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⇦ S. 214: §. 41 |
S. 214 (Forts.) |
Beym
8. Capitel des II. T. §. 8. 9. |
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§. 42. |
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OBgleich von den materien dieses capitels noch vielmehr zu
schreiben wäre, so kan ich doch weiter dißmahls nicht kommen, als nur folgende
erinnerung bey dem 8. und 9. §. zu thun; und zwar ist die allda gesetzte regel
gut und richtig, man soll obrigkeitswegen dahin bedacht seyn, daß alle
unterthanen durch fleißige arbeit ihre nahrung und erwerb haben, und wird sonst
in diesem capitel auch angezeiget, daß an der menge der unterthanen das gröste
glück des Regenten gelegen, und daß solche der rechte schatz der lande sey.
Wenn man aber nachforschet, und betrachtet, wie diese regul in den meisten pro-
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S. 215 |
Von Vermehrung der Nahrung etc. §. 42. |
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vincien Tentschlandes, sonderlich aber in Fürstenthümern und
Herrschafften in acht genommen wird, so hat es das ansehen, man wisse keine
mittel solche zu practiciren: In Niederland wird man eine grosse menge vieler
tausend leute finden, deren eltern, oder auch sie selbst, aus den
angräntzenden, und sonderlich auch teutschen Landschafften, sich dahin begeben,
ungeachtet daselbst die wenigsten reich werden, noch etwas eigenes an land und
grund-gütern besitzen, sondern die meisten das blosse leben hinbringen bey
schwartzem, speltzigtem und theurem brod, geringem bier, gemietheten unbequemen
wohnungen und kellern, auch grosser gefahr vom wasser und überschwemmung, und
bey böser ungesunder lufft. Die vornehmste ursach, daß die leute hauffen-weise
dahin kommen, achte ich diese, daß daselbst iedermänniglich, der gesund ist,
jung und alt, täglich etwas verdienen kan, so wohl mit handwercken und künsten,
als auch mit blosser hand-arbeit und tage-lohn, und denn, daß warhafftig arme
und krancke wohl versorget werden. Denn üm der blossen religions-freyheit
willen geschiehet der grosse zulauff nicht, wenn nicht die nahrungs-mittel
darbey wären, sondern es heisset bey den meisten: Virtus post nummos. So siehet
man auch, daß der römischen catholischen eine grosse menge der orten leben, die
doch mit ihrem gottesdienste sehr eingeschränckt sind. Nun kann man zwar in
Teutschland, wo die bequemlichkeit der ströme oder die see nicht ist, eben so
gar viel leute und gewerbe nicht haben, als in denen orten, wo ein grosser
theil des volcks |
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S. 216 |
Additiones zum II. T. C. 8. §. 8. 9. |
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seine nahrung ausserhalb durch die hülffe der schifffarth
suchet; So thun auch die reiche fischereyen etwas darbey, und die grosse
bequemligkeit, da alles mit schlechten kosten von einem orth zum andern auf den
strömen und canälen, (die in den tieffen und ebenen landen wol und leichtlich,
aber in bergichten und steinigten örtern fast unmüglich, oder doch mit
überschweren kosten zu machen und zu erhalten) geführet wird, da in Teutschland
die meisten waaren, welche das land trägt, zumahl korn und gemeine weine,
doppelten preiß erreichen, wenn man sie drey oder vier tage auf der achse
führen soll. Dieses aber ist eine grosse, und meines wissens, von wenigen
gnugsam bedachte ursach, daß kein verdienst in Teutschland zu machen, damit
sich eine menge volcks von gemeinen armen leuten beständig ernähren könte. Man
klaget zwar hin und wieder über den mangel der arbeiter, und über die
unbilligkeit der taglöhner und handwercker, auch des gesindes, man erweget aber
nicht, daß auch diejenigen, welche täglich etwas verdienen wollen, nicht arbeit
genug und beständig finden, und dahero verlauffen sie an andere orte, oder wo
ihnen nur zu gewisser zeit und gelegenheit eine arbeit aufstösset, als in der
erndte, oder bey gebäuden, nehmen sie ein übermäßiges, üm zur zeit, da sie
nichts verdienen können, davon zu zehren; Hingegen, wo ein arbeiter wüste, daß
er das gantze jahr hindurch etwas verdienen könte, der würde ein beständiges
und gewisses nehmen, auch deren die menge herbey lauffen, wie man denn siehet,
wenn an einem ort ein ansehnlicher bau geführet |
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S. 217 |
Von Vermehrung der Nahrung etc. §. 42. |
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wird, da es an taglöhnern nicht mangelt, die von 30. und
mehr meilen, sich herbey finden. Also auch, wo beständiger verlag in
bergwercken, und bey andern grossen handthierungen ist, als an etlichen orten,
da man grosse menge eisenwerck schmiedet und ausarbeitetet, finden sich auch
helffknechte und zuschläger von sich selbsten. Desgleichen wo der handel mit
weberey und zeugmachen in schwang gebracht ist, da findet sich volck gnugsam,
welches spinnet, und dergleichen arbeit verrichtet; In etlichen nicht
durchgängigen, sondern nur zu gewisser zeit practicirlichen arbeiten, als da
sind, das geträid schneiden und treschen, wird am meisten über den mangel der
leute geklaget, wenn man es aber recht erweget, so mangelt es nicht an leuten,
sondern am verdienst. Denn so bald das geträide wol gewachsen, und zugleich in
hohem werth ist, da finden sich leute, die gern üms zehende schneiden, und üm
ein billich maaß treschen wollen, in viel grösserer anzahl; Das werden
diejenigen bezeugen, welche in den fruchtbarsten Provincien Teutschlandes vor
ein paar jahren, da der korn-preiß stiege, keinen sonderbaren mangel an
schnittern und treschern gespüret haben, da sie doch in den vorhergehenden
wolfeilen jahren dißfals grosse beschwerung empfunden, welche auch alsobald auf
erfolgte reiche erndte und abschlag des geträids sich wiederum zu ereignen
angefangen hat.* Diesem nach folget, daß es in frieden-zeiten an leuten nicht
ermangeln werde, wenn man dem gemeinen mann ein erkleckliches und beständiges
verdienst schaffen kan. Es stehet aber eben die kunst und |
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S. 218 |
Additiones zum II. T. C. 8. §. 8. 9. |
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difficultät darinnen, was man vornehme und erfinde, üm
solchen verdienst, tag- oder jahr-lohn zu schaffen. Etliche künste und gewerbe,
als insonderheit wollen zeug wircken, und etliche neu-erfundene feld arbeit,
als das tobac-pflantzen, haben an etlichen orten in Teutschland etwas volck
herbey gebracht, und etliche äcker in hohen preiß gesetzet; man verspüret aber
auch, daß es alsobald, wenn die menge dergleichen waaren zunimmet, hinwieder am
vertrieb fehlet, oder wenn anderer orten solche waaren wolfeiler können
geschaffet, oder besser gemacht, und ins land getrieben werden, so fallen die
einheimischen waaren ab, und verlieret sich das volck, so sich darauff geleget,
hinwiederum leichtlich. Das Thüringer land, zum exempel, träget noch heut zu
tage das bekante kraut, welches zur farb gebrauchet wird, den Weid, so gut, als
in vorzeiten, weil aber wenig kaufleute darzu vorhanden, und hergegen der
Indigo in besserm preiß zu haben; So liegt die Nahrung mit dem Weid, die
ehedessen eine grosse menge reicher bauern, und vieler händler und arbeiter,
genehret hat, fast gar zu boden, und diesem nach, wenn zu consumtion der andern
waaren nicht leute gnug vorhanden, so hat man der waaren auch in menge nicht
nöthig. Darüm wollen etliche nothwendige requisita in acht genommen seyn, einen
beständigen verdienst zu machen, als nach gelegenheit der meisten orte
Teutschlandes, (1) Daß die handthierung am meisten in solcher materi bestehe,
die im lande mehrentheils gezeuget, und nicht erst von andern orthen
hingeschaffet wird, als da ist holtz, eisen, |
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S. 219 |
Von Vermehrung der Nahrung etc. §. 42. |
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flachs, wolle, hanff, farbe, leder, etc. (2) Daß die arbeit
und manufactur entweder mehr, oder doch nicht viel weniger werth sey, als die
materie: Denn wo das nicht ist, so nehren sich zwar mit gewissen waaren, die
man rohe und grob hinweg sendet, etliche handels-leute, aber keine menge des
gemeinen manns; Zum exempel, was vier oder fünfhundert schaafe an wollen
ertragen, kan ein wagen oder wolbespanter karn wegführen, und verdienet also
der auffkäuffer und der fuhrmann daran etwas, sonst aber niemand nichts. So
aber dieselbe wolle im lande versponnen und verarbeitet werden könte, würden
sich 10. oder 12. menschen damit ein jahr lang ernehren. Darüm fehlen wir
Teutschen sehr, daß wir die rohe materien ausführen und verhandeln, und
hernach, wenn andere leute solche verarbeitet haben, die manufacturen wieder
herein bringen, und theuer bezahlen. Mit dem auffkauff ernehren sich etwa in
einem lande oder stadt zehen oder zwölffe oder auch noch weniger leute;
Hingegen arbeiten etliche hundert frembde in unsern eigenen waaren anderswo,
die uns keinen danck deshalben wissen, noch dem Vaterlande das geringste
beytragen. (3.) Muß die nahrung frey seyn, und mit keinen zünfften, innungen
oder gilden, oder auch mit beschwerlichen imposten, beleget und eingeschrencket
werden. Das ist eine harte lection** vor handwercker, und vor die räthe der
kleinen städlein, welche mehrentheils handwercker sind, sowol auch für etliche
obrigkeiten, und dero cantzeleyen, die sich die wenigen gebühren von meister-
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S. 220 |
Additiones zum II. T. C. 8. §. 8. 9. |
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geld, handwercks-bussen, bestätigung der innungs- oder
zunfft-brieffe, gefallen, oder durch die zum schein fälschlich vorgewandte
schöne ordnung, zucht und policey der handwercker bethören lassen, wenn sie in
ihren innungs-brieffen und artickeln lesen, wie die handwercker erbar und
gottsfürchtig mit einander leben, schmähungen, flüche und schandbare worte, bey
straffe vermeiden, mit einander zu grabe gehen, aus der handwercks-büchse den
armen steuren; Item, daß sie die bastarte, und die sich unkeusch verhalten, und
etlicher geringer verächtlicher leute kinder nicht in die zunfft nehmen. Das
alles sind schlechte nutzbarkeiten, welche den zwang, monopolium, und andere
ungelegenheit der zünffte, keines weges ersetzen. So darff man auch nicht
sagen, daß es an handwerckern mangeln, oder die waaren schlimmer seyn würden,
wenn keine zünffte und meisterschafften, wären. Denn diese dinge geben sich
selbst, und können, wie die erfahrung giebet, keine handwercks-ordnungen die
unbilligkeit, lügen und schlimme arbeit der meister, verhüten, vielmehr werden
diese mängel durch die innungen, weil man an solche leute gebunden ist,
geheget. Wo aber freyer zug und arbeit der handwercker ist, da treibet der gute
und billige meister, mit wärhaffter arbeit und redlichem preiß, die stümpler
und unbilligen hinweg, und werden doch nicht mehr in einer stadt oder land
kommen, als sich drinnen ernähren können. Es nähret ein handwerck das andere,
und wo viel volcks ist, da sind viel handwercker nöthig, viel |
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Von Vermehrung der Nahrung etc. §. 42. |
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volcks aber kommet an die örter, wo freyheit im handthierung
ist, ungeacht man sonst den leuten mit accisen ziemlich zusetzet. Ferner dienet
zu nichts, daß ein handwercks-geselle vier und mehr Jahre an seinem handwerck
lernen soll, welches er in wenig wochen oder monaten begreiffen kan; und worzu
hilfft das wandern der gesellen, welche zumal die meiste zeit betteln und
garden, und wo sie arbeit nehmen, durch ihre ungereimte liederliche schencken
und zechen, hinwieder eine gute zeit mit faullentzen, und mit üppigen fraß und
quaß, zubringen, auch ihre meister, nach belieben, schätzen und bevortheilen?
Das alles ist erfunden, nicht die leute und handthierung zu mehren, sondern zu
mindern,*** und die nahrung an etliche, zum theil nichtswürdige, böse und faule
leute zu bringen und zu restringiren, welchen gar recht geschehe, wenn sie
durch bessere meister überzogen, und zu anderer nahrung auf solche maasse
genöthiget würden, da solten mehr taglöhner, schnitter, trescher, meyer,
schirrmeister, holtzhauer, teichgräber, und solche leute, zu finden, auch mit
ihnen mehr der gemeinen nahrung zum besten auszurichten seyn, als mit
verdorbenen handwerckern; Und hieher mag man auch rechnen die schweren bürger-
und einzugs- wie auch die abzugs-gelder, welches alles zu nichts anders dienet,
als zu hegung des eigenutzes, auf gegenwärtige geringe zeit und wenig personen,
die vermehrung der inwohner aber hindert und aufhält. Wo dieses in Teutschland
nicht begriffen, und gesamter dinge ge- |
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S. 222 |
Additiones zum II. T. C. 8. §. 8. 9. |
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ändert wird, (sintemal einem oder andern herrn allein es zu
schwer fället) so ist nicht zu hoffen, daß sich die anzahl der leute beständig
ernähren und vermehren können, sondern wenn gleich langwierige friedliche
zeiten einfallen, so wird das junge volck in Teutschland dennoch ausser landes
in kriegs-dienste, oder in die freyen lande, da sie ohne zunfft und andere
kosten aufgenommen werden, unumgänglich lauffen müssen, so wol, als hiebevor
auch geschehen. Will man aber dafür achten, es sey zu hart und unpracticirlich,
daß man, zum exempel, die innungen und gilden auf einmal aufheben könte, so
versuche man es nach und nach, oder lasse zwar die zusammenkunfften,
gesellschafften und obermeistereyen der handwercker, dem nahmen nach, im
stande, man mindere aber die zeit der lehr-jahre, die kosten der
meister-stücke, das zehren und zechen, und vergönne den zuzug fremder meister üm ein
geringes, biß sich nach und nach das werck selbsten gebe, und Herren und
unterthanen den nutzen spüren. Denn alle dergleichen gute anstalten hindert die
blosse betrachtung des gegenwärtigen nutzens oder schadens. Denn da wird
befunden werden, daß sich eine stadt üm etlicher weniger ietzo lebender, und
etwa mit dem magistrat befreundeter handwercker und zunfftmeister willen, ihrer
und ihrer nachkommen warhaffter und beständiger wohlfahrt widersetzet, und
nicht bedencket, daß, wo itzo einen und andern in præsenti etwas wehe thut,
oder ihm die arbeit und bemühung sauer macht, seinen eigenen kindern und
befreunden in wenig jahren mit reichlichem nu- |
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S. 223 |
Von Vermehrung der Nahrung etc. §. 42. |
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tzen ersetzen und herein bringen werde. So erbarmet man sich
auch gar übel und ungereimt über etliche stümpler, und heget lieber deren
etliche in kümmerlichem zustande, als daß man eine gute anzahl fleißiger und
nahrhaffter leute einnehmen, oder sonst auf den bestand und zukünfftigen nutzen
sehen wolte. (4.) Darbey ist aber dieses anzumercken, daß, wo leute mit gantz
neuen und nützbaren gewerben in einen ort sich begeben wollen, die vorhin nie
da gewesen, daß man denselben wol eine freyheit und privilegium auf etliche
jahre geben könne, inner welchen wieder ihren willen keine von dergleichen
kunst mehr eingenommen werden sollen.**** (5.) Durch imposten und schatzungen
der handthierungen wird auch der menge der leute und vortheil der nahrung
schaden gethan, sonderlich wenn die schatzungen hoch sind. Man solte bloß oder
mehrentheils damit zu frieden seyn, daß die leute des orts sich mehren, und
ihren verdienst verzehren, und vom geträncke, fleisch und brodt, unvermerckt
der herrschafft ein ehrliches zutragen, (von welcher materie unten ferner
gehandelt werden soll) oder wenn eine manufactur in guten schwang käme, und
häuffig ausgeführet würde, daß man denn ein billiches und practicirliches auf
die waaren setzte. Denn damit ist gar behutsam ümzugehen, daß man das gewerbe
und die kunde nicht stopffe.* (6.) Lehret die natur und exempel aller klugen
und in gewerb wohl erfahrnen völcker, daß, was das land selbsten schaffen und
machen kan, maassen kurtz vorhero bey den handwerckern insonderheit auch
angezeiget[1], nicht von an- |
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⇩ *
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S. 224 |
Additiones zum II. T. C. 8. §. 8. 9. |
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dern oder frembden orten herbey geholet werden dörffe oder
solle. Und dieses zu erhalten, dienet die anstalt und verbot, daß man sich mit
frembden tuch und zeuch, leder und leinwand, in gemein nicht kleiden,
vielweniger frembde speise oder getränck einführen solte, als unter schweren
imposten und zöllen. Denn wer sich mit den einheimischen nicht behelffen will,
der mag seinen beutel ziehen, und die fremden waaren desto theuerer kauffen und
bezahlen. Und weil auf diese maasse viel handwercker in frembden orthen, die in
Teutschland ihre waaren vertreiben, das handwerck einlegen müsten, so folgete
von sich selbst, daß nicht allein kein Teutscher mehr in solche frembde lande
sich häußlich nieder lassen, sondern auch ihrer viele wieder herein ins land
ziehen müsten. Denn zu eitel innländischen waaren hat man jetzo nicht wol
handwercker gnug im lande. Mit der menge der leute können wir auch unser
geträid und wein eher und besser verzehren, und dürffen nicht auf die ungewisse
abschiffung und ausführung warten: Die feld-güter würden auch wieder besser
zertheilet, die anietzo an vielen orten fast gar, aber von wenig personen
mühselig angebauet werden,** in hoffnung, ihre kinder einsten damit zu
versorgen, welches ziemlich langsam und ungewiß ist, und kan unterdessen mit
rath, wegen wenigkeit der menschen, der überfluß und wuchs des Landes nicht zu
nutze gebracht und verzehret werden; Es solten auch, wenn obigen rathschlägen
gefolget würde, sich wol sonst mittel vor der leute kinder zur nahrung
finden, |
⇩ ** |
S. 225 |
Von Vermehrung der Nahrung etc. §. 42. |
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indessen aber die wüsten und öden weinberge, äcker und
wiesen, wieder Herren, oder doch meyer und beständner, bekommen oder könten
auch neue röder oder rödäcker gemacht werden. Denn man muß nicht gedencken, daß
die itzige bau-felder in Teutschland allezeit vor etlichen hundert Jahren also
gewesen; Sondern es findet sich zumahl an rauhen orten gnugsame nachricht, wie
nach und nach unter guten und vernünfftigen Herrschafften die wälder gerodet,
und höfe, weiler und dörffer gebauet, oder doch deren marckungen üm ein
ansehnliches ergrössert worden. (7.) Dienet zu erwegen, obs gut sey, die
handwercke und krämereyen auff die städte, wie im Sachsen-recht verordnet, zu
zwingen, und diesem nach eine meile üm eine stadt herüm in den dörffern keine
handwercke zu leiden. Wo dißfalls richtige verträge und abschiede sind, da kann
man wider willen der berechtigten städte nichts ändern. Aber durch vernünfftige
ursachen, wenn solche leute ihren nutzen und interesse darbey scheinbarlich
sehen und empfinden, sind sie wol zu bewegen. Zum nachdencken stelle ich
erstlich die regul:*** Man solle die handwercker und krämer auff den dörffern,
deren nahrung auff ackerwerck bestehet, nicht leiden, ausserhalb solchen,
welche zu gantz unentbehrlicher und geschwinder förderung der bauerschafft und
nahrung erfordert werden, als da sind grobschmiede, becker, metzger und
dergleichen. Hingegen setze ich auch dieses, daß man in städten auff menge der
leute und handthierung trachte, und den acker-bau und viehe- |
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S. 226 |
Additiones zum II. T. C. 8. §. 8. 9. |
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zucht, nach aller müglichkeit, hinwieder an die bauern,
entweder erblich, oder durch meyereyen, bringen solle. Es ist aber dieser
puncten und reguln keine mit nutz zu practiciren, als bey menge der leute, die
aber anderst nicht, als durch freyheit und gelindes tractament, wie auch durch
auffhebung oder milderung der zünffte zu erlangen. Denn daß ietzo etliche
handwercker auf den dörffern sich enthalten, geschicht mehrentheils darüm, daß
sie entweder in die stadt der zünffte wegen nicht unterkommen, oder der
geringen bürgerschafft halben keine nahrung darinnen haben können; Also, wo die
bürger und handwercker in den städten sich mit ackerwerck und viehzucht nehren,
geschicht es darum, daß sie auf das blosse handwerck sich nicht erhalten
können, alles aus dem mangel der leute, die bey ihnen arbeiten lassen, oder
ihnen abkauffen. Darüm wird man nahe üm volckreiche grosse städte wenig
handwercker auf dörffern finden, auch ein fleißiger nahrhaffter handwercksmann
oder krämer in der stadt wird sich mit keinem ackerbau beladen, sondern diese
vermengung und verkehrung der nahrung entstehet aus dem ungeschick des
regiments, und dem mangel der leute, wie auch daß die Regenten nicht zu rechter
zeit denen dörffern, welche handeln und wandeln, mit ertheilung der freyheiten
auffzuhelffen wissen. Die grosse strittigkeiten, welche etliche städte um des
bierbrauens willen haben, und den dörffern solches nicht gestatten wollen, sind
in reichen und grossen gewerb-städten fast unerhöret, allwo der bürger so viel
sind, daß |
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S. 227 |
Von Vermehrung der Nahrung etc. §. 42. |
Scan 1113 |
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nicht sie das land mit bier versorgen, (sie müsten denn ein
sonderbahr gut und berühmt bier brauen können) sondern das land ihnen noch bier
zuführen muß, und das geschiehet auch kundbarlich in etlichen kleinen städten,
da etwan universitäten, und eine grosse anzahl studenten sind; Diesem nach,
wenn sich die städte mit volck erfüllen könten, und darzu die an andern örtern
gut befundene mittel gebraucheten, freyen einzug verstatteten, plätze und
bau-materialien wolfeil verschaffeten, zumal aber, wo die inwohner in anlagen und
bürden erträglich gehalten würden, so fiele der zwang wegen des bierbrauens und
der handwercker von sich selbst. Denn diese würden häuffig in die städte
ziehen, und kaum gnugsam vor die bürgerschafft gebrauet, also auf den dörffern
einem ieden, der sich darauf ernehren wolte, das brauen leicht vergönnet,
werden. Und was den ackerbau und viehzucht bey der stadt belanget, da würden
die bürger bey vermehrung der handwercker und handelsschafften von selbsten
nach und nach davon abstehen, und ihre liegenden güter wieder an die
benachbarte dorffschafften lassen oder auch höfe, vorwercke und meyereyen
daraus machen, darauff sich pachtleute und meyer finden, und sich also auf die
weise die anzahl des volcks auch mehren und nehren würde. Denn daß (8.) ich
dieses, welches sonst auch bey dem dritten theil occasione der cammer-güter
sich tractiren liesse, allhier mit wenigen berühre so ist die frage, obs besser
sey, feld-güter mit eigenem gesinde, als durch pacht-leute und beständ- |
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S. 228 |
Additiones zum II. T. C. 8. §. 8. 9. |
Scan 1114 |
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nere, zu bestellen: **** Ohne unterscheid nicht zu
resolviren, sondern sie dependiret auch von der menge der leute, welche pachten
und bestehen wollen, und welche die feldfrüchte kauffen und verzehren; Wo
dergleichen volck gnugsam ist, da treibet einer den andern zu fleiß und treue,
auch zu erhöhung des pachts; Und in solchen Ländern ist rathsamer, daß die
eigenthums-herren ihre feld-güter vermeyern und verpachten, und sich also des
beschwerlichen gesind-haltens, und verdrießlicher rechnung und auffsicht
entladen. Es werden auch damit nicht nur eintzele knechte und mägde, sondern
gantze familien ernehret, wie in denen an der see gelegenen Ländern zu sehen.
Denn da bringet man der leute nicht allein äcker und wiesen, sondern auch das
viehe, üm guten genieß, pachts- und miethweise, aus, wovon in Teutschland nicht
viel zu haben; Hingegen aber, wo der leute wenig sind, die sich zu meyern und
arendierern angeben, da ist das Land ohne zweiffel schlecht besetzet, und sind
mehr güter, als inwohner; Wird also solchenfalls gemeiniglich keiner ein meyer,
der nicht einen übermäßigen nutzen suchet, oder verarmet ist, also gar wenig
giebet, oder schlecht einhält, darüber muß der eigenthums-herr, er sey hoch
oder niedern standes, grosse einbusse leiden, und wenn ihm etliche solcher
pachter und meyer mißrathen, endlich sein ausgesogen und verderbtes gut wieder
nehmen, und selbst bestellen lassen, daß also solchenfalls besser ist, daß die
eigenthümer, welche verlag und verstand haben, oder diener darzu halten können,
(wie denn alle hohe herrschafften |
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S. 229 |
Von Vermehrung der Nahrung etc. §. 42. |
Scan 1115 |
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ohne das zu thun pflegen) ihre güter bald anfangs selbst
bestellen, bis sich die menge der leute und pachter finden, oder sie liessen
ihre güter, wenn es mit nutzen geschehen könte, sonderlich solche, die schwere
arbeit erheischen, und ungewissen ertrags sind, erblich an Zins-leute und
gildbauern kommen. Wer aber keine vererbung fürnehmen, oder keine treue diener
zur auffsicht haben kan, der ist wohl nothhalben an meyer und beständner
gebunden. (9) Zu erhaltung der leute, und deren vermehrung, wäre vielleicht
auch ein mittel, wenn man darauff gedächte, wie der mittelmäßigen und armen
inwohner kinder erhalten und auferzogen werden könten. Denn an statt, daß viel
kinder ein seegen Gottes, u. ein schatz des landes sind, und seyn solten, so
kömmet es, aus mangel der erhaltungs-mittel, dahin, daß arme oder mittelmäßige
leute, sonderlich die handwercker in geringen städten, es vielmehr für eine
straffe GOttes halten, und darbey in äusserst verderben gerathen, wenn ein paar
ehevolck sechs, acht, zehen, oder mehr kinder haben. Denn so groß die
natürliche liebe der eltern gegen die kinder, sonderlich gegen die kleinen und
unerzogenen ist, so groß ist das elend und kummer, welchen sie wegen versorgung
ihrer kinder haben; Hingegen siehet man auff dörffern, wo die nahrung im
feldbau bestehet, und der mangel der leute, sonderlich aber des gesindes, groß
ist, daß die kinder der eltern bestes nahrungs-mittel seyn, weil sie ihnen oder
auch ihren freunden, wenn sie kaum 10. oder 12. jahr alt worden, in allerley
haußhalts-sachen an die hand gehen; Also ist der eigennutz auch in diesem stück
die |
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S. 230 |
Additiones zum II. T. C. 8. §. 8. 9. |
Scan 1116 |
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regul, daß die leute ihre kinder alsdenn erst von gantzem
hertzen lieben, wenn sie wissen, wie sie dieselben versorgen, oder mit nutz
gebrauchen können. Diesem nach wäre abermahls der freye Zutritt zu den
hand-wercken, daß man bey zeiten, und ohne so grosse kosten, die kinder darauf
bringen könte, ein guter weg. So könte man auch mit grossem nutz kinder- oder
wäisen-häuser stifften, darinnen der bürger und einwohner kinder auffgenommen,
und auff gewisse maasse versorget würden: Darbey dieneten aber etliche umstände
beobachtet zu werden, welche auszuführen, jetzo zu weitläufftig seyn will. Mit
wenigem aber etliche dißfalls mir beygefallene gedancken gleichsam exercitii
gratia zu eröffnen, so könte man nicht allein die wäisen, sondern auch noch
lebender eltern kinder, auffnehmen. und zwar der gar armen bürger kinder
umsonst, andere mittelmäßigere aber üm eine leidliche zugabe: Fündel- oder
huren-kinder solte man ordentlich nicht auffnehmen, üm dadurch der schande und
sünde desto mehr zu begegnen, und die armen leute zum ehestand zu reitzen: Gar
kleine kinder, die unter 6. jahren sind, solten auch den eltern nicht
abgenommen, sondern ebenfalls denen, die hauß-arm sind, aus dem allmosen zur
zubusse sonst etwas gesteuret werden. Alle aufgenommene kinder müssen unter
gewissen auffsehern etwas arbeiten, nach ihren vermögen, u. ist nichts darzu
bequemer oder gewisser, als spinnen, nehen, wircken, schnürmachen, knüpffeln,
knopffmachen, und allerhand kleine arbeit, schnitzen und feilen, in holtz, und
anderen materien, die man bey handwercken be- |
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S. 231 |
Von Vermehrung der Nahrung etc. §. 42. |
Scan 1117 |
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darff. So bald ein knabe die kräffte erlanget, müste man
ihn, mit seiner eltern rath oder auff der vorsteher ordnung zu einer
handthierung thun, die mägdlein aber zu diensten vermiethen oder verheyrathen.
Die auffnahme dieser kinder müste keines weges für schimpflich gehalten, auch
gewisse abtheilungen und classen gemacht werden, nicht allein der knaben und
mägdlein, sondern auch derer, welche etwas besser, durch beyhülffe ihrer
eltern, tractiret seyn wolten. Und vor allen dingen würde darzu erfordert eine
ansehnliche statliche auffsicht und direction von den vornehmsten leuten jedes
orts Auf das studieren müste in diesen häusern gar nicht, sondern allein auf
die erziehung zur handthierung, gedacht, und also von schulmeistern nichts, als
das beten und lesen, und etwa nur mit etlichen das schreiben und rechnen, auf
eine gemeine art getrieben werden. Die speise, arbeit und bewegung, müste aufs
rathsamste zur mäßigkeit und gesundheit eingerichtet seyn, zum exempel, alles
mehl, so sie bedürffen, sollen sie in kleinen hand-mühlen selbst mahlen, die
grössesten sollen zum kochen der speise, holtz-sägen und spalten, waschen,
kehren, saubern und dergleichen, selbst angehalten werden, wer auch in der
stadt arbeit bedürfte, welche diese kinder verrichten könten, dem solte um
einen gewissen billichem preiß solche verstattet werden, so wol inner, als,
nach gelegenheit, ausser dem hause. Zum lager müste man sich der feder-betten
nicht so sehr, als stroh-säcke, matratzen und wöllen-decken, zur kleidung auch
keine andere leinwand, als was im hause gesponnen und gewircket würde, |
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gebrauchen, auch sollen sie gärten haben, und selbst graben,
säen, jäten und zurichten, üm darinnen für das hauß kraut, rüben, wurtzeln,
salat, und dergleichen, zu haben, auch etliche niedliche gewächse, die viel
arbeit, giessen und jäten, erfordern zu verkauffen. Zu gewissen stunden solte
man die knaben üben mit bewegungen zur hurtigkeit des leibes und stärckung der
glieder dienende; Die mittel zu dergleichen häusern solten sich wol finden,
wenn Herrschafft und obrigkeiten nicht so sehr auf ihre gegenwärtige lust, als
auff ihr amt und künfftigen trefflichen vortheil und auffgang aller nahrung,
leute und gewerbs sehen wolten; So verleget sich auch ein solch hauß mit der
zeit in etwas, und zum theil selbsten, und würde einen ehrlichen ruff und
nahmen, als ein seminarium reipublicæ, wo recht damit umgegangen würde,
erlangen. (10.) Andere und[2] gröbere arbeit aber muß in zucht und
spinnhäusern, darinnen man straffwürdige leute, auch alle starcke bettler
ziegeuner, vaganten und landstreicher, einsperren solte, getrieben werden.
Anderst ist es auch mit hospitalien, darinnen man gebrechliche leute, auch
gantz kleine schwache kinder, die verwäiset oder hingeleget sind, erziehen
solte, und wäre von dem grossen mißbrauch der hospitalien, wie auch viel von
der unleidlichen thorheit, zu schreiben, da man in Teutschland vorhergedachte
schädliche leute, als zigeuner, welche ohne allen zweiffel, auf vorgenommene
inquisition des todes, oder ewiger gefängniß und arbeit, würdig sollen befunden
werden, so wol auch gottlose, starcke, und mehrentheils mit erdichteten
gebrechen sich |
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nehrende bettler so offenbahrlich leidet, und das geld,
welches ehrlichen, offt auch selbst bedürfftigen hausarmen leuten, durch das
unverschämte betteln, vagieren und garden abgenöthiget wird, zu erhaltung der
warhafftigen krancken und gebrechlichen leute jedes orts, und zu obgedachten
kinder- oder wäisen-häusern, oder nutzbaren hospitalien, für verlebte haußarme
leute nicht anwendet; Es ist nicht zu zweiffeln, daß in allen landen jährlich
eine grosse summa nicht aus rechter christlicher liebe, sondern üm der bettler
und streicher importunität willen und schanden halben weggeben, und durch
dieselben bösewichte versoffen, verfressen und wie man gnugsam exempel hat, mit
karthen und würffeln verspielet, und mit brandewein und toback verthan wird,
anders zu geschweigen. Also werden warhaffte und nützliche allmosen
unterlassen, und eben auch dadurch der nahrung und vermehrnng der leute
trefflich widerstanden, und abbruch gethan. Denn bey menge der leute ereignen
sich auch viel arme und gebrechliche, welche aber gantz christlich und wohl zu
versorgen sind, wo die nahrungs-mittel in gutem schwang gehen, und das samlen
der allmosen mit guter art vorgenommen wird. Das offenbare exempel siehet man
in Niederland, und absonderlich in der stadt Amsterdam, da bey denen schweren
Accisen und imposten dennoch eine solche unglaubliche summa von etlichen tonnen
goldes jährlich auf die armen, alte und junge, gewendet wird, welche vieler
Chur- und Fürsten einkünffte übertrifft, und diese vorsorge und auffwendung
reitzet |
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die leute an, an solche örter mit hauffen zu ziehen, und
sich daselbst zu nehren, indem sie, auf den fall unvermeidlicher armuth und
kranckheit, sich und die ihrigen nothdürfftig versorget wissen. Damit aber
disfals niemand anderer leute bosheit und faulheit tragen müste, so ist die
regel zu halten, daß allein und ordentlich die bürger und inwohner, welche in
iedem lande häußlich, oder doch beständig, wohnen oder gewohnet haben, und
daselbst verstorben sind, für sich und ihre kinder dergleichen beneficia zu
geniessen haben, und also jede commun und provintz für sich sorgen soll. Es
wären denn kundbahrlich die leute eines frembden orts durch grosses unglück
also gar verarmet, daß man ursach hätte, etliche von denselben, nach vermögen,
und ohne hindansetzung der eigenen angehörigen und inländischen, auffzunehmen
und zu versorgen.* (11) Endlich dienet auch zu erwegen, daß dem gemeinen
hauffen zu gewisser zeit eine ergötzlichkeit müsse gegönnet werden, die man
ohne ärgerniß und sünde, auch schaden der nahrung, gebrauchen kan. Und das ist
in allen glücklichen und volckreichen Regimentern (wiewohl auch zum theil mit
bösen intentionen und mitteln) gebrauchet worden. Ich will ietzo nicht
disputiren, ob der feyerung der Sonn-und Fest-tage bey uns Christen zuwider
sey, wenn man, nach verrichtetem gottesdienst und kinderlehren, lieber etliche
offenbare ergötzlichkeiten zuliesse, als das volck mit sauffen und karthenspiel
in häusern, und faullentzendem spatzier- und müßiggang, occupirte, will man es
aber zu der zeit für är- |
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gerlich halten, so ersehe man andere bequeme zeiten, da die
leute nicht viel zu thun haben, und zum bösen wenigers nicht, als zu
unschädlichen indifferenten dingen gefast sind. Und unter solcher zuläßiger
ergötzlichkeit rechne ich alle ehrliche leibes-übungen zum schimpf und ernst,
oder zum wenigsten zur gesundheit dienlich, als da ist wettlauffen, springen,
ringen, schwimmen, fechten, tantzen, werffen, schläudern, grosse last bewegen,
und dergleichen, auch alle exercitia mit musqueten, piquen, fahnen: Item, mit
pferden und schlitten rennen, in welchen allen eine gute, leichte und anmuthige
arth unter dem gemeinen volck könte auffgebracht werden, daß sie ohne zwang,
schelten und prügeln der officirer, hurtig und geschickt würden. So kan auch
niemand comödien tadeln, die unärgerlich, und also angestellet würden, daß sie
gute sitten nicht verderbeten, noch auch göttliche und geistliche dinge zum
gespött machten, sondern auff lächerliche, oder doch artige, unerwartete und
seltzame fälle und inventiones auslieffen, darbey sich der gemeine mann
ergötzete, und doch ie zuweilen etwas nützliches daraus fassete, zumal aber die
zeit hinbrächte, welche er sonst zu spielen und sauffen anwendet. Und zu
solchen comödien dörffte man keine land-fahrer, sondern es würden sich wol
lands-inwohner, auch schüler und wäisen-kinder, finden, welche alle ohne
kostbare belohnung sich gebrauchen liessen, und könte das geld, welches die
zuseher, jedoch gar leidlich, geben müssen, zu erhaltung des armuths angewendet
werden. |
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Additiones zum II. T. C. 8. §. 8. 9. |
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* Meines wenigen erachtens möchte also aus diesen und andern
im text berührten exempeln so viel erhellen, daß nicht so wohl an dem mangel der
arbeit und verdienstes, als vielmehr an der faulheit der leute die ursach
liege, daß man keine menge arbeitender leute in Teutschland haben kan. Denn man
untersuche nur die inclinationes vieler Teutschen Einwohner, (ich sage nicht
von allen) so wird man häuffig finden, daß etliche guten theils so geartet, daß
sie lieber bey gewöhnlicher mäßiger arbeit bleiben, als sich um des verdienstes
willen grosse mühe geben wollen. Und bey dieser methode bleiben sie, solte man
auch gleich etwas dabey darben, oder sich gar aufs betteln legen. Wenn aber
theure zeiten einrücken, daß die kost schwer zu verdienen auch mit allmosen
nicht viel zu erlangen ist, so finden sich aus antrieb der noth arbeits-leute
genug, welche sich aber hernach bald wieder verlauffen, und wie sie sagen, sich
auf ihre eigene hand setzen. Man siehet es ferner klärlich daran, daß bey
wohlfeilen zeiten beständige klagen über das gesinde und arbeits-leute sind,
und bey theuren zeiten erscheinet disfalls nirgend ein mangel. Ich habe daher
angemercket, daß meistens an solchen orten, welche von gütigkeit der natur wohl
bedacht, recht träge einwohner sich finden, weil sie sich darauf gar zu sehr
verlassen; dahingegen ich mich etlicher orten entsinne, die ich doch nicht
nennen will, welche weil ihnen die natur keinen fruchtbahren boden verliehen,
sich mit gewalt zu andern nahrungs-mitteln haben anschicken müssen, wodurch sie
in dem trefflichsten flor und reichliche nahrung gekommen. Siehet man ferner
die ursach hiervon an, so lieget solche an erziehung der jugend, welche nicht
zu rechter zeit zum fleiß angeführet wird. Dabey können nun Regenten durch gute
anstalten das beste thun. Zu wünschen wäre es, man wolte in seiner maasse das
gesetz zu Catan in Persien practiciren, nach welchen ein jeder, der über 6.
jahr alt ist, sich bey dem ma- |
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magistrat angeben, und wovon er lebe, darthun muß, weiln
kein müßiggang daselbst geduldet wird Es könnte dieses nicht allein fleißige
Einwohner machen, und zu erkundigung der nahrungs-mittel, folglich zu
beförderung des commercii, sondern auch darzu dienen, daß ein fürst genau
wissen könnte, wie viel ein jeder in seinem lande etwan gewinnen könnte, und
wie viel also das land etwan an reichthum zunehme. Doch es brauchet dieses
weiterer ausfuhrung, wozu hier der raum zu kurtz |
⇧ * |
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** Und zwar dergestalt hart, daß sie bißher von keinen hat
können verdauet werden. Und dauret es sonderlich vielen, daß die opera von
handwerckern vor die lange weile solte geschrieben seyn. Zwar wendet man
insgemein vor, es sey die auffhebung der handwercker keine sache, welche sich
von einzelnen Reichs-Fürsten practiciren lasse; Allein es käme allenfalls auf
die erfahrung an, wenn ein mächtiger Reichs-stand den anfang machte und sich
etwa mit den nachbarn verstünde, ob nicht andere, bey mercklich verspührten
nutzen nachfolgen würden. Man könnte auch vor erst den anfang bey errichtung
etlicher manufacturen im lande machen lassen, und dabey denen gesellen und
lehrjungen arbeit verschaffen, so würde ihnen wenig daran liegen, ob sie in die
welt herum lieffen oder vielmehr bettelten, oder nicht. Einigen anfang haben
auch berühmte Reichs-Fürsten bereits gemacht, nachdem sie die gewisse anzahl
der lehrjungen und gesellen und sonst verschiedene mißbräuche abgeschaffet,
wohin auch gehöret, was seither auf dem Reichstage von Kayserl. Majest. wider
die unruhige zünffte zu Nürnberg v. a o. m. decretiret worden, macht aber die
sache noch nicht aus, wo nicht nähere hand zum werck geleget wird. Damit aber
die liebhaber der alten saal-baderey diese sache vor keine neuerung ansehen
mögen, so wollen wir sie erinnern, daß bereits Io. Ferrarius Montanus L. II. deinstit. reip. c. 5. über die zünffte also geklaget hat: Die |
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zünffte hätten ordnungen, welche ihren privat-beutel etwas,
dem gemeinen nutzen aber nichts eintrügen: Sie wolten ihre übel gelernete
künste lieber mit guter faulheit execiren, als durch fleißige arbeit sich etwas
ehrliches erwerben: Daher hindere dieser plebs, weil er selbst nicht empor
kommen könne, nicht allein anderer leute, sondern auch zugleich des gemeinen
bestens auffnahme: Endlich schliesset er: Quo magis invigilandum est
magistratibus, ne tale quidpiam fiat, sed pestibus illis intercedatur; Quod
statim fieret, nisi similem Deus ad similem duceret, faceretque ut similes
contingerent labris lactucæ. |
⇧ ** |
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*** Man erkennet solches noch ferner daraus, daß ein solcher
meister öffters 10, 20. und mehr gesellen fördern kan, welche dem publico gar
nichts ein, sondern vielmehr von ihren verdienst etwas aus dem lande tragen;
Dahingegen wenn diese sich setzen, und weiber nehmen können, würde das land
populiret, worinnen dessen glückseeligkeit bestehet, und die arbeit, welche
sonst ein meister hatte, unter ihnen vertheilet, und was sie gewinnen, auch
wieder im lande verzehret werden. |
⇧ *** |
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**** Aber ein monopolium auf immer zu concediren ist ja so
schändlich und noch schlimmer als die zünffte der handwercker. |
⇧ **** |
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* Massen wo commercien und handthierungen floriren sollen,
muß man denen leuten freyheit lassen, etwas ehrliches zu verdienen. Man
stopffet aber auch neu angerichtete gewerbe damit, wenn man solche nicht zu
ihrer vollkommenheit gedeyhen lässet, sondern der früchte eher gemessen will,
ehe sie zeitig worden. |
⇧ * |
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** Hierinnen sind nun zwar unsere zeiten von denen, da der
herr autor dieses schrieb, ziemlich unterschieden, weil wohl wenig ungebauete
ländereyen mehr zutreffen seyn werden, hergegen haben auch eben dadurch die
früchte des landes sich gemehret, daß Teutschland jährlich noch eine grosse
menge an an- |
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Von Vermehrung der Nahrung etc. §. 41. |
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dern überlassen kan. Weil aber so viele menschen dabey
diesem aus der Erde kommenden seegen GOttes in die hände sehen, so werden sie
dadurch eben zu ergreiffung anderer nahrungs-mittel träge gemacht, wie davon in
obiger anmerckung sub. sign. * geredet worden. |
⇧ ** |
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*** Hieher gehöret nun die in dem 8 Cap. II. T. p. 227. gesetzte anmerckung. |
⇧ *** |
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**** In so weit diese frage von den Cammer-güthern eines
Fürsten zu verstehen, ist solche bereits im III. Th. Cap. 2. pag. 374. abgehandelt worden. Und fast auf die maasse wolte ich es auch von den güthern
der privat-leute annehmen; Nemlich wo jemand gute gelegenheit hätte, seine
güther selbst zu vergatten und auf das gesinde inspection zu führen, hat er
freylich mehrern nutzen davon, als von einer verpachtung, weil doch der pachter
mit den seinigen zu erhaltung des lebens einen profit haben oder verderben muß.
Wo aber solches nicht ist, z e. es hätte jemand verschiedene güther, oder er
könnte nicht gegenwärtig seyn, ist die verpachtung freylich besser, auch dem
Staat zuträglicher. |
⇧ **** |
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* Wolte GOTT, daß wir einmahl zu seiner ehre und des werthen
Teutschlandes besten diese treffliche anschläge von armen- wäisen- und
zucht-häusern noch mehrers erwegen möchten, ich bin gewiß, es würde bey sichtbahrlich
verspührten nutzen der zufluß von gutthätigen hertzen nicht aussen bleiben, wie
man dessen nunmehr in einigen städten ein exempel hat. Man könnte auch anfangs
dem wercke durch einige anstalten im Lande auffhelffen, z. e. daß gewisse
freywillige collecten, bey danckfesten, hochzeiten und kind-tauffen,
erbschafften und verkauffungen geordnet, auch gewisse straff- und
dispensations-gelder auf eine zeit darzu verwendet würden. Sonderlich solte ein
zuchthauß vor böse und müßige leute treflichen nutzen schaffen, indem auch
dadurch die straffen der landes-verweisung und Staupbesens auffgehoben
werden |
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Additiones zum II. T. C. 9. |
Scan 1126 |
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könnten, durch welche zeither mehr übel gestifftet als
abgethan werden, indem man aus bösen menschen vollends desperate diebe und
mörder machet, da sonst aus zuchthäusern bey verspührter besserung noch
errettung zu hoffen, oder wenigst die Republique vor künfftigen unheil
gesichert ist. Die unterhaltung solchen zuchthauses wäre auch gar leicht zu
finden, ich kann mich aber dermahlen nicht weiter deßfalls heraus lassen. |
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S. 240 §. 43. ⇨ |