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Zedler: Teutsche Staats-Verfassung [1] HIS-Data
5028-43-202-4-01
Titel: Teutsche Staats-Verfassung [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 43 Sp. 202
Jahr: 1745
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 43 S. 114
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  Artikelübersicht Teil 2  Fortsetzung

  Text  
  Teutsche Staats-Verfassung,  
 
  • Teutsche Regierungs-Art,
  • Teutsches-Staats-Systema,
  • Teutsche Regiments-Forme,
  • Teutscher Reichs-Staat,
  • oder Staats-Verfassung des Heil. Röm. Reichs Teutscher Nation,
  • Lat.
    • Teutonici Imperii Status,
    • oder Imperii Germanici forma,
    • oder auch Sacri Romani Imperii Teutonicae Nationis Systema Status.
 
  Es haben sich schon so viele Politici und andere Gelehrte an die Staats- Verfassung unsers Teutschen Reichs dergestalt gestossen, daß sie fast nicht wissen, was sie solcher eigentlich vor einen Nahmen beylegen sollen. Und die Sache ist allerdings auch von der Beschaffenheit, daß sie gar wohl verdienet etwas genauer und umständlicher untersuchet zu werden. Doch erklären wir uns hiermit ein vor allemahl zum voraus, daß wir uns gegenwärtig nur vornehmlich an des verkappten Severins de Monzambano, oder vielmehr Samuel Pufendorffs Librum de Statu Imperii Germanici, nebst denen vom Christian Thomasius demselben beygefügten Anmerckungen halten, und also vielmehr mit dieser Schrifftsteller ihren eigenen, als unsern Worten, reden wollen.  
  Gleichwie nun, sagt bemeldeter Monzambano oder Pufendorff l. c. c. 6. die Gesundheit und Geschicklichkeit so wohl der natürlichen, als der durch Kunst gemachten Cörper, aus einer bequemen Übereinstimmung und Zusammenhange derer Theile unter sich entspringet: Also urtheilet man gleichergestalt, daß moralische Cörper oder Gesellschafften entweder gesund und starck oder unvermögend sind, nachdem derselben Theile unter sich entweder wohl oder übel zusammenhangend befunden werden: so gar, nachdem sie entweder eine angenehme Gestalt oder etwas unordentliches und ungestaltes an sich wahrnehmen lassen.  
  Aus genauerer Betrachtung der Teutschen Staats-Verfassung erhellet, daß in der Republick der Teutschen, so was verborgen sey, um dessen willen man dieselbe nicht zu denen einfachen regulären Gestalten der Republicken, wie dieselben hin und wie-
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  der von denen Staats-Gelehrten beschrieben werden, rechnen könne. Desto sorgfältiger aber werden wir derselben eigentliche Regierungs-Form zu untersuchen haben; jemehr auch so gar viele derer Teutschen Schrifftsteller selbst aus Unwissenheit der Staats-Wissenschaft, geirret haben, und weil die meisten unter ihnen vieler Meynungen, so sie ohne Beurtheilung zusammen getragen, ein neues Buch nennen.  
  Aber man verspricht sich wegen der etwas häuffiger, als sich vor zarten Ohren gebühret, eingestreueten Scholastischen Scharffsinnigkeit, desto leichter Verzeihung, je schwerer es ohne diese ist, von dem Zustande Teutschlandes ein gründliches Urtheil zufällen: Ob es sonst wohl bey Verständigen nur wenig Worte zu gebrauchen erlaubt seyn möchte, wenn nicht anderer Vorgeben, so bey vielen Beyfall gefunden, etwas mühsamer zu wiederlegen zu seyn schiene.  
  Es findet sich demnach wegen der eintzelnen Theile, oder Reichs-Stände, so ferne man sie, besonders betrachtet, wenig Schwürigkeit. Denn alle Fürstenthümer, weltliche so wohl als geistliche, (deren jene durch das Erbgangs-Recht, diese durch die Wahl erhalten werden) wie nicht weniger die freyen Reichs-Grafschafften, werden gewisser Massen, und innerhalb ihrer besondern Bezircke fast denen Monarchien gleich verwaltet. Jedoch mir diesem Unterscheide, daß anderswo die Gewalt der Fürsten und ihre Vergünstigungen beynahe unumschränckt, ausser in sofern sie noch an die allgemeinen Reichs-Gesetze verbunden sind, anderswo aber durch gewisse Verträge mit denen Landes-Ständen eingeschränckt sind.  
  Einige derer freyen Reichs-Städte, bedienen sich einer Aristocratischen Regierung, nehmlich diejenigen, allwo die höchste Gewalt bey dem Rathe ist, in welchen die vornehmsten Bürger durch die freye Wahl und Stimmen derer Raths-Herren selbst aufgenommen werden; und wo der Rath weder von dem Volcke angeordnet werden kan, noch auch wegen der geführten Verwaltung Rechnungen abzulegen gehalten ist.  
  Anderswo hingegen ist die Democratia eingeführt, allwo der Rath durch die Willkühr derer Zünffte ergäntzet, und diesen, über jenen Untersuchung anzustellen, nachgelassen ist.  
  Was aber dem gantzen Staats-Cörper Teutschlandes vor eine Gestalt der Republick zu zueignen sey, darinne kommen auch die Schrifftsteller dieser Nation selbst nicht überein. Ich erinnere mich zwar nicht, sagt Monzambano, daß ich einen gesehen, welcher dieser Regierung eine Democratische Forme zugeschrieben hätte. Jedoch sind ihrer, welche nur diejenigen des Nahmens der Teutschen Reichs-Bürger würdig erklären wollen, welchen das Recht, Sitz und Stimme auf den Reichs-Tägen zu haben, zukommt; darinnen sie ohne Zweiffel dem Aristoteles gefolget, welcher nur denjenigen einen Bürger nennet, welcher von der Republick das Recht über die gemeinen Angelegenheiten zuberathschlagen und seine Stimme zu geben erhalten hat.  
  Wenn wir dieses annehmen; so müste das Teutsche Reich gewiß eine Democratie seyn, als dessen Bürger alleine die Stände wären, welche allerdings samt und sonders das Recht über die Staats-Sa-
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  chen zuberathschlagen und zusprechen auf den Reichs-Tägen erhalten; der Kayser aber würde solches alsdenn als ein Fürst in eigentlichem Verstande haben. Übrigens hingegen würde derjenige weicher die Aristotelische Beschreibung, weiter, als auf die in Griechischen Democratien lebende Bürger erstrecken wolle, sehr ungereimt handeln. Denn wer wolte freyen Leuten und Haus-Vätern, so in einem Königreiche, oder in einer Aristocratie leben, den Bürger-Nahmen absprechen, obgleich selbige zu keinem Theile der Republick zugelassen würden? Oder wer wolte sagen, daß der König in einem Königreiche der eintzige Bürger; in der Aristocratie aber solche allein die Raths-Herren wären?  
  Die meisten, welche sich mit einer ausnehmenden Wissenschaft, Bürgerlicher Dinge und einer emsigen Bemühung vor die Freyheit groß zu machen suchen, geben Teutschland vor eine wahrhaffte und gäntzliche Aristocratie aus, und schärffen zu Vertheidigung ihren Lesern sorgfältig ein,  
  1) daß sich niemand durch das äusserliche Ansehen der Dinge, als den prächtigen Vorrath von Titeln und Redens-Arten, welche nichts, als eine schmertzhaffte Erinnerung des Monarchischen Staates sey, verführen lasse; deren ein grosser Theil aus der Eigenschafft der Teutschen , als einer von leeren Ehren-Worten gantz schwülstigen Sprache, seinen Ursprung habe, einige aber aus ihrer ältesten Staats-Verfassung, davon die heutige gar sehr abgewichen, übrig geblieben waren. Denn bey denenjenigen sey in der That die höchste Gewalt, welchen das Recht in Staats-Sachen nach eigenem Gutdüncken zu verfahren, zukomme, sie möchten nun, mit was vor einem Worte es auch sey, bemercket werden.  
  2) Daß es der Natur einer Aristocratie nicht zuwiderlauffe, wenn sich darinne ein etwas höheres und die andern an Ansehen übertreffendes Haupt befände, welches gleichsam in der Versammlung der Vornehmsten des Volcks die Stelle eines Regierers und Vorsitzers verträte.  
  3) Daß man einen Unterscheid machen müsse unter der Form der Republick selbst, und unter der Art und Weise der Verwaltung derselben. Welche Unterscheidung also zuerklären ist, daß sichs bisweilen zutrage, daß eine Republick die Art der Verwaltung, so aus einer Republick von gantz anderer Form entspringet, nachzuahmen, oder wenigstens einiges Zeichen derselben anzunehmen scheine. Also wenn ein König etwas von denen vornehmsten Staats-Geschäfften der Versammlung des Volcks oder des Raths übergiebt; so wird zwar dort die Art der Verwaltung etwas Democratisches, hier aber etwas Aristocratisches an sich zuhaben scheinen, und dennoch an sich die Form der Republick Monarchisch seyn, gestalt die Versammlung des Volcks und des Raths nur als Rathgeber gebrauchet werden, der König aber nicht nothwendiger Weise von ihnen abhanget.  
  Im Gegentheil, wenn in einer Democratie oder Aristocratie sich eine gewisse höhere Obrigkeit, oder ein eigentlich so genannter Fürst befände, dem das Recht die öffentlichen Angelegenheiten vorzutragen, desgleichen die Gesetze und Bescheide zu vollstrecken, entweder gantz alleine oder doch vornehmlich zustünde, und dessen Nahmen denen öffentlichen Handlungen und Abschieden vorgesetzt würde; so wird es  
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  zwar ein Bild einer Monarchie, was die Verwaltung der Republick betrifft, vorstellen, dennoch aber die höchste Gewalt in der That entweder bey dem Volcke, oder denen Vornehmsten desselben, verbleiben.  
  Es finden sich zwar, einige, welche diese Entscheidung anfechten, besonders aus dem Grunde, daß, da die Form der Anfang aller Handlungen sey, solche allerdings nicht anders seyn könnte als nachdem es diese ihre würckende Ursache zuliesse. Nun sey aber die Form der Republick gleichsam derselbe Quell, aus welchem die Handlungen in Verwaltung derselben herflößen; Mithin könne es nicht seyn, daß die Verwaltung von der Form selbst unterschieden seyn solte.  
  Hierauf aber antworten einige also, daß sie die Verwaltung in diejenige abtheilen, welche in eigenem, und die, so in eines andern Nahmen geschiehet. Sie geben zwar zu, daß jene nicht von der Form der Republick unterschieden seyn könne; es sey aber doch nichts hinderlich, daß diese nicht eine gantz andere Gestalt haben solle.  
  Die verschiedenen Formen der Republicken, entspringen aus dem Subject, dem die höchste Gewalt zustehet, nachdem dieses entweder eine eintzelne Person, oder eine Versammlung aus allen, oder nur ihrer wenigen seyn mag. Was aber diese höchste Gewalt vor Diener oder Ausrichter brauchen will, daran ist nichts gelegen. Zu geschweigen, daß dieser Grundsatz, auf welchen sich der Schluß gründet, nur allein in natürlichen Dingen Statt finde; aber nicht recht auf diejenigen angewendet werde, welchen eine freye Regierung ihrer Handlungen zukommt.  
  Ob nun aber wohl über dieses alles scharffsinnig genug in denen Schulen gefochten werden kan; wird doch niemand, dem eine etwas tieffere Einsicht in die Bürgerlichen oder Staats-Sachen beywohnet, zu überreden seyn, daß das Teutsche Reich eine Aristocratie sey. Denn zu einer Aristocratie wird erfordert, daß die höchste Gewalt bey einem gewissen Stande und beständigem Rathe sey, dem zustehe, in allen Geschäfften welche zur Republick gehören, so wohl zu berathschlagen, als auch Verordnungen zu machen; solchergestalt, daß er die Ausführung täglich vorkommender und besonderer Sachen einer gewissen Obrigkeit übergebe, welche hernachmahls dem Rathe von ihrer Verrichtung Rechenschafft zugeben schuldig sey.  
  Dergleichen Rath aber ist in Teutschland nicht anzutreffen. Denn das Cammer- und das Reichs-Hoff- Gericht erkennen nur über die Appellationes und gewisse Streit-Sachen. Die Reichs-Täge aber sind auf keine Weise denen bestellten und beständigen Räthen zu vergleichen, welche über alle das gantze gemeine Wesen oder die Republick betreffende Geschäffte zu urtheilen und zu sprechen Gewalt hätten, als welche nur aus gantz besondern Ursachen pflegen ausgeschrieben zu werden: Ja wenn auch der nunmehr schon seit 1663 in einem fort dauernde Reichs- Tag unaufhörlich fortgesetzet werden solte, wie es zwar dem Teutschen Reiche gar ersprießlich zu seyn scheinen möchte; so mag solcher dennoch nicht die Eigenschafft eines Aristocratischen Raths annehmen.  
  Denn daß dergleichen Zusammenkünffte, und weil bey selbigen die mehresten Stimmen gelten, ein untrügliches Merck-
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  mahl eines Aristocratischen Staats seyn solle, ist sehr einfältig. Da ja auch wohl in denen mehresten Königreichen gewisse Reichs-Täge oder Versammlungen der Stände gehalten und darinnen ebenfals die meisten Stimmen gezählet werden, welche aber blos der König zusammen zu beruffen berechtigt ist, ihnen selbst hingegen nicht gebühret, wenn und so offt es ihnen beliebet, wegen dieser oder jener Angelegenheit sich zu versammlen.  
  Was ist aber gemeiner, als daß Bundes-Genossen, welche durch ein genaueres Verbündniß gleichsam in die Zusammenfügung eines Systematis vereinbaret sind, Zusammenkünffte oder öffentliche Versammlungen halten? Deren Macht und Gewalt gegen ihre Bundesgenossen, nach Beschaffenheit derer unter sich habenden gemeinschafftlichen Gesetze, bald grösser, oder kleiner, zuweilen aber auch nicht geringer, als der Teutschen Reichs-Versammlung ihre gegen die Reichs-Stände ist, absonderlich, wenn man nicht sowohl auf die Natur und Beschaffenheit der Gewalt, als auf ihre Würckung, sein Absehen hat.  
  Zu Exempeln können dienen aus den ältern Zeiten die Gesellschafft der Amphicktyoner und Achäer; aus denen neuern aber die Schweitzer und die Vereinigten Niederlande. Zwar meynet Kulpis p. 206. und 207. dieselben Bundes-Genossen schickten sich hieher nicht. Denn diese konnten sich wieder von dem Bündnisse loßsagen, und ein Beleidiger der Statuten könne nicht anders, als wegen des verletzten Bündnisses und der gebrochenen Treue, angeklagt werden. Aber in Teutschland würden die Reichs-Täge vermöge der höchsten Herrschafft angesagt, deren sich keiner von den Ständen entziehen oder den Schlüssen und Abschieden, so die andern gemacht, zuwider leben könne, wenn er sich nicht des Verbrechens eines Rebellen, der Verrätherey oder der beleidigten Majestät schuldig machen will.  
  Hingegen antwortet Thomasius ad Monzanbanum c. 6 §. 3. not. u. Dieses sind nur Abbildungen der Einschränckung wegen der alten Einigkeit, oder weil die güldene Bulle von Bartolo, welcher des Teutschen Staats unerfahren war, zusammen geschrieben worden. Die Vollstreckung des Spruchs oder Schlusses selbst geschiehet nach Art des Krieges, gleich als wider einen Bundbrüchigen Lehn-Mann.  
  Es findet sich dennoch allerdings zwischen Teutschland und andern durch Bündnisse vereinigten Staaten ein Unterscheid, wegen der Irregularität des Teutschen Reichs. Und bey ungleichen Verbindungen, dergleichen alle nach Lehns-Art eingerichtete Bündnisse sind, ist es nicht erlaubt, dem Bunde nach Belieben abzusagen, zum wenigsten nicht ohne Verlust entweder des Ober- oder des nutzbaren und Unter-Eigenthums.  
  Hernach findet sich bey wahrhafften Aristocratien, daß zwar in dem gantzen Rathe keiner höher sey, als der andere; jedoch aber jedes der Rathsglieder dem gantzen Rathe nicht weniger gehorsamlich gehorchen müsse, als andere Bürger, und gegen jene so wohl, als diese, das Recht über Leben und Tod ausgeübet werde. Dergleichen aber sehr weit von der Freyheit der Teutschen Stände entfernet ist. Also haben auch die Fürnehmsten in den Aristocratien  
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  ein solches Privat-Gut für sich, welches das Vermögen derer übrigen Bürger öffters um ein grosses übersteiget; nichts destoweniger ist solches Gut, als welches in den übrigen Gemein-Gütern mit begriffen wird, der höchsten Gewalt des Raths und dessen Gesetzen unterworffen. Aber in Teutschland, wenn man dasjenige wegnimmt, was jedem Stande insbesondere zustehet, ist kein dergleichen Gut oder Land übrig, welches allen insgemein gehöre. Und es würde übel gethan seyn, wenn sich jemand bey diesen zu behaupten unterfangen wolte, daß allen Ständen überhaupt in denen Gütern derer eintzeln so viel Gewalt zustehe, als irgend sonst bey einer wahrhafftigen Aristocratie dem gantzen Rathe in den Gütern eintzelner Raths- Glieder.  
  Denn daß man anführet, was Albertus von Mayntz bey Erwählung Carls V vor Francisco gesagt, daß nehmlich dieser zur Mornarchie geneigt sey, man müsse aber den Teutschen Fürsten die Aristocratie beybehalten, darauf ist leicht zu antworten. Denn man würde sich schämen müssen, von einem solchen Prälaten zu verlangen, daß er seine Rede nach den Regeln der gründlichsten Staats- Wissenschafft einrichten solle; und der Verstand, ob er wohl mit etwas unbequemen Worten ausgedrückt, ist an sich deutlich:  
  Wenn nehmlich die Teutschen Fürsten ihren gegenwärtigen Zustand und ihre Freyheit liebten; so würden sie sich vor der Regierung des Frantzosen zu hüten haben, welcher, da er sich bestrebte, die Beschaffenheit der Vornehmsten in seinem eigenen Reiche nach den vollkommensten Regeln der Monarchie einzurichten, Zweiffels ohne solches bey denen Teutschen Fürsten ebenfalls versuchen würde.  
  Es wird aber hierbey wiederum vom Kulpis p. 216 vergebens eingewendet, daß dieses der Verstand desselben sey: Wir müsten uns bemühen, daß in einem vermischten Zustande des Reichs, der Aristocratische Theil von dem Monarchischen nicht verzehret werde. Und wie, sagt Thomasius l.c. not. c. wenn es nun so wäre ? Es hat ja selbiger wohl ein sehr gelehrter Fürst seyn, und dennoch die unrechte Meynung des Aristotelis von der vermischten Republick hegen können.  
  Wie aber, wenn vielleicht Philipp Melanchton die Rede, welche ihm Sleidanus zueignet, ausgearbeitet hätte? wie Schoockius in Exerc. 1. ad Monzamb. § 7. p 9. meinet. Auch ist die neue Antwort des Titius lit. r. n. 3. hinzuzusetzen: Wenn wir auch zugeben, daß dieses die Meynung des Churfürsten gewesen; so gehöret doch alle dieselbe Vermischung nur allein zu der gemeinen Verwaltung von Teutschland. Daher folgt aber nicht daraus, daß Teutschland eben eine Aristocratie sey; sondern nur so viel, daß in der gemeinen Regierung etwas Aristocratisches vorkomme. Dieses aber wird bey allen Gesellschafftlichen Verbindungen auch angetroffen.  
  Es ist noch übrig, daß wir sehen, ob sich die Teutsche Republick unter die Classe der Monarchien bringen lasse. Es giebt aber eigentlich zweyerley Arten von Monarchien; einige werden unumschränckte, andere eingeschränckte genennet. In jenen ist die höchste Gewalt aus eigenem Gefallen über die wichtigsten Geschäffte zu erkennen und solche  
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  anzuordnen, bey dem Könige, oder wie man ihn sonst benennen möchte; in diesen aber, ist der König bey Ausübung der höchsten Gewalt an gewisse Gesetze gebunden.  
  Diejenigen, so diesen Unterscheid der Monarchien nicht genau beobachtet, haben in dieser Materie gar sehr gestrauchelt: indem sie aus denen Ursachen, nach welchen dem Kayser die unumschränckte Gewalt abgesprochen wird, geglaubet haben, daß ihm nicht einmahl eine eingeschränckte übrig gelassen werde. Obwohl derjenige sehr einfältig seyn müste, welcher bey dem Kayser eine durch das gantze Reich auszuübende unumschränckte Gewalt erkennen wolte.  
  Und was vor Beweisse davon vorgebracht werden, sind kaum einer ernstlichen Wiederlegung werth. Es ist beydes ungereimt, man mag nun entweder aus dem Gesichte des Daniels, oder aus den Römischen Rechts-Büchern die Gewalt des Teutschen Kaysers bestimmen wollen. Daß der Kayser ausser GOtt und dem Schwerdte keinen Höhern erkenne, giebt ihm so wenig eine unumschränckte Gewalt über die Teutschen Fürsten, als der Provintz Holland über die übrigen sechs Provintzien, welcher man jedoch mit Recht eben diesen Lob-Spruch beylegen kan.  
  Die blossen Titel, daß nehmlich der Kayser gleichwohl von allen Ständen Allergnädigster Herr genennet werde, u. s. w. und die Hof-Manier zu reden und zu schreiben, nach welcher bisweilen nur die Schreiber die von ihnen ausgefertigten Briefe und Verordnungen auszuzieren pflegen, reichen noch lange nicht an die Wichtigkeit der Sache. Es hat zwar, wie Kulpis p. 219. erinnert, Böckler geurtheilet, daß diese Titel etc. nicht so gar geringschätzig zu achten wären, als mit welchen so viel angezeiget werde, daß der Kayser, ob er wohl in den meisten Dingen die Stände seiner Gewalt mit theilhafft mache, doch nicht aufhöre, Kayser zu seyn, noch jemahls das Kayserliche Ansehen verlohren habe.  
  Hierauf aber antwortet Thomasius l.c. §. 4. not. H. Ich gebe zu, daß Böckler also geuriheilet habe, daß er aber recht geurtheilet habe, das läugne ich, besonders da hierwieder vorausgesetzt wird, daß das Reich eine Republick sey, als wovon annoch die Frage ist. Titius setzet lit y. n. 3. hinzu:  
  „Es folget auch nichts aus derselben Meynung des Böcklers, welches hieher gehörte; denn es wird nicht gefragt, ob in Teutschland einige Überbleibsel von einer Monarchischen Regierung vorkommen? Sondern ob in Teutschland schlechterdings eine Monarchie sey, und ob dieses mit einem bündigen Schlusse bewiesen werden könne?“  
  Endlich schwören die Reichs-Stände dem Kayser auch den Eyd der Treue, jedoch ohnbeschadet ihrer Freyheit und ihrer Rechte. Die meisten haben also dafür gehalten, daß diejenigen die wahrscheinlichste Meynung geheget, welche dem Kayser eine Königliche und die höchste Gewalt zueignen, nicht aber eine unumschränckte, sondern welche mit gewissen Gesetzen umschränckt ist. Welche Meynung man auch hin und wieder bey denen Teutschen selbst in ihren Schulen vertheidigen höret. Diese aber hat, so viel uns bekannt ist, ein gewisser verstellter Hippolithus a Lapide in Teutschland, zu der Zeit, als  
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  der Krieg zwischen dem Kayser und denen Schweden am hefftigsten war, anzufechten gesucht. Ob nun zwar derselbe vieles hat, das man nicht läugnen kan; so ist doch auch offenbar, daß er sich in vielem betrüge, und aus einem unversöhnlichen Hasse gegen das Hauß Österreich auf die gegenseitige Meynung gerathe.  
  Wie demnach dieser dem Kayser die höchste und unumschränckte Königliche Gewalt gegen die Stände mit Recht abspricht ; so handelt er hingegen darinne sehr abgeschmackt, daß er ihn noch unter die Stände setzet, und ihm nichts mehr, als die Würde einer Obrigkeit, welche gleichsam nur Bittweise mit so viel Titeln pranget, zugestehet. Gleich als ob nothwendig eine Aristocratie entstehen müste, wo es keine unumschränckte Monarchie giebt; oder derselbe allerdings einen Obern erkennen müsse, dem nicht freystehet, nach Gefallen zu regieren.  
  Allein wer dieses in Acht nimmt, wird ohne Mühe, seine meisten Beweißthümer vernichten. Ob er wohl hin und wieder unnütze und nichtige Dinge untermischet; so wollen wir doch nur einiger weniger gedencken. Er sagt z.E. an einem Orte, daß die Majestät oder höchste Gewalt bey den Ständen stünde, welche diese auch alsdenn behielten, wenn gleich kein Kayser wäre. Aber wer weiß nicht, daß in allen Reichen zur Zeit einer Zwischen-Regierung die höchste Gewalt auf das Volck, oder auf die Stände, welche es vorstellen, zurücke falle? Welche sie doch, nachdem ein neuer König eingesetzt ist, nicht mehr behalten.  
  Es erkennet auch nicht so gleich jemand denjenigen vor seinen Obern, gegen den er sich erbeut, Rechenschafft zu geben. Anderer gestalt leget man Rechenschafft ab vor demjenigen, vor welchem man, dafern man nicht damit vor ihm bestehet, eine Bestraffung zu befürchten hat, anders aber vor demjenigen, welchem man nur vermöge eines Vertrages darzu gehalten ist, anders endlich vor demjenigen, dessen Würde man verehret. Also bemühen sich Könige so einen Krieg anfangen wollen, in öffentlichen Schrifften der gantzen Welt dessen Ursache anzuzeigen. Also leget ein Gesellschaffter seinen Mitgesellen, ein Vormund seinem Mündel wegen der geführten Geschäffte Rechnung ab.  
  Überdieses ist nicht gleich derjenige höher, oder hat die Gewalt über den andern, welcher diesen von seinem Amte setzen kan. Denn es kan jemand der Verwaltung vieler gemeinschafftlicher Geschäffte mir der Bedingung vorgesetzt seyn, daß keinem über den andern eine eigentlich so genannte Gewalt zukomme; welcher, wenn ihm solches nicht anstehet, von dem Amte gesetzet wird, nicht anders, als weil der Vergleich, dessen Bedingungen und Verbindlichkeit er nicht nachgekommen, wieder aufgehoben worden.  
  Ob man wohl wenigstens, was Heinrichen IV. und Adolphen von Naßau betrifft, noch zweiffeln könnte, ob auch alles nach der Regel des Rechts so gar genau beobachtet worden. Es ist zwar an dem, was er von Reichs-Tägen weitläufftig anführet; aber zu dem Beweise welchen er sich zu führen bemühet, nicht zureichend. Denn wie der Kayser wieder Willen der Stände nichts anbefehlen kan; so ist es gegenseits wohl eben so was unerhörtes, daß die Stände dem Kayser etwas seiner  
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  Hoheit unanständiges, wider seinen Willen und aus eigener Gewalt sollen zumuthen können.  
  Die Churfürsten schreiben zwar in der Capitulation vor, was der Kayser thun und lassen solle; nicht aber gleichsam vermöge einer denenselben über diesen zukommenden Herrschafft, sondern nach Art eines Vertrags; dessen Würckung darinne bestehet, daß, wenn der Kayser wieder diesen Vergleich denen Ständen etwas aufbürden wolle, dieselben ihm ohngestraft den Gehorsam entziehen können. Aber auch dieses fliesset aus der gemeinen Natur der Verträge her; nicht aber, weil dem Kayser einige Gewalt über die Stände zustehe.  
  Weit wahrscheinlicher könnte man darauf bestehen, was von einem alten Gebrauche eingeführet und durch die güldene Bulle bestätiget ist, daß der Kayser, wenn er über einer Sache betreten worden, vor dem Pfaltz-Grafen zu antworten schuldig seyn solle. Und es ist bekannt, wie die drey geistlichen Churfürsten Alberto I. angekündiget haben, daß er vor dem Pfaltzgrafen Rudolpho, seine Sache ausführen solle; obwohl bey einem so hohen Beschuldigten die Waffen mehr wieder den Kläger und Richter gegangen. Nach der Güldenen Bulle aber erinnern wir uns nicht ein Exempel eines solchen vor dem Pfaltz- Grafen gehaltenen Gerichts gelesen zu haben.  
  Der Ursprung solches dem Churfürsten von der Pfaltz zukommenden Rechts, ist ohne Zweiffel aus dem Amte hergeleitet worden, welches er als ein Major Domus am Königlichen Hoffe geführet. Denn gleichwie dieser gegen die übrigen Hoff-Bedienten die Gerichtsbarkeit ausübte; also stund auch dem Pfaltz-Grafen, wenn jemand bey dem Könige selbst etwas suchte, dabey er zweiffelhafft war, die Erkenntniß darüber zu. Bey dessen Ausspruche bestund auch alsdann der König, nicht als ob er ihn vor seinen Höhern erkennete, sondern damit er nach dem erkannten Recht, des bittenden, seine Verbindlichkeit gegen ihn erfüllen könnte.  
  Gleichwie wir viele Fürsten in Teutschland und anderer Orten wissen, welche wegen Schuld oder anderer sie betreffenden Sachen so einen Zweiffel in sich fassen, vor ihren eigenen Gerichten pflegen belanget zu werden. Welche Gerichte gleichwohl den Fürsten nicht zwingen, oder mit Strafe belegen können, wenn er nicht in Absicht auf Recht und Billigkeit, oder in Betrachtung der allgemeinen Hochachtung, die Schuld zu bezahlen bewogen wird.  
  Aber man hat vielleicht mehr Ursache zu glauben, daß die Stände selbst schon damit vergnügt sind, daß ihnen von dem Kayser nichts, so ihnen mißfällt, angesonnen werden kan, als eine solche verhaßte Freygebigkeit zu lieben, daß man seinem Kayser befehlen könne. Doch wird der Kayser gar leicht mit dem Hippolitho zum Vergleich kommen, daß er nicht von ihm in die Classe der Unterthanen verwiesen werde.  
  Mehr aber treiben es diejenigen, welche glauben, daß so wohl dem Kayser eine Königliche Gewalt, als denen Ständen eine gemäßigte Freyheit beygeleget werden könne Indem sie Teutschland unter die umschränckten Reiche zählen. Sonst behaupten die erstern, daß alles, was dem Kayser in denen Capitulationen vorgeschrieben wird, bey einem umschränck-  
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  ten Königreiche bestehen könne: Nehmlich, daß er gehalten sey, die Republick nach denen Reichs-Grund-Gesetzen zu verwalten, und bey den wichtigsten Geschäfften die Einwilligung der Stände zu erfordern; daß er, ohne sie um Rath zu fragen, keine neue Gesetze geben; in den Kirchen-Sachen nichts verändern: Krieg, Frieden, und Bündnisse ohne die Stände nicht beschliessen; die Zwigstikeiten der Unterthanen nicht anders, als durch gewisse Gerichts-Städte entscheiden könne, u. s. w.  
  Also könne auch dieses, daß die Stände dem Reiche und zugleich dem Kayser die Treue schwören, also ausgeleget werden, daß sie dem Kayser in so ferne Gehorsam leisten wollen, als er sich ihrer Dienste und Güter zum allgemeinen Besten. und wie es in den Reichs-Gesetzen verordnet ist, bedienen will; zugleich aber auch, daß sie sich gegen die übrigen Reichs-Glieder als nützliche und getreue Mitbürger erzeigen wollen.  
  Es sind uns aber vornehmlich zwey Dinge im Wege, um derentwillen wir Teutschland nicht vor ein umschräncktes Königreich halten können. Erstlich muß der König in einem wahrhafften Königreiche, ob er wohl bey Verwaltung desselben gewisse Gesetze in Acht zu nehmen hat, alle Bürger würcklich so weit übertreffen, daß sich niemand unterstehen darf, seine Freyheit und seine Rechte mit der Gewalt des Königes zu vergleichen, auch so gar, daß alle Vornehmsten von seiner Wllkühr abhangen, und vor ihm Rechenschafft zu geben verbunden sind.  
  Daß aber dieses in Teutschland anders sey, ist einem jeden bekannt. Denn niemand von den Teutschen Ständen wird zugeben, daß sein ihm unterworffenes Gebiethe mehr dem Kayser, als ihm zugehöre, oder, daß er mehr desselben, als seinen eigenen Nutzen, bey dessen Beherrschung zu suchen habe. Ja es gehet vielmehr ein jeder derselben so weit, daß sie gegen andere Stände oder auswärtige zu kriegen, Bündnisse mit andern Ständen oder auswärtigen zu schliessen, ohne den Kayser zu fragen, sich kein Bedencken machen, wenn sie sich nur auf ihre und ihrer Bundsgenossen Kräffte zu verlassen haben.  
  Sodenn hat ein jeder, ob wohl eingeschränckter König dieses voraus, daß endlich die Regierung und Anwendung der Kräffte des gantzen Reichs auf ihn zuletzt zurück falle, und daß eben dieselben Kräffte unter ihm gleichergestalt zur Beförderung der gemeinen Wohlfahrt vereiniget werden, damit alles gleich als nur von einer Seele regieret zu werden scheine. Wer aber dieses in Teutschland bemercken wolle, der müste gewiß überaus scharfsichtig seyn. indem daselbst derjenige, so vor das Haupt oder den König gehalten wird, aus dem Reiche keine Einkünffte geniesset, sondern von seinem eigenen Vermögen leben muß; allwo ferner keine gemeine Schatz-Cammer, noch öffentliche und allgemeine Soldaten sind, sondern ein jeder Reichs Stand sich seiner Macht und der Einkünffte von seinem Gebiete nach seinem eigenen Gefallen bedienet, dergestalt, daß er nur etwas geringes, und darzu noch in dem äussersten Nothfall, zum gemeinen Bedürffniß beyträgt.  
  Endlich sind ihrer auch nicht wenige, welche Teutschland zu denen gemischten Republicken zählen, die sich aber dennoch, sie  
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  mögen sich drehen und winden, wie sie wollen, nicht zu rechte helffen können. Denn was gleich etwann Aristoteles als der Urheber dieser Vermischung von denen Gestalten derer unter einander gemischten Aristocratischen und Democratischen Regierungs-Arten vorbringt, will gantz und gar nicht zu der Teutschen Staats-Verfassung passen, wie ein jeder, der den Aristoteles deshalber nachschlagen will, gar leicht von selbst erkennen wird.  
  Eben so wenig schicket sich auch nur eine der von denen neuern erdachten vermischten Regierungs-Arten zu der Teutschen, als in welcher letztern die höchste Gewalt, oder die Majestät weder bey ihren vielen unzertheilt, noch auch bey denen unterschiedenen darzu gehörigen Personen oder Collegien zertheilt anzutreffen ist.  
  Welche aber Teutschland deswegen als einen aus der Monarchie und Aristocratie vermischten Staat ansehen wollen, weil daselbst auch die Stände der vornehmsten Majestäts-Rechte theilhafftig sind, verstossen sich hauptsächlich darinne, weil sie voraus setzen, daß die gesammten Reichs-Stände die Natur und Eigenschafft eines Aristocratischen Raths-Collegii an sich hätten, welches doch nicht allein die Sache selber widerleget, sondern auch bereits oben das Gegentheil erwiesen worden.  
  Es ist solchergestalt nichts mehr übrig, als daß wir sagen, Teutschland sey ein gewisser irregularer Staats-Cörper, wenn man ihn nach den gewöhnlichen Regeln der Staats-Klugheit, und gegen andere Arten der Republicken betrachtet; so, daß seines gleichen sonst nirgends in der gantzen Welt zu finden. Ohne aber uns erst weiter in die unter vielen Staatskundigen und andern Gelehrten darüber entstandenen Streitigkeiten zu mengen; so scheinen uns fast diejenigen die Sache am besten getroffen zu haben, welche glauben, man könne das Teutsche Reich nach seiner Staats-Verfassung nicht besser beschreiben als wenn man sagte, es sey eine Gemeinschafft vieler Staaten, darinnen einer unter dem Königlichen Titul und Ansehen gleichsam als der Fürst oder das Haupt dieser mit einander verbundenen und vereinigten Staaten unter allen andern hervor rage.  

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Stand: 7. Oktober 2016 © Hans-Walter Pries