter einigen Umständen mehr, unter andern aber weniger empfindlich sey. Wenn wir in uns ein Übel wahrnehmen, und gar kein grösseres Übel wissen, so sehen wir unser Übel für das höchste an. Wissen wir ein grösseres Übel, so schätzen wir uns in Ansehung derer, die noch mehr ausstehen müssen, glücklich. Unser geringeres Übel düncket uns in Vergleichung des höhern Übels ein Gut zu seyn. Es scheint, daß dieß leicht einen Neid veranlasse, wenn man nicht auf seiner Hut ist.  
  Die Wahrheit dieser Sätze erhellet aus der Erfahrung. Wenn die grosse Menge der Verdammten nicht einige wenige vor sich hätten, an denen sie ein grösseres Übel wahrnähmen; so würden sie ihr Übel für das gröste ansehen, und es viel schmertzlicher empfinden. Der Güte GOttes ist es sehr gemäß, daß er den Verdammten die Empfindung der Pein mindern wolle. Dieß konnte geschehen, wenn sie an einigen eine grössere Pein wahrnahmen. Wenn die Anzahl derer, welcher Pein gemindert wird, sehr groß, die Anzahl derer, welche eine grössere Verdammniß ausstehen, sehr klein angesetzet wird: so kan die Summe der verminderten Pein, so eine Art der Glückseligkeit ist, die Summe der grössern Verdammniß überwiegen.  
  Es ist also eine Ursache vorhanden, warum der  
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  gütige und gnädige GOtt die Umstände erwählet hat, worunter einige wenige Menschen strafbarer werden. Du sprichst: Dieß Mittel, die Pein der Verdammten zu vermindern, war nicht nöthig. GOtt hätte ja den Verdammten nur weniger Pein zuerkennen dürfen. Ich antworte: Wir setzen voraus, daß zur Erhöhung der Glückseligkeit der Seligen ein determinirter Grad des Übels deutlich gewesen, und wollen, daß ohne Verminderung dieses determinirten Grades nur die Empfindung des Übels gemindert werden soll. Dazu ist der angegebene Fall allein dienlich. Man kan aber auch sagen, daß die Erhöhung der Glückseligkeit bey den Seeligen stärcker sey: wenn sie das Gegentheil unter vielen Graden erblicken. Selbst die Verstellung des Gegentheils würde in Ermangelung verschiedener Grade nicht deutlich seyn. Böldickens Abermahliger Versuch einer Theodicee …
     
  V. Ob der Zweifel die erste Sünde des Menschen gewesen?  
  Es wird diese Meynung von Luthern und allen Theologen unserer Kirche angenommen, da sie davor halten, der Unglaube und Zweifel an GOttes Wort sey die allererste Sünde Adams und Evens gewesen, und es ist auch diese wohl die sicherste und gewisseste, immassen sie aus dem Mosaischen Text so wohl, als aus andern Schrifftstellen gnungsam zu erweisen stehet.  
  Und zwar erstlich ist sie deutlich zu erkennen aus der Historischen Beschreibung Mosis, 1 Buch Moses III: Denn daraus sehen wir, wie der Teuffel die Evam anfänglich zum Zweifel zu bereden suchte, daß sie nur glauben solte, es sey nicht wahr, was GOtt gesagt habe; und da ihm solches angieng, und er aus ihrer Antwort merckte, daß sie schon würcklich an den Worten GOttes zweifelte, so ward er desto kühner, u. leugnete es gar: endlich aber erweckte er auch die Hoffart in ihr, und bildete ihr ein, sie werde GOtt gleich werden, und wissen, was gut und böse ist.  
  Was nun also der Teuffel in seiner Versuchung vor Ordnung gehalten, dieselbe müssen wir billig auch der Even zuschreiben, als welche nach seiner Versuchung sündigte, und, worzu er sie verleitete, folgte. Es hielte aber der Teufel, wie aus Mosis Beschreibung zu sehen, solche Ordnung, daß er  
 
  • erstlich die Evam zum Zweifel brachte, V. 1;
  • hernach zur völligen Verleugnung und Unglauben, V. 4;
  • und endlich zur Hoffart, V. 5.
 
  Also war sie ja freylich eher in Zweifel und Unglauben, als in Hoffart gestürtzet, und ließ sie ihren Zweifel und schlechten Glauben, den sie an GOttes Wort hatte, gnungsam spühren, indem sie das Wörtgen vielleicht einschobe, ehe noch der Teuffel ihr Hoffarts-Gedancken einbrachte.  
  Hiernächst ist ein gleiches zu erweisen aus Syrachs Bekräfftigung Cap. X, 14. 15, allwo er spricht:  
  „Da kömmt alle Hoffart her, wenn ein Mensch von GOtt abfällt, und sein Hertz von seinem Schöpffer weichet; Und Hoffart treibet zu allen Sünden.„  
  Denn ob er schon allhier der Hoffart gedencket, als eines Anfangs aller Sün-  
  {Sp. 1061|S. 544}  
  den, so nennet er doch den Anfang der Hoffarth die Apostasie oder den Abfall, welcher denn nichts anders ist, als Unglaube.  
  Drittens ist solches abzunehmen aus Eigenschafft des Glaubens: Denn so lange der Mensch das Wort im Hertzen hat, und das Vertrauen zu Gott behält, so lange kan er sich wider ihn nicht erheben, oder Hochmuth üben. Und gleichwie die Wurtzel oder der Anfang zur Bekehrung der Glaube ist, denn wer zu Gott kommen will, der muß gläuben, Hebr. XI, 6:
  Also ist auch die Wurtzel und anfangs aller Sünde der Unglaube, denn das ist die Sünde, daß sie nicht gläuben, Joh. XVI, 9. Cap. III, 18. 36.
  Weiter kan man solches zu behaupten diesen Schluß machen: Da der Teufel die ersten Eltern zur Hoffart verleitete, und ihnen versprach, daß sie Gott gleich seyn würden, so haben sie entweder geglaubet, daß sie Gott gleich werden könnten, oder habe es nicht geglaubet. Ist es nicht von ihnen geglaubt worden, so kan man ihnen auch nicht die Hoffarth beylegen, oder sagen, daß sie Gott gleich zu werden getrachtet; haben sie es aber aufs Teufels Wort geglaubet, so sind sie ja eher von Gott abgewichen, und in Unglauben gefallen, als sie in Hoffart und Hochmuth gerathen seyn.  
  Endlich so nehmen diese Meynung nicht nur unsere Theologen durchgehends an, sondern auch einige Kirchen-Väter, ja viele der Römisch- Catholischen selbst halten den Zweifel und Unglauben vor die erste Sünde.  
  Übrigens lese man von dieser Meynung
  • Luthers Comment. in III Cap. Genes.
  • Calvins Lib. II. Institut.
  • Gerhards Dispp. Isag. …
  • D. Meißners Anthropol. …
  Von denen Kirchen-Vätern schlage auf
  • Justinum in parain ad gentes
  • Augustinum Lib. XIV. de Civ. Dei
  • Ambrosium de Parad. …
  • Prospern in resp. ad Capitula Genuensium dub. 3.
  Von denen Scholasticis und Päbstlern aber,
  • Lombardum II, sent. …
  • Rupertum,
  • Hugo in Cap. III, Gen.
  • Petr. Alphonsus in Dial. …
  • Bonaventura Part. III, Breviloqu. …
  • Lyra
  • in Cap. III, Gen.
  • Cornel a Lapide,
  • u.a.m.
  • Schrödters continuatam Acerram Biblicam Mullerianam, IV Hundert …
     
  C) Juristische Abhandlung des Zweifels.  
  Was in Ansehung der Rechte unter den Worten: Zweifel, und Dubium, zu verstehen, siehe in dem Artickel: Dubium, im VII Bande, p. 1530. und Ambiguitas, im I Bande, p. 1678.  
  Sonst aber ist noch bey dem Zweifel zu beobachten, ob er auf eine Person, oder auf eine Sache gehe.  
  Bey den Personen gilt die Haupt-Regel, daß man von einem jeden wohl halte und urtheile, und ihm nichts böses zudencke oder Schuld gebe; eine Regel, welche so wohl die göttliche Lehre, als die weltlichen Rechte erfordern.  
  Bey den Sachen und Handlungen aber gelten folgende Regeln:  
 
1) Tue nichts, wo du noch im Zweiffel bist, ob es recht, oder unrecht, wohl oder übel gethan sey. Denn weil man bey noch vorwaltendem Zweifel eben so leicht unrecht und böses, als recht und gutes
 
  {Sp. 1062}  
 
thun könnte; so erfordert die gemeine Klugheit, daß man sich nicht in solche Gefahr begebe.
 
 
2) Was du einmahl für recht und gut erkannt hast, dem setze nach, als ob niemahls ein Zweifel darüber bey dir gewesen wäre. Denn wenn man allezeit neue Zweiffel aufstellen, und deswegen die Sache anstehen lassen wolte; so würde schwerlich ein Geschäffte geendiget werden können, und alles in Unordnung gerathen.
 
 
3) Untergebene dürffen nicht zweifeln, ob sie recht thun, wenn sie dem Befehle ihres Obern Folge leisten; es wäre denn, daß sie beyde einen Höhern über sich hätten, der ihnen verbothen, was der letztere sie geheissen. Denn der Obere hat die Vermuthung des Rechten vor sich, und der Untergebene stehet in Gefahr, mit seiner ungegründeten Widersetzlichkeit den schuldigen Gehorsam zu verletzen.
Becmann.
  Sonst sind auch in den Rechten der Zweifel und die Dunckelheit eine mächtige Hinderniß der Wahrheit und Gerechtigkeit. Derohalben ist in allen Verschreibungen, Testamenten und andern Handlungen besonderer Fleiß anzuwenden, damit alles auf das deutlichste ausgedrückt und angezeiget werden. Wo aber gleichwohl noch ein Zweifel vorkommt; so wird demselben entweder durch eine nöthige Erläuterung, oder durch eine geschickte Deutung und Erklärung abgeholffen. Also wird ein Zeuge über eine zweifelhaffte und dunckele Aussage nochmahls befraget.  
  Überhaupt aber wird die Dunckelheit und eine zweifelhaffte Anzeige zum Nachtheile desjenigen, der sie geredet oder geschrieben, ausgelegt; oder ihr ein Verstand gegeben, der den gemeinen Rechten am nächsten kommt, oder der mit der Eigenschafft der Sache und mit der Meynung derer, so darüber gehandelt, am meisten übereinstimmet; oder es wird für den, der im Besitz ist, gesprochen; oder lieber vor, als wider einen angeschuldigten; und eine zweifelhaffte Aussage wird vor kein Geständniß geachtet.
  • Jablonsky Lex. h.v. und
  • Besold Contin.
  De Rebus dubiis haben  
 
  • Albertus Brunus, Bartholomäus Calepius, Emanuel von Costa, und Nicolaus Valla eigene und besondere Tractate,
  • desgleichen Samuel Stryck eine Disp. de Incerta Ambiguorum Decisione,
  • wie auch Ahasver Fritsch de Dubio, et quid in eo justum sit,
 
  geschrieben.  
     
  D) Abbildung des Zweifels.  
  In der Bilderkunst wird der Zweifel abgebildet, wie ein Jüngling, der bey Nacht wandelt, mit einem Stab in der rechten, und einer Leuchte in der lincken Hand. Seine Jugend deutet auf die Unwissenheit, woraus Zweifel und Ungewißheit entspringen. Der Stab ist ein Sinnbild der Erfahrung, und die Leuchte des Verstandes, welche die Mittel sind, unserm Zweifel abzuhelffen. Die Gefahr und Schädlichkeit des Zweifels wird abgebildet durch einen, der einen Wolff bey den Ohren hält.
  • Ripa in Iconolog.
  • Jablonsky im Allgemeinen Lexico der Künste und Wissenschafften.
     

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HIS-Data 5028-64-1015-11-02: Zedler: Zweifel [2] HIS-Data Home
Stand: 24. August 2016 © Hans-Walter Pries