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Zedler: Seele [9] HIS-Data
5028-36-1051-4-09
Titel: Seele [9]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 36 Sp. 1123
Jahr: 1743
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 36 S. 575
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Folgender Artikel: Seele [10]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

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Übersicht
Die Freyheit der Seele (Forts.)
  historisch
 
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  alte Deutsche
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  Stoiker
  Römer
  christliche Ketzer

Stichworte Text   Quellenangaben
historisch Bey der historischen Abhandlung wird kürtzlich zu zeigen seyn, was für Meynungen wegen der Unsterblichkeit der Seele entstanden, und wie diese Lehre zu den alten, mittlern und neuern Zeiten ausgesehen.  
alte Zeiten: Hebräer In den alten Zeiten kommen die Hebräer vor, welche von ihren Vorfahren die Wahrheit von der Unsterblichkeit der Seele empfangen hatten. Dieses hat auch  
  {Sp. 1124}  
  Eusebius lib. 2. cap. 27. praeparat. evangel. wohl angemercket, und behauptet, Moses sey der erste gewesen, welcher die Seelen der Menschen vor unsterblich gehalten, indem er gelehret, der Mensch sey nach dem Ebenbilde GOttes erschaffen worden, nehmlich nach der Lehre der Patriarchen. Es haben zwar einige gemeynet, man könte aus dem Alten Testament die Unsterblichkeit der Seele nicht erweisen; sie haben aber keinen Grund. Denn was Eusebius aus dem 1 B. Mos. I, 26. angemercket, giebt einen wichtigen Beweis ab. Von dem Abraham wird gesagt 1 Mos. XV, 15. daß er zu seinen Vätern gehen werde, welches von dem Begräbniß des Leibes nicht gantz verstanden werden, so nicht in Chaldäa ; sondern in dem Lande Canaan geschehen, daher man dieses von der Seele annehmen und daraus schlüssen müssen, sie sey keinem Untergang unterworffen. Und wie dasselbige ebenfalls aus dem 2 B. Mos. III, 6. zu erweisen steht, zeiget der Heyland Matth. XXII, 31. 32.  
  Es stehet nicht im Wege, was man im Pred. Salom. III, 19. u.ff. lieset: Es gehet dem Menschen wie dem Vieh, wie dis stirbt, so stirbt das auch, und haben alle einerley Odem, und der Mensch hat nichts mehr, denn das Vieh. Denn es ist alles eitel. Es fährt alles an einen Ort, es ist alles vom Staub gemacht, und wird wieder zu Staub. Wer weiß, ob der Odem der Menschen aufwerts fahre, oder der Odem des Viehes unterwerts unter der Erde fahre. Diese Worte scheinen dem äusserlichen Ansehen nach etwas hart, und dahin zu gehen, daß der Mensch mit Leib und Seele sterbe, und wie das Vieh zu Grunde gehe, folglich die Seele nicht unsterblich sey.  
  Allein wie man von dem Salomon nicht sagen kan, daß er der Seele Unsterblichkeit geleugnet; also hat er sie vielmehr mit den ausdrücklichen Worten behauptet, wenn es in eben diesem Buch Cap. XII, 7. heisset: Der Staub muß wieder zur Erden kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu GOtt, der ihn gegeben hat. Und deswegen sind die Ausleger nicht einig, wie obige Worte anzunehmen sind. Daher mercket man hier nur dieses an, daß Salomon zwar in eigener Person rede; er betrachte aber nur den Zustand des Menschen nach dem Tode, nach dem äusserlichen, und hat so viel sagen wollen, wenn wir den Tod eines Viehes und eines Menschen gegen einander halten, und sehen die Sache blos mit den Sinnen an, so scheint kein Unterscheid zwischen beyden zu seyn, wenn sie sterben. Denn man siehet nicht, wenn der Mensch stirbt, wohin der Odem, der Geist, komme, oder fahre; womit aber die natürliche Erkenntniß von der Seelen Unsterblichkeit nicht geleugnet wird. Denn ein anders ist eine sinnliche; ein anders eine judicieuse Erkenntniß. Nach jener, will Salomon sagen, weiß man nicht, wie es mit dem Geist bey dem Tode eines Menschen zugehe; diese aber hat allerdings statt, wie aus dem zu ersehen, was vorhin angeführet worden. Dem Cartesius ist in den objectionibus sextis p. 131. diese Stelle zu erklären vorgeleget worden, welcher auch in der responsione p. 158. solches gethan.  
  Die heydnischen Scribenten selbst bezeugen, daß die Hebräer die Seele vor unsterblich gehalten, wie denn  
  {Sp. 1125|S. 576}  
  Tacitus histor. lib. 5. cap. 5. n. 6. von den Juden schreibet: Animas proelio, aut suppliciiis peremtorum aeternas putant. Unter diesem Volck ist diese Lehre nachgehends verfälscht worden. Die Sadducäer hielten die Seele vor sterblich, sie glaubten keine Auferstehung der Todten, keine Engel und keine Geister,
  • Matth. XXII, 23.
  • Marc. XII, 18.
  • Luc. XX, 27.
  • Apost. Gesch. XXIII, 8.
wovon man Basnage in histoire des juifs tom. 1. lib. 2. cap. 6. §. 9. lesen kan.
Pharisäer Die Pharisäer haben die Meynung von der Metempsychosi oder Wanderung der Seelen angenommen, wie man aus dem Joseph de bello judaico lib. 2. cap. 7. siehet, und obwol die Essäer wider die Sadducäer die Unsterblichkeit der Seele vertheidigten, so hatten sie doch wunderliche Einfälle von der Seele selbst, daraus sich urtheilen lässet, in was für Verstand sie die Unsterblichkeit genommen. Denn sie bildeten sich ein, daß die Seelen durch eine natürliche magnetische Kraft aus der subtilsten Luft in die Cörper gezogen worden, wo sie sich als in einem Gefängniß so lange aufhalten müsten, bis die Banden des Cörpers zerrissen, da sie sich dann voller Freuden wieder fortmachten, und zu ihrer subtilsten Luft eileten. Bey solcher Zurückreise müsten sie über ein Meer, worauf sie denn an einen warmen Ort, da keine Kälte, noch sonst einiges Ungewitter anzutreffen, kämen, und daselbst beharreten; wie aber die Seelen der Frommen sich an einem solchen angenehmen Ort aufhielten; also gelangten hingegen die Seelen der Gottlosen an wilde, rauhe und unangenehme Plätze, wovon Basnage in der angeführten hist. tom. 1. lib. 2. c. 12. §. 19 handelt. Man lese hier nach Langen in caussa Dei et religionis judaeis revelatae adversus naturalismum, p. 282.
Heiden: Barbaren Unter den Heyden kommen erstlich die so genannten Barbarischen Philosophen vor, um zu sehen, was sie davon gelehret.  
Ägypter Von den Egyptiern berichtet Herodotus lib. 2. cap. 123. daß sie zuerst die Unsterblichkeit der Seele gelehret hätten, wie denn auch Lactantius institut. divinar. lib. 9. cap. 13. ein Zeugniß aus dem Hermes, oder Mercur Trismegist davon angeführet, welches aber deswegen nichts auf sich hat, weil die Gelehrten gewiesen, daß die Schrifften, die ihm beygelegt werden, meistens untergeschoben sind.  
  Die Sache selbst hat ihre Richtigkeit, daß die Egyptier die Seelen der Menschen vor unsterblich gehalten, welches auch Diogenes Laertius in prooem. vitar. philos. bezeuget; nur sind dabey zwey Umstände zu untersuchen. Der eine ist, ob sie die ersten gewesen, welche diese Unsterblichkeit gelehret, wie Herodotus vorgiebt, welches nicht kan behauptet werden. Denn wie aus dem obigen zu ersehen, so kommt diese Ehre billigt dem Hebräern zu.  
  Es sind ohne diß die alten Scribenten nicht einig, wen sie angeben sollen, der zuerst von der Seelen Unsterblichkeit gelehret. Denn Pausanias in Messeniac. p. 277. schreibt diese Ehre den Weisen der Chaldäer und Indianer zu. Diogenes Laertius lib. 1. Segm. 24. führet an, daß einige sagten, Thales habe zuerst die menschliche Seele vor unsterblich gehalten, und berufft sich deswegen auf den Choerilus, einen Poeten. Cicero hingegen quaest. Tuscul. lib. 1. n. 22. will dieses von dem Pherecydes, dem Sy-  
  {Sp. 1126}  
  rer, behaupten.  
  Der andere Umstand ist, in was für einen Sinn die Egyptier die Unsterblichkeit der Seele angenommen haben. Herodotus meldet an dem angezogenen Orte, daß sie die Metempsychosin geglaubet, und dafür gehalten, wenn der Leib stürbe, so wandere die Seele alsofort in ein anderes Thier, welches gebohren würde; wenn sie nun alle Thiere der Erde, des Wassers, und der Luft durchwandert hätte, so kehre sie wieder in einen menschlichen Cörper, welcher gebohren würde, zurück; dieser Umlauf aber und Wanderschafft werde innerhalb 3000 Jahren zu Stande gebracht.  
  Andere hingegen sagen, ihre Meynung wäre gewesen, daß die Seele endlich in GOtt; oder in die Seele der Welt, daraus sie entsprungen, zurück kehre, welches mit verschiedenen Umständen überein kommt. Denn Jamblich de myster. Aegyptior. sect. 8. cap. 8. sagt nach dem Sinn der Egyptier: GOtt hat deswegen bey der ersten Herabsteigung der Seele dieselbe heruntergelassen, damit sie in ihm wieder zurück kehren möchten. Dieses kommt auch mit der Meynung überein, welche sonst den Egyptiern zugeschrieben wird, es könne in der Welt nichts umkommen, sondern es werden nur alles verändert, und GOtt sey das pan, wie Fabricius in Biblioth. Graec. lib. 1. cap. 7. §. 5. p. 49. angemercket.
  Auf solche Weise käme ihre Lehre dem Spinozismo sehr nahe. Inzwischen hat Toland auch fürgegeben, die Lehre von der Seelen Unsterblichkeit käme von den Egyptiern her, von denen solche die Griechen bekommen, worauf sie denn weiter fortgepflantzet worden, wovon Mosheims vindiciae antiquae christianorum disciplinae, p. 143 zu lesen.
übrige Völker Von den übrigen Völckern kan nichts besonders angemercket werden. Denn man findet wohl von den Chaldäern, Persern und andern, daß sie die Seele vor unsterblich gehalten; wenn man aber untersuchet, worinnen sie das Wesen der Seele gesetzet, so findet man, daß sie in der That die Unsterblichkeit der Seele nicht behauptet. Sie meynten, die Seelen wären aus GOtt, oder aus dem Welt-Geist gekommen, und als Theile des göttlichen Wesens anzusehen; indem sie nun wieder dahin kehrten, so wären sie unsterblich. Aber eben dieses heisset keine Unsterblichkeit. Denn dazu wird erfordert, daß die Seele in ihrer Substantz beharret; welches aber hier nicht geschiehet, wenn sie mit dem göttlichen Wesen wieder vereiniget werden soll, wodurch sie ihre eigene Substantz verlieret, und daher keine Seele mehr bleibet, welches auch von derjenigen Unsterblichkeit zu sagen, so die Griechischen Philosophen gelehret, wie aus dem folgenden wird zu ersehen seyn.  
alte Deutsche Insonderheit werden unsere alten Deutschen gerühmet, daß sie diese Wahrheit erkannt hätten, aber auch mit dem Anhang, daß die Seele von einem Cörper in den andern, und zwar nicht viehischen, wie die Pythagoräer statuirten, sondern nur menschlichen wanderte, wie unter andern Schurtzfleisch in der Dissertation de veterum institutis Druidum §. 4. u.ff. gewiesen; wovon auch in den Actis Francon. 7 Samml. p. 501. u.ff. gehandelt wird.
Griechen Kommt man nun mehr auf die Griechen, so soll Thales Milesius die Unsterblichkeit der Seele nach einiger Meynung zu erst gelehret haben weil er aber das Wasser zum Ursprung aller Dinge machte,  
  {Sp. 1127|S. 577}  
  folglich auch der Seele eine wässerige Natur beylegte, so läst sich nicht wohl zusammen reimen, wie er solche vor unsterblich ausgeben können. Von dem Pythagoras schreibet man auch, daß er die Wahrheit von der Seelen Unsterblichkeit gelehret u. erkant habe. In den philosophumenis, die unter des Origines Nahmen vorhanden sind, cap. 2. p. 36. wird von ihm gesagt: [fünf Wörter Griechisch]: er hat auch gesagt, die Seele sey unsterblich.  
  Nun kommt es darauf an, wie er solche Unsterblichkeit genommen, welches aus dem, was oben von dieses Weltweisen Meynung gesagt worden, zu schlüssen ist. Denn da selbst ist gezeiget worden, wie er die Seele vor ein Stück des göttlichen Wesens angesehen, und durch GOtt den Welt-Geist verstanden habe, daß also die Seele dadurch unsterblich wird, wenn sie in diesen Welt-Geist zurück kehret; indem sie aber dadurch ihre Substanz verlieret, so kan sie nicht unsterblich genennet werden, wie schon vorher angemercket worden ist.  
  Nunmehr müssen die vier Haupt-Secten in Griechenland dieser Sache wegen beleuchtet werden. Was den Plato betrifft, so hat er der Seelen Unsterblichkeit den Worten nach behauptet, und mit Gründen zu erweisen gesucht, wie aus dessen Phaedone zu ersehen ist. Eben dieser Weltweise hat auch hierinnen vor andern einen besondern Ruhm erlangt, daß er als ein Heyde diese Wahrheit so vortrefflich erkannt und ausgeführet hat, dergleichen Lobsprüche man bey dem Clemens Alexandrin, Eusebius und andern antrifft.  
  Es wird nicht nöthig seyn, hier zu erinnern, wie er die Präexistenz und die Wanderung der Seele behauptet; sondern es wird genug seyn, nur diesen Umstand anzuführen, daß er die Seelen vor Stücke des göttlichen Wesens angesehen, welche aus der Seele der Welt kommen. Weil er aber drey Hypostases statuirte, den höchsten GOtt, den Verstand, und die Seele der Welt, so hatte er vor denen, welche die Seele der Welt selbst zu GOtt machten, was voraus, die er aber von dem grossen GOtt unterschiede, und sie vor die Quelle der Seelen ausgab. Nach diesen Grund-Sätzen kam die Platonische Unsterblichkeit der Seele darauf an, daß sie in die Seele der Welt wieder zurück kehrte, welches zwar soviel hieß, daß die menschliche Seele nicht könne zernichtet werden; die Unsterblichkeit aber, da sie ihre Subsistenz behalten muß, folget daraus nicht; ja sie verlieret durch solche Vereinigung selbige vielmehr.  
  Von seinen Anhängern ist einer der vornehmsten Plotinus, welcher ein besonderes Buch peri psychēs athanasias geschrieben; wie er aber in allen Stücken seinem Lehrmeister, dem Plato, folget, ausser, daß er sich in manchen etwas deutlicher erkläret: also hat er sich vom Wesen und von der Unsterblichkeit der Seele keinen bessern Begriff gemacht. Eben dieses muß man von den übrigen Platonickern, als von dem Porphyrius, Jamblichius, Proclus und andern sagen, daß sie sich weder das Wesen, noch die Unsterblichkeit der Seele anders eingebildet, ob sie sich schon von der Wanderung von einem Cörper in den andern besser erkläret haben.  
  Es folget vielmehr der Aristoteles, von welchem unter den ältern und neuern gestritten worden, ob er die Seele des Menschen vor unsterblich gehalten? Einige haben gemeynet, er habe ihr die Unsterblichkeit  
  {Sp. 1123}  
  abgesprochen, als  
 
  • von den ältern Atticus, Platonicus, Porphyrius, Plotinus.
  • Bey dem Eusebius praeparat. evangelic. lib. 15. cap. 9. und 10.
  • Theodoretus de cur. graecor. affect. lib. 5. p. 517.
  • nebst andern Kirchen-Lehrern,
    • dem Justinus dem Märtyrer,
    • dem Origines,
    • bey den Gregorius.
 
  Von den neuern Ist des Peters Pomponatius zu gedencken, welcher in seinem Buch de animae immortalitate geleugnet, daß man nach den Aristotelischen Grundsätzen die Seele vor unsterblich ausgeben könnte; ingleichen den Anton Roccus, der exercitationes de immortalitate animae rationalis geschrieben, und indem er sie vor sterblich ausgiebt, so berufft er sich auf das Zeugniß des Aristoteles, welches auch die Meynung des  
 
  • Frantz de la Mothe le Vayer in dem Discours chrètien de l'immortalité de l'ame,
  • des Peter Bayle in seinem dictionar. hist. critic. da er von dem Pomponatius handelt;
  • des Autors der Observatt. Halens. tom 8. observ. 10. §. 16;
  • des Buddeus in thesibus de atheismo et superstitione cap. 3. §. 2.
 
  und anderer ist.  
  Doch sind auch andere gewesen, die hierinnen dem Aristoteles das Wort geredet haben. Wie dieses überhaupt seine Anhänger gethan haben; also haben auch einige ins besondere wider den Pomponatius geschrieben, und erweisen wollen, daß er ihm unrecht gethan, und er selbst ohne Grund sich die Seele als sterblich eingebildet habe, als  
 
  • Baptista Fiera de animae immortalitate;
  • Casp. Contarenus in 2 Büchern de animae immortalitate, die sich unter seinen Wercken befinden;
  • Chrysostomus Javellus in den commentariis et quaestionibus in libros tres de anima;
  • Anton Sirmond in demonstratione physica et Aristotelica de immortalitate animae,
 
  denen man noch beyfügen kan  
 
  • den Johann Nicolaus Hardtschmid de immortalitate animae humanae ex philosophorum veterum et recentium argumentis examinata et demonstrata;
  • den Huetius in quaestionibus Alnetanis lib. 2. cap. 8.
  • und Johann Peter Ludovici Disp. de omnium fere gentium de vita aeterna concent. pag. 31.
Von diesem Streit selbst kan man lesen
  • den Bayle in diction. tom 1. p. 351;
  • den Voetius in disputat. select. tom. 1. p. 198.
  • und Wolfen in den notis ad philosophumena Origenis pag. 138.
  An die Autorität hat man sich hier nicht zu kehren; sondern man muß die Sache selbst ansehen, und untersuchen: Ob Aristoteles die Seele des Menschen vor sterblich, oder unsterblich gehalten? Und gewiß, wenn man alles genau überleget, und von keinem Affect eingenommen ist, so kan man nicht anders urtheilen, als daß man sagen muß, es habe Aristoteles die Unsterblichkeit der Seele geleugnet. Man kan sonst, wie aus dem obigen zu ersehen, die Unsterblichkeit der Seele aus einem zweyfachen Grunde herleiten: entweder aus dem Willen Gottes, daß GOtt wolle, daß die Seelen der Menschen unsterblich sind; oder aus ihrer Natur, davon keiner nach der Aristotelischen Philosophie angehet. Denn da Aristoteles die göttliche Providenz leugnete, so hob er den Grund auf, daraus man ein anderes Leben erkennen, und aus diesem die Unsterblichkeit der Seele schlüssen kan.  
  Von dem Wesen der Seele hat er eine solche Vorstellung gemacht, daß nicht einmahl daraus ihre  
  {Sp. 1129|S. 578}  
  Zertrennlichkeit, geschweige ihre Unsterblichkeit folgen kan. Denn einmahl ists ausgemacht, daß er einen Unterscheid gesetzt unter noun und psychēn, hernach ist auch klar, daß er durch mentem nichts anders, als den eintzigen allgemeinen intellectum agentem verstanden, welcher ausser den Menschen sey, und ihnen die vernünftigen Gedancken mittheile, weil die Worte klärlich da stehen, daß er von auswerts hinzu komme, und sey allein göttlich, welche so beschaffen, daß sich seine Anhänger, sie mögen sich drehen, wie sie wollen, nicht heraus wickeln können.  
  Die anima, welche er von dem mente so deutlich unterschieden, ist ja nach seiner eigenen Beschreibung nichts anders, als ein Principium, von welchem die Bewegungen des Cörpers herkommen. Ja er sagt noch weiter de anima lib. 3. cap. 5. von dem mente, daß es allein unsterblich; [sechs Wörter Griechisch], lauten seine eigene Worte; die Seele hingegen giebt er vor sterblich aus. Und lib. 3. cap. 6. ad Nicomach. erkläret er sich hierinnen noch deutlicher, und sagt: "Der Tod ist unter allen Dingen das erschrecklichste. Denn er ist das Ende des Lebens, und wenn der Mensch todt ist so scheint weder was Gutes; noch was Böses übrig zu seyn.  
  Dieses kan auch aus den Lehrsätzen seiner Anhänger erläutert werden. Denn Alexander Aphrodisiensis hat gantz offenbar die Unsterblichkeit der Seele geleugnet, und diejenigen vor verwegen gehalten, welche solche behaupten wollen, davon Fabricius in Biblioth. Graec. lib. 4. cap. 25. §. 1. die Zeugnisse angeführet hat;
  nun aber gestehet er selbst, daß er sich blos an des Aristoteles Lehrsätze hielte. Dicäarchus, der auch ein Schüler und Nachfolger des Aristoteles war, hat nicht nur die Unsterblichkeit der Seele geleugnet; sondern sogar behauptet, sie wäre ein leeres Wort.  
  Die Sache erfordert, ein wenig die Ordnung der Zeit zu verlassen, und etwas aus der mittlern herzuholen. Im zwölften Jahrhundert kam aus der Schule des Aristoteles der Averroes herfür, von welchem einige die Einbildung gehabt, daß er des Aristoteles Lehre so tief und so wahrhafftig eingesehen, daß man seine Seele des Aristoteles Seele genennet hat. Aber eben dieser hat dafür gehalten, daß nur eine eintzige Seele, oder ein eintziger Verstand wäre, welchen alle und jede Menschen unter sich gemein hätten. Dieser sey unsterblich; die Seele aber, die ein jeder Mensch vor sich allein und besonders hätte, sey sterblich, und der Vergänglichkeit unterworffen. Weil nun das Ansehen dieses Mannes sehr groß war, so ist es geschehen, daß viele, sonderlich in Italien dieser Meynung beygefallen so daß auch der Pabst Leo X in einer Bulle vom 19. Decemb. 1573. zu verdammen, vor rathsam befunden. Walch exercitat. de atheismo Aristotelis cap. 3. Sect. 4. p. 314. parergor. academicor.
Stoiker Was die Stoicker betrifft, so sind verschiedene, welche sagen, sie hätten die Unsterblichkeit der Seelen geglaubet. Denn in den philosophumenis, welche dem Origines zugeschrieben werden, wird cap. 25. von den Stoickern gesagt: [ein Satz Griechisch], d.i. sie hätten die Seele vor unsterblich gehalten, die sie aber vor einen Leib an-  
  {Sp. 1130}  
  gesehen, bey welcher Stelle Wolf in den notis pag. 145. anmercket, daß der Autor vielleicht dem Epiphanius gefolget, welcher lib. 1. haer. 5. auch von den Stoickern gesagt: [ein Satz Griechisch], und zugleich gar wohl erinnert, daß diese alte Weltweisen keinesweges die Seele vor unsterblich gehalten hätten.  
  Diogenes Laertius lib. 7. segm. 156. berichtet in dem Leben des Zeno, daß die Stoicker gemeynet, [ein Satz Griechisch], woraus zu erkennen ist, daß sie geglaubet, es hätten die Seelen zwar eine lange Dauerung, sie wären aber nicht ewig, welches auch andere bezeugen.  
  Nur kamen sie darinnen nicht überein, ob aller Menschen Seelen eine gleiche Dauerung hätten. Denn Cleanthes meynte, es würden alle Seelen bis auf die Verbrennung der Welt dauren, welches hingegen Chrysippus nur von den Seelen der weisen Männer behaupten wolte, ja einige sagten gar, daß die Seelen gleich bey dem Tode dem Untergang unterworffen wären, wie Panätius nach dem Zeugniß des Cicero lib. 1. quaest. Tusc. und wenn man etwa diesen vor keinen ächten Stoicker ansehen solte, so hat doch dieses auch Epictetus dafür gehalten, wie dieses weitläuftiger Menage in den notis ad Diogenem Laertium lib. 7. Segm. 157. pag. 325 ausgeführet hat, dabey man auch den Jacob Thomasius de Stoica mundi exustione dissert. 15. lesen kan.
  Nach dem Begriff, den die Stoicker von dem Wesen der Seele hatten, konten sie derselbigen keine Unsterblichkeit beylegen. Denn ihre Seele war ein Stück des Göttlichen Wesens, oder der Seele der Welt, dadurch sie den höchsten GOtt verstanden, und ihn durch ein nothwendiges Band mit der Materie verknüpften. Ihr GOtt war die Natur selber, den sie als eine formam informantem von der Welt vorstellten, und eben daher kamen sie darinnen mit einander überein, es sey die Seele eine Substantz, die aus subtiler Luft und Feuer zusammen gesetzt, und also materiell wäre. Wenn aber unsere Seele ein Theil der Seele der Welt ist, so hat sie nur so lange ihre eigene Subsistentz, bis sie wieder in die Seele der Welt verwandelt wird; oder zurück fliesset, da sie ja ihre Subsistentz verlieret, welches keine Unsterblichkeit heisset.  
  In der Schule des Epicurs konnte man aus zweyen Ursachen die Unsterblichkeit der Seele nicht zulassen. Denn einmahl machte man alles zur Materie, und die Seele selbst solte materiell seyn; hernach setzte man das höchste Gut in einer solchen Vergnügung des Gemüths, daß dasselbige von der Sorge müste befreyet seyn, woraus sie denn schlossen, daß nach diesem Leben kein ander Leben zu hoffen, in dem, wenn dieses wäre, so gäbe es den Menschen Anlaß zu allerhand Sorgen, wie es mit ihnen nach dem Tode aussehen werde, wodurch denn zugleich die Unsterblichkeit der Seele wegfiele. Auf solche Art hoben die Epicurer beyde Grundsätze auf, daraus man sonst diese Unsterblichkeit beweiset, wenn man sie aus der Natur der Seele, und aus dem Willen Gottes herleitet.  
  Dieses findet man ausdrücklich bey dem Laertius, welcher de rer. natura lib. 3. p. 86, u.ff. die Sterblichkeit der Seele mit unterschiedenen Gründen darthun will. Die vornehmsten Argu-  
  {Sp. 1131|S. 579}  
  mente, die er vorbringt, sind folgende:  
 
1) die Seele bestünde in kleinen Cörpergen, die viel subtiler, als die Feuchtigkeit des Wassers, oder der Nebel, und der Rauch wären:
 
 
2) wenden die Epicuräer zum Beweis vor, daß die Seele und das Gemüth gezeuget werde, wachse, starck, alt werde, und wieder abnehme, wie der Leib abnimmt. Lucretius sagt:
 
 
  "Sie spüren, daß die Seele mit dem Leibe gezeuget werde, mit ihm wachse, und wieder alt werde. Denn gleichwie bey Kindern der Leib so schwach ist, daß sie in ihren Tritten wancken, und nicht auf festen Fuß stehen können, so gehet es eben der Seele in einem solchen jungen Leibe; nimmt der Mensch mit den Jahren an Kräften zu, und erreichet das männliche Alter, so ist die Seele auch mächtig an ihren Kräften und Rathschlägen; nehmen aber die Kräffte des Leibes wieder ab, verlieret sich das Marck aus den Beinen, und alle Gliedmassen werden wieder schwach, so empfindet solches die Seele auch, sie wird Kraftlos, verlieret ihre Lebhaftigkeit, und kan ihr Amt nicht mehr verrichten. In Summa, alles beydes nimmt zu gleicher Zeit ab, und spüret zu gleicher Zeit seine Mängel.
 
 
3) Nimmt man einen Beweis daher, daß das Gemüth nicht nur seine eigene Gebrechen und Kranckheiten habe; sondern auch noch darzu von den Kranckheiten des Leibes angegriffen und berühret werde. "Man siehet auch, sagt Lucretius weiter,
 
 
  "daß, wie der Leib von schweren Kranckheiten und harten Schmertzen angegriffen wird, also auch die Seele von schweren Sorgen, Betrübniß, und Furcht gekräncket und geplagt werde; daher sie auch selbst dem Tode, wie jener unterworffen seyn; ja auch bey den Kranckheiten des Leibes gerathe die Seele manchmal gar sehr auf Irrwege; denn da fällt sie in Aberwitz und Raserey; geräth auch bisweilen durch eine schwere Schlaf Sucht in einen tiefen Schlaf, daraus sie nimmer wieder aufwachet.
  • Gassendus Syntagma philosoph. Epicuri p. 29 u.ff.
  • Buddeus in compendio histor. philos. p. 324.
Römer Die vornehmsten unter den Römern, die hier anzuführen sind, sind Cicero und Seneca. Jener hat sich in verschiedenen Büchern, als in den quaestionibus Tusc. de natura deorum, Catone majore, bey dieser Materie aufgehalten, die Meynungen der Philosophen angeführet, auch auf solche Umstände der Seele vor sich gesehen, daraus er schlüssen müssen, sie wäre unsterblich; nur war er bey dieser Meynung sehr zweifelhaftig.  
  Von dem Seneca lieset man unter andern epist. 102. diese merckwürdige Stelle:  
  "Gleichwie einem, der einen angenehmen Traum hat, derjenige verdrüßlich ist, der ihn aufwecket; denn er beraubet in einer Lust, die, ob sie gleich falsch ist, dennoch eben das Vergnügen verursachet, als wenn sie in der That und wahrhaftig wäre; also hat auch dein Brief mir Mißvergnügen erwecket. Denn er rieff mich von gewissen Gedancken zurücke, die mich ergötzten, denen ich freyen Lauf gegeben, ja wenn es mir vergönnet gewesen, noch weiter den Zügel hätte schiessen lassen. Ich fand eine grosse Belustigung, die Ewigkeit und Unsterblichkeit der Seele zu untersuchen, ja in der That zu glauben. Denn  
  {Sp. 1132}  
  Hoffnung machen, als daß sie selbige beweisen. Ich überließ mich schon dieser so grossen Hoffnung, es eckelte mir das übrige, so ich noch in meinem vigoreusen Alter vor Gutes gewarten habe; ich verachte diß alles, weil ich Hoffnung hatte, in jene unermeßliche Ewigkeit und Besitzung aller Zeiten durchzudringen; da ich nach Empfang deines Briefes plötzlich aufgewacht bin etc.  
  Nun konnte Seneca als ein Stoischer Philosoph die Unsterblichkeit der Seele in wahrem und eigentlichen Verstande nicht zugeben; welche er vor ein Stück des Göttlichen Wesens hielt; man siehet aber gleichwohl aus dieser und andern Stellen der Heyden, daß sie in ihrem eigenen Gemüth etwas von dieser Wahrheit, welches die Natur darein geleget, empfunden haben; ihre irrige Principien aber standen nur im Wege, daß sie solcher Wahrheit nicht völligen Raum geben konten.  
    Mehrere Zeugnisse von den Heydnischen Philosophen findet man
  • bey dem Voßius de origine et progressu idololatriae lib. 1. cap. 10;
  • bey Pfannern in Systemat. theolog. gentilis purioris c. 7.
  • bey dem Huetius in quaest. Alnetanis lib. 2. cap. 8;
  • bey dem Buddeus in thesib. de Atheismo et Superstitione cap. 3. §. 2.
  • beym Salig in disp. de philosophumenis veter. et recentior. de anima et ejus immortalitate, Halle 1714, welcher mit grossem Fleiß die Meynungen der alten Philosophen angeführet und beurtheilet hat,
denen man auch beyfügen kan
  • den Augustin Struch de perenni philosoph. lib. 9.
  • und den Livium Galantem in comparatione theolog. christianae cum Platonica lib. 11. u.ff.
  Doch ist bey den Gebrauch solcher Bücher die Vorsichtigkeit nöthig, daß man alles wohl prüfet. Denn manche haben sich durch die Worte einnehmen lassen, und den Heyden grössere Erkenntniß beygeleget, als sie in der That gehabt, weswegen die Prüfung nach ihren Principien geschehen muß. Es ist nicht genug, daß mancher gesagt, die Seele ist unsterblich; sondern es kommt darauf an, was er durch die Unsterblichkeit verstanden. Es fehlte den Heyden nicht nur an der wahren Erkenntniß vom Wesen der Seele; sondern auch an der Erkenntniß des andern und künftigen Lebens welches der wichtigste Grund, daraus die Unsterblichkeit der Seele muß erkannt werden.  
Christliche Ketzer In der Christlichen Kirche waren im dritten Jahrhundert gewisse Ketzer, die Arabici, welche vorgaben, daß die Seelen der Menschen sterblich wären, jedoch so, daß sie dereinst mit den Leibern wieder solten auferwecket werden. Buddeus progr. de Arabicor. haeresi, in dem Syntagm. Dissert. academic. p. 738.
  Solchen Irrthum haben zu den neuern Zeiten wieder aufgewärmet Coward, und der Autor des Brief-Wechsels vom Wesen der Seele. Diejenigen, welche leugnen, daß die Seele ihre eigene Subsistentz habe, und eine vom Cörper wesentlich unterschiedene Substanz sey; und sagen, sie seien nur als eine Eigenschafft und gewisses Vermögen des Cörpers anzusehen, können ohne diß nicht sagen, daß sie unsterblich wäre. Wenn Sie auch dieses thun, so spielen sie nur mit den Wor-  
  {Sp. 1133|S. 580}  
  ten. Denn das ist keine Unsterblichkeit, wenn die Seele nur eine Eigenschafft seyn soll, welche durch den Tod des Menschen aufhöret. Warum will man nicht sagen, daß der Cörper unsterblich sey? Und wenn dieses paradox zu seyn scheinet, so ist noch weit ungereimter, wofern man die Seele vor ein Accidens des Cörpers hält, und ihr gleichwohl eine Unsterblichkeit beyleget.  
     

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Stand: 3. April 2013 © Hans-Walter Pries